EWR 12 (2013), Nr. 4 (Juli/August)

Norbert Ricken / Nicole Balzer (Hrsg.)
Judith Butler: Pädagogische Lektüren
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2012
(400 S.; ISBN 978-3531166131; 39,95 EUR)
Judith Butler: Pädagogische Lektüren Der vorliegende Sammelband widmet sich einer Perspektive auf die Philosophie Judith Butlers, die – so konstatieren die Herausgeber_innen – bis dato in der Erziehungswissenschaft kaum Eingang gefunden zu haben scheint: ihre ethisch-politische Perspektive auf das Subjekt bzw. dessen (Nicht-)Anerkennung innerhalb einer Gesellschaft (vgl. 12). Über diese inhaltliche Fokussierung wird ein breites Publikum adressiert: Forschende, die einer bestimmten erziehungswissenschaftlichen Perspektive auf Judith Butlers Theorie nachgehen wollen, und auch jene, die dieses Werk als einen ersten Zugang zur Theorie Butlers wählen. Beides vermag der Sammelband zu leisten.

In ihrem Vorwort versuchen sich Norbert Ricken und Nicole Balzer an einer Kritik der gängigen Rezeptionspraxis nicht-erziehungswissenschaftlicher Theorien. Problematisch an dieser Praxis sei vor allem, dass sie konjunkturhaft erfolge, dass also je nach erziehungswissenschaftlichem Trend mal dem einen Autor, mal der anderen Autorin gefolgt werde. Der hier dargelegte Versuch einer Systematisierung besteht darin, die Notwendigkeit des Theorieimports für die Konstitution des eigenen Gegenstands herauszustellen. Gerade weil Erziehungswissenschaft und pädagogische Handlungspraxis immer miteinander verwoben und damit als Form einer praktischen Wissenschaft von einer großen Komplexität ausgezeichnet seien, müsse eine „theoretisch reflektierte Unbestimmtheit“ (10) als gegenstandskonstituierend angenommen werden.

Ricken und Balzer legen zudem zwei inhaltliche Gründe vor, weswegen sie an die pädagogischen Lektüren zu Michel Foucault [1] anschließen: zum einen soll pädagogische Reflexion vorangetrieben werden (ein Argument, das in gewisser Weise hier noch unbestimmt bleibt, denn das mag für jede andere Theorie auch geltend gemacht werden). Zum anderen erfolgt eine Fortführung insbesondere deswegen, weil sich Judith Butler in ihrer Theorie der Subjektivierung insbesondere auf Foucault und dessen Forschungen zum Begriff des „assujetissement“ (11) bezieht. Die Herausgeber_innen zielen darauf, „den Gedanken der Subjektivation in Verknüpfung mit intersubjektivitäts- und anerkennungstheoretischen sowie performativitäts- und praxistheoretischen Einsichten zu (er-)fassen und für die erziehungswissenschaftliche Rezeption fruchtbar zu machen“ (11).

Der Sammelband gliedert sich – wie bereits aus dem Foucault-Band bekannt – in drei Teile, wobei der forschende Blick im ersten Teil (Einsichten – Grundbegriffliche Lektüren), auf zentrale Begrifflichkeiten und Kategorien der Butler’schen Theorie gelenkt werden soll. Im zweiten Teil (Ansichten der pädagogischen Praxis) werden pädagogische Interaktionen mithilfe einer an Butler geschulten Perspektive in den Blick genommen, und im dritten Teil (Aussichten) Neuperspektivierungen, die in der Auseinandersetzung mit Judith Butler entstehen, in ihrer Bedeutung und Bedeutsamkeit für pädagogische Diskurse erörtert.

