EWR 3 (2004), Nr. 4 (Juli/August 2004)

Heide von Felden
Bildung und Geschlecht zwischen Moderne und Postmoderne
Opladen: Leske und Budrich 2003
(273 Seiten; ISBN 3-8100-3811-3; 19,90 EUR)
Bildung und Geschlecht zwischen Moderne und Postmoderne Mit dem Anliegen, die Kategorien Bildung und Geschlecht aufeinander zu beziehen, trifft Heide von Felden auf ein Defizit in der bildungstheoretischen Debatte, ohne sich mit dieser Situation eines kategorialen Mangels lange aufzuhalten. Statt dessen arbeitet sie die Potenziale einer wechselseitigen Verschränkung bildungs- und geschlechtertheoretischer Erkenntnisse heraus. Die Forschungsdefizite einer geschlechterignorierenden Bildungstheorie werden hier deutlich, ohne dass beim Referieren bildungstheoretischer Positionen auf diesen blinden Fleck immer wieder hingewiesen wird. Eher zeigt Heide von Felden die Reichhaltigkeit der feministischen erziehungswissenschaftlichen Diskussion und die Parallelitäten von Bildungs- und Geschlechtertheorie in den Bezugnahmen auf Kritische Theorie, Postmoderne, Poststrukturalismus, Dekonstruktion und Konstruktivismus. Ziel des vorliegenden Bandes ist "die Entwicklung von Bausteinen einer Bildungstheorie, die Biografie und Geschlecht integriert" (10). Zugrunde liegt dem ein Bildungsbegriff, der "Bildung als Feld auffasst, in dem gesellschaftliche Deutungen, Normen und Orientierungen wirkmächtig sind und weitergegeben werden." Geschlecht betrachtet von Felden "in seiner gender-Funktion als kulturelle Konstruktion" (11). Die Arbeit an der theoretischen Verschränkung der Kategorien wird mit einer empirischen Untersuchung des Zusammenhangs von Bildung und Geschlecht verbunden. Die Biografieforschung bietet dazu die methodische Grundlage. So entsteht ein Beitrag zur qualitativen Bildungsforschung unter Einbeziehung der Kategorie Geschlecht.

Im Kapitel "Bildung und Geschlecht zwischen Moderne und Postmoderne" rekonstruiert die Autorin die Bildungsbegriffe des Neuhumanismus, der Kritischen Erziehungswissenschaft und der Postmoderne. Sie liefert in diesem ausführlichen Text eine Darstellung der Bildungsdiskussionen, die sich immer wieder auf den Streit um den Status des Subjekts beziehen. Nach dem Abebben der Aufgeregtheiten um die postmodernen Einsprüche gegen moderne Überzeugungen wirkt manches davon heute wie Gefechte gegen untergegangene Gegner. Auch von Feldens erklärte Absicht, zu einer produktiven Auseinandersetzung von Kritischer Theorie und Postmoderne beizutragen, hat sich insbesondere in der feministischen Diskussion, weniger vielleicht in der bildungstheoretischen durchgesetzt. Aber gerade deshalb und gegen die Schnellebigkeit der Paradigmen in der Erziehungswissenschaft ist die Rekonstruktion der Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Positionen hilfreich für die Theorieentwicklung. In der Darstellung der Kritischen Erziehungswissenschaft habe ich einen Hinweis auf die kritische Bildungstheorie vermisst, die das Emanzipationsparadigma der ersteren wesentlich brüchiger werden lässt und einen dialektischen Bildungsbegriff entwickelt, der bereits von einer in sich widersprüchlichen Subjektivität ausgeht. Heide von Felden bewegt sich nah an diesem Bildungsverständnis, insbesondere bei ihrer Darstellung von Adornos Überlegungen zur Bildung.

