EWR 23 (2024), Nr. 1 (Januar)

Olaf-Axel Burow
WertschÀtzende Schulleitung
Weinheim, Basel: Beltz 2022
(131 S.; ISBN 978-3-407-25570-9; 24,95 EUR)
WertschĂ€tzende Schulleitung Ratgeberliteratur zum Schulleitungshandeln lĂ€sst sich als eigenes Genre des Diskurses zur Schulentwicklung verstehen, denn Schulleitung wird ihrerseits als zentraler Akteur in Schulentwicklungsprozessen gesehen. Das Buch von Olaf-Axel Burow lĂ€sst sich in diesen Diskurs einreihen. Zugleich setzt es mit dem Begriff der WertschĂ€tzung einen spezifischen Akzent, der insbesondere angesichts gegenwĂ€rtiger und kĂŒnftig zu erwartender Belastungen des Schulsystems Aufmerksamkeit verdient. Sprachlich bedient sich Burow vielfach einer Performanz, die an manageriale oder Werbediskurse erinnert. Exemplarisch zeigt sich dies an seinen zentralen Begriffen Simplexity, Chance-Code und Leadership-Kompass. Der in der SchulpĂ€dagogik bekannten Kritik [1], dass aus der Ökonomie importierte Entwicklungstechnologien nicht linear auf Schule zu applizieren seien, muss sich damit letztlich auch Burows Werk stellen. Deutlich wird dies etwa, wo er die Aufgabe von Schulleitungen darin sieht, einen Rahmen zu schaffen, der es LehrkrĂ€ften und SchĂŒler*innen „ermöglicht, ihre Potentiale in kreativer Konkurrenz zu entfalten“ (88). Das Buch bietet zugleich diverse anregungsreiche Fragen und Übungen, die eine gestaltpĂ€dagogische Signatur tragen und die der Schulleitungs- und Schulentwicklungspraxis die Gelegenheit geben können, ihr Handeln und eingeschliffene Deutungsmuster zu hinterfragen. Insgesamt ist das Buch durch einen kreativ-assoziativen Stil unter der BerĂŒcksichtigung diverser persönlicher Erfahrungen des Autors geprĂ€gt und mit vielen Beispielen aus dem schulischen und ökonomischen Bereich versehen. Burow gliedert sein Buch in drei Abschnitte, die teils inhaltliche Überschneidungen aufweisen (so existieren etwa zwei Unterabschnitte zum „Change Code“).

Der erste Abschnitt thematisiert, „was gute Schulleitung bewirkt“. Burow zeichnet zunĂ€chst ein kritisches Bild des gegenwĂ€rtigen ImplikationsverhĂ€ltnisses von Schule und Gesellschaft, nach welchem ein im Kontext neoliberaler Kultur gesteigerter Leistungsanspruch auch Schulen unter Druck setze und bei allen Akteur:innen Überlastungs- sowie Erschöpfungssymptome hervorbringe (etwa „Burnout-Kids“, 16). Burow leitet aus dieser Bestandsaufnahme die drei Ziele Chancengleichheit, Spitzenleistung und Wohlbefinden ab, betrachtet allerdings erstere nicht als Aufgabenbereich von Schulleitungen (24). Seine Forderung nach einer „wertschĂ€tzenden Schule“ steht mit seiner zentralen These im Zusammenhang: „Wenn es Schulleitungen also gelingt, durch den allmĂ€hlichen Aufbau einer Teamkultur und die schrittweise Entwicklung eines Klimas der WertschĂ€tzung das Engagement der Kolleg:innen fĂŒr die Optimierung ihrer Erziehungs- und Unterrichtsarbeit zu steigern, dann tragen sie nicht nur zur Verbesserung der Leistungsergebnisse bei, sondern sorgen auch fĂŒr einen Abbau von Belastungen“ (29). Burow entwirft im Folgenden Leitgedanken einer schulischen wertschĂ€tzenden FĂŒhrung, aus der er pĂ€dagogisch im Wesentlichen reformpĂ€dagogische Formen ableitet (35ff). Insgesamt geht es ihm darum, eine abwertende Schulkultur zugunsten positiver PĂ€dagogik zu ĂŒberwinden.

