In die „Hagener Studientexte zur Soziologie“, die als Lehrbücher konzipiert sind, ist mit dem Buch von Thomas Matys ein weiterer Band aufgenommen worden. Thomas Matys arbeitet an den Universitäten Wuppertal bei Professor Klaus Türk, und an der FernUniversität Hagen bei Professor Wieland Jäger, also bei zwei ausgewiesenen Organisationssoziologen.
Dass die Erziehungswissenschaften auch organisationssoziologischer Bücher bedürfen, dürfte kaum bezweifelt werden. De facto ist die Rezeption von Organisationstheorien in der Pädagogik immer noch gering, obwohl gerade in den letzten Jahren einige Bücher oder gar Buchreihen dazu erschienen sind (u.a. zum Verhältnis von Profession und Organisation). Im Vergleich zur Behandlung des Themas „Organisation“ in der Soziologie und in der Politikwissenschaft klafft jedoch im Vergleich zu den Erziehungswissenschaften noch immer eine erhebliche Lücke. Auf den ersten Blick könnte nun gefragt werden, welche Relevanz ein Buch zu Arbeitsorganisationen, wie es Matys schreibt, überhaupt im Themenfeld der Pädagogik haben könnte. Hier mag der Hinweis genügen, dass viele pädagogische Organisationen zu gewissen Bestandteilen auch Arbeitsorganisationen sind, wie sie von Soziologie und Politikwissenschaft untersucht werden (neben Interessenorganisationen, der zweiten großen Gruppe). Gerade die arbeitsorganisatorische Perspektive ist jedoch in den Erziehungswissenschaften bislang nicht ausreichend berücksichtigt worden. Zwar werden arbeitsorganisatorisch angelegte Belastungsstudien (aus der Arbeitspsychologie) rezipiert. Dies gilt jedoch kaum für zentrale Aspekte von Arbeitsorganisationen, wie sie Matys in seinem Buch anführt, nämlich Macht, Kontrolle und Entscheidungen.
Zu diesen Themen beansprucht das Buch von Thomas Matys einen Überblick über den Verlauf und den Stand von Debatten der vergangenen Jahre zu geben. Eine schwierige Frage für Einführungsbücher ist, wie man derartig komplexe Themen gliedern kann. Da gibt es zum einen „Materialbücher“, z.B. von Baumgart, die Originaltexte vorstellen und vorher kurz interpretieren. Zum anderen gibt es „Nachschlagebücher“, die zwar oft nicht als Lehrbücher konzipiert sind, aber doch von Studierenden so genutzt werden. Vorteil dieser Bücher ist – siehe z.B. den Band von Kieser zur Organisationssoziologie –, dass verschiedene Ansätze hintereinander gestellt sind. Der Nachteil dabei ist, dass zwischen den Texten kaum spezifische Zusammenhänge angedeutet werden können, die jedoch für ein Lehrbuch unabdingbar erscheinen. Nachschlagebücher lassen sich von ExpertInnen sicher so nutzen, dass sie aus den dargelegten Theorien diejenigen herausgreifen, die ihren Zwecken (Erkenntnisinteressen) dienen. Für AnfängerInnen wäre es jedoch besser, wenn verschiedene Theorien auch an Anwendungsbeispielen demonstriert würden. Es lassen sich sicher noch weitere Gliederungsformen für Lehrbücher anführen. Von diesen möglichen Varianten wählt Thomas Matys einen Mix. Zum ersten wird als Klammer für die gesamten Buchteile eine „Geschichte“, eine Story erzählt, die sich im Laufe des Buches entwickelt. Es handelt sich dabei um die Geschichte des Taylorismus und dessen wissenschaftliche Reflexion, die in der Soziologie der Arbeit und der Organisation eine herausragende Rolle gespielt haben. Die Kerngeschichte des Buches berichtet davon, welche Entwicklungen in der Arbeitswelt, in der Abkehr vom Taylorismus, heute aus Sicht verschiedener Theorieansätze wahrgenommen werden, was z.B. die Orientierung am Lernen und Wissen und an der Subjektivierung von Arbeit im Rahmen von Globalisierung und Wissensgesellschaft angeht. Themen wie Lernen und Wissen machen darauf aufmerksam, dass diese „pädagogischen“ Themen schon seit längerem in der Arbeits- und Organisationssoziologie diskutiert werden.
