EWR 22 (2023), Nr. 4 (Oktober)

Julia Wolke
Lehrer-Selbstwirksamkeit von Studierenden im Praxissemester
Eine quantitative LĂ€ngsschnittstudie zum Einfluss von Unterrichtserfahrungen und Mentoring
Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt 2022
(223 S.; ISBN 978-3-7815-2512-2; 42,00 EUR)
Lehrer-Selbstwirksamkeit von Studierenden im Praxissemester Julia Wolke untersucht in ihrer Dissertationsstudie die Frage nach dem Einfluss von Erlebnissen von Studierenden wĂ€hrend des Praxissemesters auf die eigenen Selbstwirksamkeitserfahrungen. Wolke rĂŒckt damit die oftmals von Studierenden geforderte und sehr positiv besetzte Praxis im Rahmen des Studiums in den Mittelpunkt und beleuchtet damit auch ein Themenfeld, das fĂŒr die Lehrer:innenbildung große Relevanz hat. Im Kern geht es dabei auch um die Frage, ob die oftmals bediente „Zauberformel Praxis“ [1] tatsĂ€chlich hĂ€lt, was sie verspricht.

Im Zuge der Auseinandersetzung mit den Selbstwirksamkeitserwartungen beschĂ€ftigt sich Wolke konkret mit Erfahrungen der Studierenden in den Praktika, mit der BewĂ€ltigung von besonders herausfordernden Situationen und auch der Begleitung durch Mentor:innen (13). Letztere können als wesentliches Element des institutionalisierten Professionalisierungsprozesses angehender Lehrer:innen verstanden werden, deren Untersuchung sinnvolle BeitrĂ€ge zur QualitĂ€t der Lehrer:innenbildung leisten kann [2]. Damit ist die Forschungsarbeit als wertvoller Beitrag zur Professionalisierungsforschung einzuschĂ€tzen, da sie sich nicht nur auf die Lehramtsstudierenden bezieht, sondern auch im Hinblick auf eine – historisch gesehen – zunehmende Professionalisierung von Mentor:innen Relevanz zeigt [3]. Aktuelle Studienergebnisse legen dahingehend nahe, dass sowohl Mentor:innen als auch Mentees (d. h. die zu betreuenden Lehramtsstudierenden) in betreuten Praxisphasen hohe Erwartungen und Chancen betreffend der eigenen Professionalisierung sehen [4] Diese sieht auch Wolke bei den Mentor:innen. Zu dem derzeit sehr aktuellen Diskurs um Professionalisierungsprozesse in begleiteten Praxisphasen – Stichwort: Mentoring – kann die vorliegende Arbeit also einen weiterfĂŒhrenden Beitrag leisten.

Im Kapitel 2, das als Theorie-Kapitel fungiert, geht Wolke dreigliedrig vor, indem sie zuerst die Theorie der Selbstwirksamkeit von Albert Bandura darlegt, auf die sich auch die weitere Auseinandersetzung ĂŒberwiegend bezieht. In weiterer Folge wird im Zuge einer stringent-logischen Vorgangsweise vom Allgemeinen zum Speziellen der Bezug der Selbstwirksamkeitstheorie zur Selbstwirksamkeit von Lehrer:innen hergestellt. Im dritten Unterkapitel werden dann Praxisphasen in der Lehrer:innenbildung thematisiert, wobei fĂŒr Wolkes Arbeit vor allem die Praxissemester als „spezifisches Praxisformat“ (45) relevant sind. Im Rahmen des theoretischen Kapitels definiert Wolke Selbstwirksamkeitserwartungen fĂŒr ihre Arbeit als „individuelle Überzeugungen von Lehramtsstudierenden und Lehrpersonen, schwierige Anforderungen der Berufsaufgabe ‚Unterrichten‘ auch unter widrigen Bedingungen meistern zu können“ (57). Im Anschluss an Bandura bedarf es dazu an Erfolgserfahrungen, stellvertretenden Erfahrungen, RĂŒckmeldungen und auch Emotionen.

