EWR 3 (2004), Nr. 4 (Juli/August 2004)

Martin Wellenreuther
Lehren und Lernen – aber wie?
Empirisch-experimentelle Forschungen zum Lehren und Lernen im Unterricht
Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2004
(518 Seiten; ISBN 3-89676-771-2; 25,00 EUR)
Lehren und Lernen – aber wie? "Ein solches Unternehmen hat es in dieser Stringenz sowie in diesem Umfang in der deutschen Pädagogik, die doch ‚Erziehungswissenschaft’ genannt werden möchte, noch nicht gegeben", lobt Rainer Winkel, einer der Herausgeber der Reihe "Grundlagen der Schulpädagogik", diesen Band in seiner Einleitung, gibt aber zu, dass er zunächst großen Verdruss empfunden hätte: Dieses Buch habe ihn "gewaltig" geärgert und er wünsche "uns" Pädagogen, diesen Ärger ebenso zu erfahren, egal ob "wir" Theoretiker oder Praktiker seien. Schließlich verkünde so mancher Pädagoge "Heilslehren" und türme "Reizwörter" auf: Offener Unterricht, Freiarbeit, Projektunterricht bzw. Gruppenunterricht seien einige der gebräuchlichsten. In den letzten Jahren seien weitere wie beispielsweise Portfolio oder Streitschlichtung hinzugekommen.

Einige Autoren haben in den letzten Jahren bereits einen kritischen Blick auf diese Begriffe und die häufig dahinter stehende Uneindeutigkeit geworfen und zudem deren empirische Überprüfung gefordert. Wellenreuther geht noch einen Schritt weiter: Er hinterfragt nicht nur einzelne Begriffe wie Offenen Unterricht oder zeigt auf, was beispielsweise Klassenmanagement sein soll. Neu ist die Komplexität, die diesem Band innewohnt: Auf insgesamt 518 Seiten wird verständlich gemacht, warum hinter der simpel anmutenden Frage "Lehren und Lernen – aber wie?" experimentelle Überprüfbarkeit stehen muss. Somit wird den Leserinnen und Lesern zum einen ein fundiertes empirisches Gerüst dargeboten und zum anderen werden Wege zu einer begründeten Argumentation über pädagogisches Handeln, ohne naives Postulieren, gewiesen.

Die einzelnen Kapitel stehen nicht beliebig hintereinander, sie bauen sinnvoll aufeinander auf. Im ersten Teil, den ersten beiden Kapiteln, gibt Wellenreuther eine "Einführung in empirisch-wissenschaftliches Arbeiten". TIMSS, die internationale Studie zu den Schulleistungen in Mathematik und den Naturwissenschaften, steht exemplarisch im Mittelpunkt. Das schlechte Abschneiden der Schülerinnen und Schüler der Bundesrepublik Deutschland in der TIMS-Studie wird mit möglichen Erklärungsversuchen in Beziehung gesetzt und damit übergeleitet auf zwei Ebenen pädagogischen Handelns: das Wissen über Lehren und Lernen und die empirische Überprüfung mittels experimenteller Methoden. Wellenreuther argumentiert hierbei stets kritisch: Er zeigt nicht nur die Notwendigkeit von experimenteller Forschung in der Pädagogik, sondern auch deren Grenzen auf.

