EWR 7 (2008), Nr. 3 (Mai/Juni)

Heinz-Elmar Tenorth / Rudolf Tippelt (Hrsg.)
BELTZ Lexikon Pädagogik
Weinheim/Basel: Beltz 2007
(786 S.; ISBN 978-3-407-83155-2; 98,00 EUR)
BELTZ Lexikon Pädagogik (1) Das BELTZ Lexikon Pädagogik sei „nach Anspruch und Form ein neues Angebot“ (V), schreiben die Herausgeber in der Einleitung. Inwiefern das Angebot neu ist, wird nicht ausgesprochen; in Bezug auf die Form ist zumindest neu, dass die klassische Lexikonstruktur der kurz gehaltenen Lemmata durchbrochen wird, indem zu einer Reihe von einschlägigen Begriffen Überblicksartikel (ÜA) geboten werden, die entweder zwei, vier oder (in einem Fall) acht Seiten umfassen. Dadurch lässt sich das Lexikon nicht nur als Wörterbuch, sondern auch als Handbuch nutzen. Während der Wörterbuchteil vorwiegend die öffentliche Kommunikation über Bildung und Erziehung repräsentieren soll, steht der Handbuchteil für die Grundbegriffe der Erziehungswissenschaft, die pädagogischen Handlungsfelder und die theoretische Binnenstruktur der Disziplin (VII).

Als Adressaten ihres Lexikons nennen die Herausgeber die pädagogische Öffentlichkeit, die pädagogischen Berufe, die Studierenden, die Nutzer erziehungswissenschaftlicher Forschung und die Kollegen im Fach (XI). Das ist ein breites Publikum, das ungleiche Bedürfnisse und divergente Ansprüche hat und nur schwer mit demselben Nachschlagewerk bedient werden kann. Zwar glauben die Herausgeber, die Lexikografie der Erziehungswissenschaft würde „jetzt die Arbeit einer forschenden, fachlich breit ausdifferenzierten, thematisch wie methodisch zugleich zunehmend unübersichtlicher werdenden Disziplin“ (VI) spiegeln. Doch ist kaum zu übersehen, dass (auch) das BELTZ Lexikon Pädagogik für eine Disziplin steht, die von ihrer praktischen und politischen Inanspruchnahme stark bestimmt wird.

Pädagogik, wie sie lexikalisch dargestellt wird, ist selten nur pädagogische Wissenschaft, sondern zumeist auch Handlungswissen für eine Profession und eine Administration, die national oder subnational organisiert sind und einer praktischen, nicht einer theoretischen Logik folgen. Zudem sind Bildung und Erziehung auch, wenn nicht sogar in erster Linie Angelegenheiten von pädagogischen Laien – vor allem Eltern und Funktionären in Jugendorganisationen, Vereinen oder Freizeiteinrichtungen. Die Heterogenität der pädagogischen Berufs- und Praxisfelder spiegelt sich in der Disziplin Erziehungswissenschaft, deren innere Differenzierung nicht einer fachlichen Systematik folgt, sondern Ausdruck der gesellschaftlichen Bedeutung pädagogischer Institutionen ist. Entsprechend verhalten, fast schon resignativ nimmt sich der ÜA Systematische Pädagogik aus. Und die Allgemeine Pädagogik hat nicht einmal ein eigenes Lemma erhalten, sondern nur den Verweis auf Systematische Pädagogik.

Das Unterfangen, die Pädagogik bzw. Erziehungswissenschaft lexikalisch darzustellen, kommt angesichts der Heterogenität ihres Adressatenkreises einer Quadratur des Kreises gleich. Entsprechend leicht hat es der Rezensent, auf Mängel des BELTZ Lexikons Pädagogik hinzuweisen. Diese liegen allerdings nicht nur in der Natur der Sache, sondern auch in einer gewissen Nonchalance, mit der die rund 6000 Stichwörter und 64 Überblicksartikel redigiert wurden. Möglicherweise ist die schiere Menge an Einträgen der ‚neue Anspruch’, den das Lexikon setzen will. Denn auf dem rückwärtigen Einband kann man lesen: „Das hat es noch nie gegeben: ein derart umfassendes pädagogisches Nachschlagewerk.“ Doch die Frage stellt sich, ob in der Quantität ein Zeichen für Qualität liegen kann. Hilft einem ein Lexikon mit 6000 Lemmata weiter als eines mit 100, 200, 1700 oder 2500? [1]

(2) Was schon bei kursorischer Durchsicht des BELTZ Lexikons Pädagogik auffällt, ist der unterschiedliche begriffliche und informatorische Status der Lemmata. Nicht selten liegen die Stichwörter auf dem Niveau eines Konversationslexikons, so wenn umgangssprachlich geläufige Begriffe wie Ferien, Kameradschaft, Mundart, Radio, Sportplatz, Taschenrechner, Verein oder Zeitung erläutert werden. Auch Wörter aus der pädagogischen Alltagssprache finden sich des Öfteren, wie z.B. ABC-Schütze, Babysitter, Nestwärme oder Sandkasten (das zuletzt genannte Lemma zudem mit einer eigenartigen Erklärung).

Auffällig sind die vielen, ebenfalls einem Konversationslexikon angemessenen Lemmata aus dem Bereich der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, wie z.B. Browser, CD-ROM, Chat, DVD, Hardware, Internet, Lurker, Personal Digital Assistant (PDA), Programmieren, SMS, Software, VHS oder World Wide Web. Weshalb diese Lemmata, die weder spezifisch pädagogisch noch vollständig sind – es fehlen z.B. Beamer, E-Mail, Hacker, Homepage, Provider, Server oder Website – ins Lexikon aufgenommen wurden, bleibt rätselhaft. Es kann ja nicht die Meinung sein, Pädagogen hätten hier einen besonderen Nachholbedarf.

