EWR 18 (2019), Nr. 4 (Juli/August)

Chilla, Solveig / Niebuhr-Siebert, Sandra
Mehrsprachigkeit in der Kita
Grundlagen – Konzepte - Bildung
Stuttgart: Kohlhammer 2017
(224 S.; ISBN 978-3-17-022182-6; 29,00 EUR)
Mehrsprachigkeit in der Kita Die Kindertageseinrichtungen (KiTas), die frühkindlichen Bildungs- und Betreuungseinrichtungen, sind ein Lern- und Begegnungsort, in dem Kinder in der Interaktion mit ErzieherInnen und mit anderen Kindern wichtige soziale und sprachliche Kompetenzen auf- und ausbauen, die sie für die erfolgreiche Partizipation an Bildungskontexten – spätestens ab dem Schuleintritt – benötigen. Die Förderung der sprachlichen Fähigkeiten gehört zu einer der grundlegenden Aufgaben in der KiTa: Zum einen weisen sprachliche Anforderungen in der Gesellschaft bestimmte Sprachhandlungen auf, die in der Alltagskommunikation in der Familie selten gefördert werden [1]. Zum anderen ist die KiTa für Kinder, in deren Familien eine andere Sprache als Deutsch gesprochen wird, häufig der Ort, an dem der erste frühzeitige Kontakt mit der Zielsprache Deutsch stattfindet. Man kann zwar bei Kindern mit Migrationshintergrund – nach dem Mikrozensus 2017 machen sie bundesweit fast 40 Prozent der Unterfünfjährigen aus – nicht zwangsläufig auf mehrsprachiges Aufwachsen schließen. Dennoch bringen viele Kinder ihre Familiensprachen in die KiTa mit: Laut Bildungsbericht 2016 sprechen mehr als 60 Prozent aller Vier- bis Sechsjährigen mit Migrationshintergrund zu Hause eine andere Sprache als Deutsch. Die KiTa ist mehrsprachig und dies hat weitgehende Folgen für die pädagogische Praxis.

Es gibt unterschiedliche Einstellungen und Praktiken beim Umgang mit der Mehrsprachigkeit in der Kita. Wenn die Sprachenvielfalt in der Kita von einigen ErzieherInnen als eine Bereicherung und Potenzial gesehen wird, nehmen andere sie wiederum als kreative Herausforderung an und brauchen Wissen, wie Mehrsprachigkeit in der kindlichen Entwicklung gefördert wird. Häufig kommen aber Situationen zustande, in denen die Fachkräfte mit den unterschiedlichen sprachlichen Voraussetzungen in der mehrsprachigen KiTa überfordert sind und Grundlagenwissen in der Unterstützung der mehrsprachig aufwachsenden Kinder benötigen. Die beiden Autorinnen der vorliegenden Einführung, Dr. Solveig Chilla, Professorin am Institut für Sonderpädagogik der Europa-Universität Flensburg, und Dr. Sandra Niebuhr-Siebert, Professorin für „Sprache und Sprachförderung in Sozialer Arbeit“ an der Fachhochschule Clara Hoffbauer Potsdam, nehmen in dem hier rezensierten Buch die Herausforderung an, theorie- und praxisbezogene Fragen pädagogischer Fachkräfte in der KiTa zu beantworten. Es ist den Autorinnen ein Anliegen, in ihrem pädagogischen Einführungswerk zur mehrsprachigen Erziehung im frühen Kindesalter ein Basiswissen zur Verfügung zu stellen und den pädagogischen Fachkräften Wege aufzuzeigen, wie sie die mehrsprachige Bildung fördern können und in welchen Lehr-Lernarrangements die Spracherziehung ganz konkret gestaltet werden kann.

Das Buch ist übersichtlich in 10 Kapitel gegliedert. Nach dem einführenden Teil zur Kita als Ort der mehrsprachigen Bildung (Kapitel 1 und 2), in dem die grundlegenden Begriffe „Sprachförderung“ und „Sprachbildung“ problemorientiert definiert werden, setzen sich die Autorinnen mit den Möglichkeiten und Herausforderungen der sprachlichen Bildung im institutionellen Kontext von Kindertageseinrichtungen auseinander. Im dritten Kapitel werden die wichtigsten Grundlagen zur Sprachentwicklung im Kindesalter zusammengefasst. Dabei wird der aktuelle wissenschaftliche Diskurs in der Zweispracherwerbsforschung widergespiegelt und mit zahlreichen Beispielen, die zur kritischen Reflexion anregen, belegt. Die Autorinnen gehen dabei auf die verschiedenen Erwerbsbereiche (Basisqualifikationen nach Ehlich et al. 2008,vgl. [2]) in der kindlichen Sprachentwicklung ein und fassen die Ergebnisse zum phonetisch-phonologischen, lexikalischen und morphosyntaktischen Erwerb zusammen. Ausgeklammert bleibt dabei die Entwicklung der pragmatischen Sprachfähigkeiten, die bereits im Elementarbereich eine wesentliche Rolle spielen, so z.B. Sprachhandlungsmuster wie Frage-Antwort, Bestätigen, Erklären oder Anweisen.

