EWR 4 (2005), Nr. 3 (Mai/Juni 2005)

Rüdiger Loeffelmeier
Die Franckeschen Stiftungen in Halle an der Saale von 1918 - 1946
Bildungsarbeit und Erziehung im Spannungsfeld der politischen Umbrüche
Tübingen: Niemeyer 2004
(390 S.; ISBN 3-484-84013-7; 39,00 )
Die Franckeschen Stiftungen in Halle an der Saale von 1918 - 1946 Bei der Veröffentlichung Rüdiger Loeffelmeiers, die auf seiner von Harald Scholtz betreuten Dissertation beruht, steht die Frage nach dem Verhältnis von Staat und Schule, Politik und Pädagogik in Zeiten gravierender politischer Umbrüche im Zentrum. Dieser Frage wird nicht abstrakt nachgegangen, sondern anhand eines konkreten Fallbeispiels: der Franckeschen Stiftungen in Halle an der Saale von 1918–1946. Im Fokus der Untersuchung stehen sowohl die Bildungsarbeit an den Schulen, der humanistischen Lateinischen Hauptschule, der Oberrealschule und der höheren Mädchenschule, als auch die Erziehungsverhältnisse an den Schülerheimen, dem Waisenhaus, der Pensionsanstalt und dem Pädagogium.

Die Arbeit schließt eine Forschungslücke, da es bis zu ihrem Erscheinen für den Zeitraum 1918–1946 keine Darstellung der Geschichte der Franckeschen Stiftungen gab, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügt hätte. Dank der Arbeit von Loeffelmeier kann man sich nun fundiert und aspektreich über die Entwicklung der Franckeschen Stiftungen in dem genannten Zeitraum informieren; sie bietet eine plastische Innenansicht und nimmt sich der in der historischen Bildungsforschung so notwendigen und unbedingt weiter zu entwickelnden pädagogischen Institutionen- und Alltagsforschung auf hohem Niveau an. Schul- und erziehungshistorische Analysen wie die von Loeffelmeier, die Einblicke in die jeweilige "Wirklichkeit" geben, sind dringend nötig – allerdings stellen jene auch eine besondere inhaltliche und methodische Herausforderung dar, so dass kritische Rückfragen nicht ausbleiben können.

Der Autor konnte auf reichhaltiges Quellenmaterial zurückgreifen, das sich im Schul- und Verwaltungsarchiv der Franckeschen Stiftungen findet: Jahresberichte, Protokolle der Schul- und Heimkonferenzen, Schulchroniken, Verwaltungsberichte, Korrespondenzen mit vorgesetzten Behörden oder mit Eltern, Festschriften, Schul- bzw. Heimordnungen, Dienstanweisungen sowie – nicht zuletzt – Reifeprüfungsakten der Jahre 1920 bis 1945. Zur Ergänzung dieser Informationen zog der Autor die Personalakten der Lehrkräfte, die sich im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt in Magdeburg befinden, hinzu. Als weiteres Quellenmaterial dienten Erinnerungsberichte von damals in den Stiftungen verantwortlich tätigen Zeitgenossen und Rückblicke von ehemaligen Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern.

Diese schriftlich vorliegenden Erinnerungen erschienen dem Autor allerdings nicht ausreichend, da sie "in erster Linie auf Ereignisse eingehen, die für die jeweilige Person eine individuelle Bedeutung hatten" (11), und er entschloss sich deshalb, "mit Hilfe einer gezielten Befragung von Ehemaligen" den Versuch zu unternehmen, "an spezielle Informationen zu Aspekten des schulischen Alltags und des Lebens in den Schülerheimen zu gelangen" (ebd.). In diesem Kontext führte er mit über 20 Zeitzeugen – vorrangig ehemaligen Schülerinnen und Schülern – Interviews und Gespräche, von denen allerdings keines in transkribierter Form vorliegt. Auch die vom Autor erwähnten Leitfragen bleiben dem Leser/der Leserin vorenthalten. Die "in den Schulakten dokumentierten Fakten" und die ermittelten Zeitzeugenaussagen will der Autor aufeinander beziehen, wobei letztere "in erster Linie der Erhellung belegbarer Fakten" dienen und "interessante Aufschlüsse über die individuelle und retrospektive Wahrnehmung von gesellschaftspolitischen Ereignissen und ihren Auswirkungen auf den schulischen Alltag" vermitteln sollen (12). Nicht ganz nachvollziehbar erscheint mir, dass sich die folgende methodenkritische Aussage nicht an dieser Stelle, sondern im – ansonsten nur den Danksagungen gewidmeten – Vorwort des Verfassers findet: Er sei sich der "Problematik der Verbindung von Erinnerungen auf der einen und Fakten, wie sie sich aus dem Studium der Quellen ergeben, auf der anderen Seite durchaus bewusst" und habe sich deshalb "darum bemüht, auf Widersprüche einzugehen, wie sie sich bei der Gegenüberstellung von erinnerten und dokumentierten Vorgängen in einzelnen Fällen zeigten" (VIII). Die Vielfalt der herangezogenen Quellen ermöglicht vielfältige Eindrücke in die Entwicklung der Franckeschen Stiftungen und nötigt den Autor – wie gleich noch zu zeigen sein wird – Ambivalenzen auszuhalten und häufig eben nicht zu eindeutigen Aussagen zu kommen, ‚wie es nun eigentlich gewesen ist’. Selbst manche Widersprüchlichkeiten muss der Leser/die Leserin deshalb in Kauf nehmen.

