EWR 6 (2007), Nr. 3 (Mai/Juni 2007)

Frank Hellmich / Hanna Kiper
Einführung in die Grundschuldidaktik
Weinheim/Basel: Beltz 2006
(176 S.; ISBN 978-3-407-25423-8; 16,90 EUR)
Einführung in die Grundschuldidaktik Unter benanntem Titel steht das hier zu rezensierende Buch in dem Anliegen, „eine Einführung in das Grundlagenwissen der Elementar- und Grundschuldidaktik“ (6) zu sein. Es thematisiert

  • aktuelle Diskussionen über die Strukturierung und Organisation der Grundschule sowie grundlegende Prinzipien der Grundschularbeit,

  • entwicklungsorientierte Ansätze des Wissensaufbaus und der Anschlussfähigkeit von Bildungsprozessen,

  • Konzepte einer Pädagogik des Elementarbereichs und Anfangsunterrichts,

  • unterrichtsfachspezifische und fachübergreifende Aspekte zur inhaltlichen Gestaltung und der Entwicklung von Lernkompetenzen,

  • Kooperationen zwischen Elementar- und Primarbereich sowie mit dem Elternhaus,

  • Ãœbergangssituationen und Schullaufbahnempfehlungen.


Damit wird auf engem Raum ein breites Spektrum abgedeckt, das überblicksartig in die Themenfelder einführt und aufgrund der Kürze einen schnellen Zugriff auf Informationen ermöglicht.

An eine „Einführung in die Grundschuldidaktik“ sind hohe Ansprüche zu stellen. Sie muss gleichermaßen einführen, also eine erste positive Begegnung mit dem Sachfeld schaffen, aber auch Interesse zur weiteren Vertiefung wecken (und dazu relevante weiterführende Literatur angeben) sowie verschiedene didaktische Positionen im Grundschulfeld beleuchten. Dazu müssten Hellmich und Kiper nach meinem Verständnis einerseits grundschulrelevante Inhalte und Bezugswissenschaften soweit aufbereiten, dass sie sich auf die didaktische Umsetzung (für den Unterrichtsprozess) konzentrieren können. Diesen Erwartungen kann das vorliegende Buch leider nicht durchgängig entsprechen.

Bei der Überlegung, für welche Zielgruppe ein solches Buch in Frage kommt, bieten sich u.a. interessierte Eltern, Lehrerinnen und Lehrer der Grundschule sowie Studierende in den Anfangssemestern an. Für Erstere werden in diesem Buch meines Erachtens zu viele Vorkenntnisse über Diskussionen und Standpunkte innerhalb der Grundschulpädagogik vorausgesetzt, für die beiden anderen Adressatenkreise enthält es – auch wenn es eine Einführung sein will und die Grundschulforschung am Ende des Buches auf sechs Seiten thematisiert wird – meines Erachtens zu wenig Diskurse bzw. kontroverse Betrachtungen, um auf vertiefende Diskussionen vorzubereiten.

Letztlich halte ich die Wahl des Titels für nicht eindeutig: Grundschuldidaktik stellt fachwissenschaftliche, fachdidaktische und allgemeinpädagogische Inhalte unter das Dekret der Spezialisierung an Grundschule bzw. Grundschüler und -schülerinnen. Der Inhalt der Grundschuldidaktik sind somit Vermittlungsprozesse und ihre Besonderheiten im Bereich der Grundschule. Davon abzugrenzen sind allerdings die Inhalte, entweder aus der Fachwissenschaft, der Allgemeinen Pädagogik oder der Grundschulpädagogik. Die Autoren verwenden jedoch die Begriffe Grundschuldidaktik und Grundschulpädagogik synonym mit dem Resultat der Unschärfe und der Verwischung von allgemeinen Grundschulthemen und deren Vermittlungsstrategien. Besser zum Inhalt des Buches würde „Übersicht zu Grundschulthemen“ oder „Themen der Grundschulpädagogik“ passen. Der Bezug zum Thema Didaktik im Titel findet sich im Kapitel „Lehren und Lernen“ am Ende des Buches.

Kritisch anzumerken ist zudem, dass – auch aufgrund der Seitenknappheit – häufig plakativ gearbeitet wird. Beispiel: „Als eine wichtige Aufgabe von Schule gilt der Aufbau realitätsbezogener Selbstkonzepte bei Kindern. Es ist seit längerem bekannt, dass Kinder, die über positive Selbstkonzepte in einzelnen Unterrichtsfächern verfügen, dort auch bessere Leistungen erbringen als Kinder, die sich selbst nur wenig im Unterricht zutrauen. Darüber hinaus liegen Hinweise dafür vor, dass Fähigkeitsselbstkonzepte über motivationale Variablen vermittelt Lernprozesse von Schülerinnen und Schülern beeinflussen“ (102). Leider erfährt der Leser weder auf welche Autoren sich bei den Aussagen bezogen wird, noch wird erläutert, wie diese Ergebnisse ermittelt wurden. Bei den später herangezogenen Autoren Moschner [1], Krapp [2], Shavelson, Hubner, Stanton [3] wird der Begriff Selbstkonzept oder ein Selbstkonzeptmodell diskutiert, die o.g. Aussagen aber nicht weiter thematisiert.