Auf dem Niveau eines Konversationslexikons liegen weitere nicht-pädagogische Lemmata, bei denen man sich ebenfalls fragt, was wohl der Grund für ihre Aufnahme ins BELTZ Lexikon Pädagogik sein könnte, wie z.B. Askese, Erotik, Freizeitlektüre, Harvard-Methode, Homosexualität, Konsum, Militärdienst, Wirtschaftswachstum oder Xanthippe. In keinem Fall findet sich ein Hinweis auf die pädagogische Relevanz dieser Lemmata.

Schwer nachvollziehbar ist, weshalb vergleichsweise viele englischsprachige Ausdrücke aufgenommen wurden, für die es deutsche Äquivalente gibt, die aber entweder nur in Klammern genannt werden oder als eigene Lemmata erscheinen, ohne dass auf sie verwiesen würde. So z.B. Construction, Epistemological Beliefs, Factual Knowledge, Recycling oder Sustainable Development (deutsch gibt es nur Bildung für eine nachhaltige Entwicklung und Nachhaltigkeit, auf die aber nicht verwiesen wird). Solche englischsprachigen Lemmata machen Sinn, wenn es um Begriffe geht, die sich entweder nur schwer ins Deutsche übersetzen lassen oder die auch im Deutschen geläufig sind, wie z.B. Assessmentcenter, Blended Learning, Brainstorming, Demand Characteristics, Edutainment, Gender, Learning by Doing, Mind Map, Reader oder Workshop.

In anderen Fällen, so vor allem wenn derselbe Begriff nicht nur englisch, sondern als separates Lemma auch deutsch aufgeführt wird, entsteht Verwirrung. Das gilt z.B. im Falle von Developmental Scale und Entwicklungsskala, Labeling-Approach und Etikettierungstheorie (zudem gibt es das Lemma Stigmatisierung), Learning Environment und Lernumgebung, Reinforcement und Verstärkung (es gibt auch ein Lemma Verstärker) oder Role-Taking und Rollenübernahme. Handelt es sich hier um Übersetzungen? Aber weshalb werden die Begriffe dann an beiden Stellen – beim deutschen und beim englischen Lemma – erläutert? Im Falle von Learning Environment gibt es zudem als Entsprechung nicht nur eine Lernumgebung, sondern auch eine Lehrumgebung, die jedoch praktisch bedeutungsgleich erläutert wird. Des Weiteren finden sich die Begriffe Lernumwelt und Lernsituation. Da zwischen den Einträgen kaum Verweise bestehen (nur gerade von Lernsituation wird auf Lernumgebung verwiesen), ist schwer auszumachen, wie sich dieses Geflecht an nahezu synonymen Begriffen entwirren lässt und welches die angemessene Übersetzung von Learning Environment wäre.

Ins BELTZ Lexikon Pädagogik ist auch eine stattliche Anzahl forschungsmethodischer und statistischer Lemmata aufgenommen worden. Darin lässt sich ein Vorzug sehen; denn die Disziplin wird damit klar als Forschungswissenschaft präsentiert. Die Erläuterungen sind jedoch gerade bei diesen Lemmata zum Teil äußerst knapp, und oft ist der methodologische Bezug nicht auf Anhieb klar, wie z.B. bei Bias, Gewichtung oder Zufallsfehler.

Die Erläuterungen zu den forschungsmethodischen Stichwörtern sind nicht nur zumeist kurz, sondern vielfach ohne Vorkenntnisse kaum zu verstehen. Das gilt etwa für Lemmata wie Alternativhypothese, Aposteriori-Wahrscheinlichkeit, Bandbreite-Fidelitäts-Dilemma, Bayes-Statistik (zudem erfährt man gerade das Entscheidende nicht, was nämlich die Bayes-Statistik vom gängigen, frequentistischen Modell der Inferenzstatistik unterscheidet), Beta-Fehler, Binomialtest, Irrtumswahrscheinlichkeit (der Verweis auf das Lemma Fehler ist zudem falsch; richtigerweise sollte auf Zufallsfehler verwiesen werden), Korrelationsmatrix, Prädikatorvariable (richtig wäre: Prädiktorvariable), Regressions-Diskontinuitäts-Analyse (RDA) oder Verifikationsexperiment. Weshalb hier keine weiterführende Literatur angegeben wird – im Unterschied zu den ebenfalls zahlreichen Lemmata historischer und biografischer Art – ist unverständlich, handelt es sich dabei doch um eine vergleichbare Situation (vgl. die Begründung der Herausgeber für Literaturhinweise bei historischen und biografischen Artikeln, XI).

