EWR 4 (2005), Nr. 6 (November/Dezember 2005)

Thomas Ammann
Zur Berufszufriedenheit von Lehrerinnen
Erfahrungsbilanzen in der mittleren Berufsphase
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2004
(421 S.; ISBN 3-7815-1345-9; 32,00 EUR)
Zur Berufszufriedenheit von Lehrerinnen Die Arbeit von Thomas Ammann schließt an eine bereits lĂ€ngere Tradition der Untersuchung beruflicher Zufriedenheit von Lehrerinnen und Lehrern an, die im deutschsprachigen Raum in den 1970er-Jahren einsetzte und vor allem in den 1990er-Jahren ein breites Spektrum an Erkenntnissen auf der Basis zum Teil umfangreicher DatensĂ€tze zu Tage gefördert hat. Im Rahmen seiner theoretischen VorĂŒberlegungen, die er in dem ersten (Kapitel A, 15-132) von insgesamt drei großen Kapiteln unternimmt, und in der daran anschließenden eigenen Untersuchung (Kapitel B, 133-362) geht Ammann von den UnzulĂ€nglichkeiten und konzeptionellen Defiziten dieser bisherigen Forschung zur Zufriedenheit im Lehrerberuf aus, in der zwar ĂŒber die interindividuelle Quantifizierung einzelner Determinanten der Berufszufriedenheit die Relevanz spezifischer Berufsaspekte herausgestellt werden konnte, die Entwicklung der Berufszufriedenheit in der Berufsbiographie und ihre intraindividuelle VariabilitĂ€t aber unterbelichtet geblieben bzw. ganz ausgeblendet worden sei [1]. An Stelle einer punktuellen, auf einen bestimmten Zeitpunkt reduzierten Erfassung plĂ€diert er daher fĂŒr einen biographischen Ansatz in der Erforschung der Berufszufriedenheit.

Methodisch soll die qualitative Erfassung individueller Berufserfahrungen und -bilanzen die Rekonstruktion beruflicher Zufriedenheit ĂŒber ein „Nachempfinden des subjektiv Gemeinten“ (23) ermöglichen, um auf diese Weise dem vielschichtigen, individuell geprĂ€gten und mehrdimensionalen Reflexionskonstrukt „Zufriedenheit“ gerecht zu werden. Ammann thematisiert zwar unterschiedliche AnsĂ€tze der Ă€lteren Forschung zur konzeptionellen Bestimmung von Berufszufriedenheit, er legt seiner Untersuchung selbst jedoch in Absehung dieser Konzepte einen „relativ weitgefaßten, umgangssprachlichen Zufriedenheitsbegriff zugrunde“, da anzunehmen sei, dass berufliche Zufriedenheit bei den befragten Lehrerinnen „ein mehr oder weniger bewußt reflektiertes Ergebnis subjektiver Interpretationen des erlebten Alltags darstellt“ (23). Die Erfassung bzw. das „Nachempfinden“ einer wenig oder gar nicht bestimmten subjektiven Wahrnehmung des Berufalltags sowie eine individuelle RĂŒckschau auf die eigene Berufsbiographie scheinen indes nicht dazu angetan, verlĂ€ssliche Informationen ĂŒber die Berufszufriedenheit von Lehrerinnen und Lehrern zu liefern. DarĂŒber hinaus sind mit Blick auf die Anlage und Konzeption der Untersuchung von Ammann noch weitere EinschrĂ€nkungen zu machen.

So verweist der Autor darauf, dass sich seine Studie aufgrund der in vor allem Ă€lteren Untersuchungen identifizierten geschlechtsspezifischen Unterschiede „ausschließlich auf die Situation von weiblichen LehrkrĂ€ften“ (11) konzentriere. Dies ĂŒberrascht nicht zuletzt deshalb, weil sich eben diese Unterschiede, die der Autor selbst als relevant bezeichnet, trivialer Weise allein im Vergleich der Geschlechter herausarbeiten ließen. Hinzu kommt, dass in jĂŒngeren Untersuchungen zwar auch geschlechtsabhĂ€ngige Divergenzen in der Berufszufriedenheit von Lehrerinnen und Lehrern identifiziert wurden [2], der Faktor Geschlecht sich aber als Bedingungsvariable fĂŒr die Zufriedenheit im Lehrerberuf insgesamt als nur wenig relevant bzw. der Zusammenhang zwischen Geschlecht und Berufszufriedenheit im Lehrerberuf sich nicht als signifikant erwiesen hat [3].