Kapitel 4 befasst sich mit den Prinzipien einer mehrsprachigen Bildung sowie mit den Einstellungen und Haltungen der Akteure in der KiTa. Aus der pädagogischen Perspektive heraus wird aufgezeigt, wie Sprachenvielfalt in der KiTa sichtbar gemacht und wie die Mehrsprachigkeit der Kinder in den Alltag integriert werden können. Die Analyse von Fallbeispielen veranschaulichen die Überlegungen zum sensiblen Umgang mit der Mehrsprachigkeit der Kinder.

Damit Kinder in der sprachlich heterogenen KiTa individuell gefördert werden können, sind für pädagogische Fachkräfte Schlüsselkompetenzen in der Diagnostik unabdingbar. Dem Thema „Diagnose“ – Begleitung und Beobachtung der sprachlichen Entwicklung – widmet sich das fünfte Kapitel. Hier werden einige Verfahren zur Einschätzung des Sprachentwicklungsstandes vorgestellt und diskutiert. Ein pädagogisches Fazit – ein konstitutiver Teil eines jeden Kapitels im vorliegenden Buch - schließt das Kapitel ab.

In Kapitel 6 werden einige Verfahren wie Scaffolding, stützende Dialoge und handlungsbegleitendes Sprechen thematisiert, welche die Interaktion zwischen Kind und Erzieherin unterstützen. Zahlreiche Beispiele aus der Praxis und konkrete Vorschläge und Lösungen für den KiTa-Alltag veranschaulichen die Vorstellung der Verfahren.
Weiterhin wird in Kapitel 7 die Förderung der (Bi-)Literalität durch dialogisches Lesen und Erzählen vorgestellt. Dies sind zwei Förderperspektiven, die Kinder bereits im KiTa-Alter an die konzeptionelle Schriftlichkeit heranführen.

Kapitel 8 nimmt die Zusammenarbeit mit Eltern in den Blick, indem Herausforderungen in Form von z.B. Sprachbarrieren bzw. Fremdheitserfahrungen diskutiert und Lösungswege durch unterschiedliche KiTa-Projekte mit Eltern und Kindern vorgeschlagen werden.
Das kurze Kapitel 9 widmet sich der institutionellen Kooperation und Vernetzung, stellt verschiedene KooperationspartnerInnen vor und beantwortet die Frage, warum kooperiert werden sollte. Eine der möglichen Kooperationspartnerinnen der KiTa ist die Schule. Denn die Kooperation mit Schulen kann – wie in Kapitel 10 deutlich gemacht wird - entscheidend dazu beitragen, Transition KiTa-Grundschule erfolgreich zu gestalten. Hierfür werden Maßnahmen für einen gelingenden Übergang zusammengetragen.

Das Grundlagenwerk zur mehrsprachigen Erziehung in der KiTa zeichnet sich durch die umfangreichen Analyse- und Reflexionsaufgaben und Literaturhinweise zur Vertiefung der einzelnen Themenbereiche, die es der LeserInnen ermöglichen, besonders relevante Fragestellungen selbstständig weiter zu bearbeiten, aus.

Das Buch „Mehrsprachigkeit in der KiTa. Grundlagen – Konzepte – Bildung“ eignet sich sowohl für bereits praktizierende pädagogische Fachkräfte in der KiTa als auch für Studierende der Fächer Bildungswissenschaften bzw. Kindheitspädagogik und Frühe Bildung, die ein Grundlagenwissen um die Besonderheiten des Zweitspracherwerbs im Kindesalter, Prinzipien der Sprachstandsdiagnose und Förderung der mehrsprachigen Bildung in der KiTa aufbauen wollen. Das Grundlagenwerk gibt einen guten Überblick über die aktuellen Themenbereiche in der mehrsprachigen frühkindlichen Bildung und bietet vielfältige methodisch-didaktische Anregungen zur sprachförderlichen Gestaltung des Alltags in der mehrsprachigen KiTa.

[1] Ehlich, Konrad, Bredel, Ursula und Reich, Hans H. (Hrsg.): Referenzrahmen zur altersspezifischen Sprachaneignung 29/II. Bonn, Berlin, 2008.
[2] Ruberg, Tobias und Rothweiler, Monika: Spracherwerb und Sprachförderung in der Kita. Stuttgart: Kohlhammer, 2012.
Nadja Wulff (Freiburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Nadja Wulff: Rezension von: Solveig, Chilla, / Sandra, Niebuhr-Siebert,: Mehrsprachigkeit in der Kita, Grundlagen – Konzepte - Bildung. Stuttgart: Kohlhammer 2017. In: EWR 18 (2019), Nr. 4 (Veröffentlicht am 20.11.2019), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978317022182.html