EWR 22 (2023), Nr. 3 (Juli)

Antje Pabst
Beruflichkeit im Wandel
Individuelles berufliches Handeln am Beispiel der Leiharbeit
Bielefeld: wbv Publikation 2022
(412 S.; ISBN 978-3-7639-6038-5; 54,90 EUR)
Beruflichkeit im Wandel Die Frage nach der Bedeutung des Berufes in einer sich wandelnden Berufs- und Arbeitswelt ist nach wie vor aktuell. In der öffentlichen Debatte liest man von digitalen Nomaden, die vormittags arbeiten und nachmittags im Meer surfen, von Unternehmen, die eine vier Tage Woche einführen und nicht zuletzt hat die Corona-Pandemie die Debatte zum Homeoffice befördert. In diesem Kontext großer ökonomischer und gesellschaftlicher Umbrüche mit Auswirkungen auf die Beschäftigungsverhältnisse kann die von Antje Pabst 2018 verteidigte und 2022 veröffentlichte Dissertation (inklusive aktualisierter Debatten und Zahlen) eingeordnet werden. Ihr Gegenstand ist die häufig als prekär diskutierte Leiharbeit, die vor allem im Kontext der Hartz-Reformen in den 2000er Jahren einen Boom erlangte und politisch als Antwort auf veränderte Arbeitsmarktbedingungen gesehen wurde. So wird die Möglichkeit neuer Arbeitsplätze, ein Übergangseffekt in reguläre Beschäftigung und das Abfangen von Produktionsspitzen herausgestellt. Diese Hoffnungen erweisen sich jedoch als trügerisch, wie Pabst mit Rückgriff auf empirische Studien zeigt (179-184). Vielmehr bilden sich in global agierenden Konzernen ausgeprägte Randbelegschaften und Leiharbeit ist nicht als ein temporäres Phänomen anzusehen, sondern hat sich im Bereich industrieller Arbeit fest etabliert. Obwohl lediglich rund drei Prozent der Beschäftigten in Leiharbeit sind, kann sie dennoch als „exemplarisches Beispiel solcher Erosionen“ (23), nämlich der Auflösung integrativer gesellschaftlicher Institutionen, im Kontext übergreifender ökonomischer und gesellschaftlicher Umbrüche verstanden werden. Für Pabst stellt sich damit die forschungsleitende Fragestellung: „Inwiefern wirken veränderte Beschäftigungsverhältnisse wie die Leiharbeit auf das berufliche Handeln der Arbeitenden und damit auf ihre individuelle Beruflichkeit?“ (32)

In einer sehr umfangreichen und detaillierten Darstellung geht Pabst in Kapitel 2 (41-122) auf diese Umbrüche ein. Sie stellt globale Veränderungen der Arbeitswelt mit den Megatrends Digitalisierung, Globalisierung, Reorganisation und Vermarktlichung sowie Finanzialisierung dar (43-50), die schließlich in der Erwerbsarbeit im Rahmen einer Höherqualifizierung, Subjektivierung, Flexibilisierung und Entgrenzung diskutiert werden (51-58); und die sie mit empirischen Studien belegt (59-80). Mit Konzepten zu dynamischen und polarisierten Arbeitsmärkten (85-89), Employability (90-92), Flexicurity (93-95), dem Arbeitskraftunternehmer (96-98) oder der Prekarität (99-103) zeigt sie, wie auf die veränderte Beschäftigung Bezug genommen wird. Bezogen auf einen größeren gesellschaftlichen Kontext geht Pabst davon aus, dass „die These einer tiefgreifenden Gesellschaftstransformation in den Sozialwissenschaften nicht nur weit verbreitet [ist], sondern auf einem allgemeinen wissenschaftlichen Konsens [basiert]“ (105). Jedoch gibt es hierbei verschiedene Ansätze, die teilweise konkurrierend zueinanderstehen (104). Pabst greift die zwei gesellschaftstheoretischen Zeitdiagnosen der Wissensgesellschaft und des Finanzmarktkapitalismus heran, die es ihr ermöglichen, die tiefgreifenden ökonomischen Wandlungsprozesse zu rahmen und beide Ansätze in Bezug zueinander zu setzen (104-117). Insgesamt macht Pabst in diesem Kapitel das Zusammenspiel zwischen gesamtgesellschaftlichen Trends, der Erwerbsarbeit und dem Individuum deutlich und fasst dieses im Anschluss an Peter Bartelheimer und Jürgen Kädtler als ein „Arbeits- und Sozialmodell im Umbruch“ (238-239). Obwohl Pabst auch immer wieder auf Verharrungstendenzen, beispielsweise das Normalarbeitsverhältnis. eingeht und die Komplexität der Prozesse betont, lässt sie doch keinen Zweifel daran, dass sich die Arbeitswelt in einem grundlegenden Wandel befindet.