(3) Ein Problem eigener Art stellen die Verweise innerhalb des Lexikons dar. Es wird auf Lemmata verwiesen, die es nicht gibt, und es fehlen Verweise auf Lemmata, die vorhanden wären. So wird von Hardware und Personal Digital Assistant sowie vom ÜA Geschichte der Erziehung auf Computer verwiesen, Computer gibt es aber als separates Lemma nicht. Im ÜA Bildungssystem international wird auf die UdSSR und auf Monitoring verwiesen, aber weder das eine noch das andere Lemma ist auffindbar (auch unter Bildungsbericht und dem ÜA Schulreform wird auf Monitoring verwiesen). Im ÜA Interaktion und Kommunikation findet sich ein Verweis auf symmetrische Kommunikation, doch auch hier gilt, dass das betreffende Lemma nicht vorkommt. Im ÜA Internationale Organisationen und internationale Kommunikation wird auf die Weltbank und auf Globalisierung verwiesen. Die Weltbank gibt es aber als eigenes Lemma nicht, und statt Globalisierung findet man an anderer Stelle ein Stichwort zu Anti-Globalisierung (allerdings gibt es einen ÜA Internationalisierung und Globalisierung, auf den aber nicht verwiesen wird). Von Bildung wird auf Gebildete verwiesen, von Dienstkraft auf öffentlicher Dienst, von Distance Learning auf Fernstudium, von Elektrakomplex auf Ödipus-Komplex, von Figuration auf Zivilisationstheorie, von Formalstufen auf Herbartianismus, von Gesellschaftskritik auf Chancengleichheit, von Hauslehrer auf Gouvernante, von kybernetischer Pädagogik auf Technologie des Unterrichts, von pädagogische Jugendforschung auf M.[artha] Muchow, von Reader auf Lehrgebiet, von sozialer Schicht auf soziale Milieus, von Sprachpsychologie auf Psycholinguistik, vom ÜA Erziehung auf Technologieproblem und vom ÜA Geschichte der Erziehung auf C.H. Wolke – aber keines der Stichwörter, auf die verwiesen wird, ist in dieser Form auffindbar.

Es gibt auch Endlosschleifen. So wird vom ÜA Systematische Pädagogik auf Allgemeine Pädagogik verwiesen, wo aber nur der gegenläufige Verweis auf den ÜA Systematische Pädagogik zu finden ist. Dasselbe gilt für den ÜA Familie: Folgt man dem Verweis auf Familienerziehung, so wird man auf den ÜA Familie zurückverwiesen. Eine Endlosschleife eigener Art ist der Selbstverweis im ÜA Lehren und Lernen, wo man auf eben diesen Artikel verwiesen wird (455).

Auch Sackgassen finden sich. So im Falle von IKT, wo man auf Informations- und Kommunikationstechnologien verwiesen und von dort auf den ÜA Interaktion und Kommunikation weiter geleitet wird. Dort aber erfährt man über Technologien der Interaktion oder Kommunikation nichts. Beim Lemma IuK (Informations- und Kommunikationstechnologien) wird ausgeführt, worum es geht; man wird aber auch auf die Einträge Information, Kommunikation und Informationsverarbeitung verwiesen, wobei es bei Kommunikation wiederum einen Verweis auf den ÜA Interaktion und Kommunikation gibt, wo aber – wie gesagt – über technische Aspekte der Kommunikation nichts zu lesen ist. Nicht verwiesen wird an beiden Stellen – IKT und IuK – auf das Lemma Informationstechnologie, das es ebenfalls gibt. Der dortige Verweis auf Technologien ist dann aber wiederum falsch bzw. irreführend.

In anderen Fällen fehlen Verweise, wie z.B. zwischen Affekt und Emotion, Alltag und Lebenswelt, Altenbildung und Seniorenbildung, Bias und Zufallsfehler, Cognitive Apprenticeship und Apprenticeship Learning, Gleichheit und Ungleichheit, Humangenetik und Genetik, Interaktion und Wechselwirkung, Phasenmodell und Stadienmodell, Professionalisierung und Deprofessionalisierung, Randbedingung und Erklärung oder soziale Schicht und Schichtbegriff. In einigen Fällen ließen sich solche Verweise nachträglich leicht einfügen, in anderen Fällen wären Eingriffe nötig, um die begriffliche Struktur herauszuarbeiten.

Das gilt etwa für das semantische Netz des Lemmas Schülervorstellungen. Das Lemma steht isoliert da, ohne jeden Verweis auf ähnliche Eintragungen, die es gibt, wie insbesondere Preconception, Misconception und Conceptual Change. Die Erläuterungen der Lemmata sind kaum aufeinander abgestimmt. Von „mentalen Repräsentationen“ ist die Rede, von „Vorstellungen“, „Vor-Vorstellungen“, „Konzeptionen“ und „Alltagskonzepten“, so dass es schwer fällt zu erkennen, wie die Begriffe semantisch zusammenhängen. Da es sich in drei Fällen zudem um englische Ausdrücke handelt, erfährt der Leser auch nicht, wie er die Termini sinnvoll ins Deutsche übersetzen soll.

Ein vergleichbares Problem stellt sich im Falle der ähnlichen, wenn nicht synonymen Begriffe Identifikation, Interiorisation, Internalisierung und Introjektion. Die Termini haben je ein eigenes Lemma, zwischen denen aber nur partiell verwiesen wird. Da die Begriffserläuterungen in allen vier Fällen mit dem Konzept der ‚Verinnerlichung’ operieren, bleibt offen, inwiefern sich die Lemmata überhaupt voneinander unterscheiden.

Das zuletzt genannte Beispiel macht auf ein weiteres Problem aufmerksam. Eine ganze Reihe von Lemmata macht nämlich den Eindruck von Synonymen. Das gilt etwa für folgende Beispiele: Alltagstheorie und pragmatische Alltagstheorie, Aptitude-Treatment-Interaction (hier findet sich zudem ein weiterer Schreibfehler; das Lemma ist daher falsch platziert) und ATI-Forschung (zudem gibt es das Lemma Attribute-Treatment-Interaction), Attribution und Kausalattribution, Auslegung und Sinnauslegung, Destruktion und Zerstörung, Distanz und soziale Distanz, Empathie und Perspektivenübernahme, Fallibilismus und Falsifikationismus (zudem gibt es das Lemma Falsifikation), Gesprächspsychotherapie und klientenzentrierte Therapie, Gruppentherapie und Gruppenpsychotherapie, kriterienorientierter Test und lernzielorientierter Test, Lebensalter und Lebenszyklus, Mediatorvariable und Moderatorvariable, Missbrauch und sexueller Kindesmissbrauch, nicht direktive Beratung und nondirektive Gesprächsführung, Orthografie und Rechtschreibung, Polytechnikunterricht und polytechnischer Unterricht, Rolle und soziale Rolle, Schüler- und Jugendwettbewerb und Schülerwettbewerb, Test und standardisierter Test, Therapie und Psychotherapie etc. Zweifellos kann es Sinn machen, begrifflich fein zu differenzieren, wenn aber zwischen Lemmata, die sich nicht nur in der Bezeichnung, sondern auch in der begrifflichen Erläuterung kaum unterscheiden, keine Verweise bestehen, wie bei den meisten der zitierten Beispiele, besteht der Verdacht, dass nicht wirklich Unterschiedliches, sondern Identisches aufgeführt wird. Dann aber wäre eine Erläuterung an einer Stelle ausreichend, und beim zweiten Lemma würde ein Verweis genügen, wie dies in anderen Fällen durchaus gemacht wird (z.B. Bekräftigung und Verstärkung, Kinderrechtskonvention und UN-Charta der Rechte des Kindes, Mongolismus und Down-Syndrom oder Split-Half-Reliabiltät und Testhalbierungsmethode).