Doch gehen wir in medias res. Ich will mich dabei auf die zentralen Kapitel des Buches – Die Franckeschen Stiftungen in der Weimarer Republik (III.), von 1933 bis 1939 (IV.) und im Zweiten Weltkrieg (V.) – konzentrieren, die flankiert werden von einem instruktiven "Abriss der Geschichte der Franckeschen Stiftungen von 1695 bis 1818" und einen ebenso informativen Ausblick auf die Entwicklungen derselben nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands bis Ende 1946, als die Franckeschen Stiftungen nach beinahe 250 Jahren aus einer eigenständigen Institution ein der Universität Halle-Wittenberg angegliedertes Institut geworden waren.

Lehrer, Eltern und Schüler der Franckeschen Stiftungen in der Zeit der Weimarer Republik waren tief im Wilhelminismus verankert, erlebten den verlorenen Ersten Weltkrieg, den Versailler Vertrag sowie die Abdankung des Kaisers und die Ausrufung der Republik als Schock und radikale Infragestellung ihrer überkommenen Wertvorstellungen. Vor diesem Hintergrund standen die Lehrkräfte, aber auch Eltern und Schüler, den von den neuen Machthabern forcierten Demokratisierungsbemühungen in den Schulen äußerst kritisch bis ablehnend gegenüber. Loeffelmeiers – durchaus quellengesättigte – These ist nun, dass sich der Lehrkörper – trotz seiner nicht-republikanischen Gesinnung – mit den neuen Machthabern zu arrangieren suchte, um die Eigenständigkeit der Stiftungen zu sichern. "Anzeichen für einen offenen Widerstand gegen Anordnungen der republikanischen Behörden, wie er an anderen höheren Schulen Preußens nicht selten war, lassen sich […] an keiner der höheren Schulen der Stiftungen finden" (100f.). Die Franckeschen Stiftungen hätten sich darum bemüht, "alle Parteipolitik aus dem Schulalltag herauszuhalten" bzw. sogar die "offizielle Linie einer strikten Trennung von Politik und Schule" verfolgt (102). Mein kritischer Einwand hierzu lautet: Schafften es die Lehrkräfte denn, ihre im Kern doch sehr politischen Wertvorstellungen außen vor zu lassen? Dauerte nicht vielmehr das politische wilhelminische Denken – das sich gerne als überparteiliches gerierte – in diesen Jahren an den Franckeschen Stiftungen an? Loeffelmeiers eigene Ausführungen an anderen Stellen in diesem Kapitel (vgl. etwa 63ff., 100: hier spricht Loeffelmeier von den "tendenziell reaktionären Grundüberzeugungen" der Lehrkräfte) legen selbst eine differenziertere Betrachtungsweise als die oben angeführte nahe. Zu schwach – von heutiger Perspektive aus wertend formuliert: beschönigend – klingt es auch, wenn Loeffelmeier von der "Skepsis" (75) oder – im zusammenfassenden Schlusskapitel – gar nur von der "Reserviertheit" (358) der Franckeschen Stiftungen gegenüber der demokratischen Staatsform spricht – hier sprechen die von ihm herangezogenen Quellen doch eine andere – deutlichere! – Sprache.

