EWR 15 (2016), Nr. 5 (September/Oktober)

Hartmut Rosa/ Wolfgang Endres (Hrsg.)
Resonanzpädagogik
Wenn es im Klassenzimmer knistert
Weinheim und Basel: Beltz 2016
(128 S.; ISBN 978-3-4072-5751-2; 16,95 EUR)
Resonanzpädagogik Wann ist Unterricht gelungen und welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit er gelingen kann? Auf diese Fragen versucht der in Jena lehrende Soziologe und Politikwissenschaftler Hartmut Rosa mit dem Entwurf einer „Resonanzpädagogik“ eine Antwort zu geben. „Resonanz“ – das ist Rosas zentraler Begriff. Er stand bereits im Mittelpunkt seiner „Soziologie der Weltbeziehung“, dem Versuch, die verschiedenen Möglichkeiten, wie das Subjekt und die Welt in Beziehung zueinander stehen können, mit den Mitteln der Soziologie systematisch zu erfassen und zu analysieren. [1] Nun ist er mit der These aufgetreten, dieser Begriff könne, ja, solle auch der zentrale Begriff der Pädagogik, speziell der Schulpädagogik sein. Was meint Rosa mit dem Begriff der Resonanz? Und ist er tatsächlich dazu geeignet, ein zentraler Begriff der Pädagogik, vor allem der Schulpädagogik zu sein?

Wer auf diese Fragen eine Antwort erhalten möchte, der kann jetzt zu dem kürzlich erschienen Buch mit dem Titel „Resonanzpädagogik. Wenn es im Klassenzimmer knistert“ greifen, in dem Rosa in lockerer Form, nämlich im Gespräch mit Wolfgang Endres, Referent für Lehrerbildung vom Studienhaus am Dom in St. Blasien, seine These begründet und entfaltet. Das Buch gliedert sich in zwölf Kapitel: Das Gespräch beginnt mit der Frage, wie Rosa zu dem Begriff der Resonanz gekommen sei, es wird abstrakt erklärt, wie dieser Begriff zu verstehen ist, und es wird dargelegt, wie er auf die pädagogische Praxis des Unterrichts bezogen werden kann. Im Folgenden werden verschiedene Facetten der Resonanzpädagogik angesprochen: wie Resonanz gemessen werden kann, wie die Motivation von Schülern aus Sicht der Resonanzpädagogik gefördert werden kann, was es aus dieser Sicht bedeutet, Schülern ein Feedback zu geben, wie der Resonanzbegriff zu dem der Kompetenz steht und welche Bedeutung Vertrauen für Resonanzverhältnisse hat. Was aber ist nun mit Resonanz gemeint?

Resonanz kann zunächst schlicht begriffen werden als Reaktion: Das Subjekt begegnet der Welt bzw. ist konfrontiert mit einem Ausschnitt aus der Welt und reagiert auf diesen. Der Begriff der Resonanz ist so weit gefasst, dass die unterschiedlichsten Formen der Reaktion in Frage kommen können: eine gedankliche Reaktion oder eine emotionale, eine Antwort im Medium der Sprache oder auch eine körperliche Reaktion. Was ist das Gegenteil von Resonanz? Das Gegenteil ist, wenn das Subjekt überhaupt nicht reagiert und es schlicht indifferent bleibt. Denkbar ist aber auch eine negative Reaktion. Diese kann in Form einer Abwehr erfolgen oder als Widerspruch – und bis zum Kampf gehen, ja, bis zur Zerstörung.

Es ist durchaus plausibel, den Resonanzbegriff in die Pädagogik einzuführen, geht es doch auch in dieser um das Verhältnis zwischen Subjekt und Welt, um die Frage, wie das Subjekt auf Ausschnitte aus der Welt reagiert – sowie darum, wie sich das Weltverhältnis des Subjekts entwickelt und wie von Seiten eines Dritten, der Pädagogik Einfluss auf diese Entwicklung genommen wird bzw. genommen werden kann. Ist es aber auch plausibel, dem Resonanzbegriff eine zentrale Stellung innerhalb der Schulpädagogik zuzusprechen?

