EWR 6 (2007), Nr. 5 (September/Oktober 2007)

Walburga Hoff
Schulleitung als Bewährung
Ein fallrekonstruktiver Generationen- und Geschlechtervergleich
(Reihe: Studien zur qualitativen Bildungs-, Beratungs- und Sozialforschung, Bd. 5)
Opladen: Budrich 2005
(358 S.; ISBN 3-938094-50-8; 39,00 EUR)
Schulleitung als Bewährung „Jede SchulleiterInnen-Karriere ‚baut am Ende auf der Idee auf, die der Mensch von sich selbst und von seiner Bestimmung hat’ (Valéry 1989, 230)“. Mit diesem auf die Schulleitung übertragenen Zitat Paul Valérys beendet Walburga Hoff, Erziehungswissenschaftlerin und Theologin, ihren Band „Schulleitung als Bewährung“ (342). Weil vielen Personen im Schulleitungsamt diese Bestimmung auf ihrem Karriereweg oft selbst nicht bewusst ist, sie sich jedoch aus dem latenten Sinngehalt der Erzählung über ihren beruflichen Aufstieg mit Hilfe der Methode der objektiven Hermeneutik herausarbeiten lässt, stellt der vorliegende Band eine spannende Bereicherung der derzeitigen SchulleiterInnenforschung dar.

Er eröffnet in dreierlei Hinsicht neue Perspektiven und ergänzt damit den derzeitigen Diskussionsstand zur Schulleitung gewinnbringend. Zum einen ermöglicht er durch die Vermittlung eines detaillierten Einblicks in die persönlichen Karriereambitionen der befragten Personen eine genauere Sichtweise auf den Berufsweg von SchuleiterInnen und hinterfragt gängige Erklärungsmuster für die ungleiche Verteilung von Frauen und Männern im Schulleitungsamt. Zum anderen verweist der im Band aufgearbeitete Zusammenhang von biografischer Erfahrung und Aufstiegsmotivation sowie das Ausgestaltungsverständnis für das Schulleitungsamt auf die Genese der Professionalität von SchulleiterInnen und bietet gleichsam einen Anknüpfungspunkt für Bemühungen um eine Professionalisierung schulischer Führungskräfte. Zu guter Letzt ermöglicht die Studie durch generationenübergreifende Einsichten einen neuen Blick auf die Bedeutung der Geschlechtszugehörigkeit für das Werden und Sein als Schulleiterin oder Schulleiter heute.

Das historische Phänomen einer wachsenden Zahl an weiblichen Schulleitungen in der Zeit der höheren Mädchenschulen im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, das bis zur Umwandlung der monoedukativen in koedukative Schulen Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts zu beobachten ist, war ein Ausgangspunkt Hoffs für die Anlage ihrer Untersuchung. Die bisher plausible wissenschaftliche Erklärung, dass die größere Zahl weiblicher Führungskräfte damals darauf zurückzuführen sei, dass strukturelle Voraussetzungen, also ein spezifischer Raum weiblicher Karriere, gegeben war, der den Lehrerinnen den Aufstieg ins Schulleitungsamt gegen die Erwartungen an einen weiblichen Lebenslaufs erleichtert haben soll, erschien Hoff verkürzt. Der forschende Blick müsse um die individuelle Handlungsebene ergänzt werden, um umfassend erklären zu können, warum mehr Frauen damals als heute in die schulische Führung aufstiegen. Ihre Hypothese ist, dass nicht die strukturelle Möglichkeit an sich, sondern diese zusammen mit einem gemeinsamen Berufsverständnis damaliger Schulleiterinnen die unerwartet große Frauenführungsriege Anfang des 20. Jahrhunderts möglich machte (19). Ferner sucht Hoff mit ihrer Untersuchung die derzeitigen Befunde zur Karriereorientierung und zum beruflichen Selbstverständnis schulischer Führungskräfte zu ergänzen, um eine differenziertere Perspektive auf die Ursachen ungleicher Beteiligung von Frauen und Männern im Schulleitungsamt entwickeln zu können. Sie beschränkt sich mit ihrer Stichprobe auf Leiterinnen an Gymnasien, bezieht dafür jedoch zwei Generationen mit ein. So kann sie generationstypische sowie geschlechtsspezifische Karrieremuster vergleichen (25).

Methodisch wählt Hoff den Zugang über das Verfahren der Fallrekonstruktion, das die Kausalitäten zwischen biografischer Entwicklung, beruflicher Aufstiegsorientierung, der pädagogischen Professionalität und der Geschlechterzugehörigkeit sichtbar zu machen vermag. Dieser Weg erlaubt Einsichten in die Zusammenhänge von Lebenspraxis und sozialen Umständen, wie sie in Fragebogenstudien oder Studien mit von außen herangetragenen Kategoriensystemen, die in der Schulleitungsforschung auch zu Hause sind, nicht im selben Maße gefunden werden können. Hoff selbst diskutiert solche methodologischen Aspekte in Kapitel 3 eingehend.

