EWR 11 (2012), Nr. 1 (Januar/Februar)

Margherita Zander (Hrsg.)
Handbuch Resilienzförderung
Wiesbaden: VS Verlag fĂŒr Sozialwissenschaften 2011
(690 S.; ISBN 978-3-5311-6998-9; 49,95 EUR)
Handbuch Resilienzförderung Durch das rasante Voranschreiten der Resilienzforschung wird es immer schwieriger ihre Gesamtlandschaft im Blick zu behalten. Margherita Zander unternimmt mit ihrem Handbuch eben diesen Versuch. Sie erhebt den Anspruch, konkrete Überlegungen zu Möglichkeiten von Resilienzförderung im sozialpĂ€dagogischen Bereich zu prĂ€sentieren, ohne endgĂŒltige Antworten formulieren zu wollen. Als Adressatengruppe ihrer Publikation werden sowohl FachkrĂ€fte der Kinder-, Jugend- und Familienbildung als auch LehrkrĂ€fte diverser Schultypen sowie TĂ€tige im Bereich der Beratung oder Fortbildung genannt.

Das Nachschlagewerk hat einen Umfang von ĂŒber 600 Seiten, enthĂ€lt BeitrĂ€ge von mehr als 30 Autorinnen und Autoren und gliedert sich in drei Teile, deren Inhalte von einer informativen Einleitung der Herausgeberin und einem reflexiven Nachwort eines fĂŒr die redaktionelle Bearbeitung des Handbuches verantwortlichen Schriftstellers Martin Roemer umrahmt werden. Der erste Teil fĂŒhrt in die derzeitige angloamerikanische Resilienzdebatte ein, der zweite Teil erörtert Grundsatzfragen zur Resilienz und der dritte Teil widmet sich den Umsetzungsideen von Resilienzförderung in diversen Praxisfeldern.

Um sich der komplexen Thematik anzunĂ€hern, werden verschiedene Akzentuierungen aus dem aktuellen Diskussionsstand zum PhĂ€nomen Resilienz(förderung) vorgestellt. Aufgrund des Umfanges des Handbuchs muss im Folgenden selektiv vorgegangen werden, um die Vielfalt der gebotenen Perspektiven, zumindest rudimentĂ€r, betrachten zu können. Das hier beachtete Prinzip der HeterogenitĂ€t verfolgt – auch im Sinne der Herausgeberin – das Ziel, nĂŒtzlich fĂŒr die praktische Umsetzung im Sinne der Resilienzförderung zu sein.

Emmy Werner fĂŒhrt in den Sammelband ein. Als Pionierin der Resilienzforschung prĂ€sentiert sie die Ergebnisse ihrer lebenslangen ForschungstĂ€tigkeit und eröffnet damit die sozialpĂ€dagogisch ausgerichtete Betrachtungsweise des Bandes. Werner identifiziert die Resilienzquellen von problembelasteten Kindern nicht nur in ihnen selbst, sondern vielmehr in der sozialen UnterstĂŒtzung in und außerhalb ihrer Familien. Diese Erkenntnisse liefern wertvolle Hinweise fĂŒr die sozialraumorientierte Förderung von Resilienz bei Kindern. Michael Ungar diskutiert mit Blick auf randstĂ€ndige gesellschaftliche Gruppen die oft vernachlĂ€ssigten kulturellen Aspekte der Resilienz(förderung). Ungar vertritt damit eine streng kontextbezogene Resilienzauffassung, welche sich z. B. auch in unangepasstem, problematischem Verhalten Ă€ußern kann. Dieses wird im Einzelfall als sinnvoll erachtet, aber im Mainstream des Resilienzdiskurses kaum als gelungene Entwicklung gewertet. Die in den BeitrĂ€gen sehr luzide offerierten Einblicke zeigen Resilienz als eine personale und zugleich soziale, dynamische BewĂ€ltigungsstrategie auf. Die zu wĂŒrdigende StĂ€rke der Schilderungen liegt in der FĂŒlle der Aufbereitung von heterogenen Resilienzpositionen, die primĂ€r aus dem angelsĂ€chsischen Raum kommen und die jĂŒngere Resilienzdebatte auch hierzulande inspirieren können.

Im zweiten Teil beleuchten Forscherinnen und Forscher diverser Fachdisziplinen ihre ResilienzverstĂ€ndnisse und heben dezidiert hervor, dass von diesen die Praxis der Resilienzförderung maßgeblich abhĂ€ngt. Thomas von Freyberg kritisiert den Ansatz einer oft nur funktional begriffenen Resilienz, die zum ĂŒberall einsetzbaren Modewort geworden ist. Selbst in der nicht funktionalisierten Nutzung der Resilienz sieht er keine gesellschaftlichen Potenziale; von Freyberg steht ihr in toto skeptisch gegenĂŒber. Michael Fingerle beleuchtet die Grenzen des Konzepts und die Erwartungen kritisch, die mit Resilienzförderungsprogrammen einhergehen. Dabei warnt er vor einer Schwarzweißdeutung des Zusammenspiels zwischen Risiken und Potenzialen der Resilienz sowie vor allzu idealistischen Zielen, die in Anbetracht des hohen, dennoch lohnenswerten, Aufwands in der Praxis nicht immer erreicht werden. Wolfgang MĂŒller plĂ€diert fĂŒr die Resilienzförderung als Bestandteil einer konzeptionellen Neuorientierung demokratischer Erziehung. Diese Ausrichtung begreift er als eine zukunftsorientierte sowie unabdingbare Entwicklung der (praktischen) Sozialen Arbeit. Die hier angefĂŒhrten Grundsatzfragen der Resilienz markieren relevante Eckpfeiler des deutschsprachigen Diskurses und ordnen sich nahtlos in die derzeit gefĂŒhrte internationale Debatte ein. Die thematisierten Perspektiven auf Resilienz und deren Förderung verdeutlichen meisterhaft die vielschichtigen sowie partiell divergierenden Konturen der gegenwĂ€rtigen Resilienzforschung.