In der Auseinandersetzung mit postmodernen Bildungsauffassungen geht sie von Lyotards Konzepten des postmodernen Wissens und des Widerstreits aus und referiert Hans-Christoph Kollers postmoderne Reformulierung des Bildungsbegriffs sowie Gesa Heinrichs` Ansatz, Bildung als diskursiven Prozess zu beschreiben. In Anknüpfung an beide und im Unterschied zu ihnen betont von Felden ihren bildungstheoretischen Ausgangspunkt in der Kritischen Theorie, von dem aus sie postmoderne Positionen einbezieht und mit dem sie stets von einem vergesellschafteten Subjekt ausgeht. Anknüpfung an und Unterscheidung von den referierten Positionen bildet ein durchgängiges Prinzip in von Feldens Arbeit. Sie arbeitet Potenziale heraus, stellt dar, vergleicht, setzt sich in Beziehung und grenzt sich ab. Dabei entsteht eine Landschaft bildungstheoretischer Suchprozesse. Ihre eigene bildungstheoretische Position skizziert sie anknüpfend an Albert Scherrs Betonung der gesellschaftlichen Objektivität als Grundlage und seines Plädoyers für die Einbeziehung des Ortes der Individuen. Diesen Ansatz sieht von Felden in ihrer biografieorientierten Forschung realisiert. Immer wieder macht die Autorin in den umfangreichen Rekonstruktionen der Positionen anderer deutlich, wo sie sich selbst verortet. Für das Verhältnis von Bildungstheorie und Bildungsempirie bezieht sie sich auf Winfried Marotzkis strukturale Bildungstheorie. Dass dieser aber dafür plädiert, wie von Felden formuliert, "die Adornosche Sensibilität zu nutzen, aber nicht in seinen Pessimismus zu verfallen", wäre eines Kommentars wert gewesen, zumal Adorno für die Autorin einen bedeutenden Bezugspunkt bildet. Wenn Adornos radikale Gesellschaftskritik auf Pessimismus zusammengestrichen wird, so geht das genau an dem vorbei, was Adorno auf dem zeitgeschichtlichen Hintergrund zu sagen hatte und uns heute noch sagen könnte, würden wir ihn nicht auf eine abstrakte Sensibilität (wofür?) reduzieren.

Im zweiten großen theoretischen Abschnitt geht die Autorin auf das Verhältnis der Frauen- und Geschlechterforschung zu Moderne und Postmoderne ein. Sie zeigt die Entwicklung seit den 70er Jahren, die sich an den Topoi Gleichheit, Differenz, Konstruktion, Dekonstruktion, Zweigeschlechtlichkeit und doing gender orientierte und zeichnet dabei zugleich ein Bild der erziehungswissenschaftlichen Geschlechterforschung dieses Zeitraums. Die Aufmerksamkeit liegt dabei auf den Streitpunkten, die sich aus der Postmodernediskussion ergeben haben und die wie in der bildungstheoretischen Diskussion um das Subjekt kreisen, allerdings aufgeklärt durch die Erkenntnis, dass Subjekte geschlechtlich identifiziert sind. Wichtige Bezugspunkte der erziehungswissenschaftlichen Geschlechterdiskussion sind hier u.a. die Arbeiten von Bettina Dausien zur geschlechtersensiblen Biografieforschung, die Reflexionen Barbara Rendtorffs über eine dekonstruktive Sichtweise von Geschlecht und Annedore Prengels Versuch, aus der Postmoderne eine "Pädagogik der Vielfalt" abzuleiten. Dass die Frage nach den Ausschlüssen im eigenen Diskurs bedeutsam wird für die feministische Debatte, wird zwar erwähnt, bleibt aber konsequenzlos für die eigene Darstellung. Die Einsprüche gegen einen westlichen und weißen Feminismus, der sich für das Ganze hält, haben m.E. die Theoriediskussion insbesondere in den 90er Jahren entscheidend befördert und eine selbstkritische Perspektive im Feminismus erzwungen. Damit ist zugleich die feministische Postmodernediskussion politisiert worden, weshalb ich diese Linie in den Ausführungen vermisst habe. Vielleicht fällt dies gerade deshalb auf, weil Geschlechterforschung für von Felden "kritische, verändernde Forschung" ist. Sie plädiert dafür, genau dies in den Forschungsdesigns auszuweisen (118). Am Ende ihrer ausgiebigen Theoriereferate und Einordnungen resümiert von Felden den Zusammenhang von Bildung und Geschlecht in der Weise, "Geschlecht in seiner kulturellen Konstruiertheit zu betrachten und Bildung als Form kultureller Konstruktionen zu sehen" (121). Dabei wäre es aufschlussreich gewesen, noch etwas über den hier angesetzten Kulturbegriff zu erfahren.

