EWR 11 (2012), Nr. 2 (MĂ€rz/April)

Maurer, Markus
Skill Formation Regimes in South Asia
A Comparative Study on the Path-Dependent Development of Technical and Vocational Education and Training for the Garment Industry
(Komparatistische Bibliothek; Bd. 21)
Frankfurt am Main: Peter Lang 2011
(449 S.; ISBN Skill Formation Regi; 71,40 EUR)
Skill Formation Regimes in South Asia Markus Maurer prÀsentiert die Ergebnisse seiner Forschung zur Entwicklung der beruflichen Bildungs- und Ausbildungssysteme der Bekleidungsindustrie in Sri Lanka und Bangladesch.

Ausgangspunkt von Maurers Arbeit ist das verbreitet geĂ€ußerte Postulat, dass auch EntwicklungslĂ€nder in Zeiten der Wissensgesellschaft und der Globalisierung ihre Bevölkerung zunehmend mit höheren Kompetenzen („higher skills“) ausstatten mĂŒssen, um wirtschaftlich wettbewerbsfĂ€hig zu bleiben. Unterschiedliche Konzepte hierfĂŒr wurden von den verschiedenen einflussreichen Akteuren wie Weltbank, ILO, IMF oder OECD angeboten, leiden laut Maurer aber darunter, dass die entsprechenden Modelle zur Analyse der Entwicklung von Ausbildungsregimes entweder eng auf eine Kosten-Nutzenanalyse fokussieren, oder aber den Staat als starke, koordinierende Kraft voraussetzen. Genau letzteres fehle aber in den meisten EntwicklungslĂ€ndern. Studien ĂŒber die Wirksamkeit realistischer Strategien fĂŒr „High Skills“ sind rar, und Maurer möchte mit seiner Arbeit zum VerstĂ€ndnis solcher Entwicklungsprozesse und der sie prĂ€genden EinflĂŒsse beitragen.

Sein Untersuchungsdesign entwickelt Maurer ausgehend von der zentralen Fragestellung, inwieweit existierende ErklĂ€rungsmodelle real erfolgte Entwicklungen tatsĂ€chlich wiedergeben können. Als Ausgangspunkt fĂŒr die Methodenentwicklung verwendet er das von Ashton, Sung und Turbin im Jahr 2000 veröffentlichte Entwicklungsmodell in seiner spezifischen AusprĂ€gung fĂŒr EntwicklungslĂ€nder, da es in seinen Augen das bislang am weitesten entwickelte theoretische Modell ĂŒberhaupt darstellt. Das Modell wurde zum lĂ€nderĂŒbergreifenden Vergleich von Aus- und Weiterbildungssystemen konzipiert und fokussiert vor allem die Rolle des Staates bei der Gestaltung dieser Systeme in EntwicklungslĂ€ndern. Der Autor analysiert aber auch die BeitrĂ€ge anderer relevanter Denkschulen, um zu einem tragbaren Untersuchungsdesign zu kommen.

Dieses Untersuchungsdesign, entwickelt im ersten Teil des Buches im Anschluss an eine komprimierte Darstellung der Analyse existierender Literatur, verweist auf die Schule der historischen politischen Analyse, kombiniert mit AnsÀtzen der vergleichenden Bildungsforschung. Hervorragendes Anliegen Maurers ist es dabei, ein Instrumentarium bereit zu stellen, das es erlaubt, die zeitliche PfadabhÀngigkeit der Entwicklungen transparent zu machen.
Das Objekt seiner Analysen ist die Entwicklung der Qualifizierungssysteme in der Bekleidungsindustrie in Sri Lanka und Bangladesch sowie deren Vergleich. Um den Untersuchungsbereich zu definieren, wird in Anlehnung an den Titel des vorgestellten Buches praktisch ausschließlich der Begriff „Skill Formation Regime“ benutzt. Skill Formation Regime, ins Deutsche wohl am besten zu ĂŒbersetzen mit Qualifizierungsregime, um mit der Verwendung des Begriffs „Regime“ die engere Konnotation des Begriffs System zu vermeiden, umfasst so sĂ€mtliche Maßnahmen und AktivitĂ€ten, die dazu beitragen die entsprechende Industrie mit qualifiziertem Personal zu versorgen. Dies reicht dann von kurzzeitigen Trainingsmaßnahmen bis hin zur höheren Bildung auf akademischem Niveau sowie von öffentlichen Bildungsangeboten ĂŒber Angebote privater Bildungsanbieter bis hin zu von den Arbeitgebern organisiertem oder eben auch nicht organisiertem Lernen im Prozess der Arbeit.