Um die Geschichte eines Wandels des Arbeitsparadigmas – weg vom Taylorismus, hin z.B. zu einer Subjektivierung des Arbeitsvermögens – nachzeichnen zu können, möchte Matys die Studierenden zunächst mit grundlegenden Tools der Organisationssoziologie ausstatten. Diese werden in Teil 1 des Buches vorgestellt, und zwar untergliedert nach mikro-, meso- und makropolitischen Ansätzen; in Teil 2 des Buches wird dann das Anwendungsbeispiel – das schon als Klammer zu Beginn des Buches genannt wurde, nämlich der Wandel der Arbeitsgesellschaft weg vom Taylorismus – mit verschiedenen Theorieansätzen aus der Arbeitssoziologie vorgestellt. Die Klammer zwischen beiden Teilen des Buches ist die Frage, wie sich Macht, Kontrolle und Entscheidungen in modernen Gesellschaften gestalten und wie dies von der Organisations- und von der Arbeitssoziologie reflektiert wurde.
Die Unterscheidung von mikro-, meso- und makropolitischen Ansätzen für Teil 1 ist eine brauchbare Gliederungshilfe. Die Ansätze benennen unterschiedliche Bezugspunkte der organisationssoziologischen Analyse. Diese kann sich erstens innerhalb von Organisationen abspielen (Mikropolitik in der Organisation); sie kann sich zweitens einer Organisation als Ganzes widmen (Mesopolitik der Organisation); drittens widmen sich einige der organisationssoziologischen Beobachtungen verstärkt den Beziehungen von Organisationen zu ihren Umwelten (Makropolitik). Auf diesen Gliederungsebenen werden nun verschiedene Organisationssoziologien in Teil 1 des Buches vorgestellt. Dabei wird das Anwendungsbeispiel bzw. die Story, nämlich der Wandel der Arbeitsgesellschaft, schon mit eingeflochten. Damit wird bereits angedeutet, welche Dimension dieses Wandlungsprozesses sich mit welchem Organisationsansatz erklären lässt. Die Kernfrage der Story, die auch dem organisationssoziologischen Teil des Buches unterlegt ist, basiert auf dem von Marx ausgehenden und von anderen AutorInnen weiter entwickelten Transformationsproblem, der strukturellen Asymmetrie zwischen Arbeit und Kapital. Dieses Grundproblem zeigt sich Matys zufolge in Arbeitsorganisationen wie folgt, wobei der Autor eine gegenwartsbezogene Lesart entwickelt, die Beobachtungen vieler organisations- und arbeitssoziologischer Ansätze vorangehender Jahrzehnte aufgreift: „Einerseits ist das Management gezwungen, seine Herrschaft über den Produktionsprozess und die Disziplinierung der Arbeitenden durch Marktmechanismen, Kontrollstrategien, Technisierung, Arbeitszerlegung etc. durchzusetzen und aufrechtzuerhalten; andererseits ist es auf die kreativen und produktiven Potentiale der lebendigen Arbeit angewiesen, um Gebrauchswerte produzieren zu können, was zugleich Kooperation und Konsenssuche erforderlich macht“ (14). Macht, Kontrolle und Entscheidungen werden damit zu Kernfragen (so auch der Titel des Buches). Die verschiedenen organisations- und arbeitssoziologischen Ansätze zeigen aber, dass die Frage, wer innerhalb von Arbeitsorganisationen die Oberhand behält – das Management oder die „lebendige Arbeit“ – keinesfalls so eindeutig ausgemacht werden kann. Nach dem Selbstanspruch des Autors wird bei der Behandlung des Themenkomplexes Macht, Kontrolle und Entscheidungen eine akteurtheoretische Wendung sichtbar, die innerhalb der Arbeits- und Organisationssoziologie in den letzten Jahren vollzogen wurde.