Zudem gehen die Autoren recht offensiv mit persönlichen Standpunkten um. Die eigene Meinung wird, auch um Diskussionen zu verkürzen, herausgestellt und mit Bezügen zu weiteren Autoren untermauert. Leider werden häufig Verweise auf Sekundär- oder gar Tertiärliteratur gebracht, ohne dass dafür eine Notwendigkeit bestünde. Zum Beispiel wird hinsichtlich des problemlösenden Lernens auf Lankes [4] rekurriert, die Positionen Aeblis [5] aber nur am Rande skizziert, Dörner [6] hingegen wird gar nicht erwähnt (vgl. 133). Ohnehin merkt man diesem Kapitel die verkürzte Darstellung deutlich an. Problemorientiertes Lernen kann nicht auf einer dreiviertel Seite zusammengefasst werden, wenn es über eine Definition hinausgehen soll.

Auch im Kapitel entdeckendes Lehren und Lernen erläutern die Autoren nicht, wie entdeckendes Lehren aussehen soll. In anderen Kapiteln fehlen relevante bzw. grundlegende Literaturangaben. So fehlen z.B. im Kapitel Sprachlicher Anfangsunterricht bzw. Fachdidaktik Deutsch, dem immerhin sieben Seiten gewidmet sind, Hinweise zu den praktischen Auswirkungen der phonologischen Orientierung und zu aktuellen Diskussionen; Positionen von z.B. Dehn [7], Brügelmann [8] oder Reichen [9] u.a. bleiben hier ausgeblendet.

Selbstverständlich müssen das Autorenteam bei der Fülle an Themen und der geringen Seitenzahl ökonomisch arbeiten, so dass viele Themen nur im Ansatz skizziert und kontroverse Standpunkte und Entwicklungen nur verkürzt dargestellt werden können. Dieses Zugeständnis würde aber nicht so ins Gewicht fallen, wenn die Leserin/der Leser – neben den Angaben im Literaturverzeichnis – explizite Hinweise auf weiterführende Literatur erhalten würden, die zu einer vertiefenden Beschäftigung ermutigen. Dieses würde dem Leserkreis, „Studierende in den Anfangssemestern“ entgegenkommen.

Insgesamt ist das Buch eine (mit Vorwissen) leicht lesbare Übersicht in grundschulrelevante Themenbereiche. Grafiken, Übersichten und Aufzählungen (im ganzen Buch findet sich nur eine Tabelle) würden den Anspruch an eine Einführung respektive einen Überblick weiterhin zu Gute kommen. Für (fachfremde) Eltern fehlen aufgrund vieler Verkürzungen Hintergründe und praktische Auswirkungen. Eine Einführung kann dieses Buch also nur bedingt leisten.


[1] Moschner, B.: Selbstkonzept. In: Rost, D.H. (Hrsg.): Handwörterbuch Pädagogische Psychologie. 2. Aufl. Weinheim: Beltz Psychologie Verlags Union 2001, S. 629-635.
[2] Krapp, A.: Selbstkonzept und Leistung – Dynamik ihres Zusammenspiels. In: Weinert, F.E./Helmke, A. (Hrsg.): Entwicklung im Grundschulalter. Weinheim: Beltz Psychologie Verlags Union 1997, S. 325-339.
[3] Shavelson, R.J./Hubner, J.J./Stanton, G.C.: Self-concept: validation of construct interpretations. In: Review of Educational Research, 46, 1976, S. 404-441.
[4] Lankes, E.-M.: Problemorientiertes Lernen. In: Einsiedler u.a. (Hrsg.): Handbuch Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik. 2. Aufl. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2005, S. 335-340.
[5] Aebli, H.: Das Ordnen des Tuns. Bd. II. Stuttgart: Klett 1981.
[6] Dörner, D.: Problemlösen als Informationsverarbeitung. Stuttgart: Kohlhammer 1976.
[7] Dehn, M.: Zeit für die Schrift Bd.1/2. 2006.
[8] Brügelmann, H.: Kinder auf dem Weg zur Schrift. 6. Aufl. Lengwill: Libelle 1997.
[9] Reichen, J.: Lesen durch Schreiben. Sabe: Heinevetter 1988.
Markus Peschel (Duisburg-Essen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Markus Peschel: Rezension von: Hellmich, Frank / Kiper, Hanna: Einführung in die Grundschuldidaktik. Weinheim/Basel: Beltz 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 3 (Veröffentlicht am 12.06.2007), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978340725423.html