Eine weitere EinschrĂ€nkung erfĂ€hrt die Studie dadurch, dass sie sich ausschließlich auf Lehrerinnen an Grundschulen bezieht, die sich darĂŒber hinaus im Alter zwischen 38 und 48 Jahren in der mittleren Berufsphase (etwa 13 bis 20 Dienstjahre) befinden. Diese zusĂ€tzliche Vorauswahl ist gerade deshalb problematisch, weil sich Lehrerinnen an Grundschulen in Untersuchungen als diejenigen herausgestellt haben, die im Vergleich der Schulformen eine besonders hohe Berufszufriedenheit aufweisen [4]. Es handelt sich also bei den von Ammann in seine Untersuchung aufgenommenen Lehrerinnen um eine m.E. positiv ausgewĂ€hlte und entgegen den AusfĂŒhrungen des Autors durchaus homogene Gruppe. Die Aussagekraft der Untersuchungsergebnisse wird damit zusĂ€tzlich erheblich beeintrĂ€chtigt. Problematisiert wird diese Vorauswahl im Rahmen der Interpretation der Untersuchungsergebnisse nicht.

In den Berufsbiographien der befragten 66 Grundschullehrerinnen, mit denen Ammann narrativ-problemorientierte Interviews gefĂŒhrt hat, erweist sich vor allem die Phase des Referendariats und der ersten Berufsjahre als problematisch. Die berufliche Entwicklung und Zufriedenheit wird retrospektiv fĂŒr diese Zeit als unsicher schwankend zwischen Höhen und Tiefen gekennzeichnet, wĂ€hrend in den anschließenden Berufsjahren eine Stabilisierung wahrgenommen wird. Mit Blick auf befriedigende und belastende Erfahrungen im gegenwĂ€rtigen Berufsalltag der Grundschullehrerinnen, den Ammann in der Auswertung der Interviews entgegen des von ihm programmatisch vertretenen berufsbiographischen Ansatzes besonders ausfĂŒhrlich behandelt (196-362!), markieren die Befragten unter anderem einen engen Zusammenhang zwischen privater und beruflicher Zufriedenheit. Zu den maßgeblichen externen EinflĂŒssen auf die berufliche Zufriedenheit werden die erfolgreiche Vereinbarung von Familie und Beruf und positive Erfahrungen mit den eigenen Kindern gezĂ€hlt, die in der Wahrnehmung der Lehrerinnen einen grundlegenden Wandel in ihrer BerufstĂ€tigkeit mit Auswirkungen auf die berufliche Zufriedenheit bewirkt haben. Als ebenfalls wichtigen externen Einflussfaktor auf bzw. als Voraussetzung fĂŒr die berufliche Zufriedenheit stellen die Lehrerinnen zudem eine intakte, harmonische Partnerschaft heraus.