Rosas Argumentation lässt sich am besten mit Bezug auf das einfache Modell des didaktischen Dreiecks darstellen. Zunächst zum Verhältnis der Lehrperson zu der Sache: Rosa hebt hier nicht die fachliche Kompetenz der Lehrperson hervor, sondern fokussiert die Art und Weise, wie diese zu der Sache steht. Voraussetzung für einen gelingenden Unterricht sei, so erklärt er, dass die Lehrperson von der Wichtigkeit der Sache überzeugt sei (oder zumindest so auftrete, als sei sie von dieser Wichtigkeit überzeugt). In Bezug auf das Verhältnis der Lehrperson zu den Schülern betont Rosa nicht so sehr die erzieherische oder didaktische Kompetenz der Lehrperson. In den Fokus seiner Überlegungen rückt er vielmehr die fundamentale Bedeutung der Anerkennung und des Vertrauens: Voraussetzung für einen gelingenden Unterricht sei, dass die Lehrperson die Schüler bejahe und Zutrauen in deren Wissen und Können habe. Seien diese Bedingungen nun gegeben, könne auf Seiten der Schüler ein Prozess in Gang kommen, den Rosa nicht primär als einen des Lernens oder des Kompetenzerwerbs beschreibt, sondern eben als einen solchen der Resonanz: Wenn die genannten Bedingungen gegeben sind, sei es möglich, dass die Schüler sich für die Sache öffnen. Die Sache könne sodann auf die Schüler wirken und eine Resonanz bei ihnen hervorrufen. Rosa beschreibt diesen Prozess mit Hilfe unterschiedlicher Begrifflichkeiten. Mehrfach entsteht der Eindruck, als ob er diesen Prozess allein als einen kommunikativen sehe, vor allem dann, wenn er erklärt, das Telos des Unterrichts bestünde darin, die Sache zum Sprechen zu bringen bzw. die Schüler dazu zu befähigen, sich über die Sache zu äußern und zwar anders, differenzierter, als sie es bisher getan haben. Wenn Rosa sich allerdings einer metaphorischen Sprache bedient, wenn er etwa Metaphern aus dem Zusammenhang des Feuers verwendet – wenn ein „Funke“ überspringe, die Schüler sich für die Sache „entflammen“ könne es im Klassenraum „knistern“ – oder auch solche aus dem Bereich der Musik – wie für die in Schwingung gebrachte Seite der Bauch der Gitarre einen Resonanzraum bilde, so solle der Körper der Schüler ein Resonanzraum für dasjenige sein, was im Unterricht geschieht -, dann wird deutlich, dass er letztlich mehr meint. Unterricht ist für ihn nämlich erst dann gelungen, wenn die Schüler nicht nur etwas erkennen oder befähigt werden, differenzierter über eine Sache zu sprechen, sondern wenn er zu einem ästhetischen Erlebnis wird. Nicht ohne Grund kommt Rosa, wenn er nach Beispielen gefragt wird, immer wieder auf den Deutschunterricht und die Behandlung von Gedichten zu sprechen, bei der es nicht nur darauf ankomme, dass die Schüler solche formal zu analysieren in der Lage sind. Vielmehr sollen sie diese auch ästhetisch erleben können. Rosa zufolge kann, ja, sollte das verallgemeinert werden: Ziel des Unterrichts solle sein, dass die Schüler „Resonanzfähigkeit und Resonanzsensibilität“ (22) entwickeln und sich die Sache „anverwandeln“, was durchaus bedeuten könne, dass diese letztlich „unverfügbar“ bleibe.

Und wann ist Unterricht misslungen? Eben dann, wenn die Schüler mit einer Sache konfrontiert werden und keine Resonanz erfolgt, die Schüler also gegenüber der Sache indifferent bleiben. Oder sie reagieren negativ auf diese, wehren sie ab, ja, werten sie ab. In Bezug auf einen solchen misslingenden Unterricht spricht Rosa auch von „Entfremdung“: Statt, dass die Schüler sich die Sache anverwandeln, würden sie sich von ihr entfremden.

Wie ist die Argumentation von Rosa zu beurteilen? Bemerkenswert ist, dass sie quer zu der gegenwärtig dominierenden Reform von Schule und Unterricht steht: Die Orientierung an Standards und Kompetenzen erscheint aus Rosas Sicht als Ausdruck einer „instrumentellen Vernunft“ (Horkheimer), die auf die rationale Beherrschung der Welt zielt. Dagegen stellt Rosa seine Pädagogik, die ein Weltverhältnis anstrebt, das einen ästhetischen Charakter hat. Aus dem Gedicht „Wünschelrute“ von Eichendorff zitiert Rosa den Vers: „Schläft ein Lied in allen Dingen.“ Diesen Schlaf möchte Rosa beendet sehen, die Dinge sollen zum Klingen und Singen gebracht werden, es soll ein Austausch zwischen Subjekt und Welt stattfinden, ein ästhetisches Erleben, durch das letztlich beide – das Subjekt und die Welt – sich ändern.