In Kapitel 3 fasst Wolke den Forschungsstand zur Lehrer-Selbstwirksamkeit [5] zusammen. Sie berĂŒcksichtigt dabei ĂŒberwiegend quantitative Studien, weist aber immer wieder auch auf qualitative Arbeiten zu dem Thema hin. Als besonders gewinnbringend im Hinblick auf einen kritischen Blick in Richtung Weiterentwicklung von Methodologien kann jener Teil des Kapitels betrachtet werden, der sich auch kritisch mit methodischen und methodologischen Fragen bisheriger Forschung beschĂ€ftigt. Aus den bisherigen Befunden leitet Wolke dann gezielt und begrĂŒndet jene Desiderata ab, die sie im Zuge der eigenen Forschung zu beantworten versucht.

In Kapitel 4 wird das Untersuchungsdesign geklĂ€rt. Als Forschungsfrage formuliert Wolke dabei: „Welchen Einfluss haben das Erleben von Schwierigkeiten im eigenen Unterricht und die schulischen Mentor*innen wĂ€hrend des Praxissemester auf die Lehrer-Selbstwirksamkeitserwartungen von Lehramtsstudierenden?“ (87). Zur Beantwortung dieser Frage wird mit der Scale for Teacher Self-Efficacy (STSE) ein Modell herangezogen, das im deutschsprachigen Raum bisher selten verwendet wurde. Die Forschungsfrage wird außerdem in weiterer Folge in vier Teilfragen untergliedert. Die Lehrer-Selbstwirksamkeit bzw. die Neubewertung der Schwierigkeit von Aufgaben wird als abhĂ€ngige Variable angenommen. UnabhĂ€ngige Variablen, die untersucht werden, sind Erfolgserfahrungen, stellvertretende Erfahrungen und RĂŒckmeldungen der Mentor:innen. Die in der Folge aufgestellten Hypothesen lassen sich schlĂŒssig auf die Forschungsfrage und ihre Teilfragen beziehen. Methodisch wurde mit einer LĂ€ngsschnittstudie mit zwei Erhebungszeitpunkten gearbeitet, wobei eine Paper-Pencil-Befragung in den Begleitseminaren an der UniversitĂ€t durchgefĂŒhrt wurde. Diese war durch eine sehr hohe RĂŒcklaufquote gekennzeichnet (t1: 87%, t2: 74%).

In Kapitel 5 werden die Ergebnisse der Studie prĂ€sentiert, geordnet nach den vier Teilfragestellungen. Dabei kann auf Basis statistischer Kennzahlen die GĂŒte des Modells und dessen Messung bestĂ€tigt werden. Der Umfang und die komplexe QualitĂ€t der Ergebnisse verweist auf zahlreiche Felder, die Relevanz oder auch Irrelevanz im Hinblick auf die Selbstwirksamkeitserfahrungen zeigen. U.a. konnten mit der Studie Herausforderungen herausgearbeitet werden, wo sich das Erleben von Erfolg im Unterricht eher homogen und im positiven oberen Bereich zeigt, wĂ€hrend Misserfolge deutlich variabler wahrgenommen wurden. Der Zusammenhang von Erfolgen und Schwierigkeiten zeige eine negative Korrelation, wobei beides keine Vorhersage ĂŒber die Selbstwirksamkeitserfahrungen geben konnte, was jedoch vorab als theoretische Erwartung formuliert war. Hatten Studierende bereits am Beginn des Semesters hohe Selbstwirksamkeitserwartungen, wurde das Erleben von Schwierigkeiten wesentlich unwahrscheinlicher. Aufschlussreich zum Mentoringprozess erscheint auch, dass die QuantitĂ€t von Feedback durch Mentor:innen, bestĂ€rkendes positives Feedback sowie eine positive Prognose fĂŒr die Entwicklung der Studierenden keinen messbaren Einfluss auf Selbstwirksamkeitserfahrungen hatten. Dasselbe trifft interessanterweise auf ein kritisches Feedback durch die Mentor:innen zu.

In Kapitel 6 diskutiert Wolke die Ergebnisse ihrer Studie und spannt den Bogen bis zur Lehrer:innenbildung. Auch die kritische EinschĂ€tzung der eigenen methodischen Vorgangsweise findet hier Platz. Im Hinblick auf die eingangs erwĂ€hnte „Zauberformel Praxis“ scheint es bedeutsam, dass Wolke in den Daten zur Selbstwirksamkeit keine Hinweise auf den sogenannten, immer wieder diskutierten „Praxisschock“ findet. Die Selbstwirksamkeitserwartungen seien im Zuge der Praxissemester nicht eingebrochen, im Gegenteil, es sei eine „positive VerĂ€nderungstendenz“ (192) feststellbar. Im Praxissemester könne deshalb von einem „Praxisschock [
] – zumindest hinsichtlich der Selbstwirksamkeit – keine Rede sein“ (ebd.).

