EWR 23 (2024), Nr. 1 (Januar)

Douglas Yacek
Begeisterung wecken
Anleitung zu transformativem Lehren und Lernen
Stuttgart: Reclam 2023
(164 S.; ISBN 978-3-15-014410-7; 8,00 EUR)
Begeisterung wecken Es mangelt nicht an Klagen ĂŒber den Zustand von Schule und hierauf bezogenen RatschlĂ€gen, was dringend zu tun sei. Die akademische Didaktik hĂ€lt sich dabei eher zurĂŒck, beschrĂ€nkt sich im Kontext von Schul- und Unterrichtsforschung auf das Vermessen oder Verstehen schulischer Prozesse und Produkte, initiiert und begleitet manchmal eng abgesteckte Entwicklungsversuche. Inspirierende Antworten auf die verbreitete Suche nach Sinn und Orientierung kommen daher auch aus benachbarten Disziplinen [1].

Das besprochene Buch „Begeisterung wecken“ reiht sich hier ein: Douglas Yacek wendet eine internationale, bildungsphilosophische Diskussion um Transformation [2] didaktisch und prĂ€sentiert sein Konzept – angereichert durch Interviews mit Studierenden als ehemaligen SchĂŒler:innen – als kompakte „Anleitung“ fĂŒr die Unterrichtsgestaltung. Die These: Transformatives Lernen als „gezielte[s] Streben nach der Erweiterung und Vertiefung des eigenen Erfahrungshorizonts durch die intensive Auseinandersetzung mit fachlichen Inhalten“ (9) bedeute nicht nur einen ĂŒberfĂ€lligen Paradigmenwechsel, sondern lasse sich durch die Art der Unterrichtsgestaltung auch systematisch ermöglichen – und zwar in allen Schulformen und SchulfĂ€chern.

Das Buch ist in sechs Kapitel untergliedert. Einleitend (Kap. 1) wird das Potenzial schulischen Unterrichts in Abgrenzung zur von „passive[r] Folgsamkeit, Notenjagd, Desinteresse, bisweilen sogar Entfremdung“ (12) geprĂ€gten Wirklichkeit entworfen: Unterricht könne und solle stattdessen „anregen und faszinieren“ (22).

Maßgeblich ist dem Autor dafĂŒr die Unterscheidung zwischen Vorstellung von Bildung als Ausstattung der SchĂŒler:innen, bei der die FĂ€cher fĂŒr den Kompetenzerwerb instrumentalisiert werden, und der Vorstellung von Bildung als Transformation, bei der den FĂ€chern als „reichhaltige, geschichtstrĂ€chtige und komplexe Formen gemeinsamen Lebens und Strebens“ (17) ein eigener, intrinsischer Wert zugesprochen wird. Daraus speise sich die „Begeisterung und Faszination fĂŒr die FĂ€cher“ (8), die es zu wecken gilt.

Die anschließenden PortrĂ€ts transformativen Lernens (Kap. 2) illustrieren drei FĂ€lle, in denen das – zumindest in rĂŒckblickender Erinnerung – gelungen ist. Lehramtsstudierende im zweiten Semester wurden gebeten ĂŒber ihre prĂ€gendsten LehrkrĂ€fte zu sprechen. Im Zusammenhang mit den drei Fallstudien wird der zentrale Begriff der Aspiration als „wertorientierte Form der Motivation“ (42) eingefĂŒhrt, die „zu einer besonders dauerhaften, intensiven und letztlich transformativen BeschĂ€ftigung mit fachlichen Inhalten“ (62) fĂŒhre.

Der Autor stellt dann drei „Strategien“ vor, wie sich Aspirationen systematisch evozieren lassen (Kap. 3): Erstens die „einzigartige, von Leidenschaft geprĂ€gte Beziehung [der Lehrkraft, C.H.] zum Unterrichtsfach“ (66), zweitens DiskontinuitĂ€t als Unterrichtsprinzip bzw. die „Andersartigkeit des Unterrichts“ (75), die drittens in eine „PĂ€dagogik des Irritierens“ (76) mĂŒnde. Es werden dabei wiederum drei Formen der Irritation unterschieden, die sich im Übrigen alle nicht auf die fachlichen Perspektiven selbst beziehen, sondern auf die Lehrkraft als Person in ihrem VerhĂ€ltnis zum Fach und zu den SchĂŒler:innen (Auftreten, Transparenz, Zuneigung).

