EWR 6 (2007), Nr. 5 (September/Oktober 2007)

Alfred Fries
Einstellungen und Verhalten gegenüber körperbehinderten Menschen — aus der Sicht und im Erleben der Betroffenen
(Reihe: Lehren und Lernen mit behinderten Menschen, Bd. 10)
Oberhausen: Athena 2005
(394 S.; ISBN 3-89896-212-4; 34,50 EUR)
Einstellungen und Verhalten gegenüber körperbehinderten Menschen — aus der Sicht und im Erleben der Betroffenen Der umfangreiche Band von Alfred Fries geht der bislang in der Fachdebatte eher marginal berücksichtigten Frage nach, wie Menschen mit körperlicher Behinderung die Einstellungen und Verhaltensweisen nicht behinderter Menschen erleben, wahrnehmen und bewerten. Menschen mit Körperbehinderung sind der Stigmatisierung und Diskriminierung ausgesetzt. Wie behinderte Menschen dieses erleben, „welche Verarbeitungsstrategien sie einsetzen, um Probleme dieser Art möglichst erfolgreich zu bewältigen“ (14), welchen Beitrag betroffene Menschen bezüglich der Realisierung des „Normalisierungsprinzips“ leisten können (15), steht im Mittelpunkt der breit angelegten Studie und liefert erste Erkenntnisse dazu.

Alfred Fries umreißt zunächst den Forschungsstand, indem er sich sowohl mit dem Begriff der „Behinderung“ (WHO, ICF, Cloerkes) allgemein als auch speziell „Körperbehinderung“ (Jetter, Cloerkes, Leyendecker) auseinandersetzt, dann aus psychologischer Sicht auf die Thematik der Einstellungen, Vorurteile und Diskriminierungen abhebt. Letztere werden ausführlich auch im Kontext von Identität und Selbstkonzept diskutiert. Der Verfasser stellt empirische Studien der 1970er bis 1990er Jahre vor, die die Einstellungen und Verhaltensweisen nicht behinderter gegenüber behinderter Menschen dokumentieren. In Folge werden die „Determinanten der Entstehung von Einstellungen gegenüber behinderten Menschen“ (59) und Möglichkeiten der Einstellungsänderung durch Information (Tröster, Cloerkes) und Kontakt (Cloerkes, Heider) diskutiert. Da, so Fries, Diskriminierung und Bewältigung in einem engen Zusammenhang stehen, folgen im Anschluss zusammengefasste Erkenntnisse zu Bewältigungsmodellen und -verhalten, wobei mit Bezug auf die Studie, den möglichen Ressourcen im Bewältigungsprozess besonderes Augenmerk gewidmet wird.

Im letzten Kapitel des theoretischen Teils arbeitet der Verfasser auf der Basis der Analyse von Autobiographien das Erleben von Diskriminierungen und die Bewältigung der damit einhergehenden Erfahrungen heraus. Dabei kommt er zur Erkenntnis, dass diese wenig vergleichbar, dass das Erleben vielfältig, dass Verhaltensstrategien nicht vorhersehbar bzw. „typisch“ sind und dass sich Diskriminierungen auf die Persönlichkeitsstrukturen betroffener Personen auswirken (115).

Den zweiten Teil des Buches widmet Fries der empirischen Untersuchung zur „Darstellung, Bewertung und Umgang mit Diskriminierungen aus der Sicht betroffener behinderter Menschen“. Sehr detailliert kann der Leser jeden Untersuchungsschritt nachvollziehen, wobei die Ergebnisse dann unter den Kategorien „Soziale Unterstützung und Bewältigung“, „Ressourcen und Bewältigung“, „Situationsspezifität und Bewältigung“ und „Variabilität der Reaktionen auf diskriminierende Ereignisse“ vorgestellt werden. Die „Reflexionen körperbehinderter Menschen über das Verhältnis zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen“ (356ff.) wird auf die Ausgangsfrage bezogen beantwortet. Ergebnisse dieser Studie sind vor allem, dass „Ausgrenzung und Ablehnung sehr differenziert wahrgenommen und interpretiert werden“ (357), dass die körperbehinderten Menschen sehr genau über die „Spannungen zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen“ (358) reflektieren, das jedoch „die Ursachen (…) nicht einseitig den nicht behinderten Menschen zugeschrieben werden“ (358) können, dass insbesondere „unzureichendes Wissen/Uninformiertheit über behinderte Menschen“ (359) Auslöser für die „Spannungen“ sein können und daher im Umkehrschluss die „Information über behinderte Menschen und Behinderungen und gegenseitige Kontaktaufnahme (…) als wichtige Mittel (…) gesehen werden, um das Verhältnis zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen zu normalisieren“ (ebd.).

Mit einem Ausblick werden ausgewählte Ergebnisse der Studie hervorgehoben und die konkrete Umsetzung in der Praxis empfohlen, so die „Unterstützung der Bewältigungsprozesse – Seite der Betroffenen“ und die „Initiierung positiver Einstellungsänderung – Seite der sozialen Umwelt“ mit dem Ziel, Diskriminierung und Stigmatisierung abzubauen. „Selbstsicherheit“ wird als „elementarste Komponente für eine erfolgreiche Verarbeitung diskriminierenden Verhaltens“ (378) herausgearbeitet, dazu insbesondere praxisrelevante Empfehlungen gegeben, wie bspw. Gesprächskreise unter behinderten Menschen, Gesprächskreise zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen, Rollenspiele und Simulationen, Thematisierung von Diskriminierung an Schulen für Körperbehinderte, Integration in Alltag und Stärkung der Kinder durch Eltern etc. (vgl. 379).

Alfred Fries legt Ergebnisse aus einer breit angelegten Studie vor, die die Diskriminierung körperbehinderter Menschen in das Zentrum rückt und das Erleben und Wahrnehmen dieser Menschen fokussiert. Dabei werden die Erkenntnisse im Kontext der „Bewältigungsforschung“ diskutiert und die Auswirkungen von Vorurteilen und Stigmatisierungen auf die individuelle, persönliche Ebene des Menschen bezogen reflektiert. Der Band liefert einen zusammengefassten Überblick zur Diskussion um Behinderung und Diskriminierung bzw. „Coping“ vor allem aus einer (sozial-) psychologischen Sicht. Auf der Basis der dargestellten Untersuchung werden die vielfältigen Erlebensweisen von Diskriminierungen und mögliche „Bewältigungsstrategien“ sichtbar.
Kerstin Ziemen (Köln)
Zur Zitierweise der Rezension:
Kerstin Ziemen: Rezension von: Fries, Alfred: Einstellungen und Verhalten gegenüber körperbehinderten Menschen - aus der Sicht und im Erleben der Betroffenen, (Reihe: Lehren und Lernen mit behinderten Menschen, Bd. 10). Oberhausen: Athena 2005. In: EWR 6 (2007), Nr. 5 (Veröffentlicht am 04.10.2007), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/89896212.html