EWR 22 (2023), Nr. 3 (Juli)

Oskar Dangl / Doris Lindner
Wie Menschenrechtsbildung gelingt
Theorie und Praxis der Menschenrechtspädagogik
Stuttgart: Kohlhammer 2021
(223 S.; ISBN 978-3-17-036929-0; 34,00 EUR)
Wie Menschenrechtsbildung gelingt Die allgemeinen Menschenrechte gehören zu den großen Errungenschaften der Zivilisationsgeschichte. Sie verkörpern ein Ideal, das die Gleichheit der Menschen bei gleichzeitigem Recht auf Individualität zusammenfasst. Dieses Ideal wird jedoch täglich infrage gestellt und verletzt. Es muss daher verteidigt, aber eben auch gelehrt und gelernt werden. Vor diesem Hintergrund ist auch der vorliegende Band zu sehen, in dem die Autor:innen gleich zu Beginn daran erinnern, dass der Erfolg einer Menschenrechtsbildung „zentrale Gelingensbedingungen“ (9) voraussetzt.

Hier unterscheiden die Autor:innen zwischen „Sachkompetenz“ und „Methodenkompetenz“ (9). Entlang dieser Unterscheidung gliedert sich der Band in insgesamt sechs Kapitel.

Im ersten Kapitel geben die Autor:innen einen kompakten Überblick über „Geschichte, Genese und (Selbst-)Verständnis der Menschenrechte“ (12). Dabei werden die zentralen Entwicklungslinien skizziert, um darzulegen, wie aus „Menschenrechten […] Grundrechte [und schließlich] Weltrechte“ (13) wurden. Aus allgemeinpädagogischer Perspektive ist insbesondere die Schwerpunktsetzung auf die UN-Kinderrechtskonvention hervorzuheben. Nicht nur, weil die Bedeutung der eigenen Rechte von Kindern betont wird, sondern auch, weil hier das von den Autor:innen geforderte Zusammendenken von Sachkompetenz und Methodenkompetenz besonders stark zum Ausdruck kommt: „Beteiligung an Bildungsprozessen ist menschenrechtlich eine unverzichtbare methodische Qualität im pädagogischen Raum der Organisation von Lernprozessen. Lernen kann nur im Zuge von Beteiligung menschenrechtlich ausgewiesen werden. Die Verschränkung der prozeduralen Seite mit dem Lerngegenstand, also von Beteiligung und Inhalt, ist das pädagogische Qualitätskriterium“ (29).

Das zweite Kapitel umfasst eine zentrale Diskussion um Menschenrechte, die immer wieder geführt werden muss. Es geht um die Frage „Wie können Menschenrechte begründet werden?“ (40). Implizit geht es dabei auch um eine nachvollziehbare Skepsis gegenüber einer naiven Annahme, Menschenrechte einfach als gegeben anzunehmen. Die Autor:innen verweisen auch zu Recht auf den Umstand, dass „die Grundlagen der Menschenrechte, Freiheit und Gleichheit, […] nicht bewiesen, sondern nur gesetzt werden [können]“ (41). Diesen normativen Charakter gelte es gegen die Feinde der Menschenrechte, die Autor:innen nennen hier totalitäre und relativistische Weltdeutungen, immer wieder in Stellung zu bringen. Das Kapitel endet mit einer ersten konkreten Perspektive auf die pädagogische Praxis. Es werden Fallstricke der Menschenrechtserziehung genannt, wie ein „unbegründeter begründungstheoretischer Optimismus“ (54). Weiter gehen die Autor:innen auf den Umgang mit Emotionen im Zusammenhang mit Menschenrechtspädagogik ein, diskutieren altersspezifische Zugänge für den Unterricht über Menschenrechte und erörtern das Zusammenwirken politischer und schulischer Strukturen. Spätestens an dieser Stelle wird der ganzheitliche Charakter einer zeitgemäßen Menschenrechtspädagogik ersichtlich.

Im dritten Kapitel legen die Autor:innen einen thematischen Schwerpunkt auf die Menschenwürde und setzen diese in den Zusammenhang der unterschiedlichen Begründungslogiken der Menschenrechte. Die Autor:innen erklären zwei unterschiedliche Modelle der Menschenwürde: Erstens ein Modell, in dem Würde als Status, der auch verletzt werden kann, konzipiert wird. Zweitens ein Modell, in dem Würde als Lebensform und Haltung verstanden wird. Im zweiten Modell steht das Selbstverständnis des Menschen als würdevolles Wesen im Vordergrund. Die Autor:innen verbinden beide Modelle hinsichtlich des Zusammenhangs von Menschenwürde und Menschenrechten: „Wird Würde als moralisch-rechtlicher Status verstanden, erscheint es konsequent, dass der normative Status auch Grundrechte beinhaltet und eine besondere Haltung im Umgang mit anderen und sich selbst verlangt“ (61). Auch dieses Kapitel wird mit konkreten pädagogischen Bezügen, wie zur Auseinandersetzung mit Hate Speech, geschlossen.

