EWR 9 (2010), Nr. 6 (November/Dezember)

Iris Ritzmann
Sorgenkinder
Kranke und behinderte Mädchen und Jungen im 18. Jahrhundert
Köln/ Weimar/ Wien: Böhlau 2008
(320 S.; ISBN 978-3-4122-0149-4; 39,90 EUR)
Sorgenkinder Mit der hier vorgelegten Überarbeitung ihrer Habilitationsschrift gibt die Schweizer Medizinhistorikerin Iris Ritzmann – ausgehend von Überblicken zu Kindheitsforschung und Kinderheilkunde – einen fundierten Einblick in den im 18. Jahrhundert praktizierten Umgang mit kranken und behinderten Kindern. Materialbasis dafür sind Krankenjournale, Bittschriften, Medizinal- und Rechtsakten aus Archiven in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz und der Schweiz sowie zeitgenössische medizinische Werke. Die Präsentation ihrer Forschungsergebnisse strukturiert Ritzmann entlang folgender Kategorien: am Heilungsprozess beteiligte Personen, Krankheitsbilder, Problemfelder der retrospektiven Diagnostik, Orte der Heilung, kinderspezifische Behandlungsstrategien. Berücksichtigt werden zudem Sondersituationen wie der Umgang mit Kunstfehlern oder in Waisenhäusern unternommene Heilungsbemühungen. Bemerkenswert ist, dass es Ritzmann durch Einzelfalldarstellungen und Illustrationen zu Behandlungsmethoden (z.B. die Klistierszene) gelingt (51), auch Nichtmedizinern einen gut nachvollziehbaren Einblick in den in unterschiedlichen Kontexten praktizierten Umgang mit „Sorgenkindern“ beiderlei Geschlechts zu gewähren. So trägt Ritzmann nicht nur zur Behebung einer innerhalb der Medizinhistorie bestehenden Forschungslücke bei, sondern leistet auch bildungshistorisch Relevantes: Sie bereichert die Forschung um Erkenntnisse zum Aufwachsen in ärmeren, statusniedrigen Bevölkerungsgruppen, sie zeigt Kompetenzstreitigkeiten zwischen einzelnen Akteursgruppen inklusive der Abwertung der weiblichen Kinderbetreuung auf und sie belegt, dass Kinder bei der Behandlungsplanung als Gesprächspartner ernst genommen wurden. Zusammengenommen widersprechen Ritzmanns Ergebnisse somit deutlich dem hartnäckigen Mythos, dass in der frühen Neuzeit kindlichem Leiden in der Regel gleichgültig begegnet worden sei, und regen zu weiterer Forschung an.
Jeanette Bair (Tübingen)
Zur Zitierweise der Annotation:
Jeanette Bair: Annotation zu: Ritzmann, Iris: Sorgenkinder, Kranke und behinderte Mädchen und Jungen im 18. Jahrhundert. Köln/ Weimar/ Wien: Böhlau 2008. In: EWR 9 (2010), Nr. 6 (Veröffentlicht am 08.12.2010), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/annotation/978341220149.html