Dass zumindest in einigen Fällen tatsächlich vom Gleichen die Rede ist, zeigen die Lemmata Handeln und pädagogisches Handeln. Die entsprechenden Erläuterungen sind nämlich zum großen Teil textidentisch! Ähnliches gilt für die Lemmata Drogen und Rauschmittel, die textlich ebenfalls weitgehend identisch erläutert werden. Bei beiden Beispielen gibt es im Übrigen keine Verweise vom einen auf das andere Lemma. Die redaktionell wenig bearbeitete Verweisungsstruktur des Lexikons sowie der Eindruck, dass es sich bei nicht wenigen Lemmata um Synonyme handelt, wecken den Verdacht, dass eine ansehnliche Zahl von Stichwörtern unabhängig voneinander ins Lexikon aufgenommen wurde. Wusste vielleicht die eine Hand nicht immer, was die andere tat?

Ich möchte nicht bestreiten, dass es gerade in einem begrifflich wenig konsolidierten Feld wie dem pädagogischen Sinn machen kann, viele – auch viele ähnliche – Begriffe in ein Lexikon aufzunehmen. Aber ohne Hilfe zur Klärung der zum Teil schillernden Vielfalt der Begriffe wird eher Desorientierung als Orientierung erzeugt. Wenn Lexikon- und Wörterbucharbeit „immer auch Arbeit an der Fachsprache (ist)“ (VII), dann fragt man sich, wie viel von dieser Arbeit ins BELTZ Lexikon Pädagogik eingeflossen ist. Soll sich das Lexikon zudem nicht nur als Nachschlagewerk eignen, sondern auch die „Möglichkeit … zum Vertiefen pädagogischer Zusammenhänge“ (rückseitiger Bucheinband) bieten, so zeigen schon die bisher genannten Mängel, dass der Verlag zu viel verspricht.

Zweifellos ist die Verweisungsstruktur des BELTZ Lexikons Pädagogik nicht generell defizitär. In vielen, wenn nicht den meisten Fällen sind die Verweise angemessen, und der Leser ist sehr wohl in der Lage, begriffliche Verflechtungen richtig zu erkennen. Gelegentlich wird auch auf Synonyme (seltener auf Antonyme) aufmerksam gemacht. Zudem werden einzelne Lemmata zusätzlich mit Tabellen oder Abbildungen erläutert. Einem Teil der biografischen Porträts sind Fotografien zugesellt. Allerdings kann gerade im Falle der Abbildungen eine weitere Kritik nicht unterdrückt werden; denn oft ist schwer zu erkennen, welchem Lemma eine Grafik zugeordnet ist (vgl. z.B. 123, 135, 188, 242, 492 oder 626).

(4) Nachdem wir uns bisher vorwiegend mit der Architektur des Lexikons befasst haben, sollen im Folgenden die Inhalte etwas näher angeschaut werden. Dabei möchte ich nicht verhehlen, dass ich als psychologisch ausgerichteter Vertreter der Disziplin Erziehungswissenschaft die Akzente wohl etwas anders setzen werde, als dies Vertreter anderer pädagogischer Teildisziplinen vermutlich tun würden.

Stellt man in Rechnung, dass die Psychologie eine der wichtigsten Bezugsdisziplinen der Erziehungswissenschaft bildet, ist bedauerlich, dass der Pädagogischen Psychologie – anders als der Bildungsökonomie und der Neurophysiologie – kein Übersichtsartikel zugestanden wurde. Es kann allerdings nicht übersehen werden, dass eine Vielzahl von Lemmata psychologischer Art ist. Das betrifft vor allem die Bereiche Lernen, Entwicklung, Diagnostik, aber auch Begabung und Intelligenz, Beratung, Prävention und Intervention, Unterrichtsforschung sowie Kommunikation.

Dabei erstaunt, wie prominent tiefenpsychologische, insbesondere psychoanalytische Konzepte vertreten sind, die im psychologischen Mainstream kaum noch eine Rolle spielen. Entsprechend verstaubt wirken einige dieser Lemmata, wie z.B. Archetypen, Elektrakomplex (ein Begriff, von dem sich Sigmund Freud zudem stets distanziert hatte), Genitalprimat oder phallisches Mutterimago. Dies gilt umso mehr, als nicht erläutert wird, wo ihre pädagogische Relevanz liegt. Gut vertreten ist die Psychoanalyse auch mit biografischen Porträts; sie finden sich zu August Aichhorn, Sigfried Bernfeld, Erik Erikson, Anna Freud, Sigmund Freud, Erich Fromm, Melanie Klein und Wilhelm Reich (auch zwei Abtrünnige sind aufgenommen worden: Alfred Adler und Carl Gustav Jung; neuere Vertreter wie John Bowlby, Heinz Kohut, Jacques Lacan, Alexander Mitscherlich oder Horst-Eberhard Richter fehlen jedoch). Porträts zu Psychologinnen und Psychologen sind demgegenüber rar. Erstaunlich ist, dass Albert Bandura und Arthur Jensen ein Porträt erhalten haben, denn beide sind noch nicht verstorben (was das Kriterium für die Aufnahme einer Person ins BELTZ Lexikon Pädagogik gewesen wäre, vgl. XI).

