EWR 3 (2004), Nr. 1 (Januar/Februar 2004)

Marjorie Lamberti
The Politics of Education
Teachers and School Reform in Weimar Germany
New York / Oxford: Berghahn Books 2002
(272 Seiten; ISBN 1-57181-298-9; 77,25 EUR)
Vor 15 Jahren hat die amerikanische Historikerin Marjorie Lamberti eine Studie zur Volksschulpolitik im Preußen der Kaiserzeit vorgelegt, in der sie diese in den Kontext des Kulturkampfs und der Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen soziokulturellen Milieus in Deutschland hineinstellt.[1] Diese Studie war ebenso provozierend wie erhellend, weil sie gewohnte, in der Literatur dominierende Sichtweisen in Frage stellte. War die preußische Schulpolitik des Jahrzehnts nach der Reichseinigung bis dahin überwiegend als liberal und fortschrittlich eingeschätzt worden, suchte Lamberti zu zeigen, dass die im Zeichen des Kulturkampfs durchgeführten Reformen – vor allem die Bestrebungen zur Einführung von Simultanschulen – einen ausgesprochen ambivalenten Charakter besaßen. Nicht nur, dass sie von der bürgerlich-protestantischen Elite, welche die Kommunalpolitik dank eines undemokratischen Wahlrechts beherrschte, als Zwangsmaßnahme durchgesetzt wurden; vielmehr waren sie auch dezidiert gegen bestimmte Bevölkerungsteile – den katholischen und den polnischen – gerichtet. Schließlich hatten diese Maßnahmen, so meinte Lamberti zeigen zu können, noch nicht einmal die erwartete segensreiche Wirkung, nämlich religiöse Toleranz und sozialen Zusammenhalt zu fördern. Statt dessen vertieften sie die Spaltungen innerhalb der Nation.

Lambertis provokante Thesen haben seinerzeit keine nachhaltige Diskussion ausgelöst, weil sich das Interesse der Historischen Bildungsforschung in den späten 1980er Jahren bereits weitgehend vom Feld der (Volks-)Schulpolitik abgewandt hatte. Dies betraf nicht nur die Epoche des Kaiserreichs, sondern auch jene der Weimarer Republik. Während in den 60er und vor allem in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zahlreiche Arbeiten zu den schulpolitischen Auseinandersetzungen in der ersten deutschen Demokratie und zu den beteiligten Parteien und Verbänden erschienen sind, ist seitdem nur noch vereinzelt über diesen Gegenstand geforscht und publiziert worden. Um so mehr Aufmerksamkeit verdient es, wenn gerade Marjorie Lamberti nun eine Studie vorlegt, die sich genau dieser Periode der deutschen Schulgeschichte widmet und die nicht nur zeitlich, sondern auch inhaltlich an ihre erste Arbeit unmittelbar anschließt. Wieder geht es nämlich um die Entwicklung von Volksschule und Volksschulpolitik im Rahmen der kulturpolitischen Auseinandersetzungen der Zeit, für deren Charakterisierung sich die Autorin wohl nicht zufällig des Begriffs "Kulturkampf" bedient.

Angesichts solcher Voraussetzungen muss es überraschen, dass Lamberti weder im Vorwort noch im weiteren Gang der Darstellung explizit an ihre frühere Arbeit und die dort gegebene Deutung anknüpft. Die nähere Betrachtung lässt jedoch rasch erkennen, dass dies kein Zufall ist, zeigt sich doch der ganze interpretatorische Ansatz grundlegend verändert: An die Stelle jenes unbefangenen Blicks, dem es gelungen war, die vielfach gebrochenen Konfliktlinien innerhalb der deutschen Gesellschaft des Kaiserreichs herauszuarbeiten, ist nun eine eher konventionelle Betrachtungsweise getreten, die das Feld säuberlich in zwei einander gegenüber stehende Lager einteilt: auf der einen Seite die "fortschrittlichen" Kräfte, deren Kern die im Deutschen Lehrerverein (DLV) zusammengeschlossenen Volksschullehrer bilden, auf der anderen Seite die "Traditionalisten", eine Koalition aus katholischen und protestantischen Kirchenmännern, politisch Rechtsstehenden aus der Philologenschaft und Splittergruppen antirepublikanischer Volksschullehrer und Rektoren. Die Geschichte der Auseinandersetzungen um die Gestaltung der Volksschule in der Weimarer Republik schreibt Lamberti folgerichtig als Geschichte des Kampfes zwischen diesen beiden Lagern, wobei ihre Sympathie eindeutig den Vertretern des progressiven Lagers, vor allem also den Volksschullehren, gilt. Nicht umsonst setzt die Darstellung mit den Programmdebatten im Deutschen Lehrerverein im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg ein und endet mit dessen Gleichschaltung im Jahre 1933.

