EWR 3 (2004), Nr. 5 (September/Oktober 2004)

Rudolf Tippelt / Thomas Rauschenbach / Horst Weishaupt (Hrsg.)
Datenreport Erziehungswissenschaft 2004
Wiesbaden: VS Verlag fĂĽr Sozialwissenschaften (ehemals Leske + Budrich) 2004
(258 Seiten; ISBN 3-8100-4079-7; 19,90 )
Datenreport Erziehungswissenschaft 2004 Nach den Reports von 2000 und 2002 liegt nunmehr der dritte "Datenreport Erziehungswissenschaft" vor, der sich überwiegend auf die Entwicklungen der Jahre 1999 bis 2003 bezieht. Einerseits kann der aktuelle Report in dieser Kontinuität die Analyse bestimmter Untersuchungsbereiche gleichsam fortschreiben und auf den neuesten Stand bringen – dies betrifft die Felder von "Studium und Arbeitsmarkt der Hauptfachstudierenden" (39-54), die Sequenzierung von "Studierenden, Absolventen, Stellensituation in der Lehrerbildung" (55-62), die Lage des "Personals" in der Erziehungswissenschaft an deutschen Hochschulen (63-89) sowie die Frage nach den "Geschlechterverhältnissen" in Studium, Lehre und Forschung (121-137). Andererseits greift der neue Datenreport aber auch eine Reihe bislang nicht bearbeiteter interessanter und innovativer Fragestellungen und Analyseperspektiven auf, die das Gesamtbild der Erziehungswissenschaft sowohl intern zu differenzieren wie auch in internationaler Perspektive zu schärfen vermögen. Hierzu gehört sowohl die Analyse zur "Forschung und (zum) wissenschaftlichen Nachwuchs" (91-120) - die zwar auch schon in den früheren Reports präsentiert worden war, jetzt jedoch um detaillierte (aber gegenstandsbedingt immer noch unvollständige) Daten zur Finanzierung der Drittmittelforschung ergänzt werden konnte - wie auch der Bericht über "Neue Studiengänge" im Bachelor- und Masterbereich (15-38), die Auseinandersetzung mit "Evaluationsverfahren in der Erziehungswissenschaft" (139-152), die erste Orientierung und Strukturierung der universitären Angebote "Wissenschaftlicher Weiterbildung" (153-177) und schließlich die beiden Länderstudien zur Lage der Erziehungswissenschaft in der Schweiz und in Österreich (179-198 bzw. 199-224). Zunächst sollen markante Trends aus den "traditionellen" Untersuchungsfeldern erwähnt werden, um anschließend aufschlussreiche Befunde aus den "neuen" Analysen hervorzuheben.

An der Entwicklung der Hauptfachstudiengänge Diplom und Magister ist im Berichtszeitraum vor allem auffallend, dass sich die Immatrikulationen auf 6- bis 7.000 (Mitte der 90er Jahre waren es zeitweise 9.000) im Diplomstudiengang und auf 4.000 (Anfang der 80er Jahre um 1.000) im Magisterstudiengang eingependelt haben. Insgesamt studieren in den Hauptfachstudiengängen derzeit ca. 50.000 Studenten, wobei eine Veränderung zugunsten des Magisterstudiengangs zu beobachten ist. Auch ohne Lehrämter ist die Erziehungswissenschaft noch immer das sechststärkste Studienfach an Universitäten. Bemerkenswert ist dabei auch die im Verhältnis zu vergleichbaren Fächern relativ hohe Absolventenquote, eine in den letzten Jahren stark angestiegene Zahl der Abschlussprüfungen auf 3.800 (1996: 2.500) – spiegelbildlich dazu hat sich die "Betreuungsquote" von 1992 bis 2002 kontinuierlich verschlechtert: von 33,9 Hauptfachstudenten/Professor auf 57,5 - sowie ein geringer "Risikofaktor": Die Wahrscheinlichkeit, nach Abschluss des Studiums arbeitslos zu werden, ist nach wie vor geringer als in den vergleichbaren Fächern Psychologie, Soziologie oder Wirtschaftswissenschaften. Bedrohlich werden die Daten zu Frequenz und Prüfungsbelastung für die Disziplin aber dann, wenn man sie mit der disziplinären Personalentwicklung kombiniert: Der schon früher erkennbare Trend rückläufiger erziehungswissenschaftlicher Professuren hat sich fortgesetzt - gegenüber 1997 ist der Bestand nochmals um 15% gesunken (ohne die Sonderpädagogik sogar um 22%). In den Vergleichsdisziplinen Psychologie etc. hat die Zahl der Professuren dagegen zugenommen. Optimistisch an der Personalentwicklung der Erziehungswissenschaft kann einzig stimmen, dass es zunehmend mehr befristete Mitarbeiterstellen gibt. Allerdings muss hierbei gesehen werden, dass die "verbesserte" Mitarbeiter/Professorenrelation auch ein Effekt der in der Erziehungswissenschaft gesunkenen Professorenzahl ist. Zu einer prekären Lage der Nachwuchsförderung trägt ebenfalls bei, dass der Anteil von Lehrkräften mit besonderen Aufgaben im Vergleich zu anderen Disziplinen immer noch äußerst hoch ist, während der Anteil von Assistenten/Dozenten im Vergleich am niedrigsten ist. Was die "Geschlechterverhältnisse" in der Disziplin anbelangt, so setzen sich zwei Trends fort: Im Vergleich zu anderen Disziplinen ist der Frauenanteil beim wissenschaftlichen Nachwuchs und bei den Professuren zwar höher, aber – und das ist die Kehrseite – es bleibt auch der andere Trend erhalten: Je höher die akademische Qualifikation, desto geringer der Frauenanteil. Vielleicht mag dies die Frauen beruhigen: Die Analyse kann zeigen, dass der "Rückgang der Professuren (...) vor allem zu Lasten von Männern gegangen" ist (132).

