EWR 9 (2010), Nr. 2 (März/April)

Christine Zeuner / Peter Faulstich
Erwachsenenbildung – Resultate der Forschung
Entwicklung, Situation und Perspektiven
Weinheim und Basel: Beltz 2009
(368 S.; ISBN 978-3-407-32111-4; 59,00 EUR)
Erwachsenenbildung – Resultate der Forschung Das Anliegen des Buches ist eine systematische Zusammenfassung von Forschungsresultaten der Erwachsenenbildungswissenschaft. Ziele sind ein Überblick über disziplinäre Diskurse, die Einführung in zentrale Handlungs- und Forschungsperspektiven sowie die Auslotung von deren Reichweite für das lebenslange Lernen unter der Perspektive eines erwachsenenpädagogischen Bildungsbegriffs.

In sieben Kapiteln – „Lernen und Lehren“, „Lernende: Adressaten, Zielgruppen und Teilnehmende“, „Institutionen, Kooperationen und Supportstrukturen“, „Inhaltsbereiche der Erwachsenenbildung“, „Personal in der Weiterbildung“, „Entwicklungstendenzen des Weiterbildungssystems“ und „Historische Erwachsenenbildungsforschung“ (Kapitel drei bis neun) – sind vielfältige Forschungsresultate zusammengetragen. Dabei wird mit der vorgestellten „Auswahl“ gleichsam absichernd und Kritik vorgreifend kein Anspruch auf Vollständigkeit gestellt.

Kernbezug der Auswahl ist das (intentionale) „Lernen Erwachsener, die sie stützenden Institutionen und das System der Lernmöglichkeiten“ (10) in den Träger- und Programmbereichen der Erwachsenen- und Weiterbildung. Mit diesem gegenstandsbezogenen Entwurf zur Systematisierung folgen die Autor/innen Leitkriterien, mit denen im Gegensatz zu anderen Expertisen der letzten Jahre [1] an frühere Überblicksdarstellungen zur Erwachsenenbildungsforschung sowie an das Forschungsmemorandum der Disziplin angeschlossen werden soll (Kapitel 2.1.2 und 2.2.2). Auf diese Forschungsschemata wird mit einer Beschreibung der Genese der Erwachsenenbildungsforschung hingeleitet. Inhaltlich systematisiert als „perspektivische Zusammensicht von Themen, Methoden und Erkenntnisinteressen“ (10) werden in jedem der sieben Kapitel Forschungsresultate in weitgehend chronologischer Reihung dargestellt und reinterpretiert und abschließend in alphabetischen tabellarischen Übersichten präsentiert. So soll ein „Atlas der Erwachsenenbildungsforschung“ (10) aufgeschlagen werden.

Gleichsam parallel zur Zusammenschau der Forschungsresultate eröffnet sich die Struktur einer kritischen Einordnung der disziplineigenen Handlungs- und Forschungsfelder, die sowohl zur selbstreflexiven Vergewisserung als auch zur Fortschreibung einlädt. Um sich begründend mit aktuellen Entwicklungen der Erwachsenenbildung auseinanderzusetzen, bieten die Autor/innen ihren eigenen Wissenschaftsbegriff (kritisch-pragmatistisch, 11) als Reibungspunkt an. Die Bewertungen von Forschungsbedarfen und vernachlässigten Forschungsfeldern (z.B. Grundlagenforschung, kumulative Forschungsentwicklung) sowie von Forschungsfinanzierung, abhängiger Projekt- und Auftragsforschung, Theoriemoden, Methodeneinseitigkeiten und interdisziplinären Forschungsdesigns sind in dieses Forschungsverständnis eingebettet. Explizit wird auch in wissenschaftstheoretische Begründungszusammenhänge (geisteswissenschaftliche Pädagogik, Empirismus, kritische Theorie, kritischer Pragmatismus, interdisziplinäre und international rezipierte Theoriebezüge) und methodische Leitlinien (Paradigmen, Verhältnis qualitativer und quantitativer Designs, Wissensfelder) als zu reflektierende Wirkzusammenhänge für die Wissenschaftsproduktion eingeführt (Kapitel 1.2.1, 1.2.2).