Man mag die psychoanalytische Schlagseite als Freiheit der Erziehungswissenschaft, sich ihre Bezugsdisziplinen selber zu wählen, hinnehmen. Oder als Freiheit der Herausgeber, die Adressaten ihres Lexikons lieber mit einer randständigen psychologischen Schule vertraut zu machen als ihnen Einblick in die Begrifflichkeit einer forschungsbasierten Nachbardisziplin zu geben. Die Toleranz stößt aber dort an ihre Grenze, wo Erkenntnisse der psychologischen Forschung unterschlagen werden. So finden sich bei den Lemmata Destruktion und Zerstörung lediglich Hinweise auf Freud und sein Konzept des Todestriebes, das heute kaum noch von einem Psychoanalytiker vertreten wird. Auch die Lemmata zum Thema ‚Aggression’ werden von triebtheoretischen Konzepten beherrscht. Neben Freud wird Lorenz erwähnt, für dessen Konzept einer sich endogen erneuernden energetischen Aggressivität sich selbst in der Biologie niemand mehr ernsthaft aussprechen wird. Des Weiteren ist auch die unter dem Lemma Aggression, Aggressionstrieb (eine zudem seltsame Verbindung zweier Begriffe, die getrennt erläutert werden müssten) erwähnte „Frustrations-Aggressions-Hypothese“ in ihrer ursprünglichen Fassung längst überholt (was dann unter dem Lemma Frustrations-Aggressions-Hypothese auch eingeräumt wird). Beim Lemma Gewalt wird ausgerechnet eines der strittigsten Konzepte in den Vordergrund gerückt (samt Literaturverweis aus dem Jahre 1975), nämlich Galtungs Konzept der strukturellen Gewalt. Die strukturelle Gewalt hat sogar ein eigenes Lemma erhalten, ebenso wie die symbolische Gewalt, die schulische Gewalt und die elterliche Gewalt (letztere allerdings mit anderer Bedeutung). Nicht erstaunen kann, dass unter diesen Umständen auch das Lemma zu Vandalismus äußerst unbefriedigend ausfällt. Vandalismus mit „einer blinden Zerstörungswut“ in Verbindung zu bringen, genügt als Erklärungsansatz nicht. Insgesamt bleibt schwer nachvollziehbar, wie angesichts der aktuellen Bedeutung der Themen Aggression und Gewalt – auch und gerade in pädagogischen Kontexten – nicht mehr Information gegeben wird und die wenige Information, die gegeben wird, reichlich veraltet wirkt. Immerhin gibt es zwei Lemmata zu Bullying und Mobbing, die etwas aktueller sind.

Ähnliche Vorbehalte sind gegenüber einigen entwicklungspsychologischen Stichwörtern angebracht. Erstaunlich ist, wie auch hier psychoanalytische Konzepte dominieren. Beim Lemma Kleinstkind beispielsweise (ein Lemma Kleinkind gibt es seltsamerweise nicht) wird lediglich auf Literatur von Erikson und Winnicott verwiesen; neuere und nicht-psychoanalytische Titel finden keine Erwähnung. Auch beim Lemma Kleinstkindpädagogik wird nur auf psychoanalytische Schriften verwiesen, wobei mit Spitz („Vom Säugling zum Kleinkind“) ein Werk, dessen Wurzeln bis in die 1940er-Jahre zurückreichen, fokussiert wird. Die Situation ist leicht anders beim Lemma Säugling, da hier auch ein neuerer Titel zitiert wird (Dornes: „Der kompetente Säugling“), der aber wiederum stark psychoanalytisch ausgerichtet ist. Der zweite Titel ist erneut älteren Datums und befasst sich zudem eher mit Entwicklungsstörungen als mit der normalen Entwicklung des Säuglings.

An anderen Stellen wird gelegentlich Piaget erwähnt. Die neueren Ansätze in der Kleinkindforschung, die in den vergangenen Jahren einen enormen Aufschwung erfahren haben, werden jedoch dem Benutzer des BELTZ Lexikons Pädagogik vorenthalten. So fehlen z.B. Einträge zur Entwicklung der Intentionalität, zur intuitiven Elternschaft (intuitive parenting), zur Joint Visual Attention, zur Modularität des Geistes, zur Nachahmung bei Kleinkindern, zur Theory of Mind etc.

Aber auch die Adoleszenz wird ziemlich verstaubt dargestellt. Was soll man vom Lemma Adoleszenzkrise halten, das als erstes von einem „Synonym für Adoleszenz“ spricht? Ist die entwicklungspsychologische Forschung nicht längst über die Position hinausgelangt, wonach das Jugendalter zwangsläufig von Konflikten und Krisen geprägt ist? Die starke Fixierung auf Erikson verhindert, dass neuere Ansätze mehr als nur oberflächlich rezipiert werden. Gerade einmal Havighurst (mit eigenem Porträt) und sein Konzept der Entwicklungsaufgaben sind aufgenommen worden. Allerdings muss man fairerweise einräumen, dass eine Reihe von Lemmata, vor allem solche, die aus Wortverbindungen mit ‚Jugend’ bestehen, ein ÜA zu Jugend und Jugendforschung sowie einer zu Jugendkultur Einzelaspekte des Jugendalters aufgreifen und informativ darstellen (z.B. Anorexie, Jugendkriminalität, Jugendliche, Jugendsubkultur oder Peergroup).