In Teil 1 des Buches werden vier mikropolitische, vier mesopolitische sowie drei makropolitische Ansätze angeführt. Die vier mesopolitischen werden noch hinsichtlich weiterer Ansätze differenziert. Diese Auswahl erscheint gut geeignet. Sie ist einerseits komplex genug, um zu zeigen, wie viel an Organisationssoziologie schon seit den 1930er Jahren auf dem Markt ist. Andererseits wird durch die Untergliederung in Mikro, Meso und Makro nicht der rote Faden aus den Augen verloren. Zudem ist die Darstellung reflexiv. Thomas Matys geht zum Beispiel mehrfach auf das Problem ein, warum er einen Ansatz z.B. der Makro- statt der Mesoebene zuordnet. Dem Leser wird somit implizit zugestanden auch eine andere Zuordnung vorzunehmen. Im Schnitt widmet Matys jedem Ansatz ein bis vier Seiten. Das finde ich angemessen, da es Matys gelingt, die Substanz einer Theorie möglichst in dessen Sprache wiederzugeben und sich auf die stärksten Seiten einer Theorie zu konzentrieren. Zudem werden die Ansätze entlang von Debatten vorgestellt (so weit sie stattgefunden haben). Außerdem verhindert die sichtbar bleibende Kerngeschichte (die Entwicklung der Arbeitsgesellschaft), dass die Theorieansätze zusammenhangslos aufeinander folgen. Darüber hinaus versieht Thomas Matys jeden Theorieblock mit einer Zusammenfassung und einer kleinen kommentierten Literaturliste. Diese enthält lesenswerte Empfehlungen, die Matys den Studierenden gibt, in denen die Perspektive der Studierenden berücksichtigt wird. Einzig die Zusammenfassung des ersten Teils hätte ausführlicher sein können und nicht nur tabellarisch.
In Teil 2 werden dann bedeutsame Diskussionen und Theorieansätze wiedergegeben, die es in der Arbeitssoziologie in den letzten Jahren bezogen auf das Thema Macht, Kontrolle und Entscheidungen sowie für die Perspektive von Arbeitsorganisationen gegeben hat. Dieser Teil ist etwa genauso umfangreich wie der erste. Im Fokus stehen nun Veränderungen von Arbeitsorganisationen im engeren Sinne. Hier findet sich von Diskussionen zum Postfordismus, Gruppenarbeit, Shareholder-Value-Orientierung, Lean Production, Dezentralisierung, organisationales Lernen und Wissen, Arbeitsvermögen und Subjektivierung bis hin zu Entgrenzung und Globalisierung vieles wieder, was man für das Themenfeld erwartet hätte. Über die dargestellten Theorieansätze hinweg kann man die Veränderungen in modernen Arbeitsorganisationen nachspüren. Dabei dominiert ein Subtext, den Matys schon in Teil 1 mit Foucault bewusst vorweggenommen hat, nämlich die Verlagerung der Machtausübung in Subjektstrukturen hinein. Es werden Herrschaftsbeziehungen in neuen Arrangements thematisiert, die gleichermaßen restringierend und ermöglichend sind, und zwar für beide Seiten des Arrangements zwischen Organisation und Individuum. Dieser Subtext wird von verschiedenen arbeitssoziologischen Ansätzen mit unterschiedlichen Argumenten ausgestaltet. Um hier nur einige Stichwörter zu nennen: Neue Produktionskonzepte aus den 1980er Jahren nehmen die Arbeitskraft weniger als potentiell widerständigen Störfaktor wahr, sondern betonen deren Qualitäten. Für die 1990er Jahre und bis heute werden Kontrollmöglichkeiten in Arbeitsorganisationen beobachtet, die beinhalten, dass die Einzelnen eine erweiterte Handlungsautonomie haben. Zugleich haben sie aber eingeschränkte Möglichkeiten, Maßnahmen der betrieblichen Politik kollektiv zu verhandeln. In der Gruppenarbeit werden Maßnahmen der prozessbezogenen Innovationsarbeit beschleunigt und Berufsrollen herausgefordert, da sich Möglichkeiten der Partizipation an der Verantwortung und den Entscheidungen der Gruppe bieten. Diese enthält jedoch auch Dynamiken der