Wolke schließt ihre Arbeit mit einem kompakten Fazit in Kapitel 7, in dem sie die von ihr erreichten Ziele der Arbeit dokumentiert, Limitationen aufzeigt und Hinweise fĂŒr zukĂŒnftige Forschung gibt. Normativ leitet sie aus ihren Ergebnissen ab, dass es in Praxisphasen um „eine Balance zwischen zuversichtlichem Glauben in die eigenen FĂ€higkeiten einerseits und Offenheit fĂŒr Irritationen andererseits geht“ (199).

Wolke entwickelt in ihrer Arbeit eine sehr klare und aus dem bisherigen Forschungsstand schlĂŒssig abgeleitete Forschungsfrage. Die Unterteilung in vier Teilfragen dient nicht nur der genauen Untersuchung, sondern erleichtert auch fĂŒr Leser:innen die Orientierung. Die Arbeit ist ĂŒber die gelungene sprachliche Gestaltung durchgehend nachvollziehbar zu lesen. Zusammenfassungen und Überleitungen am Ende jedes Kapitels unterstĂŒtzen dabei die Orientierung und Lesbarkeit. Die Ergebnisse der Arbeit können einen sehr wichtigen Beitrag zum Diskurs in der Lehrer:innenbildung leisten, in dem Praxisphasen als ein wesentlicher Bestandteil betrachtet werden, der die Professionalisierung angehender Lehrer:innen ermöglichen und fördern soll.

[1] Schrittesser, I., Malmberg, I., Mateus-Berr, R. & Steger, M. (2019). Zauberformel Praxis. Zu den Möglichkeiten und Grenzen von Praxiserfahrungen in der LehrerInnenbildung. new academic press.
[2] Braunsteiner, M.-L. & Schnider, A. (2020). Mentoring als wesentliche Bedingung fĂŒr ein Professionalisierungskontinuum von Lehrpersonen. In. J. Dammerer, C. Wiesner & E. Windl(Hrsg.), Mentoring im pĂ€dagogischen Kontext. Professionalisierung und Qualifizierung von Lehrpersonen. Wahrnehmen, wie wir bilden (S. 17–25). Studienverlag.
[3] Windl, E. (2020). Mentoring in den PĂ€dagogisch-praktischen Studien – Von der Meisterlehre zum kollaborativen Mentoring. In. J. Dammerer, C. Wiesner & E. Windl (Hrsg.), Mentoring im pĂ€dagogischen Kontext. Professionalisierung und Qualifizierung von Lehrpersonen. Wahrnehmen, wie wir bilden (S. 27–37). Studienverlag.
[4] Haas, E. & Kraler, C. (2020). Mentoring in der Lehramtsausbildung. In E. Christof & J. Köhler (Hrsg.), Mentor*innen – Lehrer*innen zwischen Theorie und Praxis? (S. 18–28). Studienverlag.
[5] Julia Wolke selbst bedient sich beim Begriff der Lehrer-Selbstwirksamkeit keiner geschlechterneutralen Schreibweise (siehe auch im Titel der Arbeit) und begrĂŒndet das damit, dass der Begriff so auch ĂŒberwiegend in der Fachliteratur zu finden ist und demnach ein gĂ€ngiges Kompositum darstellt. Es wurde fĂŒr die Rezension das Wording der Autorin beibehalten. (Anm., AH)
Alexander Hoffelner (Wien)
Zur Zitierweise der Rezension:
Alexander Hoffelner: Rezension von: Wolke, Julia: Lehrer-Selbstwirksamkeit von Studierenden im Praxissemester, Eine quantitative LĂ€ngsschnittstudie zum Einfluss von Unterrichtserfahrungen und Mentoring. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt 2022. In: EWR 22 (2023), Nr. 4 (Veröffentlicht am 20.10.2023), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978378152512.html