Dieser Wandel – der in Kapitel 3 thematisch gemacht wird – betrifft auch den Beruf und die Berufsform. Hier arbeitet Pabst die Komplexität und Relationalität des Berufes heraus (124-128), seine Aufgaben und Funktionen, sowohl als intermediäre Institution arbeitsteiliger Gesellschaften (129-142), als auch als Ordnungsrahmen, Qualifizierungsprinzip und berufspädagogische Leitkategorie (143-158). Mit der berufsbiographischen Gestaltungskompetenz greift sie einen kritischen Gegenentwurf in der Berufspädagogik zur Employability auf, in dem auf den Umgang mit veränderten Arbeitsbedingungen Bezug genommen wird (159-165). Beruf wird in diesem Kapitel als eine ökonomische Kategorie konzipiert, bei der vornehmlich die „technische Reproduktionsfunktion“ des Bildungssystems, wie es Pierre Bourdieu und Luc Boltanski [1] formulieren, betont wird. Zwar liegt in der Arbeit von Pabst die Stärke darin, die prekäre Form der Leiharbeit als Indikator für einen ökonomischen Wandel zu betrachten, allerdings könnte gerade für eine erziehungswissenschaftliche Arbeit an dieser Stelle auch das Verhältnis von Bildungs- und Beschäftigungssystem und die „soziale Reproduktionsfunktion“ mit berücksichtigt werden.

Im folgenden vierten Kapitel (171-220) wird der konkrete Gegenstand der Arbeit, die Leiharbeit, ausführlich dargestellt. Pabst betrachtet damit eine atypische und prekäre Beschäftigungsform, die sich durch eine trinäre Vertragsform zwischen Leiharbeitskraft, Verleihunternehmer und Einsatzbetrieb auszeichnet. Sie resümiert, dass Leiharbeit „par excellence für Erwerbsarbeit bezeichnet [werden kann], infolgedessen Armut trotz Arbeit entstehen kann“ (216).

An diese sehr umfangreichen gegenstandstheoretischen Ausführungen knüpft ein kurzes grundlagentheoretisches Kapitel 5 an (221-242), das die Perspektive auf das Individuum hervorhebt. Mit Bezug auf Klaus Holzkamp wird eine subjektwissenschaftliche Perspektive vertreten und es werden theoretisch „sechs Handlungsräume individuellen Handelns in Erwerbsarbeit und Beruf“ (241) mit unterschiedlichen Bedingungs- und Bedeutungsstrukturen entfaltet (tätigkeitsbezogen, organisationsbezogen, aneignungs- und entwicklungsbezogen, arbeitsmarktbezogen, in die Lebenspraxis integrierend, gesellschaftsbezogen). Dies folgt der theoretischen Annahme, dass nicht das Subjekt den Erkenntnisgegenstand darstellt, sondern das Handeln des Subjekts in Bezug auf seine Umwelt. Offen und unscharf bleiben an dieser Stelle die wechselnden Verwendungen der Begriffe Subjekt und Individuum. Betont der Begriff des Subjekts diese Wechselbeziehung zur Umwelt und zur Gesellschaft, betont Pabst mit dem Begriff des individuellen beruflichen Handelns doch wiederum eher den Fokus auf den Einzelnen.

Relativ kurz folgt in Kapitel 6 (243-268) das methodische Design der Studie. Zwar wird sowohl das Sample (260-265), als auch die Erhebung mithilfe des offen strukturierten Leitfadeninterviews (247-251) und die Auswertung durch die Grounded Theory (246-247) erwähnt, jedoch bleiben die methodologischen Bezüge der Studie auf einer oberflächlichen Ebene. Wenn Jörg Strübing und Bernt Schnettler [2] fordern, dass Methodologien „überhaupt erst die Voraussetzung dafür [schaffen], dass wissenschaftliche Methoden entwickelt werden können, über deren Praktikabilität, Verlässlichkeit oder Güte sich hernach nur vor dem Hintergrund ihrer methodologischen Vorannahmen streiten lässt“, dann hätten hier die der Grounded Theory zugrunde gelegten methodologischen Annahmen stärker ausgearbeitet werden müssen. Bezüglich des Samples wurden im Jahr 2008 sieben Leiharbeitskräfte, drei Disponent*innen in Verleihunternehmen, fünf Betriebsratsmitglieder und als Kontrastgruppe zwei Stammkolleg*innen befragt. Den 14 Jahre vor der Veröffentlichung erhobenen Daten aus dem Wirtschaftsraum Hamburg wurden aktuelle Daten gegenübergestellt (256-260), die plausibilisieren, dass es in diesem Zeitraum kaum strukturelle Veränderungen im Sektor der Leiharbeit gab (259-260).