In Kapitel vier widmen sich die Autor:innen dem Thema „Menschenrechte im Kontext (schulischer) Bildung und Erziehung“ (68). Dem Menschenrecht auf Bildung sprechen die Autor:innen eine gesonderte Stellung zu: „Als Empowerment Right bildet es die Grundlage zur Realisierung aller anderen Menschenrechte“ (69). Eindrücklich ist die Beobachtung der Autor:innen, dass der Begriff Menschenrechtsbildung in Teilen „inflationär und ohne reflexive Klärung“ (75) verwendet wird, wodurch er zunehmend inhaltliche Bedeutung und politische Relevanz verliere. Um dem zu entgegnen greifen die Autor:innen aktuelle Bildungsdiskurse auf und sprechen sich für eine Konkretisierung eines „transformatorischen Bildungsverständnis[ses]“ (82) mittels der Menschenrechte aus. Dieses erachten die Autor:innen für notwendig, damit nicht jeder individuelle Transformationsprozess mit dem Label Bildung aufgewertet wird.

Dadurch gelingt es den Autor:innen einerseits einen notwendigen normativen Rahmen für Bildungsprozesse zu schaffen und andererseits die individuelle sowie gesellschaftliche Dimension von Bildung miteinander zu verknüpfen: „Die Implementierung der Menschenrechte führt zu einer Transformation von Gesellschaft und Welt. Eine die Menschenrechte anerkennende Gesellschaft könnte daher in Analogie zu einer gebildeten Person als gebildete Gesellschaft bezeichnet oder verstanden werden“ (86). Die Menschenrechte können als „moralisch-ethische Basis und als Ziel des individuellen und vor allem gesellschaftlichen Bildungsprozesses dienen“ (87).

Gleichzeitig verweisen die Autor:innen auf den immanenten Widerspruch, wenn Menschenrechtspädagogik dogmatische Züge annimmt und an Kinder und Jugendliche als abstraktes Ideal herangetragen wird. Diese unreflektierte Idealisierung der Menschenrechte bringen die Autor:innen auf den Punkt: „Man kennt sie nicht, aber man schätzt sie hoch“ (93). Für den schulischen Alltag formulieren die Autor:innen einen vielversprechenden Ansatz: „Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land sollten im Vordergrund stehen“ (94). Dieser Ansatz kann als Versuch gewertet werden, den oft moralisierenden und leider eben auch oft überheblichen Gestus, Menschenrechtsverletzungen vor allem als Problem anderer Gesellschaften anzuprangern, zu problematisieren, um dann anzuregen, einen kritischen Blick auf die eigene Gesellschaft einzuüben. Menschenrechtspädagogik wird dann nah und konkret.

In Kapitel fünf stellen die Autor:innen „ausgewählte Praxisbeispiele für die Menschenrechtsbildung“ (95) vor. Im Zentrum steht dabei die Prämisse, dass ein „Lernen durch Menschenrechte“ (98) nachhaltige Bildungsprozesse bei den Lernenden anstoßen kann, bei denen die Lernenden sich mit ihrer eigenen Haltung kritisch auseinandersetzen. Die Erläuterungen zu den einzelnen Praxisbeispielen folgen einem strukturierten Schema, was einen niedrigschwelligen und stets nachvollziehbaren Einstieg in das Thema gewährleistet. Gleichzeitig regen spezifische Rückfragen Lehrer:innen und außerschulische Pädagog:innen an, sich mit sich selbst und der eigenen Position zum Thema Menschenrechte aus inhaltlicher und didaktischer Perspektive zu beschäftigen.

Kapitel sechs stellt weitere „Praxiserprobte Materialien und Aktionsideen“ (159) vor. Dazu zählen Materialien, die von Menschenrechtsorganisationen zur Verfügung gestellt werden, Handbücher und Sammelbände sowie Kurzfilme. Alle Materialien werden von den Autor:innen didaktisch aufgearbeitet. Zusätzlich werden Empfehlungen ausgesprochen.

Gerade mit den letzten beiden Kapiteln kommen die Autor:innen dem eigenen Anspruch nach, Theorie und Praxis der Menschenrechte stärker zusammenzudenken.

Der Band überzeugt in vielerlei Hinsicht. Er gibt einen Überblick über allgemeine historische Entwicklung der Menschenrechte; eine Stärke ist die Auseinandersetzung mit tiefergehenden, eher theoretischen Schwerpunkten. Beispielhaft sind die expliziten Bezüge zur pädagogischen Praxis, an denen sich die theoretischen Überlegungen beweisen müssen. Von der Lektüre können unterschiedliche Zielgruppen profitieren. Für ein Fachpublikum eröffnen sich beispielsweise mit den zu unterscheidenden Begründungslogiken oder dem Thema Menschenwürde neue Perspektiven auf die Theorie der Menschenrechte. Lehrer:innen können von den didaktischen Aufarbeitungen der unterschiedlichen Praxisbeispiele und den gesichteten Materialien profitieren und diese in den eigenen Unterricht integrieren. Vorstellbar wäre aber auch ein Einsatz in der universitären Ausbildung von Lehrer:innen. So könnte der Sammelband herangezogen werden, um Lehramtsstudierenden einen Leitfaden für die Konzeption und Erprobung eigener Unterrichtseinheiten zum Thema Menschenrechte zur Verfügung zu stellen.
Christoph Schröder (Jena)
Zur Zitierweise der Rezension:
Christoph Schröder: Rezension von: Dangl, Oskar / Lindner, Doris: Wie Menschenrechtsbildung gelingt, Theorie und Praxis der Menschenrechtspädagogik. Stuttgart: Kohlhammer 2021. In: EWR 22 (2023), Nr. 3 (Veröffentlicht am 19.07.2023), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978317036929.html