Unter den ‚berufsinternen‘ Faktoren und VerstĂ€rkern der Zufriedenheit kommt den Komponenten ein besonderer Stellenwert zu, die in direkter Beziehung zum Unterrichtsgeschehen stehen. Als Wesensmerkmal und Bedingung der Berufszufriedenheit stellt Ammann „die starke emotionale Bindung zu den Kindern und ihre Liebe“ bzw. die „starke SchĂŒler- bzw. Beziehungsbezogenheit der Lehrerinnen“ heraus (233). Die Gestaltungsfreiheit und berufliche Autonomie werden von den Grundschullehrerinnen ebenfalls zu den Faktoren, die Berufszufriedenheit hervorrufen, gezĂ€hlt, genauso wie die kreativen Potentiale des Berufs und die Kommunikation und Kooperation mit den Kolleginnen.
Als belastend und unbefriedigend erfahren die befragten Lehrerinnen ihren Berufsalltag, wenn in den genannten Bereichen wie etwa im Unterrichtsgeschehen ihre persönlichen AnsprĂŒche und Erwartungen nicht erfĂŒllt werden. Gerade der emotional geprĂ€gte Bezug zu den Kindern und die zum Teil idyllischen Vorstellungen von Kindheit werden in der Unterrichtspraxis enttĂ€uscht, fĂŒhren zu Verbitterung, beruflicher Unzufriedenheit und Frustration. Ihre Belastungserfahrungen im Unterricht, die Berufsunzufriedenheit bedingen, fĂŒhren die befragten Lehrerinnen dabei selbst auf die Disziplin- und Interessenlosigkeit, den gestiegenen Medienkonsum, die emotionale, soziale, kulturelle und intellektuelle Verwahrlosung der gegenwĂ€rtigen SchĂŒlergeneration zurĂŒck, wĂ€hrend in der Vergangenheit die Arbeit mit den SchĂŒlerinnen und SchĂŒlern sowie mit den Eltern als einfacher, zufrieden stellender und weniger belastend gekennzeichnet wird.

In den Abschnitten zu den Belastungen im Berufsalltag breitet Ammann ausfĂŒhrlich die zum Teil bedenklichen subjektiven Theorien der befragten Lehrerinnen ĂŒber den Verfall von Kindheit, Jugend und der Elternerziehung oder ĂŒber die GrĂŒnde fĂŒr die mangelnde Kooperation im Kollegium aus, ohne dabei eine notwendige kritisch begleitende Kommentierung vorzunehmen. So treffe etwa eine Lehrerin laut Ammann den „wunden Punkt“, wenn sie sich „das Konkurrenzverhalten der Kolleginnen generell mit dem typischen Verhalten von Frauen erklĂ€rt“ (289). Indes wird hier in der Übernahme derartiger ErklĂ€rungsversuche der „wunde Punkt“ der Untersuchung von Ammann und weniger jener in der Zusammenarbeit von Lehrerinnen einer Schule markiert.

WĂ€hrend im Verlauf der PrĂ€sentation und Interpretation der Untersuchungsergebnisse nur unzureichend deutlich herausgestellt wird, dass Berufsunzufriedenheit und berufliche Belastungen hĂ€ufig auf die in den Aussagen der befragten Lehrerinnen deutlich werdenden hohen BerufsansprĂŒche zurĂŒckzufĂŒhren sind, konstatiert Ammann am Ende seiner Arbeit, dass die „gegenwĂ€rtige berufliche Zufriedenheit in hohem Maße durch enttĂ€uschte Hoffnungen an den Beruf eingeschrĂ€nkt und nur in geringem Umfang von erfĂŒllten Erwartungen getragen wird“ (347). Dass die BerufsansprĂŒche, wie auch die Erwartungen an die eigene Person, individuell hĂ€ufig zu hoch gesteckt sind und dies nicht mit einer von Ammann angefĂŒhrten, abstrakt anmutenden allgemeinen Verknappung von Zufriedenheitschancen angesichts moderner BerufsansprĂŒche zusammenhĂ€ngt, wird nicht hinreichend deutlich.

Auch wenn die Untersuchungsergebnisse der Studie von Thomas Ammann aufgrund der skizzierten EinschrĂ€nkungen mit Vorsicht zu genießen sind, so ist die Leistung der Arbeit dennoch darin zu sehen, dass sie zumindest in den theoretisch-konzeptionellen Überlegungen den Blick fĂŒr die intraindividuelle Entwicklung der Berufszufriedenheit eröffnet. Denn von einer individuellen VariabilitĂ€t der Zufriedenheit in der Berufsbiographie ist auch dann auszugehen, wenn in den Ergebnissen neuerer Untersuchungen die Anteile an zufriedenen und unzufriedenen Lehrerinnen und Lehrern in allen Altersgruppen gleich sind und sich daher kein signifikanter Zusammenhang zwischen Alter und Berufszufriedenheit feststellen lĂ€sst [5].

