EWR 6 (2007), Nr. 5 (September/Oktober 2007)

Herbert Buchen / Leonhard Horster / Hans-GĂĽnter Rolff (Hrsg.)
Schulinspektion und Schulleitung
Stuttgart: Raabe Verlagsgesellschaft 2006
(174 S.; ISBN 3-88649-418-7; 24,50 EUR)
Schulinspektion und Schulleitung Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich nach Aussage der Herausgeber um eine „Broschüre“, die „ausländische Vorbilder und inländische Adaptionen“ des Konzeptes Schulinspektion versammelt (5). Sie gibt am Beispiel von jeweils zwei Bundesländern und zwei ausländischen Modellen sowohl Einblick in die intendierten Steuerungszusammenhänge (Systemebene) als auch in die Praxis an Schulen (Institutionsebene). Dies geschieht durch eine Darstellung des Inspektionssystems aus der Perspektive eines administrativen Vertreters und einen daran anschließenden Erfahrungsbericht von Schulleitungen. Die beiden vorgestellten Bundesländer Niedersachsen und Schleswig-Holstein können hierbei – als Beispiele für Länder mit großem Erfahrungsschatz – einen Einblick in elaborierte Systeme geben. Die Niederlande wiederum haben in den meisten deutschen Bundesländern als Vorbild bei der Entwicklung der Modelle fungiert, so dass dieses Inspektionssystem einen großen Einfluss auf die Modelle der Qualitätsinstitute der Länder hat. Die Schweiz befindet sich noch am Anfang des Prozesses der Implementierung der Schulinspektion.

Zwar setzen die Aufsätze zur Schulinspektion in den Bundesländern und Staaten jeweils unterschiedliche Schwerpunkte, sie geben gleichwohl allesamt einen detaillierten, oft mit Schaubildern visualisierten, Überblick über Grundzüge und Rahmenbedingungen der unterschiedlichen Konzeptionen und zeigen die wichtige Rolle der Schulleitung für eine gelingende externe Evaluation auf. Die konzeptionellen Darstellungen zeigen die komplexen Zusammenhänge von Schulinspektion und Qualitätsentwicklung und -sicherung auf und binden die jeweilige Konzeption der Inspektionen in den Qualitätsrahmen ihres Landes ein. Mittels der Schilderungen der konkreten Situation an inspizierten Schulen in Form von Erfahrungsberichten wird gleichsam die Brücke zwischen Intention und Realisation geschlagen. Die Literaturlage zu Schulinspektion in Deutschland – sowohl die wissenschaftliche als auch bezogen auf die Generierung der Erfahrungen in der Praxis – kann bisher insgesamt als unzureichend beschrieben werden, so dass durch diese Veröffentlichung erstmalig diese beiden Ebenen in ihrer Verschränkung beschrieben werden.

Der erste Beitrag des Buches von Norbert Maritzen gibt zunächst einen differenzierten Überblick über die inhomogene Ausgestaltung der Schulinspektion in Deutschland. Hier wird ein detaillierter Einblick in die Ziele, Kontextbedingungen und Kennzeichen der Schulinspektion gegeben. Nach einer Herausarbeitung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Konzeptionen (9ff.) wird der Versuch einer systematischen Verortung der Schulinspektion vorgenommen (11f.). Maritzen bestimmt hierbei die jeweiligen Aufgaben der beteiligten Ebenen. Sodann werden Schlüsselfragen, wie z.B. die rechtlichen Rahmenbedingungen, die Institutionalisierung der Schulinspektion oder Folgen in den Blick genommen. Abschließend wird die Schulinspektion in dem größeren Zusammenhang der Systemsteuerung verortet. Auch in diesem Aufsatz wird die Schulinspektion also einerseits in den Rahmen der Qualitätssicherung eingebunden; andererseits wird ein detailliertes, differenziertes und zugleich synthetisiertes Bild der heterogenen Strukturen der Bundesländer wiedergegeben. Der Aufsatz bietet somit eine gelungene Synthese des bundesweit heterogenen Feldes der Schulinspektion und einen guten Überblick im Vorfeld der folgenden vertiefenden Darstellungen. Es kann sich notwendiger Weise jedoch nicht um eine in sich abgeschlossene Beschreibung der Situation handeln; vielmehr werden Fragen aufgeworfen, Probleme benannt und durchdachte Hinweise für zukünftige Handlungen gegeben. Die relevanten Themen werden aufgegriffen und einer kritischen Analyse unterzogen.

