EWR 22 (2023), Nr. 3 (Juli)

Sabine Glock / Hannah Kleen (Hrsg.)
Stereotype in der Schule
Wiesbaden: Springer VS 2020
(390 S.; ISBN 978-3-658-27274-6; 64,99 EUR)
Stereotype in der Schule Es ist nicht neu, dass die schulische Leistungsbewertung von den Erwartungen und der daraus resultierenden Handlungspraxis der Lehrkräfte abhängt. Das von Sabine Glock und Hannah Kleen herausgegebene Handbuch greift diese Erkenntnisse auf und definiert Stereotype als Ergebnis von Zuschreibungsprozessen, die Lehrkräfte und Schüler*innen gleichsam beeinflussen. Die Frage, wie sich Schüler*innen verhalten, wenn sie negativ als Mitglieder einer bestimmten Gruppe wahrgenommen werden, wird dabei ebenso beantwortet wie die, inwiefern ihre Vornamen diese Wahrnehmung beeinflussen.

Der Sammelband gliedert sich mit zwölf Beiträgen in sozialpsychologische und soziologische Perspektiven auf den Gegenstand schulischer Stereotype. Die Zusammenstellung der einzelnen Teile erfolgt anhand der Kategorien Geschlecht, Vorname, sozialer Hintergrund, Herkunft/Migrationshintergrund und sonderpädagogischer Förderbedarf, nach denen die befragten Personen der vorgestellten Studien ihre Urteile bilden. Gerahmt werden diese Ergebnisse durch Überblicksbeiträge zur Entstehung, Funktionsweise und Auswirkungen von Stereotypen sowie Implikationen zur Reduktion ebensolcher. Zwei Aufsätze zu Übergangsempfehlungen und Studienergebnisse zum Einfluss des sogenannten Demographic Match schließen weitere Forschungslücken und geben Aufschluss zur Urteilsgenauigkeit von Lehrkräften.

Die Leser*innen bekommen durch jeden Beitrag unterschiedliche Definitionen von Stereotypen, die aufgrund der Wiedergabe einer Vielzahl gut recherchierter Studien zum Forschungsgegenstand passgenau auf den Inhalt des jeweiligen Aufsatzes zugeschnitten sind. Es findet eine Abgrenzung zu Einstellungen statt, die im Gegensatz zu Stereotypen die Bewertung von Attributen beinhalten (343). Der Sammelband wird seinem Titel insofern gerecht, als dass nach der Lektüre deutlich ist, dass Stereotype einen Einfluss darauf haben, wie Lehrkräfte die Schullaufbahn von Schüler*innen beeinflussen und gleichzeitig Stereotypisierungen nicht automatisch zu Stigmatisierungen führen (müssen).

Aufgrund der Vielzahl an unterschiedlichen Beiträgen sei im Folgenden nur exemplarisch auf drei Beiträge und ihre unterschiedlichen Sichtweisen eingegangen. Sarah E. Martiny und Laura Froehlich definieren dafür in ihrem Beitrag Stereotype als Überzeugungsstrukturen, die sowohl negativ als auch positiv sein können. Die Autorinnen stellen heraus, dass Stereotype durch in der Sozialisation relevante Bezugspersonen erlernt und „innerhalb von weniger als einer Sekunde automatisch aktiviert“ werden (16). Der ‚Stereotype Threat‘ beschreibt, wenn aus der Aktivierung eine negative Zuschreibung erfolgt, die langfristig dazu beitragen kann, dass sich negativ stereotypisierte Gruppen(mitglieder) distanzieren. Ein Beispiel dafür ist die Unterrepräsentanz von Frauen in MINT-Fächern.

Martiny und Froehlich heben hervor, dass negative Stereotypisierungen bei Schüler*innen ein Zugehörigkeitsgefühl beeinflussen, das als Voraussetzung für Bildungserfolg definiert werden kann. Sie resümieren, dass Lehrkräfte der automatischen Stereotyp-Aktivierung mit ausreichend Ressourcen entgegenwirken können. Zu den Ressourcen zähle die Motivation, über die Bedeutung reflektieren zu wollen, mit der Lehrkräfte Stereotype über Geschlecht, Behinderung, etc. versehen. Ferner sei entscheidend, bei Schüler*innen keine negativen gruppenbezogenen Stereotype zu aktivieren, z.B. in Form von einer Abfrage des Geschlechts vor einer Mathematikprüfung. Außerdem ginge es darum, dass Zugehörigkeitsgefühl von Schüler*innen im Allgemeinen zu stärken und sie über ‚Stereotype Threat‘ aufzuklären.