Zuvor führt sie in den ersten beiden Kapiteln in die historische Entwicklung weiblicher Schulleitung ein, lässt die meisten vorliegenden Studien zur Schulleitung Revue passieren [1] und beschreibt institutionelle Rahmungen der SchulleiterInnen-Karriere in den 60er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts (33ff.). Für ihre späteren Fallanalysen sind ferner zwei theoretische Konzepte von Bedeutung, die Hoff ebenfalls in den Eingangskapiteln erläutert: Zunächst folgt sie der Betrachtung der Karriere als einem institutionellen Ablaufprogramm nach Martin Kohli [2]. Hieran verdeutlicht sie, dass der moderne Lebenslauf berufliche Karrieremodelle und familiäre Lebensmuster vorgibt, die auch als notwendige Schemata für die biografische Orientierung zur Verfügung stehen. Dabei erweise sich das Konstrukt der Normalbiografie allerdings als ein am Lebenslauf des Mannes orientiertes; die weibliche Normalbiografie hingegen folge anderen Rhythmen. Daneben transportierten geschlechtsspezifische Lebenslaufmodelle, in denen sich stereotype Vorstellungen eines weiblichen und männlichen Sozialcharakters wieder finden, Bilder idealtypischer Biografien (30f.).

Als eine entscheidende Folie für die späteren Analysen führt sie dann in die Perspektive von Karriere als Bewährungsdynamik nach Oevermann [3] ein. Im Spannungsfeld von potentiellen Spielräumen einerseits und der Erfahrung begrenzter Ressourcen andererseits wird für den Einzelnen / die Einzelne – so der Grundgedanke – die Frage nach dem Sinn des eigenen Lebens laut. Lebensentscheidungen für eine Ehe, ein Kind, einen Beruf etc., die sich als echte Entscheidungen charakterisieren lassen, weil sie nicht auf der Basis von richtig und falsch zu fällen sind, brauchten andere Begründungen. Es handelt sich um Begründungen, mit denen ein Mensch vor sich selbst rechtfertigt, eine für sein Lebensziel, seine soziale Stellung, seinem Geschlecht etc. stimmige Entscheidung getroffen zu haben. Dazu stehen ihm so genannte Mythen zur Verfügung, die den Anspruch auf Verallgemeinerung erheben und es vermögen, über das unverwechselbare Eigene Auskunft zu geben und gleichzeitig die Hoffnung auf Bewährung in der gesellschaftlichen Bewertung zu eröffnen. In einer historischen Sicht lässt sich dabei eine Entwicklung von einem ehemals religiös genährten Mythos der christlichen Erlösung zu einer Leistungsethik der modernen Gesellschaft ausmachen, die auch die Berufsethik beeinflusste. Zu beobachten ist ferner, dass die Leistungsethik an kollektiver Tragfähigkeit verliert, Entlastungen durch inhaltliche Konventionen wegfallen und sich das Individuum einen eigenen Bewährungsmythos zu Eigen machen muss. Die Bewährungsfelder Beruf, Elternschaft, Gemeinwohl verlangen aufgrund ihrer eigenen Logik allerdings unterschiedliche Bewährungsmythen. Hoff verfolgt nun die Frage, „auf welche Mythen sich die SchulleiterInnen als subjektive Entscheidungsgrundlage ihres beruflichen Handelns berufen und wie sie diese mit den individuellen Sinnkonstruktionen von Elternschaft verbinden“ (48).

Zuletzt diskutiert Hoff in ihrem einleitenden Teil die Frage von Professionalität im Lehr- und im Leitungsberuf in der Schule. Daraus geht eine weitere Untersuchungsfrage hervor, „ob und inwiefern es gelingt, die fehlende berufliche Autonomie der Schulleitung, die nicht (...) durch institutionelle Muster gesichert ist, zu kompensieren und Ansätze einer professionalisierten pädagogischen Leitungspraxis durch schulspezifische Äquivalente pädagogisch kollegial herzustellen“ (75). Hoff setzt hier ihr Verständnis von kollegialer Weiterentwicklungsbemühung, wie ich meine zu Unrecht, von einem verkürzten Konzept der Schulentwicklung ab (74). Gleichsam akzentuiert sie die Professionalität von SchulleiterInnen als eine pädagogische Professionalität.

Die folgenden zwei Drittel des Bandes (Kapitel 4 und 5) umfassen die ausführlichen Fallanalysen dreier älterer und vier jüngerer SchulleiterInnen, die wiederum aus einer Stichprobe von sieben älteren und acht jüngeren SchulleiterInnen entnommen wurden. Die Untersuchung wurde im Rahmen des DFG-Forschungsprojektes „Schulleiterinnen an Gymnasien 1950-1997“ durchgeführt. In der Darstellung der einzelnen Fälle fügt Hoff immer wieder Vergleiche zwischen die bereits ausgebreiteten Fälle ein und unterstützt damit den Erkenntnisprozess von Leser und Leserin. Abschließend unternimmt sie den angekündigten generationenübergreifenden Vergleich und den Geschlechtervergleich. Hoffs Interpretationen fallen dabei sehr sensibel aus, ihre Überlegungen sind aufschlussreich und verdeutlichen die herausgearbeiteten Zusammenhänge. Manche Interpretation hätte noch stimmiger ausfallen können, wenn berücksichtigt worden wäre, dass sich Lehrkräfte und Schulleitungen eines gemeinsamen Schuljargons bedienen (z.B. ist der Begriff ‚mein Schulleiter’ ein selbstverständlicher in der Sprache von Lehrkräften und für sich alleine nicht als Indiz für ein Meister-Schüler-Verhältnis zu lesen, wie Hoff es auslegt (283)). Auch erscheint im Hinblick auf die ältere Schulleiter-Männergeneration die Erfahrung militärischer Hierarchie und Ordnung im Hinblick auf die Interpretation ihres Verhältnisses zur Schulbehörde ein wichtiger weiterer Zusammenhang zu sein und eine konstatierte Vaterorientierung damit noch zu ergänzen (190).

