EWR 22 (2023), Nr. 3 (Juli)

Aysun DoÄŸmuÅŸ
Professionalisierung in Migrationsverhältnissen
Eine rassismuskritische Perspektive auf das Referendariat angehender Lehrer*innen
Wiesbaden: Springer VS 2022
(442 S.; ISBN 978-3-658-37720-5; 69,99 EUR)
Professionalisierung in Migrationsverhältnissen Die Dissertationsstudie „Professionalisierung in Migrationsverhältnissen - Eine rassismuskritische Perspektive auf das Referendariat angehender Lehrer*innen“ von Aysun Doğmuş wendet sich zwei Themenfeldern zu, welche bisher kaum in einer rassismuskritischen Perspektive beforscht wurden: Der Forschung zum Vorbereitungsdienst und zur Professionalisierung in Migrationsverhältnissen. Das zentrale Erkenntnisinteresse stellt „die Rekonstruktion der Professionalisierung angehender Lehrer*innen in migrationsgesellschaftlichen Verhältnissen im Zusammenhang mit den Ausbildungs- und Professionalisierungsbedingungen des Referendariats“ (5) dar. Dementsprechend formuliert die Autorin die Frage, „wie Migrationsverhältnisse im Referendariat ausgehandelt und für die Professionalisierung von Referendar*innen wirksam werden“ (6). Unter Rückgriff eines praxeologischen Zugangs wendet sich die Studie der Deutung von Migrationsverhältnissen im Professionalisierungsfeld Referendariat sowie der (Re-)Produktion von rassifizierenden Positionszuweisungen zu.

Die Studie ist im Anschluss an die Einleitung in fünf Hauptkapitel und ein Fazit gegliedert. In Kapitel 2 führt Doğmuş den Forschungsstand zu „Professionalität und Professionalisierung in Migrationsverhältnissen“ (11) und zu Rassismus in der Lehrer:innenbildung stringent zusammen, um Rassismuskritik als theoretisch-analytische Perspektive ihrer Untersuchung entwickeln zu können (54-57). Der profund dargestellte Forschungsstand unterstreicht anhand der Markierung von Desideraten die Notwendigkeit, die Wirkungsweisen von migrationsgesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen in Professionalisierungsprozessen innerhalb der Lehrer:innenbildung zu untersuchen.

Doğmuş entwickelt im dritten Kapitel „[e]in heuristisches Analysemodell zur Professionalisierung in Migrationsverhältnisse(n)“ (59). Rassismus wird in diesem Modell als symbolische Ressource vorgestellt, welche aus den Strukturen sozialer Ungleichheit hervorgeht. Auf dieser konzeptuellen Grundlage sensibilisiert die Autorin die methodologischen Werkzeuge für rassistische Differenz- sowie Machtverhältnisse und passt sie so an die Strukturen des Referendariats in der Migrationsgesellschaft an. Ein besonderes Augenmerk legt sie dabei auf Prozesse der Positionierung von Referendar:innen als autorisierte Sprecher:innen (Bourdieu 2012 [1]) im Referendariat. Im Rahmen des Analysemodells, welches auf Grundlage der dokumentarischen Methode und der intersektionalen Mehrebenenanalyse sozialer Ungleichheiten erstellt wurde, wird untersucht, „wie Migrationsverhältnisse sich in der Doxa der Diskursformation und symbolischen Repräsentation des Ausbildungsfeldes […] manifestieren“ (143), wie diese von Referendar*innen bearbeitet werden und „sich darin der entstehende professionelle Habitus […] transformiert“ (144).

In Kapitel 4 entwickelt Doğmuş Erhebungs- und Auswertungsstrategien, um „die migrationsgesellschaftlichen Aushandlungsmodi im Hinblick auf die Manifestation und (Re-)Produktion des migrationsrelevanten Rassismus“ rekonstruieren zu können (149). Hierzu wertet sie auf Grundlage der mit Impulsen der intersektionalen Mehrebenenanalyse (Winker & Degele 2010 [2]) angereicherten Dokumentarischen Methode (Bohnsack 2010 [3]) 17 narrativ-episodische Interviews mit Referendar:innen und sechs Expert:inneninterviews mit Fachleiter:innen (162) aus.

