EWR 13 (2014), Nr. 2 (MĂ€rz/April)

Ewald Terhart
Erziehungswissenschaft und Lehrerbildung
MĂŒnster: Waxmann 2013
(228 S.; ISBN 978-3-8309-2854-6; 19,80 EUR)
Erziehungswissenschaft und Lehrerbildung Der Sammelband umfasst elf wissenschaftliche Artikel bzw. VortrĂ€ge von Ewald Terhart, die in den Jahren 2007 bis 2012 erstveröffentlicht wurden. Bearbeitet werden darin insbesondere die „Rolle der Erziehungswissenschaft innerhalb der Lehrerbildung“ sowie eine Übersicht ĂŒber Themen, „die innerhalb der bildungswissenschaftlichen Studien angehender Lehrer von Bedeutung sind“ (11). Die BeitrĂ€ge thematisieren die Beziehung von Erziehungswissenschaft und Lehrerbildung, indem sie sich dem VerhĂ€ltnis unterschiedlicher Teilaspekte dieses Feldes widmen: Bildungswissenschaften und Erziehungswissenschaft, Lehren und Lernen, Professionalisierung und Deprofessionalisierung, Berufsbeamtentum und Privatwirtschaft, Reformbereitschaft und Reformresistenz, empirische Unterrichtsforschung und allgemeine Didaktik, Fachdidaktik und Erziehungswissenschaft, Unterrichtsforschung und Erkenntnisanspruch, UniversitĂ€t und Lehrerbildung sowie Wirksamkeit und Gestalt der Lehrerbildung. Dazu werden theoretische Bestimmungen, Zusammenfassungen und Systematisierungen vorgenommen, empirische Forschungsbefunde rezipiert und Entwicklungsprozesse kritisch reflektiert, immer unter Rekurs auf eine dichte Darstellung der jeweiligen Diskurse. EigenstĂ€ndige Theoriebildung oder empirische Forschung wird nicht betrieben – dies ist auch nicht der Anspruch.

Mit den ersten beiden BeitrĂ€gen widmet sich Terhart disziplinĂ€ren und theoretischen Bestimmungen. Der erste Artikel, „‚Bildungswissenschaften‘: Verlegenheitslösung, Sammeldisziplin, Kampfbegriff?“, erörtert drei divergierende VerstĂ€ndnisse des Begriffes Bildungswissenschaften im Kontext des erneuten empirischen Wandels der Erziehungswissenschaft und markiert das Desiderat einer Bestandsaufnahme des institutionellen, intellektuellen, methodischen und personellen Standes und Wandels der Erziehungswissenschaft bzw. der Bildungswissenschaften. Der zweite Aufsatz, „Theorie der Schule: Auf der Suche nach einem Phantom?“, fragt, wie angesichts der Ausdifferenzierung der Wissenschaft noch von einer Theorie der Schule gesprochen werden kann und lokalisiert einen gangbaren Weg in der kulturtheoretischen Betrachtung von Schule.

Es folgen Texte zum beruflichen Profil des Lehramts, zur Qualifikation fĂŒr den Lehrerberuf, zum Lehrpersonal und zur Schulentwicklung. Im dritten Beitrag, „Lehranstalt und Lernwerkstatt zugleich? Anforderungen an das Bildungsprofil von Schule heute“, prĂ€feriert Terhart, im Zuge der Schulreform und Schulkritik die Lehranstalt nicht durch die Lernwerkstatt zu ersetzen, sondern die Lehranstalt zugleich auch als Lernwerkstatt zu verstehen. Der vierte Text, „ProfessionalitĂ€t im Lehrerberuf: Wandel der Begrifflichkeit – Neue Steuerung als Herausforderung“, zeigt die Entwicklung hin zu einem pragmatischen und kontextgebundenen VerstĂ€ndnis von ProfessionalitĂ€t auf, samt dessen Konsequenzen fĂŒr die reformorientierte und evidenzbasierte Bildungssteuerung. Ein fĂŒnfter Beitrag, „Auf den Lehrer kommt es an: Personalauswahl, Personaleinsatz und Personalentwicklung an Schulen“, erörtert die Differenz öffentlicher und privatwirtschaftlicher Personalpolitik sowie die daraus resultierenden Möglichkeiten und Grenzen fĂŒr die Lehrerbildung, -einstellung oder -beurteilung als Aspekte der Entwicklung von Schulen. Es formiert sich „Widerstand von Lehrern gegen Schulreformen: Zwischen Kooperation und Obstruktion“, so der Titel des sechsten Aufsatzes, der die Probleme datenbasierter Schulreform und deren Akzeptanz sowie Perspektiven herausarbeitet.

