Zur Zeit gibt es einen verlagsübergreifenden Trend, Einführungen in verschiedenste Bereiche der Pädagogik zu verfassen. Auch die Weiterbildung und Erwachsenenbildung ist davon nicht verschont. Jan Weissers "Einführung", situtiert in einer Vielzahl weiterer Einführungen aus dem Beltz-Verlag, unterscheidet sich von anderen Werken dadurch, dass sie aus der Sicht des ein Thema erschliessenden Anwenders oder Studienanfängers geschrieben worden ist. Nicht ein Insider versucht seinen Kolleginnen und Kollegen zu imponieren und tut sein beeindruckendes Wissen oder seine Vorlieben kund. Insofern gibt diese Einführung einen nüchternen und wenig parteibezogenen Einblick in ein Feld, das zwischen öffentlicher Debatte, einer Vielzahl von Umsetzungen in diversen Bereichen der Gesellschaft und Wissenschaft oszilliert.Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass dieses Buch durch drei klar gegliederte Perspektiven den Lesern Orientierungshilfen verspricht: öffentlicher, wissenschaftlicher und professioneller Diskurs und Handlungsstrategien.
Der Autor begreift Weiterbildung als ein Problem, und zwar ein öffentliches aus welchem heraus sich Linien der Verwissenschaftlichung, instutions- und funktionsbezogenen Strukturierung und gesellschaftlichen Praxisgestaltung ergeben. Problematisch ist die Weiterbildung nicht in dem Sinne dass sie unproblematisch sein sollte, sondern im Gegenteil dass sie als Erkenntnis- und Handlungsproblem im öffentlichen Raum diskutiert und verhandelt wird. Aus dieser Perspektive heraus ergibt sich auch die inhaltliche Struktur der Einführung: Öffentlichkeit, Theorieentwicklung und Forschung, Funktion und Strukturen der Weiterbildung und Weiterbildung als Planungs- und Handlungsraum.
Im Kapitel "Weiterbildung als öffentliches Problem" wird demgemäss erörtert wie bedeutsam die Rede von Weiterbildung und von Begriffen wie "recurrent education", éducation permanente, Lebenslanges Lernen usw. ist. Von verschiedensten Akteuren werden sie in die Bildungspolitik eingebracht und konnten die nationalen Bildungssysteme tatsächlich beeinflussen. Prominenter Vertreter zu Beginn der 70er Jahre ist der Deutsche Bildungsrat, der mit seiner einflussreichen Setzung der "Weiterbildung" als "Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens" nach einer ersten Bildungsphase die Diskurslage bestimmend prägte. Diese Definition verdrängte frühere Umschreibungen der Erwachsenenbildung und Volksbildung, auf die Jan Weisser allerdings eher flüchtig hinweist. Weiterbildung ist darüber hinaus wie vieles in der Öffentlichkeit Moden oder Konjunkturen ausgesetzt. Es spielen ausserdem wie in der Wirtschaft auch Global Players mit, vor allem in Gestalt der internationalen Organisationen und Vereinigungen, so etwa die UNESCO, OECD und EU eine zentrale Rolle.
Von konjunkturellen oder zeitgeistbezogenen Vorlieben ist daher auch die Theorie- und Forschungslage nicht gefeit, wie Weisser in seinem zweiten Kapitel andeutet. Die Weiterbildung ist nach einer personalen Zentrierung bis in die 50er Jahre auch im Zuge einer "realistischen Wende" je nach Jahrzehnt besonderen institutionellen, lebensweltlichen und markt- bzw. kundenorientierten Perspektiven ausgesetzt.
Es ist die Schaffung von Lehrstühlen und Instituten der Erwachsenenbildung/Weiterbildung die vornehmlich in der Bundesrepublik Deutschland die, dem Autor zu Folge, die Ambition weckte, die Weiterbildung zu einem wichtigen Forschungszweig und einer Teildisziplin der Erziehungswissenschaften auszubauen.
Die Expansion in Öffentlichkeit und in pädagogischer Wissenschaft hat jedoch auch ihren Preis. Dieser ist in einer zu starken Beschränkung des Diskurses auf einen Theorie-Praxis-Gegensatz und einer überzogenen scharfen Entgegensetzung von Bildung versus Qualifikation zu sehen. Der Autor spricht von Dilemmata, diese hätten gar die Theorieentwicklung blockiert. Weisser setzt sich hierbei für eine Vermittlung ein, statt Gegensätze zu zementieren und sich in ihnen pfleglich einzurichten, müssten Wissenschaft wie auch Anwender eine dynamische Haltung einnehmen.