Was die "neuen" Untersuchungsbereiche des Datenreports anbelangt, so bringt die Präsentation der "Neuen Studiengänge" erstmals Licht in einen Prozess, von dem die Disziplin zwar weiß, dass er sie erheblich verändern wird; ob aber zum Besseren oder zum Schlechteren: das scheint ungewiss. Im Beitrag zu den schon in Gang befindlichen Bachelor- und Masterstudiengängen in Erziehungswissenschaft werden wir nunmehr grundlegend über den Stand der Dinge, die geplanten Entwicklungen und die ersten – meist pessimistisch stimmenden – Erfahrungen informiert. In Summa kann man vorläufig sagen, dass eine grundlegenden Erwartung, die man mit BA-Studiengängen (die Master-Ergänzung spielt in der Erziehungswissenschaft gegenwärtig noch keine signifikante Rolle), verbunden hat, nämlich die Transparenz, die Übersichtlichkeit und die Vergleichbarkeit des Studiums der Erziehungswissenschaft zu steigern und international zu öffnen, sich nach den vorliegenden Befunden bislang nicht erfüllt hat. Vielmehr regieren mehr noch als früher "Vielfalt", "Heterogenität" und "standortbezogene Spezifika". Die Einrichtung von "Neuen Studiengänge" mit der Implementation eines "Kerncurriculums Erziehungswissenschaft" zu verknüpfen, bleibt weiterhin ein schmerzliches Desiderat. Was den Bereich "Forschung und wissenschaftlicher Nachwuchs" anbelangt, so haben sich auch hier bekannte Trends fortgesetzt (z.B. dass weiterhin nur 12% der Professoren 50% der Publikationen hervorbringen; dass ¼ aller Professoren gar nicht publiziert etc.), aber es wurde auch interessantes Neuland in der Datenerhebung betreten. Erstmals z.B. findet man beschrieben und quantifiziert, welche Quellen der Drittmittelförderung die Disziplin anzapft, u. a. auch, wie sich diese Mittel auf Teildisziplinen umsetzen, welches die zentralen Forschungsschwerpunkte und welches (in Fortführung früherer Analysen) lokale Forschungsprofile sind. Eine eigene Befragung der DGfE gestattet überdies erste Einblicke in die Struktur der in die Disziplin fließenden Drittmittel in Relation zu den durchgeführten Forschungsprojekten. Sie macht zugleich aber auch deutlich, dass es noch weiterer Erhebungen und Analysen bedarf, um die komplexe Forschungslandschaft Erziehungswissenschaft möglichst nah an ihrer Praxis beschreiben zu können. In diesen Kontext der disziplinären Selbstbeschreibungen gehören mehr und mehr auch Verfahren der Evaluation, die hier im Blick auf die Standorte aufgelistet werden, an denen Evaluationen (als Lehr-, Struktur- und/oder Forschungsevaluationen) stattgefunden haben bzw. stattfinden werden. Als weiterführend können die sich anschließenden Bewertungskriterien für erziehungswissenschaftliche Evaluationen betrachtet werden. Neuland betritt der Datenreport auch mit seinem Bericht über die Lage der "Wissenschaftlichen Weiterbildung" an den Hochschulen. Der Gegenstand ist in seiner Brisanz für die zukünftige Entwicklung der Universitäten in zweierlei Hinsichten keineswegs zu überschätzen: Zum einen öffnet sich das Hochschulwesen mit der Etablierung eines wissenschaftlichen Weiterbildungswesens in Zukunft absehbar in einen marktregulierten Bereich hinein, dessen struktur- und identitätsverändernden Effekte für die Universitäten auch nur in Umrissen noch nicht einschätzbar sind. Schon an der Gebührenproblematik zeigt sich, dass das Selbstbild der Universität als Weiterbildungsinstitution ein anderes sein wird als in der Vergangenheit; nicht zuletzt die Studiengebührenfrage wird in diesem Zusammenhang erneut für Diskussionsstoff sorgen. Zum zweiten zeigt sich in dieser ersten Angebots- und Nachfrageanalyse schon jetzt ganz deutlich, dass der Ausbau der Universitäten zu wissenschaftlichen Weiterbildungseinrichtungen die Modularisierung der grundständigen Bachelor- und Masterstudiengänge forcieren muss bzw. umgekehrt, dass ohne eine prinzipiell modularisierte Struktur der universitären Studiengänge ein exponiertes wissenschaftliches Weiterbildungsangebot der Universitäten nicht sinnvoll aufgebaut werden kann.