Nicht immer ist es möglich, eine pädagogische Rezeption einer nicht-einheimischen Theorie derart zu gestalten, dass die Referenzautorin selbst zu Wort kommen kann. In diesem Fall ist es gelungen und so findet sich eingangs ein Text von Judith Butler selbst, in dem sie sich mit dem Thema Gender and Education auseinandersetzt. Darin zeigt Butler, wie über die Anerkennung von bestimmten (Geschlechter-) Normen Subjektivierungen vollzogen werden, bzw. dass eine Subjekt-Werdung davon abhängt, inwieweit diesen Normen zugestimmt werden kann. Es ist die entscheidende Frage, welche Sprache notwendig sei, um einer Stimme (öffentlich) Gehör zu verschaffen, bzw. eine Stimme zu haben, die zählt und die wiederum selbst andere Sprachen etablieren kann (vgl. 27). Dass es immer (noch) bestimmte sozialen Gruppen gibt, denen eine solche Stimme aufgrund der vorherrschenden dominanten Sprache verwehrt ist, verdeutlicht Butler anhand vieler realpolitischer Beispiele.

Der anschließende Beitrag „Politiken der Identität und Differenz“ von Kerstin Jergus ist der systematischen Darstellung möglicher Rezeptionslinien der Butler’schen Theorie in der Erziehungswissenschaft gewidmet. Der Autorin gelingt es aufzuzeigen, warum man gar nicht zu dem Punkt kommen könne, von dem Werk und der Rezeption dieser Autorin zu sprechen (vgl. 29f). Gleichzeitig überrascht, dass Jergus – wie auch Ricken und Balzer – immer wieder gegen den Vorwurf anschreibt, dass die Erziehungswissenschaft sich beständig Theorien von anderswo einkaufen müsse. Dies verwundert vor allem deswegen, weil gegen diesen beliebten wie trivialen Vorwurf (common place) doch längstens mit guten Gründen argumentiert worden ist [2].

Markus Rieger-Ladich vollzieht in seinem Beitrag „Judith Butlers Rede von Subjektivierung“ einen Durchgang durch das Butler’sche Oeuvre, um den Begriff der Subjektivierung in seiner Vielschichtigkeit systematisch zu erfassen. Ihm gelingt eine methodisch vorbildliche, überzeugende, systematische „Arbeit am Begriff“ (57). Für den pädagogischen Raum konstatiert Rieger-Ladich, dass dieser in einem hohen Maße Subjektivierungen vornimmt, weswegen verdeutlicht werden müsse, wie vielfältig jene Elemente (eines Dispositivs) sich darstellten, die diesen Subjektivierungspraktiken inhärent seien (vgl. 70). So kann in den Blick kommen, inwiefern sie „in Praktiken der Bildung und Erziehung, des Lernens und der Sozialisation verwickelt sind“ (71).

Ähnlich systematisch gehen Nadine Rose und Hans-Christoph Koller in ihrem Beitrag „Interpellation – Diskurs – Performativität“ vor, in dem sie mögliche bildungstheoretische Implikationen der drei im Titel gesetzten Begrifflichkeiten herausarbeiten und die theoretischen Bezugnahmen Butlers auf andere Autor_innen explizieren. Zudem verdeutlichen sie, worin sich Butler über die gewählten Autor_innen hinausbewegt bzw. in welcher spezifischen, resignifizierenden Weise sie den jeweiligen Begriff für ihre eigene Theoriearbeit nutzt.

Nicole Balzer und Katharina Ludewig suchen anhand einer intensiven Analyse von „Das Unbehagen der Geschlechter“ (1991) das Butler’sche Konzept der Handlungsfähigkeit (agency) zu bearbeiten. Dabei gehen sie von der Annahme aus, dass sich mit Judith Butler eine Position nachzeichnen lasse, die jenseits der bekannten Dichotomisierungen in der Frage nach dem Subjekt verortet werden könne. Über die Unterwerfung unter Normen zeige sich mit Butler eine immer schon kulturelle Verfasstheit des Subjekts, die aber im Verhalten des Subjekts zu diesen Normen auch Überschreitungen ermögliche. Gleichermaßen erfolge diese Konstitution des Subjekts auch über andere, diese hätten Anteil daran, wie sich Subjekte konstituierten (vgl. 121). So gelingt es den Autorinnen auch zu verdeutlichen, dass eine prozesshaft gedachte Vorstellung von Bildung sich jedenfalls als eine erweist, die in wohl nur geringerem Maße als intentionaler Akt des Subjekts gedacht werden kann.