Insofern stellt er die spezifische Fokussierung auf "Teilnehmerorientierung" und Zielgruppenforschung als Überwindung der theoretischen Beschränkung und Bornierung dar. Sie ist darüber hinaus der Ansatzpunkt der auch die Planungs- und Handlungsdimension des Kapitels 4 prägt. Doch bevor er diesen Theorie- und Handlungsbezug zu letzt als Leitplanke für Planung, Didaktisches Handeln, Management und Evaluation bestimmt, beschreibt er in einem dritten Kapitel die Funktionen und Strukturen der Weiterbildung anhand unterschiedlichster Träger-, Angebots- und Teilnehmer- bzw. Nicht-Teilnehmerprofile. Professionalisierung, Organisation und Programmplanung sind schliesslich die Aufgaben mit denen es Weiterbildner und auch ihre theoretischen Vor- und Nachdenker zu tun haben (sollten).
Es lässt sich schon fragen, ob die von Weisser dargelegte Situationsbeschreibung hinsichtlich Weiterbildung treffend ist. Tatsächlich haben die Erziehungswissenschaften (wie übrigens auch Theologen und Ingenieure) mit Theorie-Praxis-Gegensätzen oder entsprechenden Klagen zu kämpfen. Ob sich allerdings die Weiterbildung und ihre Reflexion in diesem und auch im zweiten Dualismus (Bildung versus Qualifikation) erschöpft, muss doch bezweifelt werden. Die Theorielandschaft ist einiges unübersichtlicher und vielgestaltiger als es in dieser Einführung aufscheint, vor allem wenn man internationale Kontexte einbezieht. Auch die Historie ist zu knapp gehalten, bzw. beschränkt sich im wesentlichen auf einen Zeitrahmen seit den 70er Jahren. Insofern erhält auch die "Teilnehmerorientierung" und Zielgruppenforschung einen viel zu prominenten Stellenwert. Sie ist nicht unbedeutend aber durchaus auch selbst Bestandteil der konjunkturellen Themenwellen. Zuzustimmen ist dem Autor in der Entfaltung seiner Problemperspektive, wenn er diese im öffentlichen Diskurs verortet. Gerade daraus ergibt sich aber auch die Frage wie stark die Neigungen in der Wissenschaft hinsichtlich Empirie entwickelt sind, und zwar im Sinne eines Korrektivs öffentlicher (Vor-)Urteile. Möglicherweise würde mit dieser Blickrichtung die Frage, was denn die Weiterbildung als Wissenschaft für einen Wert hat, anders gestellt und beantwortet und zwar sowohl für Erziehungswissenschafter wie für Anwender. Es wäre nachvollziehbarer darzulegen und zu argumentieren, welche Themen in ihrem gesamten Spektrum die Weiterbildungstheorie beschäftigen und wo Differenzen und Einigkeiten sich manifestieren.
Noch ein Satz zur Gestaltung: So einleuchtend eine solche Kapitel-Einteilung auf den ersten Blick erscheint: im Detail erweist sie sich als fragwürdig oder problematisch. Die Grenzziehung zu den Definitionen bezüglich Weiterbildung und Lerntypen wird nicht im Theorie-, sondern vorab im öffentlichen Teil abgehandelt, obwohl die Belege auf Wissenschaft verweisen. So birgt diese Einführung überraschendes, anregendes und verqueres, in diesem Sinne ist sie typisch und atypisch für die Weiterbildung zugleich.
EWR 1 (2002), Nr. 4 (September 2002)
Einführung in die Weiterbildung
Weinheim und Basel: Beltz Verlag 2002
(238 Seiten; ISBN 3-407-25253-6; 14,00 EUR)
Philipp Gonon (Trier)
Zur Zitierweise der Rezension:
Philipp Gonon: Rezension von: Weisser, Jan: Einführung in die Weiterbildung, Weinheim und Basel: Beltz Verlag 2002. In: EWR 1 (2002), Nr. 4 (Veröffentlicht am 01.09.2002), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/40725253.html
Philipp Gonon: Rezension von: Weisser, Jan: Einführung in die Weiterbildung, Weinheim und Basel: Beltz Verlag 2002. In: EWR 1 (2002), Nr. 4 (Veröffentlicht am 01.09.2002), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/40725253.html