EWR 1 (2002), Nr. 2 (April/Mai 2002)

Caroline Hopf / Eva Matthes
Helene Lange und Gertrud Bäumer
Ihr Engagement für die Mädchen- und Frauenbildung. Kommentierte Texte
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2001
(229 Seiten; ISBN 3-7815-1146-4; 17,90 EUR)
Helene Lange und Gertrud Bäumer Der 2001 erschienene Quellenband mit Texten von Helene Lange und Gertrud Bäumer reiht sich ein in die Folge der Neuauflagen von Texten aus der ersten deutschen Frauenbewegung, die in den letzten Jahren auf neues Interesse gestoßen sind (vgl. die von Kleinau oder Feustel herausgegebenen Bände).

Der Umstand des neu erwachten Interesses ist vor allem einem Perspektivenwechsel in der Beurteilung der frühen Frauenbewegung zu verdanken, die in den 70er und 80er Jahren als "bürgerliche" und "gemäßigte" abqualifiziert worden war. So erstaunt auch in diesem Band wieder die Aktualität der Probleme, Fragestellungen und Argumentationsfiguren, die die Pioniere der Frauenemanzipation bereits um die Jahrhundertwende vortrugen: ihre Theorien zu Geschlechterdifferenzen, die so ganz und gar nicht in das Klischee der an natürliche Unterschiede glaubenden Frauenrechtlerinnen passt.

Nur ein Beispiel: Lange nahm 1896 in ihrem Aufsatz über die "Intellektuellen Grenzlinien zwischen Mann und Frau" bereits Gedanken voraus, die wir ein halbes Jahrhundert später bei Simone de Beauvoir wiederfinden: dass der Mann sich als Maßstab für den Menschen schlechthin definiert, von dem die Frau als "das andere" immer nur abweichen kann – im positiven wie im negativen, aber meist im negativen (S. 82ff.). Besonders bei Lange finden sich zudem immer wieder treffende und erfrischend zu lesenden Polemiken gegen die zeitgenössischen Männer, die den Frauen mit z.T. abstrusen Argumenten offen die Fähigkeit des Denkens und der Bildungsaneignung absprachen. Fast wünscht frau sich die Zeiten zurück, in denen die Exklusion der Frauen von der Macht und der Wissenschaft so offen und formal (und nicht wie heute subtil und verdeckt) stattfand.

Aber nein – zu deutlich wird andererseits in den autobiographischen Abschnitten von Langes und Bäumers eigener, mühsam errungener Bildung, welche individuellen Kosten mit der Verweigerung des Zugangs zu intellektuellen Gesprächen und Studien entstanden. Es lässt in der heutige Leserin eine Ahnung über den Fortschritt und damit das Verdienst der Frauenbewegung entstehen, die diese Hindernisse aus dem Weg räumte. Damit war aber – so Lange 1920 – nicht das Ende, sondern erst der Anfang der Bewegung erreicht. Der Eingang zum Gebäude war erst aufgestoßen, aber es waren immer noch viele Zimmer versperrt, die mit spitzen oder stumpfen Waffen verteidigt wurden (S. 71).

Systematisch ist die Ausgabe von Hopf und Matthes konzentriert auf sieben Fragenkomplexe: Biographie (v.a. die eigene Bildungsgeschichte), Frauenbewegung, Geschlechtertheorie, Universitätsbildung, Koedukation und weibliche Sozialarbeit. Unter diese Punkte werden – in chronologischer Reihenfolge - jeweils 3-4 Artikel von Lange und Bäumer geordnet, die z.T. ähnliche, z.T. aber auch sich wiedersprechende oder ergänzende Argumentationen liefern. Jedem abgedruckten Aufsatz geht ein informativer Kommentar der Herausgeberinnen voran.

Es ist den Herausgeberinnen zu danken, dass sie die hier ausgewählten Texte einem heutigen LeserInnenkreis wieder neu zugänglich gemacht haben und die Lektüre ist hiermit auch herzlich denjenigen männlichen Lesern empfohlen, die bisher die Klassikerinnen für eine zu vernachlässigende Größe ihrer Disziplin hielten. Sie könnten eines bessren belehrt werden.
Carola Kuhlmann (MĂĽnster/Bielefeld)
Zur Zitierweise der Rezension:
Carola Kuhlmann: Rezension von: Hopf, Caroline / Matthes, Eva: Helene Lange und Gertrud Bäumer, Ihr Engagement fĂĽr die Mädchen- und Frauenbildung. Kommentierte Texte, Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2001. In: EWR 1 (2002), Nr. 2 (Veröffentlicht am 00.04.2002), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/78151146.html