Im Weiteren werden das VerhĂ€ltnis der allgemeinen Didaktik zur Unterrichtsforschung einerseits und zur Fachdidaktik andererseits sowie das Potenzial und die Grenzen der Unterrichtsforschung diskutiert. Der siebte Beitrag, „Guter Unterricht: Die Perspektiven empirischer Unterrichtsforschung und allgemeiner Didaktik“, rekurriert auf die Unterscheidung von normativ gutem und datenbasiert effektivem Unterricht, die sich ĂŒber das VerhĂ€ltnis von allgemeiner Didaktik und empirischer Unterrichtsforschung nachvollziehen lĂ€sst, und mĂŒndet in der Darstellung von Verbindendem und Trennendem. „Fachdidaktik aus Sicht der Erziehungswissenschaft: Probleme, Bedingungen, Perspektiven“ lautet der Titel des achten Beitrags, der das VerhĂ€ltnis der Fachdidaktiken als zunehmend forschende Disziplinen einerseits und der Erziehungswissenschaft, der allgemeinen Didaktik und der Bildungstheorie andererseits bestimmt. Im neunten Text, „Hat John Hattie tatsĂ€chlich den Heiligen Gral der Schul- und Unterrichtsforschung gefunden?“, setzt sich Terhart kritisch mit John Hatties Meta-Meta-Studie zu erfolgreichem Lernen („Visible Learning“) auseinander und markiert die Grenzen des Potenzials empirischer Bildungsforschung fĂŒr die Gestaltung von Lehrerbildung und Schule.

Abschließend wird das VerhĂ€ltnis von UniversitĂ€t und Lehrerbildung sowie die Wirksamkeit der Lehrerbildung als universitĂ€r-institutionelle Maßnahme thematisiert. „UniversitĂ€t und Lehrerbildung: Perspektiven einer Partnerschaft“ werden im zehnten Beitrag mit Blick auf Strukturen und Inhalte, Erstaus- und Weiterbildung sowie Forschung und Lehre entfaltet. Abschließend wird elftens in „Wie wirkt Lehrerbildung? Forschungsprobleme und Gestaltungsfragen“ die Problematik einer Erfassung nachweislicher Wirkungen von Lehrerbildung ĂŒber Lehrerkompetenzen und Lehrerhandeln bis hin zum SchĂŒlerlernen aufgezeigt, besonders mit Blick auf die bildungswissenschaftlichen Ausbildungsbestandteile.
Trotz der inhaltlichen Breite der BeitrĂ€ge, deren enormer Dichte und deren unterschiedlichem Duktus (Fachartikel und Vortragsmanuskripte), fĂŒgen sich diese in ein stimmiges Gesamtbild. Dass alle Texte in alleiniger Autorenschaft abgefasst wurden, stĂ€rkt ihren argumentativen Zusammenhalt merklich. Die aus dem wesentlich grĂ¶ĂŸeren Fundus an jĂŒngeren Texten des Autors mit Bedacht ausgewĂ€hlten und in der Abfolge schlĂŒssig zusammengestellten BeitrĂ€ge lesen sich in der Summe beinahe wie ein kleines Lehrbuch zur EinfĂŒhrung in die SchulpĂ€dagogik fĂŒr Lehramtsstudierende – wohl mit Schwerpunktsetzungen, aber doch unter BerĂŒcksichtigung der zentralen schulpĂ€dagogischen Themenfelder (disziplinĂ€res SelbstverstĂ€ndnis, Schultheorie, Gestaltungsformen von Schule, ProfessionalitĂ€t, Lehrpersonal, Schulentwicklung, allgemeine Didaktik vs. Fachdidaktik und empirische Unterrichtsforschung sowie – explizit wie implizit – Lehrerbildung). Die LektĂŒre lĂ€sst den Wunsch nach einer monografischen „großen SchulpĂ€dagogik“ von Ewald Terhart entstehen. Ein solches Vorhaben wĂ€re allerdings mit der schwierigen Aufgabe konfrontiert, eine schulpĂ€dagogische Systematik ĂŒber die einzelnen Themenfelder hinweg zu entwickeln. Dieses Unterfangen ist mit Blick auf die disziplinĂ€re Zukunft der SchulpĂ€dagogik dringend geboten: Der Band zeigt, dass sich die Lehrerbildung als Ausgangspunkt und BezugsgrĂ¶ĂŸe fĂŒr eine solche Systematik anbietet.

Der Anspruch, sich mit dem Band an einen breiten Leserkreis aus Lehramtsstudierenden, Lehrpersonal, Dozierenden in der Lehrerbildung, Bildungsforschern, Vertretern von LehrerverbÀnden und der Bildungsadministration sowie interessierten Eltern zu wenden, ist realistisch. Die Texte sind allesamt gut lesbar und von exzellenter sprachlicher QualitÀt.
Colin Cramer (TĂŒbingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Colin Cramer: Rezension von: Terhart, Ewald: Erziehungswissenschaft und Lehrerbildung. MĂŒnster: Waxmann 2013. In: EWR 13 (2014), Nr. 2 (Veröffentlicht am 26.03.2014), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978383092854.html