Der angestrebte, u.E. lohnenswerte Ansatz für eine in der Erwachsenenbildungswissenschaft ausstehende Kontinuierung disziplineigener, theoretischer und methodologischer Leitlinien für eine diskursive Anschlussfähigkeit fällt jedoch in den hinführenden Teilen eher exemplifizierend aus. Analog ist in der kapitelweisen Darstellung der Forschungsresultate dem gegenstandsbezogenen Ordnungszusammenhang keine durchgängige Struktur einer Theorie- und Methodenreflexion zugeordnet; die Kapitel 8 und 9 bilden Ausnahmen. Hilfreich wäre ein exemplarisch angewandtes Raster zur Erfassung von theoretischen Grundlagen, Fragestellungen, Zielen, Hypothesen, Methoden/Designs, Validität und Befunden von Studien. Die Darstellung im Fließtextformat ist reihend, zuweilen summarisch und zwischen und in den Kapiteln doppelnd (z.B. 191f und 270ff; 177 und 179). Einzelne Studien werden erhellend ausführlich besprochen, wobei allerdings die Kriterien der Darstellungslänge – wie Wirkung, Rezeption, Umfang, Beitrag zur disziplinären Genese – nicht immer offen gelegt werden. Zusammenfassungen und Begriffskontinuitäten (z.B. im Bereich der Synonyma zum Lernortbegriff) wären zusätzlich interessant.

Die kapitelweise Darstellung wird mit den Perspektiven „Lehren und Lernen“ (Kapitel 3) eröffnet. Wenngleich dies die Kernhandlungen der Erwachsenenbildung sind, kann die Disziplin erst wenige aussagekräftige Studien und eine nur unsystematische theoretische Strukturierung vorweisen. Für die Lernforschung (Kapitel 3.1) werden von den Autor/inn/en fünf Ansätze (empirische, subjektorientierte, neurophysiologische Lernforschung, informelles Lernen, Lernwiderstände) identifiziert, wobei der konstruktivistische Ansatz, der eine eigene Theorielinie der Erwachsenenbildung darstellt, kaum belichtet wird. Für die Lehrforschung werden zwei gesicherte Handlungsfelder unterschieden: „Didaktik und Methodik“ (Kapitel 3.2) und „Programm- und Kursplanung“ (Kapitel 3.3). Für den (mikro-)didaktischen und methodischen Handlungsbereich haben sich mit dem selbstgesteuerten und dem medialen Lernen (Kapitel 3.2.2 und 3.2.3) zwei Richtungen ausdifferenziert, deren Bedeutung für das Handlungsfeld allerdings von den Autor/innen kaum nachvollzogen wird. Die Programm- und Kursplanung, die das in Programmen gerinnende gesellschaftliche und organisatorische Bedingungsgefüge von Erwachsenenbildung spiegeln, werden stärker fokussiert. Diese Darstellung vor allem der empirisch identifizierten Planungskompetenzen impliziert gleichsam einen Aufruf zur Professionalisierung und zur Verstetigung eines wissenschaftlich fundierten Handlungswissens. Die Autor/innen kritisieren, dass die didaktisch-methodische Forschung bislang vor allem instrumentelles Wissen schafft, ohne das Vermittlungsproblem theoretisch zu durchdringen (355). Wünschenswert wäre daher im Gegenüber zur Auseinandersetzung mit Forschung zu „Planungskulturen“ auch eine Auseinandersetzung mit Forschung zu „Lernkulturen“.