In den vier Kapiteln, die sich mit der dazwischen liegenden Zeit beschäftigen, zeigt sich die Autorin bestrebt, die Schulreformen und Schulkämpfe der Weimarer Jahre – unter den Stichworten "Einheitsschule", "Arbeitsschule" und "Gemeinschaftsschule" – zugleich in ihrer sozialen, ihrer pädagogischen und ihrer religiös-weltanschaulichen Dimension zu erfassen. Entsprechend kommen sowohl die Auseinandersetzungen um die Einführung der allgemeinen Grundschule und die Aufhebung der Vorschulen zur Sprache wie das – nach Lambertis Auffassung höchst erfolgreiche – Bemühen der Reformkräfte im DLV, die Volksschullehrerschaft für die Konzepte der "progressive education" zu gewinnen und sie in deren Praxis einzuführen. Den breitesten Raum nehmen in der Darstellung jedoch – ihrer zeitgenössischen Bedeutung entsprechend – die Auseinandersetzungen um die religiös-weltanschauliche Gestaltung des Volksschulwesens ein. Dabei wird nicht nur ausführlich auf die zum Weimarer Schulkompromiss führenden Verhandlungen eingegangen (in guter pädagogischer Tradition als "Kuhhandel" – horse-trading –bezeichnet, 56), detailliert geschildert werden auch die in den Jahren 1921/22 bzw. 1927/28 mit großer Leidenschaft ausgetragenen Kämpfe um die jeweiligen Reichsschulgesetzentwürfe.

Neues enthält die Darstellung im Grunde aber nur dort, wo Lamberti sich dem Geschehen auf regionaler Ebene zuwendet. Mit Preußen und Sachsen hat sie dabei zwar Schwerpunkte gewählt, die nicht gerade als weiße Flecken auf der schulhistorischen Landkarte gelten können. Durch die Auswertung regionaler Lehrerzeitungen und einschlägiger Archivbestände gelingt es ihr aber doch, das Bild von den Ereignissen um interessante Details zu bereichern. Das gilt beispielsweise für die Kampagne gegen die "moderne Schule" und die "neue Pädagogik" in Sachsen nach der politischen Rechtsverschiebung Mitte der 20er Jahre oder für den westfälischen Schulstreik des Jahres 1926.

Auch in diesen Passagen folgt die Darstellung jedoch dem skizzierten interpretatorischen Grundmuster. Dabei bewegt sie sich an manchen Stellen in gefährlicher Nähe zur Vereinsgeschichtsschreibung. So hat Lamberti sicher nicht ganz Unrecht, wenn sie beklagt, dass das Bemühen der Volksschullehrerschaft um die Schulreform von der Forschung bislang zu wenig gewürdigt worden sei. Das kann jedoch keine Begründung dafür sein, nun – gleichsam als Wiedergutmachung – umstandslos der Selbstdarstellung der solchermaßen "Verkannten" zu folgen und das Bild einer uneigennützigen Lehrerschaft zu kultivieren, die sich trotz schwieriger Lebensumstände, schlechter Behandlung durch den Staat und böswilliger Angriffe durch die Gegner unbeirrt dem Dienst an Schule und Kindeswohl, Republik und Volk gewidmet hat (vgl. beispielhaft 105).