Eine weitere zentrale These Loeffelmeiers in diesem Kapitel ist, dass sich die pädagogische Arbeit in den Schulen und in den Heimen während der Weimarer Republik "modernisierte", "zeitgemäß" gestaltete (vgl. u.a. 136, 150, 357f.). Was er in diesem Kapitel auf der Basis vielfältigen Quellenmaterials ausführlich entfaltet, liest sich im Schlusskapitel knapp zusammengefasst folgendermaßen: In den Schulen der Stiftungen entwickelte sich "im Verlauf der 1920er Jahre ein in seiner Vielfalt und Modernität beeindruckendes Schulleben. Offensichtlich konnten sich nun die kulturellen Kräfte, die beispielsweise in den Schülervereinen steckten, freier entfalten und Ansporn sein für Aktivitäten, die aus einzelnen Klassen der Arbeitsgemeinschaften hervorgingen. Zudem hatte sich die von Seiten der reformpädagogischen Bewegung propagierte Ansicht, dass Schule mehr sein muss als Unterricht, anscheinend auch bei den Lehrkräften der stiftischen Schulen durchgesetzt. Gleichzeitig bemühte man sich, den Forderungen des neuen Staates an eine Reform der Unterrichtsmethodik und der pädagogischen Arbeit in den Schülerheimen nachzukommen" (357). Drei kritische Bemerkungen hierzu: 1. Welches pädagogische Handeln in der Weimarer Republik als "modern" und "zeitgemäß" zu gelten hat, wird nicht explizit thematisiert, sondern bei den Leserinnen und Lesern als Konsens vorausgesetzt; 2. Man darf sich die pädagogischen Veränderungen gegenüber der Zeit vor 1918 nicht zu revolutionär vorstellen – die ausführlichere Darstellung macht dies auch durchaus deutlich!; 3. Im Kapitel über die Franckeschen Stiftungen während der NS-Zeit wird der veränderten Unterrichtsmethodik keine Beachtung mehr geschenkt, woraus sich Fragen ergeben: dauerte sie an?, wurde sie abgelöst?, wenn ja, wodurch?

Mit der letzten Bemerkung ist bereits zum nächsten Kapitel übergeleitet, der Entwicklung der Franckeschen Stiftungen von 1933 bis 1939 [1]. Für die Schülerinnen und Schüler der höheren Schulen der Franckeschen Stiftungen zeigt Loeffelmeier "eine deutliche Zuwendung […] zur nationalsozialistischen Bewegung […], die stark von Emotionen geprägt war" (186). Besonders ausführlich beschäftigt er sich mit den Lehrerinnen und Lehrern und betont zunächst, dass sich "keineswegs behaupten" lasse, "dass die Machtübergabe an die Nationalsozialisten eine uneingeschränkte und enthusiastische Gefolgsbereitschaft der Lehrerinnen und Lehrer der Schulen der Franckeschen Stiftungen nach sich gezogen hätte" (186).

Die Darstellungen auf den nächsten Seiten zeigen ein ambivalentes Bild und auch eine gewisse – nicht zuletzt auch der oben beschriebenen Quellenpluralität geschuldete – Urteilsunsicherheit bzw. -schwankung des Autors. Neben differenzierten Aussagen (z.B. 195, 202) finden sich auch manche beschönigenden, sehr von den Zeitzeugen geleitete Ausführungen bzw. ungeschickte sprachliche Formulierungen (z.B. 193f.). Zwei Aussagen sollen an dieser Stelle zur Veranschaulichung noch zitiert werden: Ein Absatz im IV. Kapitel lautet: Von den ehemaligen Schülerinnen und Schülern erinnerte sich niemand (auf eine genaue Quellenangabe verzichtet Loeffelmeier an dieser Stelle) "an eine offene Thematisierung nationalsozialistischer Ideologeme durch Lehrkräfte im Unterricht. Lediglich die aus dem Rahmen fallenden Ausbrüche des Musiklehrers Wirthmann finden Erwähnung, und so liegt die Folgerung nahe, dass von einer direkten politischen Indoktrination durch die Lehrerinnen und Lehrer keine Rede sein kann" (194) – eine sehr weitgehende, die Aussagen der Zeitzeugen sehr hoch bewertende, in gewisser Weise absolut setzende, Folgerung, wie ich finde! Im zusammenfassenden Schlusskapitel wird daraus sogar: "Politik war zwar im stiftischen Alltag nahezu ständig präsent, wurde aber wie schon zu Weimarer Zeiten im Unterricht nicht thematisiert [zu fragen ist: welch enger Politikbegriff findet hier Verwendung?; E. M.]. Das gerne gezeichnete Bild vom fanatischen Nazi-Lehrer ["gerne gezeichnet" von wem?; hier fehlen einschlägige Literaturhinweise; E. M.], der seine Schüler mit nationalsozialistischen Phrasen ideologisiert, lässt sich hier nicht finden. Der einzige Lehrer, auf den dieses Bild zutraf und an den sich viele Ehemalige erinnern, scheiterte an einer Umgebung, die ernsthafte Bildungsarbeit dem Brüllen von Parolen immer noch vorzog" (360) – verwischt man mit solchen Aussagen nicht zu sehr die Unterschiede im Handeln der Lehrkräfte und schwächt das Tun derjenigen, die sich in der Tat um die "Bewahrung humanistischen Denkens" (201) bemühten? Loeffelmeier selbst bringt hierfür einige eindrückliche Beispiele (vgl. z.B. 126, 194, 200).

