EWR 22 (2023), Nr. 2 (April)

Aliki Nicolaides / Saskia Eschenbacher / Petra T. Buergelt / Yabome Gilpin-Jackson / Marguerite Welch / Mitsunori Misawa (Hrsg.)
The Palgrave Handbook of Learning for Transformation
Cham: Springer International Publishing 2022
(956 S.; ISBN 978-3-030-84693-0; 267,49 EUR)
The Palgrave Handbook of Learning for Transformation Das Handbuch ‚Learning for Transformation‘ nimmt aktuelle Krisen und Dilemmata (Pandemie, Rassismus und Klimawandel) zum Anlass, um durch die ‚Brille der Erwachsenenbildung‘ (5) auf das weite Feld des transformativen Lernens zu blicken. Warum streben wir nach Transformation? Wie können wir uns durch die Transformation hindurchbewegen und uns selbst und andere transformieren?

In der Auswahl der BeitrĂ€ge (z. B. Hochschulbildung, Psychologie oder Personal- und Organisationsentwicklung) sowie durch die verschiedenen theoretischen und disziplinĂ€ren HintergrĂŒnde der 103 Autor:innen aus dem Globalen SĂŒden sowie Norden wird eine breite thematische Vielfalt zum PhĂ€nomen des transformativen Lernens deutlich. Dieser multidisziplinĂ€re Zugang bietet die Möglichkeit, das PhĂ€nomen der Transformation different zu erforschen und dabei auch Disziplinen miteinander zu verbinden.

Die Entscheidung fĂŒr den Titel ‚Learning for Transformation‘ anstelle des zu erwartenden Titels ‚Transformative Learning‘ – immerhin wird dieses Konzept ĂŒber tausendmal im Handbuch wörtlich erwĂ€hnt – wird gleich im Vorwort aufgegriffen. Die Untersuchung des ‚PhĂ€nomens der Transformation’ unterstreiche den inhĂ€renten Charakter eines ‚passageway‘ (dt. Durchgang, Passage), nĂ€mlich die Erforschung noch unbekannter Gebiete. Diese Metapher beschreibt den nicht immer einfachen Prozess des Durchdringens eines ‚Grenzraums‘ (vi). Die Herausgeber:innen laden die Leserschaft demnach ein, sich auf eine Reise der Transformation zu begeben, um alte Sichtweisen aufzubrechen, Grenzen zu ĂŒberschreiten, mit dem Ziel neue RĂ€ume zu erschließen. In einem weiteren Vorwort zieht Ahreum Lim, eine Wissenschaftlerin, die zum PhĂ€nomen promoviert, ebenfalls einen metaphorischen Vergleich: transformatives Lernen sei ein großer Swimmingpool. Mit dieser Analogie beschreibt Lim gleichzeitig ihre Erfahrungen der Zusammenarbeit mit den Autor:innen sowie das Handbuch selbst.

Gegliedert ist das Handbuch anhand folgender vier Herausforderungen, welche zugleich die Kapitelstruktur bilden: „The Many Turns of Transformation“ (I), „Generating Conditions for Transformation“ (II), „(Un)known Discourses of Transformation“ (III) und „Challenges and Emerging Future of Transformation“ (IV). Jedes der vier Kapitel beinhaltet zwischen zwölf und 13 BeitrĂ€ge.

Die Reise beginnt zunÀchst auf sicherem Terrain: Ausgehend von den humanistischen, konstruktivistischen und kritisch sozialtheoretischen Wurzeln des transformativen Lernens werden in den BeitrÀgen im ersten Kapitel multidisziplinÀre und transdisziplinÀre Perspektiven auf das transformative Lernen vorgestellt.
Im zweiten Kapitel werden die Bedingungen beleuchtet, die Transformationen begĂŒnstigen. Die Leser:innen lernen in den BeitrĂ€gen die verschiedenen ‚Schwimmstile‘ kennen und zwar in Form unterschiedlicher (theoretischer) Herangehensweisen, die Transformationsprozesse unterstĂŒtzen können. Das traditionelle VerstĂ€ndnis des transformativen Lernens mit Fokus auf die individuelle Entwicklung wird verlassen und der Weg fĂŒr Theorien mit Blick auf kollektive oder gesellschaftliche Transformation wird geebnet.

Im dritten Kapitel werden die Leser:innen durch „(Un)known Discourses of Transformation“ (482), wie z. B. Informelles Lernen, Postkoloniale UnterdrĂŒckung oder Indigene Weltanschauungen, in den BeitrĂ€gen angeregt, ihre Vorstellungen zum transformativen Lernen zu ĂŒberdenken.

