EWR 22 (2023), Nr. 2 (April)

Gero Bauer, Maria Kechaja, Sebastian Engelmann, Lean Haug (Hrsg.)
Diskriminierung und Antidiskriminierung
Beiträge aus Wissenschaft und Praxis
Bielefeld: transcript 2021
(280 S.; ISBN 978-3-8376-5081-5; 35,00 EUR)
Diskriminierung und Antidiskriminierung Die Herausgeber:innen des oben genannten Sammelbandes Gero Bauer, Maria Kechaja, Sebastian Engelmann und Lean Haug stellen sich die Frage, welchen Beitrag wissenschaftliche Forschung zu und pädagogisches Engagement gegen Diskriminierung leisten können, um gesellschaftliche Umbrüche zu bewirken (14). Die Auseinandersetzung mit Diskriminierung in diesem Band soll sich laut der Herausgeber:innen nicht mit dem Aufzeigen der gesellschaftlichen Verankerung von Diskriminierungsstrukturen begnügen, „sondern muss weiter voranschreiten, um sich mit Bedingungen, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten von Antidiskriminierung zu befassen“ (9). Bauer et al. verweisen in der Einleitung auf eine ambivalente gesellschaftliche Perspektive auf Diskriminierung, in der einerseits Diskriminierung anerkannt und bekämpft, aber andererseits ein mangelndes Bewusstsein für das Vorliegen realer Diskriminierungserfahrungen vorliegt (7). Neben der gesellschaftlichen Ebene monieren die Herausgeber:innen auch ein Desiderat in den bisherigen wissenschaftlichen Definitionen von (Anti-)Diskriminierung.

In diesem Band soll daher der Dialog zwischen wissenschaftlich fundierter Begriffsarbeit und Antidiskirminierungsarbeit initiiert (8) und dadurch eine Basis für ein umfassenderes Verständnis von (Anti-) Diskriminierung hergestellt werden.

Der Sammelband ist in drei Hauptabschnitte gegliedert: Im ersten Hauptabschnitt wird sowohl aus pädagogisch-praktischer wie auch gesellschaftsanalytischer Perspektive der allgemeine Begriff der (Anti-) Diskriminierung betrachtet. Der zweite Hauptabschnitt widmet sich den Räumen der Diskriminierung, während der dritte spezifische Diskriminierungsdimensionen fokussiert.

Im ersten Fachbeitrag geben Lean Haug, Borghild Strähle und Maria Kechaja einen Überblick über die Praxis der Antidiskriminierungsarbeit bei adis e.V., einem Träger der Antidiskriminierungsberatung und zeigen vor allem, wie dort Beratung und Empowerment miteinander verknüpft werden. Sie explizieren zentrale Beratungsgrundsätze von adis, zum Beispiel die Anerkennung struktureller Elemente in jeder Diskriminierungserfahrung. Damit verbunden ist die Inblicknahme sowohl der politischen Ebene (25) als auch der Perspektive des Empowerments der Beratenen (29f.). Es gelingt den Autor:innen über diesen exemplarischen, ihre Institution reflektierenden Zugang nur bedingt, dem Anspruch eines allgemeinen Beitrags zu Antidiskriminierung gerecht zu werden. Die zentrale Fragestellung geht eher von der Suche nach Möglichkeiten der Verknüpfung von Beratung und Empowerment aus. Obwohl diese zweifelsohne lesenswert ist, könnte sie besser an anderer Stelle im Sammelband positioniert werden.

Im Anschluss daran folgt ein Beitrag von Albert Scherr zur Betrachtung von Diskriminierung und Diskriminierungskritik, in dem der Autor den Begriff der Diskriminierung von persönlichen Kränkungen abgrenzt, somit schärft (44), verschiedene institutionelle Strukturen von Diskriminierung beleuchtet und die gesellschaftliche Funktion von Diskriminierung, insbesondere im Nationalstaat, verdeutlicht (50-54). Im Sinne einer Betrachtung vom Allgemeinen zum Spezifischen hätte ein solch grundlegender Beitrag auch sinnvoll an den Anfang des Hauptabschnitts gestellt werden können.

Es schließt sich der Beitrag von Maria Kejaja und Andreas Foitzik an, in dem, ebenfalls stark aus der Praxis der Antidiskriminierungsarbeit argumentierend, am Beispiel von Rassimus ein Diskriminierungsbegriff entwickelt und zur Diskussion gestellt wird (60). Die Konzeption des Diskriminierungsbegriffs speist sich aus der Analyse basaler Strukturen, Funktionsweisen und Mechanismen von Diskriminierung, die anhand von gängigen Beispielen verdeutlicht werden (69-73).