Einführend in den empirischen Teil ihrer Arbeit stellt die Autorin ihre methodologischen Überlegungen zum Zusammenhang von Theorie und Empirie vor. Die Instrumentarien des Interpretativen Paradigmas dienen ihr dazu, Bildung und Geschlecht auf dem Weg interpretativer Deutung empirischer Sachverhalte zu erschließen, wobei Welt als durch Individuen konstruierte und interpretierte aufzufassen ist. Dabei erlaubt ihr die Biografieforschung anknüpfend an Bettina Dausien und Peter Alheit, Struktur und Subjekt zusammen zu denken. Ihre Aufmerksamkeit gilt darin dem kulturellen System der Zweigeschlechtlichkeit und der sozialen Positionierung im Geschlechtersystem, durch die Subjekte strukturell verankert sind. Das Forschungsfeld, auf dem von Felden den biografischen Zusammenhang von Bildung und Geschlecht zeigen wird, sind narrative Interviews mit Studentinnen eines weiterbildenden Studiengangs "Frauenstudien". Die Interviews interpretiert sie hinsichtlich geschlechtsbedingter Normierungen und geschlechtstypischer Zuschreibungen. Dabei gilt es herauszufinden, inwiefern sich hier Wandlungs- als Bildungsprozesse zeigen und auf welche Weise die Interviewpartnerinnen Neues in ihrem Leben integrieren. Anhand von drei exemplarischen Fällen wird sichtbar, wie sich Geschlechterkonstruktionen in Lern- und Bildungsprozessen abbilden. Angesichts der ausgiebig reflektierten postmodernen Bildungskritik war es für mich überraschend, dass an diesen dreien eine aufsteigende Linie sichtbar wird: von der Bildungsresistenz über die Ambivalenz zur Öffnung für Bildungsprozesse. Der empirische Teil schien mir teilweise nicht die bis dahin durchgehaltene Gratwanderung zwischen Moderne und Postmoderne mitzumachen. Aus den Interviewerfahrungen zieht von Felden den Schluss, dass geschlechtsbedingte oder geschlechtstypische Zuschreibungen die Konstruktion des Selbstbildes beeinflussen, "sei es in Erfüllung, Verleugnung oder Abwehr der Normen" (241). Dabei bleibt das empirische Material wie auch seine Auswertung ganz in der zweigeschlechtlichen Matrix verankert. Perspektiven aus der zuvor diskutierten dekonstruktiven feministischen Kritik fließen hier nicht ein. Eher geht es darum zu zeigen, wie doing-gender-Prozesse daran mitwirken, gesellschaftliche Strukturen zu bedienen, zu perpetuieren oder zu verändern. Die umgekehrte Frage, wie sich gender und in Judith Butlers Sinne damit auch sex im Zuge gesellschaftlich-kultureller Entwicklungen verändert, bleibt im Hintergrund, wird jedenfalls nicht explizit. Das hier untersuchte doing-gender kommt mir jedenfalls noch sehr vertraut vor und bringt wenig Irritationen. Wie darin Umwertungen geschehen, lässt sich nach von Felden nur auf der Ebene individueller Handlungen rekonstruieren, was einen biografisch ausgerichteten Ansatz erfordere. Das Interesse der Untersuchung gilt den individuellen Strategien bei gleichzeitiger Reflexion ihrer gesellschaftlichen Bedingungen.

In den abschließenden "Bausteinen einer Bildungstheorie" versucht die Autorin noch einmal, postmoderne und moderne Theorie-Ansätze zu verbinden, indem sie die Vergesellschaftung von Individuen mit deren individuellen Handlungsspielräumen zusammen denkt. Vielleicht ist aber dieser Zusammenhang ziemlich modern und nur durch ein paar postmoderne Irritationen angereichert. Jenseits der lange Zeit vorherrschenden Grabenkämpfe geht es von Felden um die Produktivität wechselseitiger theoretischer Bezugnahmen, ohne damit eine theoretische Synthese zu behaupten. Dabei zeigt sie, wie innerhalb der umstrittenen Kategorien Subjekt, Identität, Gesellschaft, Sprache die von den meisten Bildungstheoretikern vernachlässigte Kategorie Geschlecht als strukturierendes Element wirkt. "Bildungstheorien des 20. Jahrhunderts tun allerdings so, als sei Geschlecht kein zu thematisierender Faktor" (247). Das Buch bietet einen materialreichen Einblick in eine komplexe Bildungsdebatte, die noch bis vor kurzem die Gemüter erhitzt hat und schlägt einen Ansatz vor, Bildungstheorie mit Bildungsempirie zu verbinden.
Astrid Messerschmidt (Darmstadt)
Zur Zitierweise der Rezension:
Astrid Messerschmidt: Rezension von: Felden, Heide von: Bildung und Geschlecht zwischen Moderne und Postmoderne, Opladen: Leske und Budrich 2003. In: EWR 3 (2004), Nr. 4 (Veröffentlicht am 05.08.2004), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/81003811.html