Im vierten und letzten Kapitel wird klar: Es braucht, auch um der Redundanz entgegenzuwirken, eine neue Sprache, um das PhĂ€nomen der Transformation zu beleuchten. Bisher folgte aus dem ‚brĂŒchigen Zustand unserer Sprache‘ eine ‚Zersplitterung des Fortschritts der Theorieentwicklung‘ (15). Ahreum Lim ermutigt die Leserschaft sich darauf einzulassen, ‚gegen den Strom zu schwimmen‘ und darin Freude zu empfinden (xvii).

Anstelle einer ausfĂŒhrlichen Diskussion einiger ausgewĂ€hlter BeitrĂ€ge, die den Leistungen der Autor:innen nicht gerecht werden kann, wird der bunte Strauß an Perspektiven mithilfe von exemplarischen ZugĂ€ngen und Fragestellungen skizziert. Nicht unerwartet scheint die Theorie Jack Mezirows in einigen BeitrĂ€gen durch, explizit setzen sich drei BeitrĂ€ge (Beitrag 2 von Fleming; Beitrag 3 von Eschenbacher & Levine sowie Beitrag 4 von Finnegan) mit den klassischen Wurzeln des transformativen Lernens auseinander. Erweitert wird diese Perspektive durch theoretische ZugĂ€nge, wie z. B. die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) (Beitrag 10 von Melacarne & Fabbri). In diesem Beitrag wird Aufschluss ĂŒber die Entwicklung von Forschungspraktiken gegeben, die von der Theorie des transformativen Lernens und der ANT inspiriert sind, transformatives Lernen als ‚soziales Handeln‘ und nicht als individuellen Prozess zu verstehen (176). Der Beitrag zur Aktionsforschung (Beitrag 11 von Bradbury) stĂŒtzt sich auf konstruktivistische Theorien und geht der Frage nach, wie ‚Resilienz fĂŒr Konflikttransformation‘ aufgebaut werden kann (195).

WĂ€hrend Elizabeth Tisdell und Ann Swartz sowie Janet Ferguson und Massimo Lambert ĂŒber die Themen ‚Pilgern‘ und ‚soul work‘ individuelle Transformation und persönliches Engagement in den Blick nehmen (Beitrag 12 und 13), widmen sich Carey Newman und Catherine Etmanski der Frage, wie eine individuelle Reise eine kollektive Transformation in Gang setzt (Beitrag 28). Der Fokus auf kollektive ZusammenhĂ€nge kommt in mehreren BeitrĂ€gen zu sozialem Wandel zum Ausdruck (Beitrag 42 von Olesen; Beitrag 43 von Caramellino et al.; Beitrag 44 von Chaplowe et al. und Beitrag 45 von Buergelt & Paton).

Die Frage, wie transformatives Lernen soziale Gerechtigkeit beeinflusst, wird von Mitsunori Misawa bearbeitet (Beitrag 32), der zur Untersuchung einer Anti-Mobbing-Praxis insbesondere ‚nicht-westliche Wissensformen‘ (573) heranzieht. Damit zeichnet sich auch das weite Spannungsfeld zwischen Individuum und Kollektiv ab.

Hinsichtlich der Handlungsfelder lĂ€sst sich ein breites Feld abstecken: von einem allgemeinen Arbeitskontext, wie z. B. Lehrer:innenausbildung (Beitrag 17 von MĂ€lkki et al.) und Arbeitsplatz (Beitrag 18 von Fisher-Yoshida; Beitrag 19 von Kwon; Beitrag 20 von Cox et al. und Beitrag 21 von Ramparsad), ĂŒber Kunst und KreativitĂ€t als Mittel zur Transformation (Beitrag 7 von Romano et al.; Beitrag 35 von Johns und Beitrag 36 von Lawrence) sowie der Rolle von Emotionen und Körper-Gehirn beim transformativen Lernen (Beitrag 40 von Taylor & Marienau) bis hin zum Bildungskontext. In letzterem nehmen die BeitrĂ€ge ĂŒber und mit indigenen Perspektiven einen zentralen Platz ein: Roz Walker und Rob McPhee thematisieren am Beispiel Australiens die Umgestaltung des indigenen Bildungswesens (Beitrag 15), das sowohl die Bildungsergebnisse der indigenen Bevölkerung als auch deren Leben verbessern soll. Maren Seehawer und Kolleg:innen greifen auf das sĂŒdafrikanische Paradigma von Ubuntu (eine Lebensphilosophie, die mit ‚Menschlichkeit‘ ĂŒbersetzt werden kann) als Rahmen fĂŒr ihr TransformationsverstĂ€ndnis zurĂŒck (Beitrag 26) und nĂ€hern sich mithilfe partizipativer Aktionsforschung einer VerĂ€nderung der pĂ€dagogischen Praxis. An der OstkĂŒste Kanadas untersucht David Newhouse mit seinen Kolleg:innen die Bedeutung einer indigenen PĂ€dagogik im Ausbildungskontext (Beitrag 27). Dem postkolonialen Kontext SĂŒdafrikas widmen sich drei BeitrĂ€ge mittels geschichtlicher und literarischer ZugĂ€nge (Beitrag 29 von Keane et al.; Beitrag 30 von Muthayan und Beitrag 31 von Ashcroft).

