EWR 13 (2014), Nr. 2 (März/April)

Stefanie Pfister / Michael Wermke (Hrsg.)
Religiöse Bildung als Gegenstand historischer Forschung
(Religiöse Bildung im Diskurs Bd. 2)
Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2013
(149 S.; ISBN 978-3-374-03207-5; 19,80 EUR)
Religiöse Bildung als Gegenstand historischer Forschung Wie in der Einleitung der herausgebenden Dortmunder Religionspädagogin Stefanie Pfister und des Jenenser Religionspädagogen Michael Wermke beschrieben, ist dieses kleine Buch aus der 9. Jahrestagung des ökumenischen Arbeitskreises für Historische Religionspädagogik im Mai 2011 hervorgegangen. Im Zentrum dieser Veranstaltung stand die „Frage nach dem systematischen Ort der historischen Bildungsforschung in der Religionspädagogik“ (7). Auf diese Frage beziehen sich die vier Beiträge des Bandes in unterschiedlicher Weise – aus der Sicht der Religionspädagogik, der historischen Bildungsforschung, der Kirchengeschichte sowie, in anderer Art, aus der Perspektive eines Zeitzeugen zur „Wendezeit der DDR“. Um es vorwegzunehmen: Der Band bietet eine ebenso informative wie anregende Lektüre, die über das von einem Tagungsband zu Erwartende deutlich hinausgeht.

Der religionspädagogische Beitrag stammt von dem Göttinger Religionspädagogen Bernd Schröder, der davon berichtet, dass es zwar „keine Disziplin ‚historische Religionspädagogik‘ gibt, wohl aber ein durchaus expandierendes historisches Arbeitsfeld innerhalb der Religionspädagogik“ (15). Zur Vermessung dieses Arbeitsfeldes werden zunächst verschiedene Fallbeispiele herangezogen, aus denen sich ein exemplarischer Überblick zur historischen Forschung in der Religionspädagogik ergibt. Darauf bezogen werden sodann „Merkmale gegenwärtiger historischer Religionspädagogik“ beschrieben (23) sowie Desiderate formuliert (26), die mit einem ganzen Katalog von Vorschlägen u.a. auf eine veränderte Ausrichtung entsprechender Untersuchungen zielen (z.B. regional-, praxis-, institutionengeschichtliche Untersuchungen). Weitere Reflexionen in diesem Beitrag gelten der Bedeutung historischer Untersuchungen für die Religionspädagogik unter verschiedenen Aspekten.

Den Part der historischen Bildungsforschung hat der Historiker Frank-Michael Kuhlemann (Dresden) übernommen. Kuhlemann arbeitet heraus, dass die historische Bildungsforschung das „Forschungsfeld ‚Kirche und Religion‘ im letzten halben Jahrhundert weithin vernachlässigt“ habe, was auf „disziplingeschichtliche und generationsspezifische Veränderungen innerhalb der Pädagogik“ (48) zurückzuführen sei. Vor allem zwei Haltungen stehen demnach der Ausbildung entsprechender Forschungsinteressen entgegen, zum einen die in der Pädagogik noch immer verbreitete Überzeugung, Religion sei ein Hindernis für gesellschaftliche Aufklärung, zum anderen sind es theologische Positionen, besonders auf evangelischer Seite, die aufgrund eines autarkistischen Zugs einem interdisziplinären Dialog wenig förderlich waren (50). Dennoch lassen sich aber durchaus interessante Erträge der bildungshistorischen Forschung im Blick auf Religion zusammenfassend beschreiben, wie es Kuhlemann sodann unternimmt, und so lassen sich auch in dieser Perspektive Desiderate identifizieren (65). Dazu gehören etwa eine Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Pädagogik und Protestantismus im europäischen Horizont, aber auch die jüdische Bildungsgeschichte oder die religiöse Sozialisationsgeschichte sowie, vielleicht überraschend, weil wenig bearbeitet, die pädagogische Arbeit im Bereich der außereuropäischen Mission.

Der dritte Beitrag, nun aus der Perspektive der Kirchengeschichte, stammt von dem Göttinger Kirchengeschichtler Peter Gemeinhardt. Gemeinhardt adressiert zunächst seine eigene Disziplin und fragt, warum sich diese mit dem Bildungsthema überhaupt beschäftigen sollte. Gerade im Bereich der Bildung, so eine seiner Thesen, werde der neueren Forschung zu den ersten nachchristlichen Jahrhunderten zufolge deutlich, „wie vielfältig und fließend die Übergänge zwischen christlicher und nichtchristlicher Religiosität waren – und dass der Bereich der Bildung insgesamt ein Ort der Begegnung mit dem ‚Heidentum‘ war“ (93) – eine Einschätzung, die sich deutlich von früheren Positionen unterscheidet, die stärker die Grenzlinien und Konflikte zwischen dem Christentum und der griechisch-römischen (Schul-)Bildung mit ihren mythologischen Inhalten hervorhob. Schon aufgrund ihrer religiösen Dimension sei die Bildungsthematik auch kirchengeschichtlich von hohem Interesse. Weitergehend lassen sich, Gemeinhardt zufolge, aus Untersuchungen zu Bildung in der Spätantike wichtige Erkenntnisse für die Theologie insgesamt gewinnen. Denn die „pagane Bildung“ sei „auch für die christliche Theologie der Mutterboden“ gewesen, „auf dem sie sich entfalten konnte“ (109). Gemeinhardt plädiert dafür, Bildung dabei in einem weiten Sinne in den Blick zu nehmen, nämlich „dreifach: als Schulbildung, religiöse Menschenbildung und philosophisch-theologische Bildung“ (109). Hilfreich sind auch die zahlreichen Literaturhinweise auf neuere Forschungsarbeiten zur Bildungsthematik in der Antike.

Beschlossen wird der Band durch den Beitrag von Dieter Reiher, Religionspädagoge und ehemaliger Staatssekretär für Bildung und Erziehung im Ministerium für Bildung und Wissenschaft der letzten DDR-Regierung. Er beschreibt im Rückblick verschiedene „Versuche, in der Wendezeit der DDR die religiöse Bildung in die Allgemeinbildung zurückzuholen“ (125). Dabei geht es ihm naturgemäß nicht um einen wissenschaftlichen Beitrag im Sinne der historisch-religionspädagogischen Forschung, sondern um Erinnerungen, Deutungen und Fragen, die nun von gleichsam dokumentarischem Wert sind.

Wie für mich selbst als Religionspädagogen dürfte wohl auch für erziehungswissenschaftliche Leserinnen und Leser besonders der auf die Bildungsgeschichte in der Antike bezogene Beitrag aus der Kirchengeschichte neue und anregende Einsichten bereithalten. Dieser Beitrag unterstreicht, dass der in der Erziehungswissenschaft weithin übliche Blick allein auf die letzten zwei oder drei Jahrhunderte einen Erkenntnis- und Bildungsverlust bedeutet, der gerade dann schmerzlich bewusst werden kann, wenn die Bedeutung von Bildung, Bildungsbegriff und Bildungsverständnis erhellt werden soll.
Friedrich Schweitzer (Tübingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Friedrich Schweitzer: Rezension von: Pfister, Stefanie / Wermke, Michael (Hg.): Religiöse Bildung als Gegenstand historischer Forschung, (Religiöse Bildung im Diskurs Bd. 2). Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2013. In: EWR 13 (2014), Nr. 2 (Veröffentlicht am 26.03.2014), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978337403207.html