EWR 1 (2002), Nr. 2 (April/Mai 2002)

Sonja Häder / Christian Ritzi / Uwe Sandfuchs (Hrsg.)
Schule und Jugend im Umbruch
Analysen und Reflexionen von Wandlungsprozessen zwischen DDR und Bundesrepublik
Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2001
(207 Seiten; ISBN 3-89676-471-3; 18,50 EUR)
Schule und Jugend im Umbruch Ein nicht nur im Expertenkreis der "Transformationsforscher" zu beachtender Versuch sind die in diesem Band vorgelegten "Analysen und Reflexionen von Wandlungsprozessen zwischen DDR und Bundesrepublik"; zu beachten, weil historische Distanz gewahrt ist und Zugangsweisen gewählt wurden, die neben den Strukturen auch den Alltag, die Mentalitäten und Verhaltensweisen der Menschen, um die es ja eigentlich geht bei dem, was die einen Wandlungs-, die anderen Transformationsprozess nennen, berücksichtigt.

Unter den Sektionen der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE), die sich in ihrer Forschungsarbeit auch mit der Aufarbeitung der deutsch-deutschen Vergangenheit von Bildung und Erziehung, Schule und Ausbildung, Kindheit und Jugend intensiv befassen, ist die Sektion Historische Bildungsforschung die wohl aktivste und in ihrem Reflexionsniveau ernsthafteste. Das mag u.a. auch damit zusammenhängen, dass nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten sich gerade in dieser Sektion WissenschaftlerInnen zusammenfanden, deren berufliche Sozialisation entweder in der DDR oder in der Bundesrepublik stattfand, und die sich trotz der von der SED betriebenen Abschottungs- und Informationspolitik schnell auf ein Diskursniveau bewegten, das nicht auf Rechtfertigung von (eigenen) Verhaltens- und Denkweisen (vgl. u.a. G. Neuner) oder Erklärungen für (bildungs-) politisches Desinteresse hinauslief, sondern auf die Erarbeitung von Kriterien für einen "Lernprozess mit ungewissem Ausgang" (Dudek/Tenorth). Ein Weg der Erarbeitung dieser Kriterien ist der wissenschaftliche Gedankenaustausch in Form von Tagungen, Foren oder Kolloquien.

Am 9. November 1989 war die "DDR am Ende" und manche in der Bundesrepublik der Meinung, dass eine schnelle Anpassung Ostdeutschlands an das westliche politische System der einzig richtige Weg sei, die Konkurrenz der sehr unterschiedlichen Systeme in beiden deutschen Staaten zu beseitigen. Nicht so das Denken und Reflektieren des soeben angesprochenen Personenkreises. Ein Beleg dafür sind die Texte des hier vorgestellten Bandes. Zum 10. Jahrestag der Vereinigung fand in der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung Berlin (BBF) - übrigens wohl das erfreulichste "Vereinigungs-Produkt" im Bildungssektor - eine Tagung zu der Thematik statt, unter der nun die Vorträge dieser Zusammenkunft, z.T. überarbeitet und ergänzt, veröffentlicht vorliegen; herausgegeben von den damals Verantwortlichen: Christian Ritzi für die BBF, Sonja Häder und Uwe Sandfuchs für die Sektion Historische Bildungsforschung in der DGfE.

Man kann nicht sagen, dass die 14 Autoren dieses Bandes repräsentativ sind für das Spektrum derer, die sich mit Beiträgen an der Analyse des Transformationsprozesses beteiligen. Aber sie haben in der DDR gelebt und gearbeitet (u. a. Kirchhöfer, Häder, Hieke) oder haben sich in neuer Verantwortung in den bildungspolitischen Vereinigungsprozess eingeschaltet (u. a. Tenorth, Ritzi, Melzer, Sandfuchs) und sie liefern mit ihren Texten und den darin bezogenen Positionen Bausteine für die Stabilisierung einer Brücke, die zwischen Deutschland West und Deutschland Ost mit der Vereinigung errichtet wurde. Schließlich greifen sie Themenbereiche ab, die zentral sind für die auch vom Rezensenten vertretene Strategie der Kommunikation und Interaktion für den wohl in dieser Generation noch nicht abzuschließenden "Lernprozess".

Häder, Kirchhöfer, Jung/Ritzi und Meister/Wenzel gehen den "Erosionsspuren" von Schülern, Jugendlichen und LehrerInnen nach, um Gründe für die - speziell in den 1980er Jahren - schwindende Loyalität gegenüber der DDR ausfindig zu machen; Häussler, Döhn und Hieke berichten über (eigene) Erfahrungen im Schulalltag, u.a. um Befindlichkeiten sichtbar zu machen, die dem westdeutschen Beobachter der Entwicklungen in der DDR wohl eher verschlossen sind; Wiegmann nimmt den letzten Pädagogischen Kongress im Juni 1989 zum Anlass, um die Situation von Lehrerinnen und Lehrern, denen von der SED und vom Selbstverständnis der DDR-Pädagogik eine Schlüsselrolle im sozialistischen Bildungssystem zukam, zu erklären und einer vorschnellen Verurteilung etwa in dem Sinne, sie seien "Wasserträger der Macht" (Wiegmann) gewesen, entgegenzutreten. Tenorth, Melzer und Sandfuchs schließlich wenden sich in ihren Beiträgen stärker forschungsrelevanten Sachverhalten zu: der Auseinandersetzung mit der These von der Politisierung im Schulalltag, dem schulischen Wandel und der Veränderung des Sozialverhaltens von SchülerInnen und der Schulpädagogik in der DDR und in den neuen Bundesländern.

Abschließend soll nicht unerwähnt bleiben, dass die in diesem Band vorgelegten "Analysen und Reflexionen" allesamt die DDR als "Bezugspunkt" haben; insofern geht es weniger um die Wandlungsprozesse zwischen DDR und Bundesrepublik als vielmehr darum, die "kulturelle Prägung" derer in den Blick zu nehmen, die letztlich die eigentlichen Akteure des Wandlungs- oder Transformationsprozesses im Bildungssektor sind. Erst wenn die "kulturellen Unterschiede zwischen Ost und West als solche erkannt, verstanden und akzeptiert werden" (S. 13), wird es zum Abbau von Fremdheit und Missverständnissen kommen.
Friedrich W. Busch (Oldenburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Friedrich W. Busch: Rezension von: Häder, Sonja / Ritzi, Christian / Sandfuchs, Uwe (Hg.): Schule und Jugend im Umbruch, Analysen und Reflexionen von Wandlungsprozessen zwischen DDR und Bundesrepublik, Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2001. In: EWR 1 (2002), Nr. 2 (Veröffentlicht am 00.04.2002), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/89676471.html