Die Bekleidungsindustrie sowie die beiden Staaten Sri Lanka und Bangladesh wurden wegen der herausgehobenen Bedeutung dieses Wirtschaftszweigs fĂŒr die Entwicklung der Exportwirtschaft beider Staaten sowie beider kolonialer Vergangenheit unter britischer Herrschaft ausgewĂ€hlt. FĂŒr das Untersuchungsdesign unterscheidet Maurer „out-of-firm“ und „in-firm“ Skill Formation Regimes sowie die sie tragenden Institutionen, von individuellen Firmen oder Trainingseinrichtungen bis hin zu nationalen, ordnungspolitischen KrĂ€ften. Er stellt sie den entsprechenden Produktionsregimes gegenĂŒber und klassifiziert die Akteure, die die jeweiligen Regimes beeinflussen. Auf diese Weise ergibt sich ein umfassendes Analyseraster.

Ein kurzer zweiter Teil des Buchs gibt einen Überblick ĂŒber die Entwicklung des globalen Textilhandels bis zum zweiten Weltkrieg sowie ĂŒber die Entwicklung des globalen Bekleidungshandels vom zweiten Weltkrieg bis 1995 und danach. Letztere Phase war durch die EinfĂŒhrung von Handelsquoten und die nachfolgende gleitende Abschaffung des Quotensystems charakterisiert.

Darauf folgen in den Teilen drei und vier unabhÀngig voneinander aber mit gleicher Struktur die Beschreibungen der Entwicklung der Qualifizierungsregime und der sie beeinflussenden Faktoren und Ereignisse in sehr detaillierter Weise entlang des vorher entwickelten Analyserasters auf jeweils etwa 130 Seiten.
FĂŒr diese Teile weist Maurer darauf hin, dass die Quellenlage bezĂŒglich zeitgenössischer gedruckter oder anderweitig archivierter Dokumente in beiden LĂ€ndern weitgehend desolat ist, da praktisch keine Langzeitarchivierungssysteme existierten, weder bei den infrage kommenden, nationalen Institutionen, noch bei den vielfach involvierten bi- und multinationalen Geberinstitutionen. Ein Großteil der dargestellten Informationen stammt daher aus einer betrĂ€chtlichen Anzahl von Interviews vor Ort, die in den Jahren 2006 und 2008 durchgefĂŒhrt wurden.

Es gelingt dem Autor, anhand dieser empirischen Befunde die Entwicklungen in den beiden LÀndern entlang seines Forschungsdesigns strukturiert zu beschreiben. Ausgehend von den VerÀnderungen in Politik und Verwaltung sowie den allgemeinen Entwicklungen in den Qualifizierungssystemen analysiert er zunÀchst die jeweiligen Produktionsregime der Bekleidungsindustrie, bevor er sich den industriespezifischen Qualifizierungsregimen widmet, unterteilt in firmeninterne und firmenexterne Qualifizierung, ohne dabei ihre Querverbindungen zu vernachlÀssigen. Die Strukturierung entsprechend des zeitlichen Ablaufs zeigt, wie sich in den unterschiedlichen Phasen externe Faktoren, wie der sich Àndernde globale Handelsmarkt und die AktivitÀten der sich zu unterschiedlichen Zeiten herausbildenden Akteursnetzwerke, auf die Entwicklungen auswirken.
Es ist genau dieser Teil, der das Buch lesenswert macht mit seinen detaillierten Einblicken darin, wie die AktivitĂ€ten politischer, institutioneller und individueller Akteure im Kontext der sich Ă€ndernden lokalen und globalen Rahmenbedingungen Entwicklungen beeinflusst haben. Der Text zeigt, dass Maurer die dargestellten Informationen sorgfĂ€ltig ausgewĂ€hlt und soweit wie möglich mit archivierten Quellen abgeglichen hat. Allerdings fehlt eine ausfĂŒhrliche Diskussion der QualitĂ€t der Interviewquellen, so dass es zu bedenken gilt, dass sich Tatsachen im Laufe der Zeit in der Erinnerung von Zeitzeugen verĂ€ndern können. Dies tut der Spannung der LektĂŒre aber keinen Abbruch.