Im vierten Kapitel wird ausgehend von den bis hierhin dargestellten Überlegungen ein praktischer Orientierungsrahmen als didaktisches Konzept entfaltet, das vier Elemente enthĂ€lt: Die schon bekannte Irritation, die es erlaubt, die Dinge „fragwĂŒrdig erscheinen [zu] lassen“ (102), und der Spannungsbogen, der die nun fragwĂŒrdige Sache mit der „werdende[n] IdentitĂ€t und subjektive[n] Erfahrung“ (107) der SchĂŒler:innen verbindet und so Neugier und Vorfreude auf das Ende der Unterrichtseinheit schafft. Es folgen der Perspektivenwechsel, mit dem eine „neue, bisher ĂŒbersehene oder missverstandene Perspektive auf das Unterrichtsthema“ (115) eingefĂŒhrt wird, und die Überantwortung des Lernprozesses an die SchĂŒler:innen, die das Thema – so die Hoffnung – dann auch außerhalb der Schule weiterverfolgen.

Schließlich werden noch drei Hindernisse diskutiert (Kap. 5). Apathie und Langeweile auf Seiten der SchĂŒler:innen sei das erste Hindernis, das einer „weltbezogenen Offenheit und wertbezogenen EmpfĂ€nglichkeit“ (130) als Gelingensbedingung entgegenstehe. Als zweites Hindernis werden Alltagshektik und Notenkult genannt, der die LehrkrĂ€fte unter Druck setze, statt ihnen „Raum fĂŒr pĂ€dagogische Selbstbestimmung“ (139) zu lassen. Ein drittes Hindernis sei schließlich die neue digitale Kultur, die „Ablenkung und Ablenkbarkeit“ (148) zur Folge habe. Es gibt kein Geheimrezept zur Überwindung dieser Hindernisse, empfohlen werden offene GesprĂ€che mit den SchĂŒler:innen und das Vertrauen auf die Überzeugung der LehrkrĂ€fte, „wie faszinierend und inspirierend ihre FĂ€cher an sich sind“ (153). Das Buch schließt mit einem Ausblick (Kap. 6).

Das Buch ist verstĂ€ndlich und ansprechend verfasst und stellt m.E. eine empfehlenswerte LektĂŒre insbesondere fĂŒr LehrkrĂ€fte und Studierende dar, die sich inspirieren lassen möchten. Es ist getragen von einer optimistischen Grundhaltung, was Schule zu leisten vermag, und stimmt nicht ein in die ermĂŒdenden Klagen darĂŒber, was alles aus unterschiedlichen GrĂŒnden nicht (mehr) geht. Inhaltlich ließe sich manches – sicherlich gewinnbringend – diskutieren. Ich beschrĂ€nke mich hier auf drei Anfragen, die den vermeintlichen Paradigmenwechsel, die Realisierung im Alltag und die Bedeutung der FĂ€cher betreffen.

Überpointiert erscheint, dass der eigene Vorschlag nicht nur die bestehende pĂ€dagogische Praxis, sondern auch dominierende pĂ€dagogische Konzepte herausfordere. Transformatives Lernen wolle „neue Horizonte der Selbst- und Weltbegegnung eröffnen“ (154). Darum ging es bildungstheoretisch fundierten Didaktiken natĂŒrlich immer schon. FĂŒgt sich das Konzept insofern nicht eher ein in eine (fort)bestehende Tradition didaktischen Denkens? Auch andernorts werden Irritationen als Ausgangspunkt fĂŒr die grundlegende VerĂ€nderung von Erfahrungshorizonten diskutiert [3]. Eine prĂ€zisere theoretische Verortung im bestehenden Diskurs – wie der Autor sie an anderer Stelle auch vornimmt [4] – hĂ€tte fĂŒr mehr Klarheit sorgen und helfen können, den tatsĂ€chlichen Neuigkeitswert des Konzepts besser einzuschĂ€tzen.