Die Überlegungen von Balzer und Ludewig könnten m.E. innerdiskursiv in Beziehung zu denen Paul Mecherils/Melanie Plößers bzw. denen Norbert Rickens gesetzt werden. Insbesondere Mecheril und Plößer verdeutlichen, dass Butler in ihren Überlegungen der Annahme eines starken Subjekts nicht ganz zu entkommen vermag. Anhand des Butler’schen Konzepts der Identität wird im Beitrag „Iteration und Melancholie. Identität als Mangelverwaltung“ ausbuchstabiert, wie ihr Subjektverständnis im Sinne eines identitäts- und differenztheoretischen Ansatzes zu denken sei. Sprachlich höchst elaboriert wird über ein erneutes Ausarbeiten des Butler’schen Performativitätsverständnisses vor allem jenen psychischen Konsequenzen nachgegangen, die sich in Folge einer Ausbildung von Identität – und damit erzeugten Ausschlüssen/Abwehr – ergeben. Mecheril/Plößer argumentieren in ihrem Fazit, dass gerade weil Identität sich immer um den Preis „gewaltvolle[r] Formen der Macht“ (141) ausbilde, ein erziehungswissenschaftliches Denken notwendig sei, in dem ein prozesshaftes Bildungsverständnis forciert werde, das so weit als möglich auf Gewalt verzichte. Je weniger Anerkennung sich dabei über soziale Exklusion vollziehe, desto weniger müssten Subjekte die „eigene Affektivität“ (141) an einer Norm ausrichten bzw. jene entsprechend zurichten. Es sei die Aufgabe der Pädagogik, in Anerkennungsverhältnissen die „Beschränkung, die den Einzelnen aufgebürdet werden“ (143) so gering wie möglich zu halten. Hier erscheint es m.E. reizvoll, der Frage nachzugehen, ob nicht über ein Konzept von ‚Ironie‘ der Schwere der gewaltförmigen Subjektivierung nicht etwas mehr Leichtigkeit im Widerstand wenigstens zur Seite gestellt werden könnte. Mecheril/Plößer deuten eine solche Überlegung mit der Figur des „Subjekt-Schalk[s]“ (142) an.

Mit Jutta Hartmanns Beitrag „Improvisation im Rahmen des Zwangs“ wird die Rezeption der Geschlechtertheorie einer kritischen Prüfung unterzogen. Diese macht zum einen deutlich, dass die Rezeption oftmals dennoch affirmativ der vorliegenden Heteronormativität zuarbeite. Zum anderen entfaltet Hartmann Butlers Geschlechtertheorie systematisch vor allem in ihrer Bedeutung für ein Verständnis von Bildung, das um den eigenen Anteil an der Etablierung der heterosexuellen Matrix weiß. In den Auseinandersetzungen um familiales Zusammenleben werde permanent auf ein heterosexuelles Paar abgehoben und damit alternative Lebensformen marginalisiert und hauptsächlich in den Raum des Privaten verschoben (vgl. 165). Hier sieht Hartmann dringenden Nachholbedarf für die Pädagogik: Sie müsse das Modell der Zweigeschlechtlichkeit dekonstruieren – wie, das bleibt im vorliegenden Text allerdings offen.

