EWR 13 (2014), Nr. 1 (Januar/Februar)

Claudia Gassmann
Erlebte Aufgabenschwierigkeit bei der Unterrichtsplanung
Eine qualitativ-inhaltsanalytische Studie zu den Praktikumsphasen der universitÀren Lehrerbildung
Wiesbaden: Springer VS 2013
(508 S.; ISBN 978-1234-567-8; 59,95 EUR)
Erlebte Aufgabenschwierigkeit bei der Unterrichtsplanung Der rezensierte Band wurde vom Fachbereich Erziehungs- und Sozialwissenschaften der UniversitĂ€t Hildesheim im Jahr 2012 als Dissertation angenommen. Er thematisiert die von Lehramtsstudierenden im Schulpraktikum erlebte Aufgabenschwierigkeit bei der Unterrichtsplanung. Anliegen der Arbeit ist es, das „reale Planungsverhalten“ zu untersuchen: „PrimĂ€r durch die Konzentration auf die ‚Akteursperspektive‘ sollen individuelle studentische Schwierigkeiten mit der Unterrichtsplanung aufgedeckt werden, um BegrĂŒndungen fĂŒr den derzeit eher als defizitĂ€r beklagten ‚Outcome‘ universitĂ€rer Praxisphasen zu finden“ (27). Die Untersuchung ist im Schnittfeld von Allgemeiner Didaktik und Lehrerbildungsforschung angesiedelt. AusfĂŒhrlichen theoretischen Überlegungen zur Lehrerbildung folgt eine Studie mit Lehramtsstudierenden, die inhaltsanalytisch ausgewertet wird.

Die Arbeit enthĂ€lt 21 Abbildungen und 25 Tabellen, eine gut strukturierte Gliederung und eine knappe Übersicht ĂŒber die Kapitelinhalte im einleitenden Kommentar. Die theoretischen Kapitel enden mit einer Zusammenfassung. ZunĂ€chst werden Konzeptionen der Lehrerbildung und Überlegungen zu deren Wirksamkeit ausgefĂŒhrt (Kapitel 1) und AnsĂ€tze zur Modellierung professioneller Kompetenz von LehrkrĂ€ften referiert (Kapitel 2). LehrplĂ€ne, Curricula und Didaktische Modelle werden als theoretisches Fundament der Unterrichtsplanung entfaltet (Kapitel 3). Planungsbasierte UnterrichtsdurchfĂŒhrung sowie Formen der Analyse und Reflexion dieses Unterrichts werden angesprochen (Kapitel 4). Dann werden die Praxisphasen des Hildesheimer schulpraktischen Modells vorgestellt (Kapitel 5). Forschungsfragen werden abgeleitet (Kapitel 6) und die Methodik der Studie wird vorgestellt (Kapitel 7). Die Ergebnisse der Studie (Analyse und Interpretation) werden ausfĂŒhrlich dargelegt (Kapitel 8), zusammengefasst, diskutiert und ein Ausblick wird gegeben (Kapitel 9). Ein Anhang dokumentiert synoptisch wichtige Studien, auf die rekurriert wird sowie InterviewleitfĂ€den und Kriterienraster, die der Datenauswertung zugrunde liegen.

Die theoretischen AusfĂŒhrungen sind sprachlich konzise abgefasst und berĂŒcksichtigen wesentliche AnsĂ€tze des Diskurses. So lesen sich diese Kapitel wie eine gelungene EinfĂŒhrung in die jeweiligen Themenfelder, ohne dass aber explizit deutlich wird, warum gerade diese Aspekte der Lehrerbildung und Allgemeinen Didaktik fĂŒr die sich anschließende empirische Studie von zentraler Bedeutung sind. Die Autorin konstatiert, die Fragestellungen des empirischen Teils wĂŒrden sich „unmittelbar aus den bisherigen theoretischen AusfĂŒhrungen“ (179) ergeben. Eine solche Ableitung gelingt hinsichtlich der AusfĂŒhrungen zu LehrplĂ€nen, didaktischen Modellen, Unterrichtsplanung und der Hildesheimer Situation gut. Inwieweit allerdings die Abschnitte zur Struktur der Lehrerbildung und zum ProfessionalitĂ€tsdiskurs fĂŒr die Formulierung der Forschungsfragen relevant sind, bleibt weitgehend offen.