In diesem Bild bleiben nicht nur die substanziellen Verbesserungen – hinsichtlich Bezahlung, Aufstiegsmöglichkeiten, beruflicher Selbständigkeit und Ausbildung – ausgespart, welche die Volksschullehrerschaft bei allen zu konstatierenden Rückschlägen immer noch als einen der Gewinner der politischen Umwälzung erscheinen lassen. Zu wenig werden dabei vielmehr auch die Ambivalenzen in der Programmatik des DLV und in den mentalen Dispositionen der Lehrerschaft berücksichtigt, die sich gegen eine einfache Klassifizierung als "fortschrittlich" (oder "traditionalistisch") sperren. Die Freisetzung und Förderung des Einzelnen und seine Wiederverwurzelung in Heimat und (Volks-)Gemeinschaft, die Selbstbestimmung und die Einordnung ins Ganze erscheinen hier auf zeittypische Weise miteinander verwoben – so wie auch die durch das Schlagwort "Arbeitsschule" gekennzeichnete Pädagogik zugleich Individual- und Gemeinschaftspädagogik ist, auf Eigenverantwortung und Bindung gleichermaßen zielt.

Da Lamberti auf eine gründliche Analyse dieser gedanklichen Mischung verzichtet, ist es kein Wunder, dass auch ihre Darstellung des Verhältnisses von Volksschullehrerschaft und Nationalsozialismus am Ende recht eindimensional ausfällt. Dabei ist zweifellos der Hinweis berechtigt, dass es in den Reihen der Volksschullehrer bis zum Schluss heftigen Widerstand gegen den Nationalsozialismus gegeben hat, der allen Bemühungen um Infiltration enge Grenzen setzte. Die Vereinnahmung durch den NS jedoch auf "rechte" Lehrergruppen (vor allem Rektoren und Landlehrer) zu beschränken und den Gedanken ideologischer Berührungspunkte und Schnittmengen pauschal zu verwerfen, geht nicht nur nach dem oben Gesagten, sondern auch nach den – durch Lamberti keineswegs widerlegten – Ergebnissen der bisherigen Forschung zu weit. Das Programm der "nationalen Einheit" besaß eben nicht nur für jene Anziehungskraft, die sich durch die "kulturelle Modernisierung" der Weimarer Zeit verunsichert und bedroht fühlten; es war attraktiv auch für diejenigen, die es der Republik verübelten, dass sie die gesellschaftliche Zersplitterung nicht überwunden und insbesondere die Schule partikularen Gewalten überantwortet hatte.

Fazit: Lamberti ist zuzustimmen, wenn sie meint, die Kulturpolitik und speziell die Schulkämpfe seien von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Entwicklung der Weimarer Republik und für den Siegeszug des NS gewesen. Überzeugender wäre der Nachweis dieser Tatsache jedoch ausgefallen, hätte sich die Autorin darauf konzentriert, zu zeigen, wie tief die Gräben zwischen den verschiedenen soziokulturellen Milieus in der deutschen Gesellschaft zu jener Zeit waren und wie leicht liberale Schulpolitik unter solchen Bedingungen den Charakter von Zwangsmaßnahmen annehmen, das Handeln demokratisch gewählter Regierungen undemokratische Züge gewinnen, das Vorgehen antidemokratischer Gruppen sich als demokratisch ausweisen und schließlich eine auf nationale Einheit zielende Politik die Spaltung vertiefen konnte. Zu einer solchen, den spannungsvollen Verhältnissen der Weimarer Republik gerecht werdenden Darstellung hätte es nur der konsequenten Anknüpfung an die eingangs beschriebene Studie zur Volksschule im Kaiserreich bedurft, deren (neuerliche) Lektüre deshalb den Lesern – wie der Autorin – wärmstens empfohlen sei.

[1] Marjorie Lamberti: State, Society, ant the Elementary School in Imperial Germany. New York/Oxford: Oxford University Press 1989.
Gerhard Kluchert (Berlin / Mannheim)
Zur Zitierweise der Rezension:
Gerhard Kluchert: Rezension von: Lamberti, Marjorie: The Politics of Education, Teachers and School Reform in Weimar Germany, New York / Oxford: Berghahn Books 2002. In: EWR 3 (2004), Nr. 1 (Veröffentlicht am 05.02.2004), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/57181298.html