Im letzten Teil des Bandes stellt Maurer die Entwicklungen in den beiden LĂ€ndern relativ komprimiert gegenĂŒber und zeigt, dass es trotz teilweise Ă€hnlicher VerĂ€nderungen in den beiden LĂ€ndern auch markante Unterschiede gibt. Diese rĂŒhren hauptsĂ€chlich daher, dass sich bestimmte Akteursstrukturen zu unterschiedlichen Zeiten herausgebildet haben und diese Strukturen damit auch auf unterschiedliche Rahmenbedingungen stießen, unter deren Einfluss die Akteure unterschiedlich handelten, was eben nicht zu einer weitgehenden Konvergenz der Qualifizierungssysteme der beiden Staaten fĂŒhrte. Insofern gelingt es Maurer, sein Ziel zu erreichen, nĂ€mlich nachzuweisen, dass historische Trajektorien wesentlich auf die zu einem bestimmten Zeitpunkt anzutreffende Gestalt eines nationalen, branchenspezifischen Qualifizierungssystems wirken.

Beim Studium des Werkes mag sich der mit SĂŒdost-Asien vertraute Leser unwillkĂŒrlich fragen, wieso Maurer auf die Betrachtung des Einflusses charismatischer Figuren weitgehend verzichtet. Die BerĂŒcksichtigung prĂ€gender Individuen ist auch in Maurers Untersuchungsdesign vorgesehen. Im Falle der Betrachtung von Malaysia oder Indonesien wĂ€re dies wahrscheinlich erforderlich gewesen, haben doch der langjĂ€hrige malaysische Premierminister Mohammed Mahatir wie auch der die indonesischen Geschicke jahrzehntelang prĂ€gende General Suharto die Geschichte in diesen LĂ€ndern wesentlich geprĂ€gt. FĂŒr die FĂ€lle von Sri Lanka und Bangladesh mag der Verzicht auf solche Betrachtungen aufgrund des Fehlens ausgeprĂ€gter Figuren gerechtfertigt sein.

Hilfreich fĂŒr den Leser wĂ€re es gewesen, wenn der Vergleich der beiden LĂ€nder mittels strukturierter Übersichten in Form von Tabellen oder Grafiken dargestellt worden wĂ€re. Dies hĂ€tte es leichter gemacht, wĂ€hrend der LektĂŒre der Darstellungen zum zweiten Land die entsprechenden Entwicklungen im ersten Land ins GedĂ€chtnis zurĂŒck zu rufen. Hilfreich fĂŒr die wissenschaftliche Arbeit mit dem Text wĂ€re es bestimmt auch gewesen, wenn die ausschließlich in den Fußnoten gegebenen Literaturangaben auch in einem Literaturverzeichnis zusammengefasst worden wĂ€ren. Möglicherweise entspricht dieser Aspekt aber auch nur dem Geschmack des Rezensenten.

Alles in allem muss dieses Werk aber uneingeschrĂ€nkt als LektĂŒre empfohlen werden, und zwar wegen der umfĂ€nglichen Verweise auf die Literatur zur Entwicklung von Bildungssystemen fĂŒr denjenigen, der sich mit dieser Problematik zu beschĂ€ftigen gedenkt, sowie auch wegen der ausfĂŒhrlichen Darstellung der komplexen EntwicklungszusammenhĂ€nge fĂŒr denjenigen, der schon immer an der GĂŒltigkeit relativ simplizistischer Modelle der sozio-ökonomischen Entwicklung von Bildungs- und Qualifizierungssystem gezweifelt hat und seine Ansicht bestĂ€tigt sehen möchte, oder aber eine gut dokumentierte BestĂ€tigung fĂŒr diese Zweifel sucht.
Joachim Dittrich (Bandung, Indonesien)
Zur Zitierweise der Rezension:
Joachim Dittrich: Rezension von: Markus, Maurer,: Skill Formation Regimes in South Asia, A Comparative Study on the Path-Dependent Development of Technical and Vocational Education and Training for the Garment Industry (Komparatistische Bibliothek; Bd. 21). Frankfurt am Main: Peter Lang 2011. In: EWR 11 (2012), Nr. 2 (Veröffentlicht am 10.04.2012), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/ueberblick2003-8.html