Hinzu kommt, dass sich Hinweise fĂŒr eine Auflösung der paradox erscheinenden Gleichzeitigkeit von Berufszufriedenheit und hohem Belastungserleben unter Anwendung einer berufsbiographischen Perspektive bei Ammann finden. Denn wie in frĂŒheren Untersuchungen Ă€ußern auch etwa 80% der 66 befragten Grundschullehrerinnen eine hohe berufliche Zufriedenheit trotz hoher Belastungswahrnehmung. Die Lehrerinnen haben auf die bis in die Gegenwart reichenden EnttĂ€uschungserfahrungen ihrer ursprĂŒnglichen Erwartungen nicht grundsĂ€tzlich mit gesteigerter Berufsunzufriedenheit reagiert, sondern sie sind stattdessen „gerade auch deshalb zufrieden [
], weil sie diese bewĂ€ltigt haben“ bzw. immer noch bewĂ€ltigen (294).

Insgesamt – so ist abschließend festzuhalten – bleibt die Untersuchung gerade aufgrund ihrer Anlage und der Konzentration auf den gegenwĂ€rtigen Berufsalltag der Lehrerinnen weit hinter den formulierten AnsprĂŒchen zurĂŒck. Eine sich intraindividuell in der Berufsbiographie wandelnde Berufszufriedenheit von Lehrerinnen und Lehrern dĂŒrfte sich ohnehin eher ĂŒber echte, berufsbegleitende Langzeituntersuchungen und nicht ĂŒber eine meist problematische, individuell-retrospektive Bewertung vergangener und gegenwĂ€rtiger Berufsphasen erfassen lassen.

[1] Das dritte Kapitel C (363-400) enthĂ€lt zehn Strategien „fĂŒr eine zufriedene berufliche Entwicklung“ (394) im Sinne eines „Selbsthilfekonzepts“ (13), die die ‚erfahrenen‘ Grundschullehrerinnen fĂŒr ihre jĂŒngeren Kolleginnen zum Abschluss der Interviews formuliert haben.
[2] Vgl. Köhler, G. (1997): Die Sicht der Lehrer auf die VerĂ€nderungen im Schulwesen. In: Zedler, P./Weishaupt, H. (Hrsg.): KontinuitĂ€t und Wandel. ThĂŒringer Schulen im Urteil von SchĂŒlern, Lehrern und Eltern. Weinheim: Beltz, S. 115-146; Böhm-Kasper, O./Bos, W./Körner, S.C./Weishaupt, H. (2001): Sind 12 Schuljahre stressiger? Belastung und Beanspruchung von Lehrern und SchĂŒlern am Gymnasium. Weinheim/MĂŒnchen: Juventa.
[3] Vgl. Terhart, E./Czerwenka, K./Ehrich, K./Jordan, F./Schmidt, H.-J. (1994): Berufsbiographien von Lehrern und Lehrerinnen. Frankfurt a.M. u.a.: Lang; Gehrmann, A. (2003): Der professionelle Lehrer. Muster der BegrĂŒndung – Empirische Rekonstruktion. Opladen: Leske & Budrich.
[4] Vgl. u.a. Merz, J. (1979): Berufszufriedenheit von Lehrern. Eine empirische Untersuchung. Weinheim/Basel: Beltz (n=1253 Lehrerinnen und Lehrer unterschiedlicher Schulformen) und Ipfling, H.J./Peez, H./GamsjÀger, E. (1995): Wie zufrieden sind die Lehrer? Empirische Untersuchungen zur Berufs(un)zufriedenheit von Lehrern/Lehrerinnen der Primar- und Sekundarstufe im deutschsprachigen Raum. Bad Heilbrunn: Klinkhardt (n=5000).
[5] Vgl. Gehrmann 2003 a.a.O.
Martin Rothland (MĂŒnster)
Zur Zitierweise der Rezension:
Martin Rothland: Rezension von: Ammann, Thomas: Zur Berufszufriedenheit von Lehrerinnen, Erfahrungsbilanzen in der mittleren Berufsphase. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2004. In: EWR 4 (2005), Nr. 6 (Veröffentlicht am 08.12.2005), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/78151345.html