Vier zentrale Forschungsfragen werden verkĂŒrzt wie folgt formuliert: (1) Welche didaktischen Modelle stehen fĂŒr die Unterrichtsplanung im Praktikum zur VerfĂŒgung und in welcher Differenziertheit werden diese erarbeitet? (2) In welchem Maße orientieren sich die Studierenden bei der schriftlichen Unterrichtsplanung an diesen Modellen? (3) Welche Schwierigkeiten sind mit den im Praktikum abverlangten Planungs-, DurchfĂŒhrungs- und Analyseaufgaben verbunden und warum gelten bestimmte Aufgaben als schwierig? (4) Lassen sich bezĂŒglich unterrichtspraktischer Elemente LernzuwĂ€chse nachweisen, werden diese von Studierenden wahrgenommen und auf welche Lerngelegenheiten fĂŒhren sie diese zurĂŒck?

Die Autorin weist auf das auch persönliche Erkenntnisinteresse hin, das sich mit den Forschungsfragen verbindet, z.B. ausgehend von der Beobachtung, dass „die Bewertung von Studierendenleistungen (z.B. anhand von Notenskalen) hinsichtlich des Erprobungscharakters kontraproduktiv erscheint“ und „zunehmend das Interesse [erwuchs], [...] die praktikumsbezogene Vor- und Nachbereitung zu optimieren“ (183). Das SpannungsverhĂ€ltnis von wissenschaftlichem und persönlichem Erkenntnisinteresse wird in der Arbeit diskutiert und die Autorin stellt fest, dass „nicht von allzu starken Subjektivierungen auszugehen ist“ (184). Damit kann weder der Eindruck ausgerĂ€umt werden, dass die formulierten Forschungsfragen nicht allesamt konsequent aus den theoretischen Kapiteln abgeleitet werden, noch wird das in der Arbeit referierte Desiderat einer standortunabhĂ€ngigen Lehrerbildungsforschung aufgenommen. An dieser Stelle wĂ€re eine stĂ€rkere Fokussierung auf die genuine Leistung qualitativer Forschung (z.B. zur ErgrĂŒndung einer Tiefendimension) naheliegend gewesen, die keiner Rechtfertigung einer (Nicht-)Generalisierbarkeit bedarf.

FĂŒr die Studie wurden N=25 Studierende aus dem ersten studienbegleitenden Blockpraktikum, das im Anschluss an das zweite Semester erfolgt, gewonnen. Untersucht wurden die schriftlichen Unterrichtsplanungen (‚didaktische Akten‘) der Studierenden mittels schwierigkeitsgenerierender Merkmale, zusĂ€tzlich wurden die Studierenden zu beiden Erhebungszeitpunkten (im Praktikum und knapp vier Monate spĂ€ter) jeweils leitfadengestĂŒtzt mit Blick auf die Ergebnisse der Aktenauswertungen interviewt, um mögliche BegrĂŒndungen fĂŒr die Befunde zu identifizieren.

Die quantitative Auswahllogik (Ex-post-facto-Anordnung) fĂŒhrt zu einer Gelegenheitsstichprobe. Das zentrale eingesetzte Verfahren versteht die Autorin als „quantitative [!] Inhaltsanalyse“, mit der „im Zuge statistischer Auswertung quantifizierende Deskriptionen und begrenzt auch Testungen auf signifikante Unterschiede zwischen den beiden Messzeitpunkten möglich waren“ (190f). Die angewandte Methode der ursprĂŒnglich ‚qualitativen Inhaltsanalyse‘ (Mayring) wird zugleich als interpretatives und quantifizierendes Verfahren beschrieben (191). Warum diesen AusfĂŒhrungen zufolge im Titel von einer qualitativ-inhaltsanalytischen Studie die Rede ist, bleibt offen. Die Konstruktion der InterviewleitfĂ€den, DurchfĂŒhrung und Transkription der Interviews, Kategorienbildung sowie Kodierung mittels Software werden detailliert begrĂŒndet, beschrieben und die damit verbundenen Arbeitsschritte nachvollziehbar dokumentiert.

Angesichts der kleinen Stichprobe sowie der Notwendigkeit einer Kodierung des zunĂ€chst qualitativen Datenmaterials mittels interpretativer Verfahren erscheint es fragwĂŒrdig, ob mit den Daten tatsĂ€chlich ein Wirkungsnachweis gefĂŒhrt werden kann. Weil das Verfahren letztlich quantitativ verortet wird, mĂŒsste sich eine Intervention im Forschungsdesign fassen lassen. Eine Kontrollgruppe gibt es aber nicht (188). Es werden Probleme angerissen, die sich aus dem Vergleich von Mittelwerten zwischen zwei Erhebungszeitpunkten ergeben können (203), zentrale Herausforderungen der Panel-Analyse (z.B. VerhĂ€ltnis der Varianz zwischen und innerhalb der Personen) bleiben unberĂŒcksichtigt.