Die erweiterten Blicke in die Disziplin werden schließlich abgerundet durch die beiden Länderstudien über die Schweiz und Österreich. So informativ diese ersten Einsichten in andere nationale erziehungswissenschaftliche Lehr- und Forschungstraditionen auch sind, man hätte sich gewünscht, dass mehr Strukturhomogenität in der Vorgabe der Analysemethoden gewaltet hätte, um zwischen Österreich, Deutschland und der Schweiz (trotz aller strukturellen Differenzen) auch vergleichen zu können. So wird in der Österreich-Studie eine Perspektive der "Geschlechterverhältnisse", die statistisch abgesichert ist, nicht vorgenommen; ebenso fehlt – auch für die Schweiz - der für die Aussagekraft der deutschen Studie so wesentliche Vergleich der Erziehungswissenschaft mit Psychologie, Soziologie, Wirtschaftswissenschaften. Je für sich genommen bieten die Länderstudien aufschlussreiche Informationen (auch gerade dort, wo die Kultur der Disziplin vom deutschen Muster sich unterscheidet: in der Organisation der Lehrerbildung sowohl in der Schweiz wie in Österreich; in der für Österreich konstatierten – nicht statistisch belegten – hohen Verlust-Quote der Hauptfachstudenten; in der klar konturierten Differenz der Ausbildungsschwerpunkte nach Standorten in der Schweiz u. ä. m.), aber sie lassen für die Zukunft gerade in Hinsicht auf statistisch-empirische Expertise noch eine Reihe von Wünschen offen. Doch die Richtung, die der "Datenreport 2004" mit der Überschreitung der nationalen Grenzen Deutschlands eingeschlagen hat, ist äußerst begrüßenswert – und ausbaufähig: In der Bildungsforschung traut man sich immer mehr auf Grund gewachsener methodischer Fachkompetenz zu, nationale Bildungssysteme zu vergleichen – warum sollte dies nicht auch (als Aufgabe längerfristiger Forschungsperspektiven) auf "Europäische Kulturen der Erziehungswissenschaft" übertragen werden.

Diese Ermunterung zu weiterer Forschungsarbeit zielt selbstredend auf alle Analysefelder des Datenreports. Je differenzierter das Bild der Disziplin durch diese Datenreports wird, desto unentbehrlicher werden Lektüre und produktive Umsetzung für all jene, die in den Hochschulen in der Verantwortung für den Erhalt und den Ausbau der Erziehungswissenschaft stehen. Unentbehrlich sind die Datenreports jedoch ebenso für jene, die sich entschlossen haben, die Disziplin der Erziehungswissenschaft zu studieren. Vor allem aber sollten die Datenreports zur Pflichtlektüre der Wissenschaftsverwaltungen gehören.
Andreas von Prondczynsky (Flensburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Andreas von Prondczynsky: Rezension von: Tippelt, Rudolf / Rauschenbach, Thomas / Weishaupt, Horst (Hg.): Datenreport Erziehungswissenschaft 2004, Wiesbaden: VS Verlag fĂĽr Sozialwissenschaften (ehemals Leske + Budrich) 2004. In: EWR 3 (2004), Nr. 5 (Veröffentlicht am 05.10.2004), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/81004079.html