Im zweiten Beitrag wird die Konzeption der Schulinspektion in Niedersachsen durch die Mitarbeiter des Kultusministeriums Armin Lohmann und Jens Reißmann vorgestellt. Von allen vorgestellten Modellen gehen die Autoren hier am ausführlichsten vor. Es wird ein detailliertes Bild über die Bedingungen, die Durchführung und die Folgen sowie Ziele, Aufgaben und Grundsätze der Schulinspektion gegeben. Hierbei legen die Autoren besonderen Wert auf die Kontextualisierung und die Bedingungen der Schulinspektion, so dass z.B. auf die Einbettung in das Qualitätsmanagement und die Qualitätssicherung an den Schulen im Zuge der eigenverantwortlichen Schule, die Verzahnung mit interner Evaluation und die intensive Kooperation mit den Niederlanden eingegangen wird. Es handelt sich bei diesem Aufsatz um einen umfassenden Einblick in die Schulinspektion des Bundeslandes und die veränderte Herangehensweise in Bezug auf Qualitätssicherung; die kritische Reflektion des Konzeptes z.B. in Form einer Stärken- und Schwächenanalyse bleibt hierbei allerdings dem Leser überlassen.

Der dritte Bericht eröffnet dem Leser nun eine weitere Perspektive – die Sicht eines Schulleiters einer Kooperativen Gesamtschule sowie einer Grundschule in Niedersachsen. Sie schildern ihre Erfahrungen an Schulen im Zuge der Inspektionen. Im Einzelnen wird hier besonders auf den Ablauf an der Schule vom ersten Kontakt bis zu der Verwertung der Ergebnisse eingegangen. Insbesondere werden „lessons learned“ weitergegeben, im Fall der Grundschule besonders zum Umgang mit dem Kollegium in dieser sensiblen Phase. Durch diese beiden Beispiele wird sowohl ein Einblick in eine Schule gegeben, die der Schulinspektion positiv gegenüber eingestellt war und in eine Schule, in der das Kollegium dieser neuen Art der externen Evaluation anfänglich eher skeptisch gegenüberstand. Nach erfolgreicher Durchführung der Inspektion scheint sich diese Stimmung im Kollegium interessanter Weise verbessert zu haben.

Mit dem nächsten Aufsatz wird durch einen Mitarbeiter des „Instituts für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein„ (IQSH) Kronshagen, Christian Kühme, das Konzept der Schulinspektion dieses Bundeslandes „Externe schulische Evaluation im Team“ (EVIT) vorgestellt. Die Vorstellung der Konzeption fokussiert den Kontext sowie die Qualitätsmaßstäbe, die Durchführung (insbesondere auch nach der Schulinspektion), Stärken und Schwächen der Inspektion sowie daraus resultierende Schritte für die Zukunft. Die Folgen der Inspektion an den Schulen werden leider nur punktuell erläutert, so dass die grundlegenden Wirkungen der Inspektionen nicht ermittelt werden können. Gerade die Beschreibung der Probleme wird jedoch sehr ausführlich behandelt.

Im fĂĽnften Bericht kommt nun auch fĂĽr dieses Bundesland ein Praktiker an den Schulen zu Wort, in diesem Fall die Schulleiterin einer Grund- und Hauptschule. Sie skizziert den Verlauf und die Gelingensbedingungen an ihrer Schule. Durch das Beispiel einer hoch motivierten Schule, die sich fĂĽr die Inspektion beworben hat, werden wiederum nĂĽtzliche Tipps fĂĽr schulische Akteure gegeben.

Der sechste Aufsatz von C. van Bruggen zur Schulinspektion in den Niederlanden gibt den ersten Überblick über ein ausländisches Modell von Schulinspektion. Dem Leser werden Anregungen in Bezug auf mögliche Entwicklungen in Deutschland gegeben, der spezielle Kontext, in welchem sich das niederländische System entwickelt hat, wird jedoch nicht außer Acht gelassen. Es wird auf die Grundpfeiler der Schulinspektion und die Bedingungen in den Niederlanden (z.B. Autonomie der Schulen, historische Entwicklung) sowie auf aktuelle Entwicklungen, wie z.B. die Anbindung an die Selbstevaluation der Schulen und Proportionalität, aufmerksam gemacht. Nach den Ausführungen zum Qualitätsverständnis werden sodann sowohl die Tendenzen (z.B. Flexibilisierung, Unterstützung) als auch die Schwächen und Stärken des Instruments erläutert.

Der folgende Erfahrungsbericht aus der Praxis wurde vom Schulleiter einer niederländischen Dalton-Schule mit dem entsprechenden speziellen pädagogischen Konzept (Dalton-Plan) verfasst. Dieser Aufsatz beginnt mit dem Urteil der ersten Visitation: Note 4. Daraufhin wird aufgezeigt, dass sich durch die Kommunikation zwischen allen Beteiligten sowohl die Schulinspektion auf die schulinhärenten Bedingungen und Konzepte einstellen musste als auch die Schule von dem Blick von außen profitiert hat.