Es ist nicht zu verkennen, dass Rosa sich mit seiner Resonanzpädagogik in die Tradition bildungstheoretischen Denkens stellt. In einer Zeit, in der eine technokratische Pädagogik um sich zu greifen scheint, ist es erfreulich, dass jemand „von außen“, ein Soziologe bzw. Philosoph, daran erinnert, dass es in der Schule um mehr gehen könnte, ja, sollte als den Erwerb von Kompetenzen und das Erreichen von Standards. Doch führt die Übersetzung bildungstheoretischen Denkens in eine Sprache, in der der Resonanzbegriff die zentrale Kategorie ist, auch zu verschiedenen Problemen. Das zeigt sich bereits, wenn es um die Frage geht, wie die Resonanzpädagogik mit empirischer Forschung verbunden werden könnte. Zur Tradition bildungstheoretischen Denkens gehört üblicherweise die Verwendung hermeneutischer Methoden. Rosa meint jedoch, Resonanz lasse sich messen. Sie führe zu einer körperlichen Erregung bzw. zu einer Anspannung, die sich z. B. am Grad des Hautwiderstandes messen lasse: An dem Wert, welcher gemessen wird, zeige sich, ob der Unterricht gut oder schlecht sei. Eine Erregtheit oder Anspannung bei Schülern, ein bestimmter Wert des Hautwiderstandes kann jedoch unterschiedliche Ursachen haben. Würde Rosa, statt sich der gegenwärtig weit verbreiteten Vorstellung anzuschließen, die Qualität von Unterricht könne in Zahlen erfasst werden, auf hermeneutische Methoden rekurrieren, könnte er wesentlich subtiler argumentieren. Dann würde er z. B. auch darauf stoßen, dass Entfremdung nicht erst auftritt, wenn es zu keiner oder einer negativen Resonanz im Unterricht kommt. Entfremdung könnte dann als konstitutives Moment von Bildungsprozessen angesehen [2] und Kritik an der Empirie des Unterrichts geübt werden, insofern in vielen Fällen zwar die Schüler sich der Sache öffnen und sich einlassen auf ihnen Fremdes, sich damit von sich selbst entfernen und „entfremden“, dann jedoch nicht wieder zu sich selbst zurückkehren können und im Zustand der Entfremdung verharren.[3]

Darüber hinaus ist fraglich, ob der Resonanzbegriff tatsächlich zentral für die Schulpädagogik sein kann. Da er auf mehr zielt als die „wechselseitige Erschließung von Schüler und Gegenstand“ (Klafki), gerät das Ziel der Pädagogik, die Mündigkeit der Heranwachsenden letztlich aus dem Blick. Der romantische Impuls, so sympathisch er auch ist, schießt letztlich über das Ziel hinaus. Und er ist mit dem Risiko verbunden, dass die Pädagogik ins Irrationale abrutschen könnte.

[1] Rosa, H.: Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung. Frankfurt am Main, 2016.
[2] Siehe: der Verf. Entfremdung als Strukturmoment von Unterricht? Eine Fallstudie zur Arbeit eines Schülers an der Tafel aus der Sicht der pädagogischen Unterrichtsforschung, In: Ders., Pädagogische Kasuistik. Fallstudien zu grundlegenden Fragen des Unterrichts. Opladen / Berlin & Toronto, 2015, 111–137.
[3] Siehe hierzu auch: Gruschka, : Unterrichten – eine pädagogische Theorie auf empirischer Basis, Opladen / Berlin / Toronto, 2013.
Johannes Twardella (Frankfurt)
Zur Zitierweise der Rezension:
Johannes Twardella: Rezension von: Rosa, Hartmut / Endres, Wolfgang (Hg.): Resonanzpädagogik, Wenn es im Klassenzimmer knistert. Weinheim und Basel: Beltz 2016. In: EWR 15 (2016), Nr. 5 (Veröffentlicht am 29.09.2016), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978340725751.html