Eigenartig ist, dass die Evolutionäre Pädagogik (zu Recht) einen Überblicksartikel erhalten hat, die Evolutionäre Psychologie aber nicht erwähnt wird, und selbst die biologische Evolutionstheorie schwach repräsentiert ist. So wird beim Lemma Anpassung dessen biologische Bedeutung schlicht unterschlagen. Beim Lemma Anlage heißt es, diese würde „heute überwiegend als undifferenziert angesehen“, was angesichts der biologischen und psychologischen Forschung der jüngsten Zeit schlicht falsch ist.

Statt auf Ergebnisse der psychologischen Forschung trifft man auf einen ÜA zur Neurophysiologie, der kaum mehr als eine Aneinanderreihung von Einzelergebnissen bietet, deren Relevanz für die Pädagogik offen bleibt. Pädagogisches Alltagswissen wird mit Erkenntnissen der Hirnforschung in Verbindung gebracht, was zwar interessant, aber ziemlich belanglos ist. Brauchen Pädagogen und Erziehungswissenschaftler tatsächlich die Neurophysiologie, um zu erkennen, dass sich Angst negativ auf das Lernen auswirkt? Wussten sie das nicht schon lange? Was die Herausgeber bewogen hat, die Neurophysiologie zudem unter die „Grundbegriffe der Erziehungswissenschaft“ einzureihen (vgl. IXf.), bleibt schleierhaft.

Eine stärkere Beachtung der neueren psychologischen Forschung hätte auch einige Kurzschlüsse im ÜA Interaktion und Kommunikation vermeiden lassen. So heißt es gleich zu Beginn, Interaktion werde über Kommunikation vollzogen. Kommunikation wird etymologisch hergeleitet und soll heißen, „etwas gemeinsam machen“ (347). Dies sei gleichsinnig mit „mitteilen, d.h. etwas, ein Wissen, eine Meinung oder eine Erfahrung, mit anderen teilen“ (ebd.). Des Weiteren sei die Kommunikation an Medien gebunden, die Zeichen übertragen, „die einem für die beteiligten Kommunikationspartner gemeinsamen Zeichenvorrat entnommen sein müssen“ (ebd.). Nimmt man diese Aussagen beim Wort, so muss man sich fragen, wie eine Mutter und ihr Kind in den ersten Lebensmonaten überhaupt interagieren können. Denn eine gemeinsame Bezugnahme auf Dinge der Außenwelt, ein gemeinsamer Zeichenvorrat oder ein gemeinsames Wissen ist in dieser Zeit noch nicht vorhanden. Weiter heißt es, Kommunikation würde Gemeinschaft konstituieren. Doch in Wahrheit ist es genau umgekehrt: Mutter und Kind müssen zuerst eine Gemeinschaft bilden, bevor das Kind die Fähigkeit zur Kommunikation erwerben kann. Kommunikation kann daher nicht das Medium der Interaktion sein. Die Fähigkeit zur Kommunikation muss erst aufgebaut werden, und zwar über Interaktion. Das wäre auch die Einsicht von George Herbert Mead gewesen, der als Beleg zitiert wird.

(5) Man wird den Eindruck nicht recht los, dass das BELTZ Lexikon Pädagogik häufig nicht den aktuellen Stand des Wissens repräsentiert. Einige Lemmata scheinen zudem älterer Herkunft zu sein. Der Verdacht erhärtet sich, wenn man auf einen Eintrag wie denjenigen zu den Vereinten Nationen stößt. Unter dem Lemma UN heißt es nämlich, den Vereinten Nationen würden „alle 191 Staaten weltweit“ angehören. Das ist doppelt falsch. Denn erstens gehören ihnen seit 2006 192 Staaten an. Die Zahl 191 gibt den Stand von 2002 wieder. Und zweitens gehören ihnen nach wie vor nicht alle Staaten an (wie z.B. Taiwan, Palästina oder der Vatikan).

Zweifel an der Aktualität einiger Lemmata wecken auch verschiedene Literaturverweise. Beim biografischen Porträt zu Bandura wird auf dessen frühes, noch stark behavioristisch geprägtes Werk „Social Learning and Personality Development“ (1963) verwiesen (übrigens ohne dass der Mitautor Walters genannt würde). Die wichtigen Arbeiten aus den 1980er- und 1990er-Jahren, die für das Verständnis seines sozial-kognitiven Ansatzes unverzichtbar sind, bleiben unerwähnt. Im biografischen Eintrag zu Bronfenbrenner wird auf die amerikanische Erstausgabe seiner „Ökologie der menschlichen Entwicklung“ verwiesen, die aber bereits 1981 auch in deutscher Übersetzung vorlag und seit 1993 als Taschenbuch erhältlich ist. Auch die im Eintrag zu Lewin aufgeführte Sammlung von Abhandlungen des Autors („Resolving Social Conflicts“) von 1948 liegt seit 1953 in deutscher Übersetzung vor. Beim Lemma Inhaltsanalyse wird das Standardwerk von Mayring nach der 2. Auflage von 1988 zitiert, während es aktuell in der erweiterten 9. Auflage von 2007 greifbar ist (notabene bei Beltz). Kounins „Techniken der Klassenführung“, auf die unter dem Lemma Classroom Management verwiesen wird, werden mit der (vergriffenen) Ausgabe von 1976 zitiert, während seit 2006 ein Reprint vorliegt. Dahrendorfs „Homo sociologicus“ wird beim Lemma Rolle mit einer Ausgabe aus dem Jahr 1967 zitiert, während das Buch inzwischen in der 16. Auflage von 2006 greifbar ist. Die Beispiele ließen sich leicht vermehren. Titel von Adorno, Bettelheim, Durkheim, Mead, Plessner oder Popper werden nach Ausgaben zitiert, die längst vergriffen sind, während die Neuausgaben unerwähnt bleiben. Besonders leserfreundlich kann man dies nicht nennen.