Dass die nationalsozialistische Ideologie im Unterricht präsent war, zeigt deutlich die Einführung des Faches Rassenkunde. Aus der Analyse der Reifeprüfungsakten geht hervor, dass "das Fach Rassenkunde in den Schulen der Franckeschen Stiftungen neben eher biologischen Fragen […] auch Themen, die eine deutliche Nähe zur Rassenlehre der Nationalsozialisten aufwiesen und den Schülerinnen und Schülern sehr bedenkliche gedankliche Leistungen abverlangten", behandelte (230). Loeffelmeier spricht – und ich sehe darin einen gewissen Gegensatz zu seiner oben angeführten Argumentation – von der "teils unterschwellige(n), teils offene(n) Verbreitung antisemitischer Einstellungen, die sich im Rahmen des Rassenkundeunterrichts nachweisen lässt" (231).

Sehr plastisch beschreibt Loeffelmeier die Veränderungen im schulischen Alltag und stellt die "Okkupation des Schullebens" dar (206). Er weist darauf hin, dass die befragten Zeitzeuginnen und -zeugen im Rückblick ihre Schule auch zwischen 1933 und 1945 als unpolitisch charakterisieren – "der politische Geist der Zeit sei an den Stiftungsmauern abgeprallt" (213) – und hält dem – m. E. völlig überzeugend – entgegen: "Diese Einschätzung muss zumindest relativiert werden" (ebd.) Die "Inselmetaphorik" der Zeitgenossen blende aus, "dass die Durchdringung der damaligen Jugend mit der nationalsozialistischen Ideologie keine strukturelle Gewalt benötigte, sondern unbemerkt geschah und als schleichendes Gift wirkte, das systemkonformes Verhalten und entsprechende Ãœberzeugungen hervorrief" (214).

Ein abgewogenes (man könnte – kritischer – aber auch sagen: der Stiftungsleitung sehr wohlwollendes) Urteil findet Loeffelmeier für die von ihm beschriebene Entscheidung der Stiftungsleitung, am 28. Juni 1933 die Pflichtmitgliedschaft der Zöglinge der Franckeschen Stiftungen in den nationalsozialistischen Jugendverbänden zu verkünden: "Auch wenn ein Eingriff in Rechte und Strukturen der Stiftungen 1933 weder bevorstand noch sich andeutete, stellt das Vorgehen der Stiftungsleitung eine Mischung aus Opportunismus und Pragmatismus dar. Ein Spekulieren über die Folgen eines Verzichts auf diese Zwangsverpflichtung der Zöglinge ist müßig, doch wären Konfrontationen mit Partei und HJ alleine schon wegen zu erwartender organisatorischer Probleme mit Sicherheit nicht ausgeblieben" (245). Anschaulich schildert Loeffelmeier die zunehmende Konkurrenz zwischen dem HJ-Dienst und dem "Korpsgeist" (260), der sich auf die Zugehörigkeit zum jeweiligen Schülerheim bzw. zu den Franckeschen Stiftungen bezog.

In seinem Kapitel "Die Franckeschen Stiftungen im Zweiten Weltkrieg" (V.). beschreibt Loeffelmeier schließlich die "Erosion des Schul- und Unterrichtsbetriebs" (273) und den immer geringer werdenden Stellenwert schulischer Bildung, die bereits – nicht zuletzt angesichts der Begehrlichkeiten der HJ – in frühen Jahren ihre Probleme hatte sich zu behaupten (vgl. 228ff.). Loeffelmeier zeigt, wie die Schulen und die Heime der Franckeschen Stiftungen vom Krieg zunehmend usurpiert und geprägt wurden.