Der dritte Teil versteht sich, so sein erklĂ€rtes Ziel, als der Schwerpunkt der Publikation. Er illustriert die Resilienzförderung in verschiedenen Praxisfeldern und mit verschiedenen Zielgruppen. Rolf Göppel distanziert sich von der Idee des systematisch in Bildungseinrichtungen stattfindenden Resilienzaufbaus ĂŒber ein Curriculum. Stattdessen befindet er eine konstant fĂŒrsorgliche Haltung der PĂ€dagoginnen und PĂ€dagogen fĂŒr wirkungsvoller. Corinna Wustmann bekrĂ€ftigt, ebenfalls fĂŒr diesen Bereich, die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Resilienzförderung auf der Basis von zuverlĂ€ssigen Beziehungen in Abgrenzung zu zielgerichteten Programmen, wĂ€hrend Klaus Fröhlich-Gildhoff ebensolche Förderprogramme wiederum als erfolgsbringende Trainings zur prĂ€ventiven Ausbildung der ResilienzfĂ€higkeit sieht. Marie Conen verlagert die auf Bildungsinstitutionen ausgerichtete Debatte in den Bereich der Familie, deren therapeutische StĂ€rkung sie eo ipso mit der Resilienzpraxis gleichsetzt. Bruno Hildenbrand empfiehlt den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe bei Problemen ein familiengebundenes Resilienzkonzept in Betracht zu ziehen, um nicht in schuldzuweisende und zwischen Familie und Institution unterscheidende MĂŒndigkeitsdebatten zu verfallen. Hans Weiß betont ebenso die Relevanz solcher Resilienzkonzeptionen fĂŒr den Bereich der interdisziplinĂ€ren FrĂŒhförderung. Auch Wolfgang Jaede und Georg Kormann integrieren Ă€hnliche, mehrdimensionale Resilienzförderungsideen in den kĂŒnftigen Aufgabenkreis der prĂ€ventiven Erziehungsberatung sowie stationĂ€ren Heimerziehung. Margherita Zander unterscheidet zwischen Resilienz- und Ressourcenarbeit und illustriert dies am Beispiel von Projekten zur resilienzstiftenden Gruppenförderung benachteiligter Kinder. Dabei stellt sie die Gruppe selbst als Schutzfaktor heraus. Dorothea Irmler und Uli Hahn bleiben dem Gruppenkontext treu und geben Einblicke in die bisher im Resilienzdiskurs vernachlĂ€ssigten Betrachtungsweisen auf FlĂŒchtlinge. Dabei verorten sie die migrationsspezifische Resilienzförderung per se im Bereich der sozialpolitischen Verantwortung. Mirja Silkenbeumer sucht per Fall- und Biographiearbeit nach Potenzialen von delinquenten Jugendlichen, um sozialen Institutionen so erste Zugangsformen fĂŒr den Resilienzaufbau anbieten zu können. Anhand der facettenreichen BeitrĂ€ge mit PraxisbezĂŒgen und Konzeptionsideen mit Blick auf Institutionen oder Gruppen, werden in diesem Teil Autorinnen und Autoren unterschiedlicher disziplinĂ€rer Herkunft im Kontext der sozialraumdifferenten Resilienzförderung vereint. Die an der Praxis interessierte Leserin sollte jedoch gezielt, wie dies HandbĂŒcher vorsehen, nach thematischen und fĂŒr sie weiterfĂŒhrenden AusfĂŒhrungen Ausschau halten, um sich nicht im Dickicht der vielen profund aufgezeigten Praxisfelder zu verlieren. Die jedem Aufsatz nachfolgenden Literaturhinweise sowie das Autorenregister am Ende des Bandes erleichtern hier die zielgerichtete LektĂŒre.

Dem Handbuch ist es insgesamt gelungen, seinen eigenen AnsprĂŒchen gerecht zu werden, d. h. die Gesamtlandschaft der Resilienzförderung darzustellen. Das eingangs formulierte Ziel, Inspiration und Nutzen fĂŒr die Praxis in einem Buch zu vereinen, wird zweifelsohne erreicht. Zu schĂ€tzen ist die Offenheit, mit welcher dem sich hierzulande noch etablierenden Resilienzkonzept begegnet wird: Seine Grenzen und Kontexte werden reflektiert; anstelle von starren Handhabungsinstruktionen werden ‚nur‘ ermutigende Anhaltspunkte geboten. Außerdem werden die Problematiken um die Begriffsdeutung und auch (um) die Initiativen der Umsetzung von Resilienzkonzepten in die pĂ€dagogische Praxis nicht marginalisiert, sondern – dem derzeitigen Forschungsstand entsprechend – diskutiert. Es handelt sich formal wie inhaltlich um ein sehr empfehlenswertes und breit aufgestelltes Handbuch mit hoher Verwertbarkeit fĂŒr den genannten Adressatenkreis, aber auch fĂŒr alle interessierten „Theoretikerinnen und Theoretiker“.
Krystyna Reiter (Karlsruhe)
Zur Zitierweise der Rezension:
Krystyna Reiter: Rezension von: Zander, Margherita (Hg.): Handbuch Resilienzförderung. Wiesbaden: VS Verlag fĂŒr Sozialwissenschaften 2011. In: EWR 11 (2012), Nr. 1 (Veröffentlicht am 24.02.2012), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978353116998.html