Prozesse transformatorischen Lernens dĂŒrften Seltenheitswert haben. In den Interviews werden die Studierenden nach den prĂ€gendsten Erfahrungen ihrer Schullaufbahn gefragt. Lassen sich diese ganz besonderen Erfahrungen fĂŒr die Orientierung alltĂ€glichen Unterrichts generalisieren? Irritation und Andersartigkeit setzen Routine und Gewöhnlichkeit voraus, Leidenschaft bei LehrkrĂ€ften und Faszination bei SchĂŒler:innen kann sich kaum auf alle Aspekte der eigenen BerufstĂ€tigkeit bzw. alle Inhalte des schulischen Kanons beziehen. Beobachtungen alltĂ€glichen Unterrichts zeigen, dass „die Erwartung, SchĂŒlerinnen und SchĂŒler könnten sich tĂ€glich, stĂŒndlich und in jedem Moment fĂŒr das interessieren, was gerade ‚dran‘ ist, nicht aufrechtzuerhalten ist“ [5].

Insbesondere das Element der Überantwortung, die zuhause fortgefĂŒhrte BeschĂ€ftigung mit den Themen des Unterrichts, wirkt ĂŒberambitioniert. Werden hier also Erwartungen geweckt, die gar nicht zu realisieren sind?
Den UnterrichtsfĂ€chern schreibt der Autor eine zentrale Bedeutung fĂŒr transformatorische Lernprozesse zu. Es ist unbestritten, dass Bildungsprozesse besonders systematisch im Medium des Faches stattfinden können [6].

Trotzdem wurde und wird das FĂ€cherprinzip immer auch als „Verengung schulischen Lernens gegenĂŒber Problemen der Welt und des Lebens“ [7] kritisiert. In FĂ€chern zu lernen bedeutet in der schulischen Praxis oft, einer mitunter wilden Abfolge an unverbundenen und dann als zufĂ€llig/beliebig wahrgenommenen Inhalten ausgesetzt zu sein, wenig Freiraum und hohen Notendruck zu haben, in eine Logik des Abarbeitens von Stoff abzurutschen, die aspirative Beziehungen eher verhindert als begĂŒnstigt. Sind die FĂ€cher also tatsĂ€chlich der (einzige) geeignete Rahmen, um Begeisterung zu wecken? Auch mit Blick auf die Argumentation im Buch darf man zweifeln: Sowohl in den FallportrĂ€ts als auch in den Strategien transformativen Lehrens sind es die außergewöhnlichen, authentischen und empathischen Persönlichkeiten und Handlungsweisen der LehrkrĂ€fte, die den Unterschied machen – und eben nicht die „an und fĂŒr sich spannend[en]“ (9) fachlichen Inhalte.

[1] Zum Beispiel: Rosa, H., & Endres, W. (2016). ResonanzpÀdagogik. Wenn es im Klassenzimmer knistert (2. Aufl.). Beltz.
[2] Die im deutschen Sprachraum maßgebliche Referenz: Koller, H.-C. (2023). Bildung anders denken. EinfĂŒhrung in die Theorie transformatorischer Bildungsprozesse (3. Aufl.). Kohlhammer.
[3] Combe, A., & Gebhard, U. (2009). Irritation und Phantasie. Zur Möglichkeit von Erfahrungen in schulischen Lernprozessen. Zeitschrift fĂŒr Erziehungswissenschaft, 12(3), 549–571.
[4] Lipkina, J., & Yacek, D. (2023). Unterrichtliche Transformationsforschung – Formen bildsamer Erfahrung im schulischen Unterricht. Zeitschrift fĂŒr Erziehungswissenschaft, 26(4), 1105–1127.
[5] Breidenstein, G. (2006). Teilnahme am Unterricht. Ethnographische Studien zum SchĂŒlerjob (S. 86). Springer VS.
[6] Schneuwly, B. (2018). SchulfĂ€cher: Vermittlungsinstanzen von Bildung. Zeitschrift fĂŒr Erziehungswissenschaft, 21, 279–298.
[7] Reh, S., & Caruso, M. (2020). Entfachlichung? Transformationen der Fachlichkeit schulischen Wissens. Zeitschrift fĂŒr PĂ€dagogik, 66(5), 617.
Christopher Hempel (Halle)
Zur Zitierweise der Rezension:
Christopher Hempel: Rezension von: Yacek, Douglas: Begeisterung wecken, Anleitung zu transformativem Lehren und Lernen. Stuttgart: Reclam 2023. In: EWR 23 (2024), Nr. 1 (Veröffentlicht am 01.02.2024), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978315014410.html