Den zweiten Abschnitt, „Warum Schulleitung so schwierig ist“, beginnt Burow mit verschiedenen Kriterienkatalogen einer guten Schule (zu denen die Links leider teils unprĂ€zise oder inzwischen aus dem Internet gelöscht sind, nachvollziehbar ist v.a. der Verweis auf die Meta-Studie von John Hattie) und beschĂ€ftigt sich dann mit der klassischen Frage, warum Wandel in der Schule so schwer hervorzubringen sei. Ihm zufolge liegen die Ursachen dafĂŒr etwa in der Mehrbelastung von Schulleitungen durch Verwaltungsaufgaben sowie in einer unzureichenden Teilhabe der Beteiligten (50). Auch „technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche VerĂ€nderungen“ in ihrer Vielfalt fĂŒhren nach Burow zu einem VerĂ€nderungsdruck, dem viele LehrkrĂ€fte mit Angst und Abwehr begegnen (ebd.). Nicht zuletzt verweist er auf TrĂ€gheitsmomente bei LehrkrĂ€ften, die er in einem zu dichten Lehrplan, verbunden mit einer „wachsende[n] AufgabenfĂŒlle unter Zeitdruck“ (61f) sieht, sowie einer Reformskepsis, die der Vielzahl jĂŒngerer Reformen und der Ungewissheit ihres Erfolgs entspringe. Zentral im Kapitel fĂŒhrt Burow dann mit dem „Change Code“ einen zentralen Begriff fĂŒr sein Programm von Schulentwicklung ein: Die Formulierung von „drei Kernwerten“ (59), entlang derer Organisationen ihre VerĂ€nderungsprozesse ausrichten sollen. Abschließend stellt Burow seine These und politische Forderung „Gute Schule braucht Gestaltungsfreiheit!“ (66) auf, mit welcher er nahtlos an das seit den 1980er Jahren bestehende Paradigma der Autonomie der Einzelschule als pĂ€dagogische Handlungseinheit anschließt.

Im dritten Abschnitt werden konkrete Methoden vorgestellt. Hierzu werden zunĂ€chst „drei Dimensionen wirksamer FĂŒhrung“ benannt und anschließend einzelne Elemente von Burows „Leadership-Kompass“ vorgestellt. Angesichts einer Vielzahl von Modellen zu Dimensionen guter FĂŒhrung und im Zeichen der KomplexitĂ€tsreduktion („Simplexity“) konzentriert sich Burow auf die drei Dimensionen Salutogenese, Selbstbestimmung und WertschĂ€tzung. Im Zeichen der Salutogenese sieht Burow es als Aufgabe von Schulleitungen an, das GefĂŒhl von KohĂ€renz, d.h. nach Antonovsky Verstehbarkeit, Bedeutsamkeit und Handhabbarkeit bei LehrkrĂ€ften zu wecken. Im Zeichen der Selbstbestimmung fragt er i. S. von Deci & Ryan nach Selbstbestimmung, Kompetenzerleben und Zugehörigkeit. Den Bereich der WertschĂ€tzung leitet Burow nicht explizit aus einem theoretischen Rahmen ab, konzentriert ihn aber auf die Aspekte einer wertschĂ€tzenden Diagnose, Vision sowie Realisierung. Anschließend wird ein Konzept fĂŒr die DurchfĂŒhrung von ZukunftswerkstĂ€tten vorgestellt, fĂŒr welches im Anhang ein detaillierterer Ablaufplan enthalten ist. Burow grenzt sein VerstĂ€ndnis von Leadership – wiederum entlang von Literatur aus der Ökonomie – von jenem des Managements ĂŒber das Kriterium des VisionĂ€ren ab und formuliert eine Reihe von Fragen, die Schulleitungen sich selbst zur Weiterentwicklung stellen können. Interessant wĂ€re es eingedenk seiner immer wieder auftretenden Vorstellungen von Partizipation, auch entsprechende FĂŒhrungskonzepte wie etwa die distributed leadership stĂ€rker zu akzentuieren [2].