Ebenso prominent wird das Thema ‚sustainability education‘ behandelt. Dabei spielen folgende Aspekte eine Rolle: „transformative sustainability education (TSE)“ (130) und das transformative Lernpotenzial bei PĂ€dagog:innen, die systemische und nachhaltige VerĂ€nderungen bewirken (Beitrag 8 von Burns et al.), die UnterstĂŒtzung von „reorienting connections via ecological practices“ (279) (Beitrag 16 von Hathaway) sowie die Bildung eines ökologischen Bewusstseins nach der Förderung von Praktiken des transformativen Lernens (Beitrag 46 von Schlattner; Beitrag 47 von West und Beitrag 48 von Le Hunte et al.).

Besonders hervorgehoben werden soll abschließend der Schlussbeitrag von Yabome Gilpin-Jackson und Marguerite Welch (Beitrag 51), welcher weit ĂŒber eine Zusammenfassung hinausgeht. Er bietet eine kritische Reflexion ĂŒber transformatives Lernen als lebendige Theorie und ĂŒberzeugt mit seiner inhaltlichen Dichte sowie seiner bildlichen Sprache. Angemerkt werden kann, dass sich die darin enthaltene Kapitelzusammenfassung (921-935) fĂŒr die Gesamtausgabe als Orientierungshilfe besser fĂŒr die Einleitung geeignet hĂ€tte.

Eine StĂ€rke des Handbuches ist sein persönlicher Stil mit individuellen Erfahrungen und Reflexionen der Autor:innen. Diese individuelle Adressierung der Leser:innen durch tiefgreifende und umfassende Fragen, die zum Nachdenken anregen, zieht sich durch die gesamten BeitrĂ€ge und lĂ€sst die Autor:innen nahbar werden. Die Herausgeber:innen laden dazu ein, den vertrauten Wissensraum zum transformativen Lernen zu verlassen und sich neuen AnsĂ€tzen zuzuwenden. So werden die Leser:innen im Abschlussbeitrag aufgefordert, die thesenartigen VorschlĂ€ge – 1. „Transformation-in-Context“, 2. „Transformation-in-Connection“, 3. „Transformation-in-Action“, 4. „In-Transformation“ – selbst zu erforschen und damit das eigene Vokabular des PhĂ€nomens der Transformation zu erweitern und zu verĂ€ndern (937).

Insgesamt ist das Handbuch von gesellschaftlicher AktualitĂ€t gezeichnet. Es eignet sich sowohl als Einstiegswerk in die Thematik als auch fĂŒr diejenigen Wissenschaftler:innen, die sich bereits intensiv mit Theorien des transformativen Lernens auseinandergesetzt haben. Vor dem Hintergrund der eingangs genannten Krisen und Dilemmata wird das ‚PhĂ€nomen transformatives Lernen‘ mithilfe verschiedener (lern-)theoretischer Konzepte als Lernprozesse umfassend untersucht. Durch die Bearbeitung der ĂŒbergeordneten Frage nach der Gestaltung von ‚Learning for Transformation‘ anhand der von den Herausgeber:innen vorgegebenen vier Herausforderungen gewinnt das Handbuch an struktureller Klarheit und Transparenz.

Im Vergleich zu dem im Jahr 2012 erschienenen ‚Handbook of Transformative Learning‘, herausgegeben von Edward W. Taylor und Patricia Cranton, welches als Überblick ĂŒber Theorieentwicklung, Forschung und Praxis im Bereich des transformativen Lernens dient, stellt das vorliegende Handbuch eine Neuausrichtung des Feldes der Transformation dar. Das Ziel der Herausgeber:innen, eine komplexe und multidisziplinĂ€re Untersuchung des TransformationsphĂ€nomens anzuregen und die Grenzen zwischen Theorie und Praxis aufzulösen, wird damit erfĂŒllt.
Aline Steger (Weingarten)
Zur Zitierweise der Rezension:
Aline Steger: Rezension von: Nicolaides, Aliki / Eschenbacher, Saskia / Buergelt, Petra T. / Gilpin-Jackson, Yabome / Welch, Marguerite / Misawa, Mitsunori (Hg.): The Palgrave Handbook of Learning for Transformation. Cham: Springer International Publishing 2022. In: EWR 22 (2023), Nr. 2 (Veröffentlicht am 18.04.2023), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978303084693.html