Die vorliegende Schrift erscheint als zweite völlig überarbeitete Auflage des Bandes „Grundschulpädagogik – eine Einführung“ in der Reihe „Studientexte zur Grundschulpädagogik und -didaktik“. „Die Grundschule als Bildungsorganisation“ untersteht der Zielsetzung als Leitband der Reihe zu fungieren und die Basis für eine theoriegeleitete Praxis zu vermitteln. Diesem hohen Anspruch wird der Band – um die sich ableitende Frage direkt aufzulösen – insgesamt gerecht.
Die Schrift gliedert sich in drei Teile, wobei der erste den erziehungswissenschaftlichen Theorierahmen der Grundschulpädagogik abbildet. Die Grundschulpädagogik wird hier zunächst unter dem Dach der Schulpädagogik verortet, allerdings nicht ohne auf die Notwendigkeit einer eigenständigen Profilierung zu verweisen. Aus der Abgrenzung zu anderen Schularten und -stufen entwickelt Schorch eine Profilschärfung im Hinblick auf grundschulspezifische, pädagogische Handlungsfelder und Forschungsthemen. Besonders mit der Forschungsbasiertheit der Grundschulpädagogik und der Bedeutung empirischer Grundlagen für die pädagogische Praxis und Theorie rückt der Autor Themenkomplexe in den Fokus, die im schulischen Alltag allzu oft vernachlässigt werden. In diesem Kontext greift Schorch Studien und methodische Ansätze auf, nennt flankierende Forschungsbereiche und verweist auf Prinzipien und Desiderate. Seine Ausführungen sind somit Anlass zur vertiefenden Auseinandersetzung für angehende Lehrkräfte und zugleich – unter dem Stichwort „Handlungsforschung“ – ein Anstoß für Praktiker.
Im zweiten Kapitel führt der Autor den inhaltlichen Schwerpunkt der Schrift – die Darstellung und Analyse institutioneller Bedingungsfaktoren der Grundschule – aus. Orientierend für den Gesamttext wirkt ein tabellarischer Überblick über grundschulpädagogische Kernbereiche, der den Zusammenhang zwischen dem „institutionellen Rahmen“ und den „pädagogischen Leitlinien und Gestaltungsmöglichkeiten“ systematisch veranschaulicht. Insgesamt wurde leider an weiteren strukturierenden, einordnenden Elementen gespart, die besonders für Studierende von Gewinn wären. Mit den Bedingungskomponenten „Grundlegende Schule“, „Erste Schule“, „Gemeinsame Schule“ und „Kinderschule“ zeigt Schorch das institutionelle Spannungsfeld grundschulpädagogischer Arbeit auf und strukturiert so gleichzeitig seine Ausführungen. Ausgehend von der Grundschule als Fundament des Bildungssystems beleuchtet er den vielgestaltigen Bildungsauftrag der Grundschule unter den Aspekten „Grundlegende Bildung“ und „Grundlegung der Bildung“. Darüber hinaus stellt er die Frage nach fundamentalen Inhalten und ergänzt die Funktion der Schulpropädeutik durch die Aufgabe der Lebenspropädeutik – letztere ausgerichtet auf Basiswerkzeuge zur Erschließung der kindlichen Lebenswirklichkeit. Damit verbunden ist der Hinweis zur Besinnung auf grundschulspezifische Kernkompetenzen, die ein erfolgreiches Weiterlernen erst ermöglichen.
Im Anschluss an diese Darstellung wird die Grundschule unter dem Gesichtspunkt des Eintritts in das Bildungssystem beleuchtet. In diesem Kontext markiert Schorch den Schulbeginn als Problemzone und stellt Übergangsmodelle wie die „neue“ Schuleingangsphase oder die Kooperation zwischen Kindergarten und Grundschule ins Zentrum seiner Ausführungen. Zudem diskutiert er gesetzliche Bestimmungen, theoretische Vorstellungen, diagnostische Verfahren und normative Vorgaben im Themenfeld „Schulfähigkeit – Schulbefähigung“. Aber nicht nur der Schulbeginn, auch der Übergang zur weiterführenden Schule wird unter dem Stichwort „Sekundarstufenschock“ als Problemfeld erfasst. Die Lehrkräfte der Sekundarstufe werden in diesem Zusammenhang in die Pflicht genommen, die Kinder auf ihrem jeweiligen Stand abzuholen – im gegenwärtigen System eine häufig angemahnte und selten praktizierte Forderung. So entwickelt Schorch die Anregung für die erste Ausbildungsphase, das Themenfeld „anschlussfähige Bildungsprozesse“ in allen Lehramtsstudiengängen aufzugreifen.
Der sich anschließende Themenkomplex nimmt unter der Überschrift „gemeinsame Schule“ die Spannungsfelder „Homogenisierung und Differenzierung“ bzw. „Integration und Individualisierung“ auf. Mit vielfältigen Beispielen unterstreicht der Autor sein Anliegen, eine realistische grundschulspezifische Handlungstheorie zu entwickeln, in deren Fokus die „systemische Ausgewogenheit“ steht. An dieser Stelle sei bemerkt, dass die positive Wendung – der Blickwinkel „Heterogenität als Bereicherung“ – leider ein wenig zu kurz kommt.