Die in Kapitel 5 vorgestellte rassismuskritische Analyse von Professionalisierungsprozessen bildet den Kern der Studie. Doğmuş rekonstruiert eine mehrdimensionale „Typologie der Professionalisierung im Referendariat und Spielarten des migrationsrelevanten Rassismus“ (187). Relevant werden bei dieser Typenbildung eine (i) Dimension der Mitgliedschaftspraxis, bei der bedeutsam wird, welche (Selbst-)Positionierungen die angehenden Lehrkräfte einnehmen (177) und eine (ii) Dimension der Unterrichtspraxis, bei der die Referendar:innen Unterricht sowie Schüler:innen beschreiben (178). Außerdem wurden für die Rekonstruktion der (iii) Dimension der Migrationsverhältnisse „fallübergreifend migrationsgesellschaftliche Aushandlungsmodi zu einer Typik der Praxis-Diskurs-Formationen abstrahiert“ (180). Hierbei stand die rassismustheoretische Analyse dieser Aushandlungsmodi im Fokus. Durch das Miteinbeziehen der Dimensionen Mitgliedschafts- und Unterrichtspraxis in den Datenauswertungen werden die sich unter den Bedingungen des Vorbereitungsdienstes formierenden Spielarten des migrationsrelevanten Rassismus herausgearbeitet. Mitgliedschaftspraxis ist hierbei ein „Erfahrungszusammenhang, in dem die Professionszugehörigkeit im Beziehungsgeflecht mit Kolleg*innen und Mentor*innen an der Ausbildungsschule sowie mit Fachleiter*innen am Studienseminar modelliert wird“ (189). Im Rahmen dieser Modellierungen der ausbildungsspezifischen Professionszugehörigkeit werden drei Typen von Zugehörigkeitsarbeit nachgezeichnet: (i) „Die affirmativ-fraglose Zugehörigkeitsarbeit in Relation zur leistungsrelevanten Hierarchie“, (ii) „[d]ie affirmativ-ambivalente Zugehörigkeitsarbeit in Relation zur positionsrelevanten Hierarchie“ sowie (iii) „[d]ie affirmativ-prekäre Zugehörigkeitsarbeit in Relation zur migrationsrelevanten Hierarchie“ (190). Diese Typen der Zugehörigkeitsarbeit wirken nicht für sich alleinstehend. Vielmehr sind die sich aus dem Zusammenwirken der leistungs- und positionsrelevanten Hierarchien ergebenden Strukturen für das Referendariat charakteristisch, in denen immer auch migrationsrelevante Hierarchien wirksam werden. In der Modellierung der Dimension Unterrichtspraxis werden weitere signifikante Logiken des Forschungsfeldes deutlich, da Unterrichtspraxis in dreifacher Hinsicht in den der Studie zugrundeliegenden Daten zentral erscheint: So wird die Durchführung eines „guten Unterrichts“ (250) als Kernaufgabe von Lehrer*innen konstituiert, die Durchführung des Unterrichts wird von Mentor*innen beobachtet sowie kommentiert und die Fokussierung auf Unterrichtspraxis bildet einen institutionalisierten Rahmen der Studienseminare. Mit Hilfe der Modellierungen des „guten Unterrichts“ zeichnet Doğmuş die Konstruktion der Rollen von Schüler:innen und Lehrer:innen im Forschungsfeld nach. Anhand der Nachbildung migrationsgesellschaftlicher Aushandlungsprozesse im Vorbereitungsdienst werden dann „Spielarten des Rassismus im Professionalisierungsprozess des Referendariats“ (298) nachgezeichnet. Die Studie zeigt in diesem Zusammenhang die Wirksamkeit des rassismusrelevanten (Un-)Wissens in den Diskursen des Vorbereitungsdienstes auf. Daran anknüpfend wird verdeutlicht, wie aus dem „Zusammenspiel des rassismusrelevanten Wissens und Unwissens“ (333) ein professionalisierungsfreier Raum resultiert. Solch ein Raum ermöglicht die Konstruktion von „(Migrations-)Anderen“ (Mecheril 2010, S. 187 [4]) im Professionsfeld Lehrer:innenbildung. Anschließend wird in der Studie aufgezeigt, wie rassismusrelevante Wissensdimensionen Möglichkeitsräume der Thematisierbarkeit von Rassismus moderieren und damit einhergehend auch dethematisieren sowie verdrängen (347). Weiterhin zeichnet die Arbeit nach, inwiefern Rassismus dazu beiträgt, (nicht-)autorisierte Sprecher:innen im Referendariat zu konstruieren.