Neben veralteten gibt es auch falsche Einträge. Dass sich die Lernpsychologie mit „intentionalem Lernen“ befassen soll, ist schwer nachvollziehbar, wenn man in Rechnung stellt, dass sie ihre entscheidenden Impulse in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vom Behaviorismus erhalten hat, dem das Bewusstsein explizit ein Epiphänomen des Verhaltens war. Weder das klassische noch das operante Konditionieren setzen Intentionalität voraus. Völlig falsch sind die Ausführungen zum Lemma autoritäre Erziehung. Was hier erklärt wird, ist nicht das Konzept der autoritären, sondern das ganz anders geartete der autoritativen Erziehung. Systematisch falsch geschrieben wird das Konzept der Akkommodation (das sich mit doppeltem und nicht mit einfachem m schreibt). Weiter wird der Begriff der Erblichkeit falsch erläutert. Bei der Erblichkeit (Heritabilität) handelt es sich um einen Quotienten, der Aussagen über Prozentanteile von Varianzen zulässt, aber gerade nichts zur „Übertragung von Merkmalen“ sagt! Falsch ist auch die Aussage beim Lemma Genetik, diese würde sich „mit der Vererbung körperlicher [eigene Hervorhebung] Eigenschaften“ befassen. (Beim Lemma Verhaltensgenetik wird dann richtigerweise darauf hingewiesen, dass auch Verhaltensmerkmale Gegenstand genetischer Untersuchungen sein können.) Falsch oder zumindest unvollständig sind die Angaben zum Lemma International Bureau of Education (IBE). Zwar war es seit 1945 (dem Gründungsjahr der UNESCO) der UNESCO „angegliedert“, 1969 wurde es aber in die UNESCO integriert. Falsch ist der Literaturhinweis beim biografischen Eintrag zu Skinner: Der Buchtitel lautet korrekt: „Science and Human Behavior“. Zudem gäbe es auch in diesem Fall seit 1973 eine deutsche Übersetzung mit dem Titel „Wissenschaft und menschliches Verhalten“. Zumindest irreführend ist der Literaturverweis beim Eintrag zu Karl Bühler; denn in der dort genannten Schrift äußert er sich praktisch nicht zum Thema Schule!

Schließlich gibt es auch fehlende Lemmata. Auch wenn es grundsätzlich schwer fällt, Dinge zu benennen, die nicht vorhanden sind, weil die Welt der Möglichkeiten prinzipiell unendlich ist, gibt es doch einige Stichwörter, die man erwartet hätte, aber nicht finden kann, wie z.B. (ich nenne eine willkürliche Auswahl): ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung), AIDS, Allomütter, Androgynie, bikulturelle (multikulturelle) Identität, elterliches Investment (parental investment), Flow, Fremde-Situation-Test, Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit, Geburt, Genom-Umwelt-Kovarianz, geteilte vs. nicht-geteilte Umwelt, Gruppensozialisationstheorie, multiple Intelligenzen, pränatale Entwicklung, plötzlicher Kindstod, Säuglingssterblichkeit, Schwangerschaft, Sport (es gibt kein eigenes Lemma zu Sport), Super Nanny, Temperament, Triple P (Positive Parenting Program), Underachiever, vaterlose Gesellschaft, Wunderkinder, Zone der nächsten Entwicklung, Zwillinge (es gibt nur ein Lemma Zwillingsforschung). Nicht dass alle diese Stichwörter zwingend in ein pädagogisches Lexikon gehören würden; aber angesichts der schieren Fülle von rund 6000 Einträgen und 64 Überblicksartikeln fragt man sich schon, weshalb man dazu nichts erfährt.

Auch in diesem Punkt wäre es falsch, die Kritik zu generalisieren. Viele Lemmata und insbesondere die Übersichtsartikel, unter denen sich einige ausgezeichnete Beiträge finden, sind aktuell und bringen Informationen, die up to date sind. Gelegentlich könnte man sogar von einer Überaktualität sprechen, vor allem im Bereich der Bildungspolitik. Die gängigen bildungspolitischen Modewörter sind gut vertreten. Von Kompetenzen ist in allen Variationen die Rede, ebenso von Bildungsstandards, evidenzbasierter Erziehungswissenschaft, Grundbildung und Literacy, während Konzepte, die den PISA-Schock etwas dämpfen könnten, wie z.B. der Flynn-Effekt, keine Erwähnung finden (auch im ÜA Begabung und Intelligenz nicht). Gerade der distanzlose Umgang mit dem Kompetenzbegriff kann zeigen, wie stark die Disziplin Erziehungswissenschaft von außerdisziplinären Diskursen belangt wird. Ihre Grenzen zur pädagogischen Praxis und zur Bildungspolitik sind permeabel, und zwar in einem Ausmaß, das weit größer ist als bei ihren Nachbardisziplinen. Unter dem Lemma Autonomie kann man dies sogar nachlesen.