gruppenmäßigen Exklusion und lässt zudem die Grenze zwischen „beruflich“ und „privat“, „Arbeit“ und „Leben“ immer mehr verblassen. Es fällt hierbei eine starke implizite Parallelität zu Themen der Erziehungswissenschaft auf (Subjektivität, Handlungsautonomie, Innovation durch Gruppen), ein Thema, das sich in weiteren, in Teil 2 genannten Theorien verstärkt. Denn Dezentralisierung und Marktorientierung sowie Lernen und Wissen als Innovationsmodi haben sowohl bei den Anbietern, als auch bei den Nutzern von Bildung einen zentralen Stellenwert erhalten. Ohne dass diese Parallelität zwischen den arbeitssoziologischen Debatten der letzten Jahre und denen innerhalb der Erziehungswissenschaft hier weiter dargelegt werden kann, springt diese einem Leser ins Auge, sofern er zumindest einige organisationstheoretische Erörterungen der Erziehungswissenschaft der letzten Zeit gelesen hat und dann die von Matys dargelegten arbeitssoziologischen Befunde zur Hand nimmt. Und auch wenn der explizite Bezug zur Pädagogik in dem Buch fehlt: Studierende der Erziehungs- oder Bildungswissenschaften (wie es heute heißt) sollten wissen, was andere Sozialwissenschaften seit ca. 100 Jahren an organisations- und arbeitsorganisatorischen Aspekten der modernen Welt mit welchen Konzepten herausgefunden haben.
Thomas Matys’ Buch halte ich für eines der wichtigen Lehrbücher der letzten Zeit, das diese Welt auch für Pädagogen aufschlüsseln kann, und zwar einfach deshalb, weil das Buch gut geschrieben ist, weil die Theorieansätze einzeln nachgeschlagen werden können, aber auch Teil einer größeren Story sind. Es versteht sich, dass man von einem einführenden Buch keine erschöpfende Darstellung eines Ansatzes erwarten kann; um so eher sind Studierende angehalten, die Theorie-Darstellungen mit Hilfe anderer Schriften, am Besten im Original, zu vertiefen. Diesbezügliche Lesehinweise werden von Thomas Matys gegeben.
Insgesamt ist sehr zu begrüßen, dass sich ein Buch (wieder) dem Thema der Macht widmet. Dieses Thema wird nicht abstrakt dargelegt. Vielmehr wird angeführt, wie es – aus Sicht verschiedener Ansätze der letzten Jahre sowie ausgehend von organisationssoziologischen Grundlegungen – um das Kampffeld zwischen managerieller Kontrolle und „lebendiger“ (subjektivierender) Arbeit bestellt war bzw. derzeit bestellt ist. Ein solches Buch erfüllt, was man erwarten kann, nämlich Lust darauf zu machen, mehr Literatur (im Original) zu studieren, und dabei einen knapp geschriebenen Leitfaden an der Hand zu haben, der einem beim Selbststudium eine Orientierungslinie bietet.
EWR 6 (2007), Nr. 4 (Juli/August 2007)
Macht, Kontrolle und Entscheidungen in Organisationen
Eine EinfĂĽhrung in organisationale Mikro-, Meso- und Makropolitik
Wiesbaden: VS Verlag fĂĽr Sozialwissenschaften 2006
(196 S.; ISBN 3-531-14951-6; 23,90 EUR)
Thomas BrĂĽsemeister (Hagen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Thomas BrĂĽsemeister: Rezension von: Matys, Thomas: Macht, Kontrolle und Entscheidungen in Organisationen, Eine EinfĂĽhrung in organisationale Mikro-, Meso- und Makropolitik. Wiesbaden: VS Verlag fĂĽr Sozialwissenschaften 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 4 (Veröffentlicht am 26.07.2007), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/53114951.html
Thomas BrĂĽsemeister: Rezension von: Matys, Thomas: Macht, Kontrolle und Entscheidungen in Organisationen, Eine EinfĂĽhrung in organisationale Mikro-, Meso- und Makropolitik. Wiesbaden: VS Verlag fĂĽr Sozialwissenschaften 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 4 (Veröffentlicht am 26.07.2007), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/53114951.html