Im zweiten Teil des Buches, den Kapiteln 3 bis 6, werden die "elementaren Prozesse des Lehrens und Lernens" beleuchtet. Folgerichtig setzt das Kapitel 3 bei den Lehrenden und ihren pädagogischen Leitbildern an, da diese das schulische Lernen nachhaltig beeinflussen. Die traditionelle Auffassung vom Lernen nach Thorndike wird modernen Ansätzen, dem konstruktivistischen bzw. dem situierten Lernen, gegenübergestellt. Zusammenfassend stellt Wellenreuther, nachdem er alle pädagogischen Leitbilder kritisch hinterfragt hat, fest: "Schulisches Lernen ist zu komplex, um es durch eine Lehre, die bestimmte Prinzipien in den Vordergrund stellt, hinreichend beschreiben oder erklären zu können" (75). Diese Feststellung ist auch als Überleitung zum folgenden Kapitel zu verstehen, in dem Lernen und Gedächtnis miteinander in Beziehung gesetzt werden. Unter anderem wird thematisiert, wann z.B. Üben sinnvoll ist oder welchen Sinn Hausaufgaben haben. Auch in diesem Kapitel zeigt Wellenreuther, welche Ergebnisse bislang zu diesem Bereich vorliegen bzw. nicht vorliegen. Neuere Theorien über die Funktion des Arbeitsgedächtnisses werden hier folgerichtig mit schulischem Üben verknüpft. Den Transfer in die Praxis hat er in seinen Ausführungen stets mit im Sinn. Das erkennt man unter anderem daran, dass er am Ende dieses Kapitels Kriterien nennt, die etwa Förderstunden erfüllen müssten, wenn die Ergebnisse empirischer Forschung einbezogen werden. Im fünften Kapitel werden Prozesse einer verständlichen Wissensstrukturierung, insbesondere Methoden des mündlichen und schriftlichen Erklärens, dargestellt und diskutiert: Wie können Lehrende die Einordnung neuer Wissenselemente erleichtern? Wie kann die Verständlichkeit von schriftlichen und mündlichen Texten erhöht werden? Schließlich werden im 6. Kapitel die Ursachen für Probleme mit dem Klassenmanagement diskutiert. Motivieren, Disziplinieren und Konfliktlösen sind die Stichworte, die dieses Kapitel überschreiben: Wie wirken Sanktionen im Kontext von Schule? Und was hat Klassenmanagement mit Leistungsbewertung zu tun? Insbesondere Studierenden wird die Bearbeitung dieses Kapitels durch die Beschreibung von Unterrichtsszenen, die beispielhaft einige Ursachen aufzeigen, erleichtert.

Der dritte und letzte Teil des Buches beschäftigt sich mit dem Gestalten von "Lernarrangements". Aufbauend auf dem zweiten Teil, in dem die elementaren Prozesse des Lehrens und Lernens dargestellt wurden, werden hier insbesondere drei Methoden kritisch hinterfragt: direkte Instruktion (Kapitel 7), Gruppenarbeit (Kapitel 8) und Handlungsorientierter Unterricht und Projektarbeit in der Schule (Kapitel 9). Wellenreuther verweist auch in diesem Kapitel immer wieder auf die zuvor dargestellten theoretischen Überlegungen. Er macht den Lesern und Leserinnen somit deutlich, dass beispielsweise Merkmale effektiver direkter Instruktion nicht nur benannt, sondern auch begründet werden können. Zudem zeigt er bei der Gruppenarbeit auf, dass es neue Formen gibt, die in ihrer Qualität empirisch überprüft sind.

Das letzte Kapitel zeigt mit dem Ausblick auf "Qualitätssicherung im Bildungswesen" zugleich den Weg zur Verbesserung auf. Dabei wird deutlich, dass Wellenreuther die Veränderung von Schule insgesamt und nicht nur in einzelnen Klassenzimmern im Blick hat. Die Ausbildung der zukünftigen Lehrenden sollte das Wissen über Unterrichtsprozesse mit einbeziehen, damit Qualitätssicherung in der Lehrerbildung möglich wird. Und auch die Frage der Standards in der Lehrerbildung, wie sie beispielsweise von Fritz Oser (2001) [1] formuliert wurden, diskutiert Wellenreuther in diesem abschließenden Kapitel kritisch.

Das Buch überzeugt insgesamt durch seinen klaren, übersichtlichen Aufbau. Trotz des Umfangs findet man sich gut zurecht. Dazu tragen auch das Personen- und das Sachregister am Ende des Buches bei. Erwähnt werden muss fernerhin das umfangreiche Literaturverzeichnis, das die aufgeführten empirischen Arbeiten dokumentiert. Die einzelnen Kapitel zeichnen sich durch eine klare Struktur aus: beginnend mit einer Einleitung, die das Wichtigste bündelt, einer Zusammenfassung am Ende und Überleitungen von Kapitel zu Kapitel, geht der "rote Faden" nie verloren. Für Studierende ist das Buch unbedingt zu empfehlen, aber auch für Erziehungswissenschaftler und Fachdidaktiker von Belang. Schließlich haben auch "wir" pädagogische Leitbilder, die es zu hinterfragen gilt.

Anmerkungen:

[1] Oser, Fritz: Standards: Kompetenzen von Lehrpersonen. In: Fritz Oser; Jürgen Oelkers (Hrsg.): Die Wirksamkeit der Lehrerbildungssysteme. Chur 2001, S. 215-342.
Eva Gläser (Braunschweig)
Zur Zitierweise der Rezension:
Eva Gläser: Rezension von: Wellenreuther, Martin: Lehren und Lernen – aber wie?, Empirisch-experimentelle Forschungen zum Lehren und Lernen im Unterricht, Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2004. In: EWR 3 (2004), Nr. 4 (Veröffentlicht am 05.08.2004), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/89676771.html