(6) Nach den formalen und inhaltlichen Kritikpunkten bleibt ein letztes Thema, das angesprochen werden soll: die starke Ausrichtung des BELTZ Lexikons Pädagogik auf Deutschland. Dass die Pädagogik nach wie vor in nationalen Traditionen verwurzelt ist, braucht nicht extra betont zu werden. Für eine wissenschaftliche Disziplin ist dies jedoch ein Handicap. Internationalität wird nicht dadurch gewonnen, dass man eine Anzahl englischsprachiger Ausdrücke in ein deutschsprachiges Lexikon aufnimmt. Auch nicht dadurch, dass man auf US-amerikanische Gesetze wie den Higher Education Act, den National Defense Education Act und den No Child Left Behind Act verweist oder über US-amerikanische Universitäten wie die Columbia University, die Duke University, die Harvard University, die Princeton University und die Yale University informiert. Sowohl im Falle der amerikanischen Gesetze wie in jenem der amerikanischen Universitäten ist schwer zu erkennen, was die Gründe für deren Aufnahme in das BELTZ Lexikon Pädagogik waren.

Wenn auf dem rückwärtigen Einband die „internationale Ausrichtung“ des Lexikons hervorgehoben wird, dann fragt man sich, was für eine Internationalität wohl gemeint sein könnte. Begriffe aus dem deutschsprachigen Ausland sind kaum aufgenommen worden. Zwar gibt es ein paar Lemmata, die auf die Situation in Österreich und in der Schweiz hinweisen (wie z.B. Dissertant und Krabbelstube für Österreich, Lizentiat, Primarschule und Rudolf-Steiner-Schule für die Schweiz sowie Matura für beide Länder), doch insgesamt bleibt die Darstellung der begrifflichen, institutionellen und rechtlichen Grundlagen von Bildung und Erziehung auf Deutschland beschränkt. Wenn überhaupt, dann differenziert sich ‚deutsch’ fast nur nach den alten und den neuen Bundesländern.

Interessanterweise gilt dies weniger bei den Personen. So ist die Schweiz mit biografischen Porträts relativ gut vertreten (selbst Stefano Franscini, eine in der deutschen Schweiz wenig bekannte Persönlichkeit, wird genannt), und auch Österreich kann mit einigen Porträts aufwarten. Was die Reformpädagogik anbelangt, so ist diese sogar ausgesprochen international präsent. Neben vielen deutschen werden auch schweizerische, österreichische, französische, italienische, spanische, belgische, niederländische, schwedische, britische, tschechische, nordamerikanische und selbst südamerikanische Vertreter genannt. Vermutlich zeigen sich hier die Früchte eines veränderten Forschungsansatzes, der im Falle der Reformpädagogik in den vergangenen Jahren deutlich internationaler geworden ist.

Ansätze einer Öffnung nach außen zeigen auch die Darstellungen zu verschiedenen nationalen Bildungssystemen. Allerdings ist deren Auswahl nicht nur eng, sondern auch schwer nachvollziehbar. Weshalb wird das Bildungssystem Finnlands dargestellt, aber nicht dasjenige von Schweden, Norwegen oder Dänemark? Weshalb hat das Bildungssystem Frankreichs Eingang ins Lexikon gefunden, während diejenigen von Italien, Spanien und Portugal fehlen? Weshalb wurden England und Wales aufgenommen, aber weder Schottland noch Irland? Weshalb China, aber nicht Japan, Indien, Russland, Australien oder Neuseeland? Weshalb die USA, aber nicht Kanada? Dass Afrika lediglich als Kontinent abgehandelt wird, aber nichts zu seinen Bildungssystemen gesagt wird, ist ebenso seltsam wie die undifferenzierte Zusammenfassung der Bildungssysteme Südamerikas im Lemma lateinamerikanisches Bildungssystem. Positiv ist, dass sich zu den meisten Bildungssystemen, die dargestellt werden, Internetadressen finden, die eigene Recherchen erlauben.

Was in anderen Disziplinen selbstverständlich ist, nämlich die internationale Ausrichtung der Forschung, muss in der Erziehungswissenschaft eigens thematisiert werden. Was sonst könnte der Grund sein, dass der supranationale Bezug in drei Übersichtsartikeln explizit ausgewiesen wird? Gemeint sind die ÜA Bildungssystem international, Unterrichtsforschung international und Internationale Schulleistungsmessungen.

(7) Abschließend bleibt festzuhalten, dass das BELTZ Lexikon Pädagogik eine Vielzahl guter, informativer und aktueller Einträge enthält. Es ist zweckmäßig ausgestattet, leicht lesbar und übersichtlich gegliedert. Die große Zahl an Lemmata bietet zudem Gewähr, dass für jeden Leser die eine oder andere Entdeckung bereit steht.

Trotzdem werden nicht alle, denen das Lexikon dienlich sein will, damit zufrieden sein. Ist es ein Zufall, dass auf dem rückwärtigen Einband als Adressaten „alle, die in Beruf, Ausbildung und Praxis mit Pädagogik zu tun haben“, genannt werden? Die „Kollegen im Fach“ (XI), die in der Einleitung ebenfalls angesprochen werden, bleiben unerwähnt. Denkt der Verlag vielleicht realistischer als die Herausgeber? Wenn ich einen Rat erteilen müsste, dann würde ich in der Tat weder den Kollegen im Fach noch den Studierenden des Faches empfehlen, das Buch ohne sorgfältige Prüfung anzuschaffen.

[1] Die gängigen pädagogischen Lexika im deutschsprachigen Raum bewegen sich zwischen 100 und 200 Lemmata, können auch einmal 1500 umfassen, gehen aber kaum je über 3000 hinaus.
Walter Herzog (Bern)
Zur Zitierweise der Rezension:
Walter Herzog: Rezension von: Tenorth, Heinz-Elmar / Tippelt, Rudolf (Hg.): BELTZ Lexikon Pädagogik. Weinheim/Basel: Beltz 2007. In: EWR 7 (2008), Nr. 3 (Veröffentlicht am 03.06.2008), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978340783155.html