Auch im achten Aufsatz von Lutz Oertel zum Inspektionssystem des Kantons Zürich, exemplarisch für die Schweiz, wird der stark unterschiedliche Kontext ausländischer Bildungssysteme (in diesem Fall z.B. die stark demokratische und kantonale Aufsicht von Schule) sichtbar. Da es sich hier um ein sehr andersartig gestaltetes und neu implementiertes System handelt, wird der Gewinn im Sinne eines Lernens von anderen Systemen für das eigene nicht unmittelbar evident. Auch hier werden zunächst die Genese und der Kontext beschrieben, um dann auf die Grundlagen, Funktionen und Voraussetzungen einzugehen. Folgend werden das Verfahren und die Durchführung (hier werden Parallelen zu Deutschland und den Niederlanden sichtbar) sowie Schwächen und Stärken beschrieben. Der interessante Schwerpunkt des Schweizer Verfahrens scheint bei der Verknüpfung mit der internen Evaluation zu liegen. Der beschriebene Qualitätsrahmen ist noch ausbaufähig und muss an weiterer Tiefe gewinnen. Aufgrund des frühen Zeitpunktes im Verlauf der Implementierung der Schulinspektion, geht der Autor nicht allzu stark ins Detail. Die Vorstellung des Systems fällt somit nicht so ausführlich aus wie für die anderen Beispielländer.

Der Schwerpunkt des anschlieĂźenden Erfahrungsberichts eines Schulleiters einer Schweizer Gesamtschule liegt in diesem Fall bei den Folgen der Inspektion fĂĽr die Schule. So geht der Autor insbesondere auf Entwicklungshinweise durch die Inspektion und die Ergebnisse an seiner Schule ein.

Insgesamt betrachtet bietet die Lektüre dieser Veröffentlichung – auch wenn es sich nicht um eine empirische Aufarbeitung der unterschiedlichen Konzeptionen handelt, was eher der defizitären Forschungslage als den Herausgebern bzw. Autoren zuzuschreiben ist – eine Vielfalt an Anknüpfungspunkten für an Steuerung interessierte Bildungsforscher, Politiker, Berater und schulische Akteure. Hierbei ist insbesondere der Artikel von Maritzen für die genannten Zielgruppen sehr aufschlussreich und empfehlenswert, bietet er doch neben dem Aufsatz von Bos, Holtappels, Rösner [1] im Jahrbuch der Schulentwicklung als einziger eine Situationsbeschreibung zur Schulinspektion in Deutschland. Die weiteren Aufsätze dienen dann der Vertiefung und des Sichtbarmachens der innerdeutschen und internationalen Komplexität und sind für Akteure im Rahmen von Schulinspektion mit Interesse an detaillierten Informationen besonders geeignet. Nach den systematischen Vorstellungen der Konzeptionen der Schulinspektion in den Bundesländern sowie anderer Länder zeichnet die Erfahrungsberichte die Einnahme einer weiteren praxisbezogenen Perspektive aus. Diese Kombination ermöglicht viele Denkanstöße sowohl für involvierte schulische (z.B. Lehrkräfte, Schulleiterinnen und Schulleiter) als auch für bildungspolitische und administrative Akteure.

Wünschenswert wäre gewesen, dass die Herausgeber den Leser mehr an die Hand genommen hätten und in einer Hinführung bzw. Einleitung z.B. die Wahl der Länder und Schulen sowie den Anspruch der Veröffentlichung transparent kommuniziert hätten. Bereichernd wäre in diesem Zusammenhang auch die Vorstellung von Ländern gewesen, die noch am Anfang stehen und / oder von Schulen, die während und nach der Inspektion mit (neuen) Problemen konfrontiert wurden. Ein weiterer Gewinn für die Veröffentlichung hätte darüber hinaus ein Fazit sein können, mit welchem die unterschiedlichen Aufsätze abschließend aufeinander bezogen werden und der Blick in die Zukunft aufgezeigt wird. Nach der Lektüre des Buches wird dem Leser klar, dass weite Themenfelder durch die Wissenschaft erst noch erschlossen werden müssen.

[1] Bos, W. / Holtappels, H.G. / Rösner, E. (2006): Schulinspektion in den deutschen Bundesländern – eine Baustellenbeschreibung, In: Bos, W. / Holtappels, H.G. / Pfeiffer, H. / Rolff, H.-G. / Schulz-Zander, R. (Hrsg.): Jahrbuch der Schulentwicklung Band 14. Daten, Beispiele und Perspektiven. Juventa Verlag: Weinheim und München.
Nele Kampa (Berlin)
Zur Zitierweise der Rezension:
Nele Kampa: Rezension von: Buchen, Herbert / Horster, Leonhard / Rolff, Hans-GĂĽnter (Hg.): Schulinspektion und Schulleitung. Stuttgart: Raabe Verlagsgesellschaft 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 5 (Veröffentlicht am 04.10.2007), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/88649418.html