In Hauptabschnitt zwei werden Räume der (Anti-)Diskriminierung betrachtet, beginnend mit der universitären Ebene. Rebecca Hahn, Anya Heise-von der Lippe und Nicole Hirschfelder analysieren dem Universitätssystem immanente Diskriminierungen von Frauen* und entwickeln Strategien zum Abbau sexistischer Strukturen. Ebenfalls auf Hochschulebene bemängelt Nathalie Schlenzka im Gespräch mit Andreas Foitzik die bisher unzureichende Institutionalisierung von Beschwerdestellen und fordert die gleichzeitige Implementierung von Beratungsangeboten, die für Betroffene nachhaltiger wirken würden. Sebastian Engelmann und Gero Bauer erörtern in ihrem Beitrag (Un-)Möglichkeiten einer queeren Hochschuldidaktik, welche eine Leerstelle in der Antidiskriminierungspraxis bilden. Die lesenswerten Überlegungen zur Konzeption einer queeren Hochschuldidaktik verbleiben jedoch auf einem eher abstrakten Niveau.

Der Diskriminierung durch KI widmet sich der Beitrag von Jessica Heesen, Karoline Reinhardt und Laura Schelenz, in dem gehaltvolle Perspektiven fĂĽr eine demokratische digitale Gesellschaft entwickelt werden. Ebenfalls diesen Kontext fokussiert der Beitrag von Renate Baumgartner im Bereich der Medizin und den Potenzialen einer achtsamen Entwicklung und Implementierung von KI, die Diskriminierungen nicht perpetuiert.

Es schließt sich die Betrachtung von Diskriminierung in der Kirche an, ein Bereich, der nicht häufig in ähnlich angelegten Sammelbänden betrachtet wird: Michael Schüßler betrachtet (Un-)Doing Gender in der katholischen Kirche im Spannungsfeld zur katholischen Identitätspolitik (17, 167) und diskutiert als Lösung eine lesenswerte theologische Dekonstruktion des katholischen Genderregimes an (173). Der zweite Beitrag mit thematischem Bezug zur Kirche kann in Analogie zum jüngsten Beschluss der katholischen Synodalversammlung gelesen werden, in der eine Empfehlung zur eheäquivalenten Segnung homosexueller Paare erteilt wurde. Solch im ersten Moment progressiv anmutende Reformschritte ordnet Birgit Weyel in ihrem Artikel zur Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare in der evangelischen Kirche kritisch ein, indem sie zeigt, wie solche Entwicklungen Diskriminierungen gleichsam perpetuieren.

Der dritte Hauptabschnitt versammelt unter der Klammer „Dimensionen der (Anti-) Diskriminierung“ Beiträge zu spezifischen Diskriminierungsformen. Ozan Zakariya Keskinkılıç und Armin Langer analysieren das Gegeneinanderausspielen von Vorwürfen des Antisemitismus und antimuslimischem Rassimus und plädieren für die Notwendigkeit jüdisch-muslimischer Allianzen. Marie Günther legt in einem Interview mit Barbara Stauber die Realitäten von trans* Personen dar und reflektiert treffend über die gesamtgesellschaftliche Verantwortungsübernahme zur Veränderung ihrer Realitäten. Es folgt ein Beitrag von Petra Flieger und Volker Schönwiese, die sich dem Thema Ableismus mit dem Fokus des Abbaus von Barrieren aller Art zur Realisierung einer inklusiven Gesellschaft widmen. Teresa Ceran blickt im Gespräch mit Maria Kejaja auf Folgen von Rassimuserfahrungen und appelliert an die soziale Arbeit, die mögliche Traumatisierung durch Rassismus mitzudenken. Das Kapitel schließt mit Lena Hezels Beitrag, in dem sie anhand kapitalistischer Strukturen argumentiert, dass Armut eine intendierte Folge von Klassismus sei.

Das Buch richtet sich explizit an Leser:innen, die an praktischer Antidiskriminierungsarbeit interessiert sind. Dieser Adressierung wird auch die Struktur der Beiträge gerecht, die neben theoretischen Analysen und Diagnosen auch (fast) immer konkrete Handlungsempfehlungen formulieren. Als Fazit ist festzuhalten, dass der Sammelband durch eine hohe Varianz an Perspektiven, Textsorten aber auch Anforderungen an die Leser:innen gekennzeichnet ist. So gibt es neben einführenden Grundlagentexten auch Beiträge, die beispielsweise Kenntnisse zentraler Begrifflichkeiten voraussetzen.

Den Herausgeber:innen gelingt jedoch eine vielfältige Zusammenstellung von Beiträgen zu möglichen gesellschaftlichen Diskriminierungsformen, der den eingangs formulieren Anspruch zur Anbahnung eines Dialogs zwischen Antidiskriminierungspraxis und Wissenschaft sowie zur Anbahnung und Gestaltung von Veränderungsprozessen einhält.
Theresa Bechtel (Hannover)
Zur Zitierweise der Rezension:
Theresa Bechtel: Rezension von: Haug, Gero Bauer, Maria Kechaja, Sebastian Engelmann, Lean (Hg.): Diskriminierung und Antidiskriminierung, Beiträge aus Wissenschaft und Praxis. Bielefeld: transcript 2021. In: EWR 22 (2023), Nr. 2 (Veröffentlicht am 18.04.2023), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978383765081.html