Als letztes konstituierendes Merkmal beschreibt Schorch die Grundschule als Kinderschule. Hier akzentuiert er die Bedeutung des Prinzips der „Kindorientierung“ und verweist auf die Notwendigkeit der pädagogischen Reflexion des Kindheitsbegriffs. Eine Reise durch die Grundschulgeschichte verdeutlicht die Vielfalt in der Auffassung von Kindgemäßheit, die in der Darstellung aktueller Ergebnisse der Kindheitsforschung mündet. Mit Hinweis auf die zunehmende Diversifikation von Kindheitsmustern fasst der Autor grundschulpädagogische Forderungen zusammen, analysiert und kritisiert diese – immer mit Blick auf den verfassungsmäßigen Auftrag der Grundschule als Bildungsinstitution. Schorch schließt seine Ausführungen mit einer grundschulpädagogischen Standortbestimmung und dem Verweis auf ein „pädagogisches Profil einer humanen Schule, die nicht nur der Vorbereitung auf das Leben dient, sondern auch selbst Teil des kindlichen Lebens ist“ (151).
Den dritten und letzten Teil der Schrift bildet der Ausblick auf den zweiten Studientextband „Die Grundschule als pädagogisches Handlungsfeld“. Dieser verspricht die strukturelle Anbindung durch praxisnahe Aufbereitung der Themenfelder „Grundlegung“, „Schulanfang und -befähigung“, „Heterogenität“ oder „Kindgemäßheit“, die bereits im vorliegenden Band diskutiert wurden. Demgemäß ist der Ausblick in die Gesamtsystematik des vorliegenden Bandes eingebunden, die immer wieder auf die grundschulpädagogische Notwendigkeit einer praxisreflektierenden Theorie und einer theoriegeleiteten Praxis abhebt.
Zusammenfassend betrachtet gelingt es dem Autor, der Leserschaft einerseits ein interessantes Ausschnittswissen zu verschaffen und andererseits Impulse für den weiteren Diskurs zu setzen. Die komprimierte Schilderung von Kerngedanken mit der Absicht grundschulpädagogischer Studien- und Arbeitsgebiete in ihren Grundstrukturen zu erfassen, ist als gelungen zu bezeichnen. Um jedoch einen umfassenden Eindruck zu erhalten, ist der Rückgriff auf weitere aktuelle, ergänzende Literatur erforderlich. Leserinnen und Lesern, die nach gezielten Ausschnitten der Grundschulpädagogik recherchieren, erleichtert ein Sachregister den Seiteneinstieg, denn der Band ist nicht ausschließlich – obwohl zu empfehlen – als Gesamtwerk zu lesen.
Abschließend soll noch einmal betont werden, dass es sich bei diesem Studientext um einen notwendigen Beitrag, nicht allein zur Lehrerausbildung, handelt. Auch oder gerade Grundschullehrkräften, die sich im Handlungsfeld befinden, sei er als ergänzende Lektüre zur pädagogischen Praxis empfohlen. Im Alltag – mit all seinen Fallstricken, zeit- und nervenfressenden „Kleinigkeiten“ – gerät der Bildungsauftrag der Grundschule eben nur all zu leicht aus dem Fokus. So wirkt ein distanzierter, reflektierender Blick – ein Rückbesinnen auf den ursprünglichen Auftrag – sinnstiftend und praxisbereichernd.
EWR 5 (2006), Nr. 4 (Juli/August 2006)
Die Grundschule als Bildungsorganisation
Leitlinien einer systematischen Grundschulpädagogik
(Studientexte zur Grundschulpädagogik und -didaktik; 2. völlig überarbeitete Auflage von "Grundschulpädagogik - eine Einführung")
(Studientexte zur Grundschulpädagogik und -didaktik; 2. völlig überarbeitete Auflage von "Grundschulpädagogik - eine Einführung")
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2006
(180 S.; ISBN 3-7815-1437-4; 15,80 EUR)
Claudia Henrichwark (Wuppertal)
Zur Zitierweise der Rezension:
Claudia Henrichwark: Rezension von: Schorch, GĂĽnther: Die Grundschule als Bildungsorganisation, Leitlinien einer systematischen Grundschulpädagogik (Studientexte zur Grundschulpädagogik und -didaktik; 2. völlig ĂĽberarbeitete Auflage von "Grundschulpädagogik - eine EinfĂĽhrung"). Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2006. In: EWR 5 (2006), Nr. 4 (Veröffentlicht am 27.07.2006), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/78151437.html
Claudia Henrichwark: Rezension von: Schorch, GĂĽnther: Die Grundschule als Bildungsorganisation, Leitlinien einer systematischen Grundschulpädagogik (Studientexte zur Grundschulpädagogik und -didaktik; 2. völlig ĂĽberarbeitete Auflage von "Grundschulpädagogik - eine EinfĂĽhrung"). Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2006. In: EWR 5 (2006), Nr. 4 (Veröffentlicht am 27.07.2006), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/78151437.html