Im Teil 2 (Ansichten) folgt nun ein primär empirisch orientierter Lektürezugang. In vier Beiträgen suchen die Autor_innen Subjektivierungsvorgänge, wie sie von Butler gedacht werden, anhand empirischer Situierungen im Feld des Pädagogischen in den Blick zu nehmen und zu verdeutlichen, wie sich jene von Butler elaborierten Konzepte und Figuren im Empirischen zeigen. Insofern können die vorliegenden Studien als Beispiel dafür gelten, wie elaborierte Theorie in empirischen Analysen Eingang findet. Es gelingt hier, Beispiele davon zu geben, was es heißen kann, empirisch forschend tätig zu sein, ohne die Komplexität des Realen anhand vorab gesetzter Kategorien zu (v)erkennen oder diesen passend zu machen.

Bettina Fritzsche arbeitet in ihrem Beitrag „Subjektivationsprozesse in Domänen des Sagens und Zeigens“ anhand einer Analyse von fünf ethnographischen Studien heraus, dass diese zum einen die Performativität der Subjektkonstituierung fokussieren und in ihrem Anspruch insbesondere der Reproduktion einer heterosexuellen Matrix in der eigenen Forschung methodisch entgegenarbeiten (vgl. dazu insbesondere den Text von Jutta Hartmann). Für das Feld der Schule wird verdeutlicht, wie Subjektivierungen sich als Anerkennungsprozesse gestalten, die Kinder/Jugendliche bestimmten Normen unterwerfen, bzw. sich diese Normen materialisiert in ihren Körper einschreiben. Fritzsche betont, dass gerade Kinder in weitaus höherem Maße auf (gelingende) Anerkennung angewiesen seien, weswegen es gelte, pädagogische Praktiker_innen für ihren eigenen Anteil an Anerkennungsprozessen zu sensibilisieren. Insofern können ihre Überlegungen als Ausgangspunkte für eine komplexe Reflexion von pädagogischem Handeln der Praktiker_innen z.B. während ihrer Ausbildungsphasen dienen.

Kerstin Jergus, Ira Schumann und Christiane Thompson analysieren in ihrem Beitrag „Autorität und Autorisierung“ exemplarisch die Selbstdarstellung eines Kindergartens, um daran pädagogische Praktiken der Autorisierung herauszukristallisieren. Die Autor_innen rekurrieren dabei auf das Butler’sche Verständnis von Autorität, das diese als „Effekt sozialer Praxis“ (208) versteht, die performativ wirke und über deren Ausführung ihr Grund und ihre Geltungsmacht zuallererst hervorgebracht werden (vgl. dazu insbesondere den Beitrag von Alfred Schäfer im vorliegenden Band).
Anhand empirischen Materials wird gezeigt, dass die sprachlichen Selbstdarstellungen (eines Kindergartens) notwendige Versuche darstellten, Autorität zu etablieren, indem die Artikulationen „vorläufige Schließungsbemühungen“ (214) darstellten. Judith Butlers theoretischer Zugang zu Praxen der Autorisierung verweisen in ihrer Unabgeschlossenheit auf die Unabgeschlossenheit des „pädagogischen Terrains“ (222) selbst, in dem um die Fokussierung auf bestimmte (hegemoniale) Begrifflichkeiten oder Kategorien beständig und unabgeschlossen gerungen werde.

Sabine Reh und Kerstin Rabenstein explizieren in ihrem Beitrag „Normen der Anerkennbarkeit in pädagogischen Ordnungen“ ethnographisch-beschreibend, zu welchen Effekten Normen der Anerkennung – in diesem Beitrag exemplarisch an der Norm der Selbstständigkeit verdeutlicht – im Kontext der Schule führen. Die Autor_innen diagnostizieren in ihrer praxistheoretischen Lektüre Judith Butlers, dass offen bleibe, inwieweit Butler Praktiken und Handlungen (im Prozess der Subjektivation) tatsächlich voneinander unterscheide (vgl. 231). Inwiefern diese Diagnose angemessen ist, müsste von einem systematischen Standpunkt aus diskutiert werden.