Bei der Ergebnisdarstellung werden die mit der kleinen Stichprobe einhergehenden Probleme der statistischen Auswertung jeweils aufgegriffen und es wird mit methodisch adĂ€quaten Auswertungsverfahren darauf reagiert (z.B. 226). Die in Kreuztabellen mittels Chi-Quadrat-Tests auf Signifikanz geprĂŒften hĂ€ufigkeitsbezogenen Verteilungen der Merkmale zu beiden Erhebungszeitpunkten erlauben allerdings keine Aussagen ĂŒber personenbezogene VerĂ€nderungen der MerkmalsausprĂ€gungen, weil die Daten aus beiden Erhebungen mit diesem Verfahren nicht fallweise gematcht werden. Sollen gehaltvollere Aussagen ĂŒber VerĂ€nderungen getroffen werden, die zumindest die jeweiligen personenbezogenen VerĂ€nderungen kontrollieren, wĂ€re mindestens ein t-Test fĂŒr abhĂ€ngige Stichproben erforderlich gewesen, der angesichts vorliegender Ordinaldaten und der geringen StichprobengrĂ¶ĂŸe aber nicht angewandt werden konnte.

Ertragreicher fallen die Ergebnisse der Interviewanalysen aus. Exemplarische Ergebnisse werden mit Blick auf die erlebten subjektiven Schwierigkeiten der Studierenden bei der schriftlichen Unterrichtsplanung berichtet: Die schriftliche Unterrichtsplanung erfordert von den Studierenden die Formulierung von Intentionen, die insbesondere soziale Lernziele kaum explizit vermittelt sehen und daher PlausibilitĂ€tszweifel an solchen Formulierungen Ă€ußern. Auf Kerncurricula wird kaum rekurriert, weil diese als ungeeignet zur Ableitung von Handlungsanleitungen erscheinen. Methodenwechsel werden entweder intuitiv begrĂŒndet oder sie sind durch Vorgaben im Praktikum gesetzt. Der Verzicht auf Differenzierungsmaßnahmen wird von Studierenden begrĂŒndet mit der Unkenntnis der SchĂŒlerklientel. Wo sie vorkommen, erweist sich die Planung in der praktischen Realisierung als schwierig. Der Nutzen von Planungsalternativen wurde den Studierenden wenig ersichtlich. Die Verortung der einzelnen Unterrichtsstunde in der Unterrichtseinheit fiel aufgrund fehlender Kontextinformationen schwer. Auf ein vorgegebenes Perspektivenschema zur Unterrichtsplanung wurde aufgrund von VerstĂ€ndnisproblemen nur partiell rekurriert. Weiterhin wurden mangelnde UnterstĂŒtzung und motivationale Schwierigkeiten artikuliert.

Diese Muster der empfundenen Schwierigkeit schriftlicher Unterrichtsplanung sind „in der Forschungsliteratur [...] konzeptionell weitgehend bekannt“ (376) und insofern weniger ein neuer Beitrag zum Forschungsstand als vielmehr eine Verifikation anderenorts festgestellter Schwierigkeitsmuster. Die AnschlussfĂ€higkeit an Ă€hnliche Forschungsergebnisse lĂ€sst eher gerechtfertigt erscheinen, dass aus diesen subjektiven Defizitbeschreibungen auch „praxisnahe LösungsvorschlĂ€ge“ (387) abgeleitet werden, also Empfehlungen fĂŒr eine Reaktion der institutionalisierten Lehrerbildung auf die wahrgenommenen Schwierigkeiten. Diese Ableitung erfolgt direkt aus den Äußerungen der Studierenden, z.B. wird aus der wahrgenommenen Schwierigkeit der Formulierung sozialer Lernziele abgeleitet, dass in der Ausbildung stĂ€rker thematisiert werden mĂŒsse, dass jeder Unterricht auch erziehe (388); aus der RĂŒckmeldung einer als suboptimal empfundenen Praktikumsorganisation wird abgleitet, dass die Einrichtung von PraktikumsbĂŒros dem Abhilfe leisten könnte; die Erfahrung Studierender, dass ihr Handeln nicht unmittelbar zu Erfolg fĂŒhrte, wird u.a. herangezogen, um die Bedeutung selbststĂ€ndigen Lernens zu betonen.