Die Autorin beendet ihren Band auf den letzten Seiten mit einer prägnanten abschließenden Betrachtung, in der sie Beobachtetes gut strukturiert zusammenfasst und an die Fachdebatte anknüpft. Zwei grundlegende Einsichten seien stellvertretend genannt: (1) Die hohe Beteiligung von Frauen an der Leitung höherer Schulen begründet sich in einer für die Nachkriegszeit historisch einmaligen Berufsauffassung damaliger SchulleiterInnen, für die die Hingabe an die Bürgerlichkeitsethik und der Rekurs auf das Theorem der ‚Geistigen Mütterlichkeit’ bezeichnend sind (vgl. 335). Ferner lässt sich markieren: (2) „Die Schulleiterinnen der 1990er Jahre stehen angesichts der Vereinbarung von Beruf und Elternschaft unter einem besonderen Begründungsanspruch, ihre Eignung für das Leitungsamt zu rechtfertigen. Im selben Zuge steigt aber auch die Begründungslast bei den Schulleitern an, indem der Mythos des Familienernährers von seinen Begründungen her brüchig wird“ (340).

Die Sorgfalt, mit der Hoff die Thematik in ihrer Arbeit ausbreitet und die sich auch im sprachlichen Duktus des Bandes findet, macht ihn ebenso lesenswert wie die zahlreichen Impulse, die sich aus der lesenden Begleitung der analysierten Fälle für alle jene ergeben können, die mit schulleitungsbezogenen Themen befasst sind. Hoffs Rückgriff auf das historische Phänomen des beruflichen Aufstiegs von Frauen in einer Zeit, in der sie gerade deutlich auf das Private verwiesen worden waren, ist deshalb methodisch weiterführend, weil sowohl historische als auch gegenwärtige Entwicklungen verdeutlicht werden. So gelingt es zum einen, die historische Entwicklung differenzierter zu erläutern und den Widerspruch zum damaligen Frauenbild aufzulösen. Zum anderen steht für die Erklärung des noch immer zögerlichen Aufstiegs der Frauen ins Schulleitungsamt heute eine zusätzliche Perspektive zur Verfügung, die für die berufliche Orientierung von Frauen Geschlecht und Biografie neu verknüpft.

Neben der wissenschaftlichen Ergänzung, die Hoff, wie angekündigt, durch ihre Studie vorlegen konnte, finden sich darüber hinaus Anregungen für Schulleiterinnen und Schulleiter in der Praxis, über ihren Aufstieg sowie ihre Leitungshaltung- und -praxis nachzudenken. Darüber hinaus können FortbildnerInnen und TrainerInnen dem Band Anregungen entnehmen, weil er für Zusammenhänge sensibilisiert, die sonst eher über den Einsatz psychologischer Verfahren in der Professionalisierung von SchulleiterInnen in den Vordergrund rücken. Die biografische Selbstreflexion im Professionalisierungsprozess ließe sich ein weiteres Mal anknüpfend an die Erkenntnisse einer Schulleitungsstudie einfordern.

[1] Hier fehlen aber beispielsweise: Bonsen, Martin (2003): Schule, Führung, Organisation. Münster: Waxmann oder auch Kansteiner-Schänzlin, Katja (2002): Personalführung in der Schule. Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen Frauen und Männern in der Schulleitung. Bad Heilbrunn/Obb.: Klinkhardt.

[2] Kohli, Martin (1985): Die Institutionalisierung des Lebenslaufs. Historische Befunde und theoretische Argumente In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 37 (1), 1-29.

[3] Oevermann, Ulrich (2000): Bewährungsdynamik und Jenseitskonzepte. Konstitutionsbedingungen von Lebenspraxis. Frankfurt a. M. In: Schweidler, Walter (Hrsg.): Wiedergeburt und kulturelles Erbe. Sankt Augustin: Academia, 289-338.
Katja Kansteiner-Schänzlin (Tübingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Katja Kansteiner-Schänzlin: Rezension von: Hoff, Walburga: Schulleitung als Bewährung, Ein fallrekonstruktiver Generationen- und Geschlechtervergleich (Rreihe: Studien zur qualitativen Bildungs-, Beratungs- und Sozialforschung, Bd. 5). Opladen: Budrich 2005. In: EWR 6 (2007), Nr. 5 (Veröffentlicht am 04.10.2007), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/93809450.html