Nicole Balzer und Dominic Bergner analysieren in ihrem Beitrag „Die Ordnung der ‚Klasse‘“ Praktiken des Unterrichts mittels einer Sequenzanalyse und fragen, inwiefern diese eine soziale Ordnung konstituieren. Über eine sehr kleinteilige und damit der hohen Komplexität von Unterricht gerecht werdende Analyse arbeiten die Autor_innen in ihrem Fazit heraus, wie prekär eine (von außen oft höchst stabil erscheinende) Ordnung sei, weil auch die einzelnen Subjektpositionen permanent über (erfolgreiche) Anrufungsprozesse zu besetzen seien.

Im dritten Abschnitt (Aussichten) präsentieren vier Autor_innen interdiskursive Bezüge, die zu den Theorien Judith Butlers hergestellt werden können. Den Auftakt bildet Jessica Benjamins Text “Intersubjectivity, Recognition and the Third”. Benjamin nimmt hierbei eine explizit psychoanalytische Perspektive ein und arbeitet Unterschiede bezüglich der Butler’schen Rezeption der Freud’schen Theorie und ihrer eigenen Rezeption dieser psychoanalytischen Grundlagentexte heraus. Neun größere Kapitel sind es hier, die dem Text eine bisweilen enigmatische Struktur verleihen. Der rote Faden zwischen den einzelnen Kapiteln bleibt oft sehr implizit, wenngleich vielleicht der Hinweis auf die Textgattung („Kommentar“) im Titel ein erster Hinweis sein könnte, dass in den unterschiedlichen Kapiteln unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden.

Burkhard Liebsch setzt sich in seinem Beitrag „Grenzen der Lebbarkeit eines sozialen Lebens. Anerkennung und sozialer Tod in der Philosophie Judith Butlers“ kritisch mit dem Modus der Theorierezeption bei Judith Butler auseinander, der er einige Argumentationsfehler nachzuweisen sucht (vgl. 306f). Gewinnbringend für bildungswissenschaftliche Auseinandersetzungen erscheint insbesondere Liebsch‘ Kritik an Butlers scheinbarer Wendung gegen Normativität: es gelingt ihm, überzeugend darzulegen, dass der Butler’sche Versuch bestimmten Normierungen zu entkommen, sie letztlich wieder in das Problem der Normativität zurückführt, nämlich dort, wo sie „reproduktive Freiheit“ (317) für Elternschaft (jedweder Gender-Formen) einfordere.

Norbert Ricken arbeitet in seinem Beitrag „Bildsamkeit und Sozialität. Überlegungen zur Neufassung eines Topos pädagogischer Anthropologie“ am Begriff der Bildsamkeit. Dem Begriff der Bildsamkeit diagnostiziert Ricken eine fehlende inhaltliche Bestimmung, die er zu überwinden sucht, indem er in Rückbezug auf sozialtheoretische Arbeiten Michael Tomasellos den Begriff zu reformulieren sucht und diese Reformulierung dann in einem weiteren Schritt in Beziehung zu Judith Butlers Fassung des Menschlichen setzt. Ricken resümiert, dass sich für die Butler’sche Fassung des Menschlichen zwei zentrale Aspekte herausarbeiten lassen: zum einen die grundlegende „Verletzbarkeit“ (345) des Menschen, die sich über ein in jedem Fall riskant bleibendes Anerkennungsgeschehen offenbare; zum anderen seien Individuen von Anfang an dem Anderen ausgeliefert und auf dessen Anerkennung konstitutiv angewiesen (vgl. 345).

Alfred Schäfer rekurriert in seinen Überlegungen zu „Erziehung“ mit dem Verständnis des „leeren Signifikanten“ der Erziehung auf die Hegemonietheorie Ernesto Laclaus. Für Schäfer stellt „die (…) Signifikanz der Erziehung (…) sich über die Problematisierung der scheinbar unproblematischen Intelligibilität des Sozialen“ (354) dar. Er versucht in diesem Text zentral zu explizieren, weswegen er als „systematisches Problem des Sozialen“ (356) dessen „Grundlosigkeit“ (356) denkt. Schäfer verweist insbesondere dort auf Judith Butler, wo er zu zeigen sucht, dass Anerkennungsprozesse im Rahmen einer symbolischen Ordnung erfolgen, die von dieser „intelligible[n] Ordnung“ (360) überformt seien.