Ihre Ergebnisse in Kapitel 7 (269-326) stellt Pabst dabei an vier empirisch rekonstruierten Handlungsräumen (Zugang zur Erwerbsarbeit; Einsatzvermittlung; betrieblicher Einsatz; Einsatzende), die als Rahmen individuellen beruflichen Handelns betrachtet werden können (271-292), und drei Dimensionen individueller Beruflichkeit (tägliches Arbeiten in einem fragmentierten Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis; Such-, Orientierungs- und Lernprozesse im Rahmen individueller Beruflichkeit; der lange Arm der Arbeit) dar (292-318).

Die Handlungsräume werden nacheinander durchlaufen und orientieren sich an einer zeitlichen Dimension der Leiharbeit, wobei „[d]er Übergang in den nächsten Handlungsraum zumeist durch Diskontinuität und Unsicherheit gekennzeichnet [ist]“ (319). Die drei Dimensionen individuellen beruflichen Handelns werden dabei anhand von zehn Kategorien näher beschrieben (292-319). Deutlich wird dabei die Prekarität der Leiharbeit in Bezug auf das tägliche berufliche Handeln, die berufliche Identitätsarbeit und wie die Leiharbeit in das Private hineinreicht. Pabst resümiert: „Individuelle Beruflichkeit in Leiharbeit zeichnet sich durch ein tägliches Handeln zwischen Arbeit und Erwerb in einem fragmentierten Beschäftigungsverhältnis aus.“ (320)

Insgesamt beeindruckt die Arbeit von Pabst durch die sehr umfangreiche Analyse gesellschaftlicher und ökonomischer Veränderungen sowie die damit einhergehenden Auswirkungen auf die Erwerbsarbeit. Pabst betrachtet mit der Leiharbeit eine Beschäftigungsform, die vor allem die prekäre Beschäftigungsseite in einem Finanzmarktkapitalismus betont. Zwar bezieht sich die Frage und die Anlage der Studie von Pabst auf das individuelle berufliche Handeln in dem prekären Beschäftigungsfeld der Leiharbeit, allerdings betont sie in ihrer gegenstandstheoretischen Auseinandersetzung die gesamtgesellschaftliche Bedeutung dieser Beschäftigungsform für einen tiefgreifenden ökonomischen Wandlungsprozess. Hier bleibt die Frage bestehen, ob diese Veränderungen so umfassend sind, wie angenommen und ob die These von Pabst zutrifft, dass die Erosion grundlegender gesellschaftlicher Institutionen, wie des Normalarbeitsverhältnisses, vom Rande her geschehen (217) oder ob die geringe und konstante Zahl an Leiharbeit nicht eher ein Zeichen dafür ist, dass diese gesellschaftlichen Institutionen nach wie vor dominant sind. So stellt beispielsweise Martin Kohli [3] in seinem Rückblick auf die These der Institutionalisierung des Lebenslaufs heraus: „Insgesamt fällt ein Durchgang durch die Empirie hinsichtlich eines Umbruchs der Arbeit im Lebenslauf eher ernüchternd aus.“

[1] Bourdieu, P., & Boltanski, L. (1981). Titel und Stelle. Zum Verhältnis von Bildung und Beschäftigung. In P. Bourdieu & H. Köhler (Hrsg.), Titel und Stelle: Über die Reproduktion sozialer Macht (S. 89–115). Europ. Verl.-Anst.
[2] Strübing, J., & Schnettler, B. (2004). Klassische Grundlagentexte zur Methodologie interpretativer Sozialforschung. In J. Strübing & B. Schnettler (Hrsg.), Methodologie interpretativer Sozialforschung Klassische Grundlagentexte (1. Auflage, S. 9–16). UTB GmbH UVK, hier S. 9.
[3] Kohli, M. (2003). Der institutionalisierte Lebenslauf: Ein Blick zurück und nach vorn. In J. Allmendinger (Hrsg.), Entstaatlichung und soziale Sicherheit (S. 525–545). Leske + Budrich.
Stefan Rundel (MĂĽnchen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Stefan Rundel: Rezension von: Pabst, Antje: Beruflichkeit im Wandel, Individuelles berufliches Handeln am Beispiel der Leiharbeit. Bielefeld: wbv Publikation 2022. In: EWR 22 (2023), Nr. 3 (Veröffentlicht am 19.07.2023), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978376396038.html