Solche unmittelbaren Ableitungen erscheinen begrĂŒndungsbedĂŒrftig. Es ist keineswegs selbstevident, dass aus den subjektiven Wahrnehmungen der Studierenden unmittelbar objektive Maßnahmen der Lehrerbildung abgeleitet werden können. In der Argumentation der Autorin reicht eine wahrgenommene Schwierigkeit aus, um daraus eine Programmatik abzuleiten. Die komplexen Überlegungen zu Beginn der Arbeit, z.B. zur Wirkungskette von Lehrerbildung oder zum ProfessionalitĂ€tsbegriff, werden dabei nicht aufgegriffen – sie widersprechen einer einfachen Logik der Schlussfolgerung.

Richtigerweise betont die Autorin, die VerbesserungsvorschlĂ€ge seien aufgrund der EinschrĂ€nkungen der Stichprobe auf 25 Studierende einer einzigen Seminargruppe nicht auf andere Standorte ĂŒbertragbar (393), dass eine Generalisierung fĂŒr andere Seminargruppen in Hildesheim möglich sei, wird hingegen vorausgesetzt. Viele Erkenntnisse beschrĂ€nken sich jedoch auf die Äußerungen von nur wenigen der 25 Studierenden. Wenn die Stichprobe keine ReprĂ€sentativitĂ€t beanspruchen kann, lassen sich aus den Befunden allenfalls Hinweise fĂŒr eine Verbesserung der Praktika ableiten, die aber zwingend einer Verifikation zu unterziehen sind. So werden EinschrĂ€nkungen aufgrund der fehlenden Kontrollgruppe, der begrenzten Stichprobe und der fehlenden BerĂŒcksichtigung weiterer Einflussfaktoren zwar explizit genannt (393), inkonsequenterweise werden aber zu implementierende Verbesserungen aus den Befunden geschlussfolgert. Legitimiert werden solche Ableitungen u.a. durch einen vom statistischen ReprĂ€sentativitĂ€tsverstĂ€ndnis abweichenden Generalisierungsbegriff, nach dem die originĂ€ren beobachteten Situationen als „Instanzen eines breiteren Sets von Merkmalen angesehen werden“ (394). Wie sich dieses genuin qualitative VerstĂ€ndnis mit der Berechnung statistischer Kennwerte im Ergebnisteil vereinbaren lĂ€sst, bleibt ungeklĂ€rt.

Insgesamt legt Claudia Gassmann eine akribische und sehr umfangreiche Studie samt umfassender theoretischer Einbettung vor, deren Aufwand kaum ermessen werden kann und hohe Anerkennung verdient. Andererseits lassen die unvollstĂ€ndige Ableitung der Forschungsfragen aus dem theoretischen Vorlauf, die mit der empirischen Analyse einhergehenden Probleme und die m.E. unzulĂ€ssigen stark normativen Ableitungen aus den empirischen Befunden den Ertrag der Arbeit eher gering ausfallen. Es bleibt weitgehend offen, inwiefern die Ergebnisse den Diskurs in der Allgemeinen Didaktik und der Lehrerbildungsforschung erweitern. Die Arbeit verfolgt offenbar letztlich auch eher den Anspruch, die Hildesheimer schulpraktischen Ausbildungsbestandteile in Organisation und DurchfĂŒhrung zu reflektieren und zu optimieren, als einen Beitrag zur Grundlagenforschung zu leisten. So ist der zentrale Gewinn der Arbeit die „Sensibilisierung fĂŒr Probleme von angehenden Lehrpersonen“ (393), die als Reflexionsgrundlage fĂŒr die Organisation und Gestaltung von Praxisphasen in der Lehrerbildung durchaus eine Bereicherung ist.

Die sprachliche QualitĂ€t des Textes ist hoch, bei gleichzeitig guter Lesbarkeit. Die ersten Kapitel können auch als EinfĂŒhrung in Teilfragen der Lehrerbildung, ProfessionalitĂ€t und Allgemeine Didaktik gelesen werden. Diese Abschnitte sind in AuszĂŒgen fĂŒr Studierende des Lehramts und der Erziehungswissenschaft geeignet. Der empirische Teil der Arbeit dĂŒrfte eher ein Fachpublikum mit einschlĂ€gigen empirischen Interessen oder Personen in Verantwortung fĂŒr praktische Studienanteile in der Lehrerbildung ansprechen.
Colin Cramer (TĂŒbingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Colin Cramer: Rezension von: Gassmann, Claudia: Erlebte Aufgabenschwierigkeit bei der Unterrichtsplanung, Eine qualitativ-inhaltsanalytische Studie zu den Praktikumsphasen der universitĂ€ren Lehrerbildung. Wiesbaden: Springer VS 2013. In: EWR 13 (2014), Nr. 1 (Veröffentlicht am 05.02.2014), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/1234567.html