Die Herausgeberinnen dieses Sammelbandes, Hannah Kleen und Sabine Glock, stellen mit ihren Ergebnissen zur Bedeutung von Vornamen heraus, dass wir mit Namen Eigenschaften verbinden, weil Namen sozialen Gruppen zugeordnet werden. Diese aktivieren wiederum Stereotype, d.h. ein Wissen und daraus resultierende Erwartungen über diese Gruppe. Die mit den Vornamen assoziierten Stereotype können über sogenannten Wortnormen untersucht werden, die einen Mittelwert der Ausprägungen des Wissens darstellen, das durch einzelne Wörter bei Personen aktiviert wird. Kleen und Glock zielen mit ihrer Studie auf eine Unterscheidung der Vornamen dahingehend, dass sie sich nur in einem Merkmal – Geschlecht, Migration oder sozioökonomischer Status – unterscheiden. Die durchgeführten Studien zeigen damit, dass Vornamen von Lehramtsstudierenden mit bestimmten Stereotypen verbunden werden, die zu einer Bewertung der Namen und Beeinflussung der dazugehörigen Personen führen. Durch Verwendung der untersuchten Vornamen in künftiger Forschung könnten differenziertere Aussagen zu sozialen Disparitäten im Bildungssystem getroffen werden, wenn sich Beurteilungen merkmalsbezogen auf die soziale Gruppe und z.B. nicht auf die Intelligenz, die mit dem Vornamen verbunden wird, beziehen.

Während die Auseinandersetzung mit vorhandenen Stereotypen schlussfolgern lässt, dass das Zugehörigkeitsgefühl für Schüler*innen besonders dadurch gestärkt werden könne, dass Lehrkräfte als für sie relevante, identitätsstabilisierende Bezugspersonen derselben Gruppe wie sie angehören, kommt Claudia Schuchart zu einem anderen Schluss. In einer quantitative Experimentalstudie zum Demographic Match, d.h. der „Übereinstimmung zwischen Merkmalen der Lehrkraft und Merkmalen der Schüler*innen“ (338) wurde Sanktionsverhalten von angehenden Lehrkräften in Bezug auf unterrichtsstörendes Verhalten von Schüler*innen untersucht. Die Untersuchung folgte der Annahme, dass die Kategorie Migrationshintergrund das Verhalten von Lehramtsstudierenden beeinflusst:

Lehramtsstudierende ohne Migrationshintergrund bestrafen Schüler*innen ohne Migrationshintergrund (als Angehörige ihrer Ingroup) weniger streng als Schüler*innen mit Migrationshintergrund (als Angehörige ihrer Outgroup) und umgekehrt. Die Studienergebnisse von Schuchart decken auf, dass Lehrpersonen mit Migrationshintergrund Schüler ohne Migrationshintergrund härter sanktionieren. Eine Erklärung dafür wird in der Lehramtsausbildung gesehen. Dort würde versucht, eine defizitorientierte Perspektive auf den Umgang mit Schüler*innen mit Migrationshintergrund „durch eine Benachteiligung von Schüler*innen ihrer Outgroup“ (380) aufzulösen.

Obwohl die Forscher*innenperspektive mit ihren eigenen Wissensbeständen, die zu Stereotypisierungen führen können, etwas kurz kommt, macht der Sammelband deutlich, dass eine inklusive Sichtweise auf Stereotype vonnöten ist. ‚What we see behind the eyes‘ lässt offen, mit welcher Bedeutung wir Stereotypisierungen auf einer Metaebene versehen. Hier sind die Leser*innen selbst gefragt, die notwendigen Reflektionsschlüsse zu ziehen.
Adina Küchler-Hendricks (Wolfenbüttel)
Zur Zitierweise der Rezension:
Adina Küchler-Hendricks: Rezension von: Glock, Sabine / Kleen, Hannah (Hg.): Stereotype in der Schule. Wiesbaden: Springer VS 2020. In: EWR 22 (2023), Nr. 3 (Veröffentlicht am 19.07.2023), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978365827274.html