Hans-Uwe Rösner gelingt es in seinem Beitrag „Auf’s Spiel gesetzte Anerkennung“ überzeugend darzulegen, worin ein inhaltlicher Gewinn der theoretischen Perspektive Judith Butlers für die Heilpädagogik bestehen könnte. Rösner diagnostiziert als Ursache der bisher mangelnden Rezeption der Arbeiten Butlers in der Heilpädagogik, dass eine zu starke Fokussierung auf die Konstruiertheit der vorgestellten Kategorie möglicherweise zu einem Rückgang der Solidarisierung mit behinderten Menschen führen könnte (vgl. 374).

Den Abschluss und gleichermaßen einen Neuanfang bilden Carsten Büngers und Felix Trautmanns Überlegungen zu Judith Butlers Kritik der Gewalt im Beitrag „Demokratie der Sinne“. Als Neuanfang kann der Beitrag insofern gelesen werden, als die Autor_innen Butler als die zentrale Referenzfigur in einer Reformulierung einer politischen Bildung aufrufen. Eine so verstandene politische Bildung müsse vor allem sich durch selbstbezogene Wahrnehmungskritik auszeichnen, weil mit Judith Butlers Überlegungen in „Frames of War“ (2010) (endlich?) thematisiert werden müsse, dass die eigene Wahrnehmung immer auch von Normen und Normierungen geformt werde. In ihrem durchaus leidenschaftlichen Plädoyer gelingt es Bünger/Trautmann, eine politische Bildung zu formulieren, die sich in ihrem politischen Anspruch nicht verleugnen lässt. So plädieren sie damit für eine (mit guten Gründen, dennoch vielleicht wieder erneute) Fokussierung eines antiimperalistischen Verständnisses des Politischen, welches das ‚Wir‘ als konstitutive Leerstelle (als leeren Signifikanten) neu eröffnet und in dieser Neueröffnung (als Möglichkeit des Erfragens) eine „bildende Erfahrung [Herv. i.O.]“ (411) darstellen könn(t)e.

Insgesamt liegt ein Sammelband vor, dem es gelingt, durchaus heterogene pädagogische Zugänge zu versammeln, die sich jedoch alle durch eine inhaltliche Fokussierung auszeichnen. Das wirkt wohltuend in einer Zeit, in der Sammelbände schon längst Monographien abgelöst haben und dennoch bisweilen der Anschein erweckt wird, als könne sich dabei unter einem recht nichtssagenden Titel so Allerlei und vielerlei Beliebiges subsumieren lassen. „Judith Butler: Pädagogische Lektüren“ geht einen anderen Weg und ermöglicht durchaus unterschiedliche, an der ‚einen‘ Sache orientierte Zugänge und Lesarten der theoretischen Auseinandersetzungen Judith Butlers.

[1] Vgl. Ricken, Norbert / Rieger-Ladich, Markus (Hg.): Michel Foucault: Pädagogische Lektüren. VS-Verlag, Wiesbaden 2004. Siehe auch die Rezension in der EWR: http://www.klinkhardt.de/ewr/81004137.html
[2] Vgl. dazu z.B. Schäfer, Alfred: Das Versprechen der Bildung. Schöningh, Paderborn 2011.
Susanne Tschida (Wien)
Zur Zitierweise der Rezension:
Susanne Tschida: Rezension von: Ricken, Norbert / Balzer, Nicole (Hg.): Judith Butler: Pädagogische Lektüren. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2012. In: EWR 12 (2013), Nr. 4 (Veröffentlicht am 24.07.2013), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/3531166131.html