Das Buch betont insgesamt unter dem Leitbegriff der WertschĂ€tzung dankenswerterweise auch Wohlbefinden und Anerkennung als Handlungsaufgabe von Schulentwicklung, wo im schulpĂ€dagogischen Diskurs oft lediglich Chancengerechtigkeit und Leistungssteigerung als Zielrichtungen ausgegeben werden [3]. FĂŒr die Schulentwicklungspraxis sind Burows Leitbegriffe zweifellos zielfĂŒhrend und angemessen. Er entwirft ein allgemeines Konzept, konzentriert sich allerdings in dessen Anwendung v.a. auf ZukunftswerkstĂ€tten. FĂŒr die Praxis wĂ€re es interessant, welche Bedeutung die von ihm fokussierte Idee von WertschĂ€tzung auch fĂŒr andere Methoden der Schulentwicklungsarbeit hĂ€tte, insbesondere die Arbeit in Arbeits- und Steuergruppen, interne und externe Evaluation, Projektmanagement usw. Zugleich sollten die aufgefĂŒhrten Instrumente durch die Praxis nicht als erfolgsgarantierende Programmierungen gelesen werden. In der schulpĂ€dagogischen Diskussion erscheint hingegen gerade die Frage bedeutsam, wieso Schulentwicklung auch in Kenntnis der relevanten Instrumente immer ungewissheitsbelastet ist. Antworten darauf scheinen qualitative Studien zu geben [4], die leider in der von Burow herangezogenen Literatur eine Leerstelle darstellen. Wo Burow unter RĂŒckgriff auf Schamer annimmt, dass man mit dessen ‚Theorie U‘ „die Routinen seines Handelns erkannt, sich von dysfunktionalen Mustern befreit“ hat, wĂŒrde eine habitusbezogene Schulentwicklungsforschung eine so leichtgĂ€ngige SelbstaufklĂ€rung stark infrage stellen [5]. Selbst wenn der Band damit die Forschungslage nur in Ausschnitten rezipiert und Entwicklungswissen v.a. aus der Ökonomie importiert, so bietet er doch fĂŒr die Schulentwicklungspraxis HandlungsvorschlĂ€ge an, die insbesondere unter der Perspektive der WertschĂ€tzung und des Wohlbefindens lesenswert erscheinen.

[1] Bastian, J. (1998). PĂ€dagogische Schulentwicklung. Schulprogramm und Evaluation. Bergmann + Helbig.
[2] Gronn, P. (2002). Distributed Leadership. In K. Leithwood, P. Hallinger, G.C. Furman, K. Riley, J. MacBeath, P. Gronn & B. Mulford (Hrsg.), Second International Handbook of Educational Leadership Administration (S. 653–696). Springer.
[3] Idel, T.-S., Schütz, A., & Thünemann, S. (2021). ProfessionalitĂ€t im Handlungsfeld Schule. In J. Dinkelaker, K.-U. Hugger, T.-S. Idel, A. Schütz & S. Thünemann (Hrsg.), ProfessionalitĂ€t und Professionalisierung in pĂ€dagogischen Handlungsfeldern (S. 13–82; S. 52). Verlag Barbara Budrich.
[4] Maag Merki, K. (2021). Schulentwicklungsforschung. In T. Hascher, TS. Idel & W. Helsper (Hrsg.), Handbuch Schulforschung (S. 11). Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-24734-8_71-1, S. 11.
[5] Zala-Mezö, E., HÀbig, J., & Bremm, N. (Hrsg.) (2021). Dokumentarische Methode in der Schulentwicklungsforschung. Waxmann.
Sven Pauling (Bremen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Sven Pauling: Rezension von: Burow, Olaf-Axel: WertschĂ€tzende Schulleitung. Weinheim, Basel: Beltz 2022. In: EWR 23 (2024), Nr. 1 (Veröffentlicht am 01.02.2024), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978340725570.html