Am schärfsten geht Loeffelmeier mit der Stiftungsleitung wegen folgender beiden Entscheidungen ins Gericht: 1. der vollzogenen "Entkonfessionalisierung" (vgl. 302ff.) – hier fällt der Begriff "Hörigkeit" des Direktoriums gegenüber den staatlichen Behörden (307), wobei die Schärfe allerdings einige Seiten später wieder zurückgenommen wird (311); 2. der Beschäftigung von Zwangsarbeitern – "die Teilhabe an diesem System, selbst wenn es innerhalb der Stiftungen mit weniger Härte gehandhabt worden sein sollte, bedeutete damals die Ãœbernahme von Schuld und sollte heute die Ãœbernahme von Verantwortung veranlassen" (335). Auch in seiner Zusammenfassung nennt er nochmals diese beiden Entscheidungen als "deutlichsten Ausdruck" des "durchaus vorhandene[n] Arrangement[s] der Franckeschen Stiftungen mit dem nationalsozialistischen System" (361).

An anderen Stellen ist m. E. das Verständnis Loeffelmeiers für das "Arrangement" ein zu weitgehendes, kommen Handlungsalternativen zu wenig in den Blick, bzw. werden durch eine bestimmte sprachliche Struktur negiert, etwa, wenn es heißt: "Neue Unterrichtsinhalte mussten akzeptiert werden" (359; Hervorh. E. M.). "Die wenigen Versuche, zu agieren statt zu reagieren, mussten bald aufgegeben werden" (ebd.; Hervorh. E. M.) u. ä. Hier wünschte ich mir die Arbeit politisch bewusster – auch vor diesem Hintergrund scheint es mir lohnend zu sein, dass sich die Sektion Historische Bildungsforschung auf ihrer nächsten Tagung im September 2005 mit dem Thema der "Wiedergewinnung des Politischen in der Historischen Bildungsforschung" und damit auch mit der Reichweite des Politischen auseinandersetzt.

Abschließend muss nochmals betont werden: Trotz einzelner inhaltlicher und methodischer Kritikpunkte bzw. Anfragen bleibt die Arbeit sehr verdienstvoll: durch ihre interessante Fragestellung, die Auswertung immenser Quellenbestände, die Vielfältigkeit der angesprochenen Aspekte, die Einblicke in den Bildungs- und Erziehungsalltag in Zeiten politischer Umbrüche und Erschütterungen sowie die Konkretisierung häufig nur abstrakt diskutierter Fragestellungen zum Verhältnis von Politik und Pädagogik durch ihre Anwendung auf ein Fallbeispiel.

Loeffelmeier ist zuzustimmen, wenn er zu einem "umfassenden Vergleich mit der Geschichte anderer, ähnlich strukturierter Bildungseinrichtungen" auffordert (362) – hier bleibt für die Historische Bildungsforschung noch viel zu tun; die Arbeit von Loeffelmeier möge hierzu der entsprechende Ansporn sein!



[1] Für dieses und das folgende Kapitel ist die Anknüpfung an die Veröffentlichungen von Harald Scholtz zur NS-Erziehung deutlich erkennbar. So übernimmt Loeffelmeier zum Beispiel dessen Phaseneinteilung der Entwicklung von Erziehung und Bildung in der NS-Zeit (vgl. 176), er greift dessen Einschätzung der Rolle der höheren Schule in der NS-Zeit auf (vgl. etwa 195), er betrachtet die Vereinheitlichung des höheren Schulwesens 1937/38 wie Scholtz als "technokratische Reform" (vgl. 205) und er spricht der "Erweiterten Kinderlandverschickung" denselben totalitären Verfügungsanspruch zu wie Scholtz (vgl. 312ff.). Damit ist eine bestimmte Perspektive auf das Quellenmaterial vorgegeben.




Eva Matthes (Augsburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Eva Matthes: Rezension von: Loeffelmeier, Rüdiger: Die Franckeschen Stiftungen in Halle an der Saale von 1918 - 1946, Bildungsarbeit und Erziehung im Spannungsfeld der politischen Umbrüche, Tübingen: Niemeyer 2004. In: EWR 4 (2005), Nr. 3 (Veröffentlicht am 20.05.2005), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/48484013.html