Im Zentrum der Zusammenfassung (Kapitel 6) steht die Frage, inwiefern „Migrationsverhältnisse im Ausbildungsfeld des Referendariats ausgehandelt und professionalisierungswirksam werden können“ (401). Die Bündelung der Ergebnisse orientiert sich an den in Kapitel 5 rekonstruierten zentralen Erfahrungszusammenhängen der Unterrichts- und Mitgliedschaftspraxis sowie deren Zusammenwirken.

Doğmuş gelingt eine akkurate Analyse rassismusrelevanter Wissensbestände im Referendariat, sich daraus ergebender professionalisierungsfreier Räume und der damit einhergehenden „Veranderung“ von Schüler*innen und (angehenden) Lehrer*innen. Hervorzuheben ist das von der Autorin sorgfältig entworfene Forschungsdesign, welches eine treffende Analyse von Professionalisierungsprozessen von angehenden Lehrer:innen in der Migrationsgesellschaft ermöglicht und dabei die spezifischen Logiken des Forschungsfeldes Referendariat berücksichtigt. Hierzu trägt vor allem die Anreicherung der Dokumentarischen Methode durch die intersektionale Mehrebenenanalyse bei.

Anhand der in der Arbeit präsentierten Forschungsergebnisse wird die Notwendigkeit ersichtlich, dass im Rahmen der Lehrer*innenprofessionalisierung migrationsgesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse reflektiert werden müssen. Die Promotionsstudie bietet sowohl für in der Wissenschaft als auch im Praxisfeld der Lehrer:innenbildung verortete Personen zentrale Erkenntnisse dazu, inwiefern das Professionalisierungsfeld Vorbereitungsdienst in migrationsgesellschaftliche und schulische Strukturen eingebettet ist. Demnach leistet die Arbeit einen außerordentlich signifikanten Beitrag sowohl in der (rassismus)kritischen Migrationsforschung als auch in der Professionalisierungsforschung.

[1] Bourdieu, P. (1982). Was heißt Sprechen? Zur Ökonomie des sprachlichen Tauschs (2. Aufl.). New Academic Press 2015.
[2] Winker, G., Degele, N. (2009). Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheit (2. Aufl.) transcript.
[3] Bohnsack, R. (2010). Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden (2. Aufl.). Barbara Budrich.
[4] Mecheril, P. (2010). Anerkennung und Befragung von Zugehörigkeitsverhältnissen. Umriss einer migrationspädagogischen Orientierung. In P. Mecheril, İ. Dirim, M. Castro Varela, A. Kalpaka, C. Melter. Migrationspädagogik (S. 179-191). Beltz Verlag.
Dennis Barasi (Bremen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Dennis Barasi: Rezension von: DoÄŸmuÅŸ, Aysun: Professionalisierung in Migrationsverhältnissen, Eine rassismuskritische Perspektive auf das Referendariat angehender Lehrer*innen. Wiesbaden: Springer VS 2022. In: EWR 22 (2023), Nr. 3 (Veröffentlicht am 19.07.2023), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978365837720.html