Die Lehr-Lern-Perspektive rahmend werden nachfolgend die zentralen Forschungsstränge der Adressaten-, Zielgruppen- und Teilnehmerforschung präsentiert (Kapitel 4). Ausführlich gehen die Autor/innen auf zielgruppenorientierte Forschungen ein (Kapitel 4.3). Die nach Einzelzielgruppen differenzierte Darstellung ist mit einer kritischen Diskussion der Relevanz bildungspolitisch oder pädagogisch motivierter Zielgruppenansätze verbunden. Bei der Behandlung der Teilnehmerforschung (Kapitel 4.4), die grundsätzlich nach Teilnahmegründen, Aneignungsstrategien und subjektivem Erleben von Veranstaltungen fragt, fokussieren die Autor/innen eher die Mesoebene der Einrichtungen, weniger die bestehenden Bezüge zur Lehr- und Lernforschung. Differenziert betrachtet werden allerdings neuere sozialisations- und biografietheoretische Ansätze (Kapitel 4.5), wodurch ein Einblick in die Ausdifferenzierung teilnehmerbezogener Bildungsforschung vermittelt wird.

Die Fokussierung der Forschung zur Mesoebene der Erwachsenenbildung schließt mit der Betrachtung von „Institutionen, Kooperationen und Supportstrukturen“ (Kapitel 5) an den Entwicklungsstand und die Ausdifferenzierung der Erwachsenenbildungsinstitutionen und -träger an. Für die Selbstverständigung der Disziplin besonders relevant sind hier die Beschreibungen der aktuellen Diffundierungsprozesse in Gesellschaftsbereiche und in die Wirtschaft, zu denen noch wenig ausgewiesene und theoriegeleitete Studien vorliegen. Die Forschung in diesem Bereich ist nach der Sammlung der Autor/innen breit geleitet von bildungspolitischen Interessen und Entwicklungsaufträgen. Daher ist es folgerichtig, die Forschung zum Marketing, zum Bildungsmanagement und zu Supportstrukturen – als Implementationsgrößen – in diesen Zusammenhang zu stellen (Kapitel 5.1.3, 5.3).

Im Anschluss an diese Dokumentation von Nachfragebezug und Steuerung und ihrer Kristallisation in der Institutionenlandschaft widmen sich die Autor/innen mit der Forschung zu Programmbereichen den vorhandenen Angeboten der Erwachsenenbildung (Kapitel 6). Die Überschrift „Inhaltsbereiche“ (berufliche, allgemeine, kulturelle, politische Erwachsenenbildung) verweist auf die nicht-curriculare Grundstruktur der Erwachsenenbildung. Anhand der Quantität der Beiträge wird die Bedeutung der Volkshochschule als herausragende Institution der öffentlichen Erwachsenenbildung interpretativ angedeutet. Wünschenswert wäre aber auch eine weitergehende Verdeutlichung der starken Binnen- und Ausdifferenzierung der Inhaltsbereiche, die in allen Jahrzehnten, verbunden mit bestimmten Moden, zu beobachten ist und die derzeit zu quantitativen Verschiebungen zugunsten verwertungsbezogener Angebote – etwa in der berufsbezogenen- und Gesundheitsbildung – führt.

Die Umsetzung der Programme obliegt dem „Personal“ (Kapitel 7), das in der Erwachsenenbildung aufgrund einer Struktur aus Haupt- und Nebenamtlichkeit sowie Selbständigkeit eine ungesicherte Größe ist. Die Forschungen zur universitären Ausbildung seit den 1970er Jahren, zum Verbleib und zum professionellen Selbstverständnis und Habitus des Personals folgen weder einheitlichen theoretisch-begrifflichen Bezügen (Spannungsfeld von „Beruf“ und „Professionalität“) noch sind sie methodisch besonders füreinander anschlussfähig. So werden in diesem Kapitel insbesondere Fragen aufgeworfen, die dazu anregen, den schillernden Terminus des „Personals“ und die Kriterien und Phänomene beruflich-professionellen Handelns weitergehender und intensiver empirisch zu erschließen. In diesem Zusammenhang wird zudem insbesondere – wie auch an anderen Stellen des Buches – auf definitorische Lücken im Vergleich von Weiterbildungseinrichtungen und betrieblicher Organisation von Weiterbildung hingewiesen.

Die „Entwicklungstendenzen des Weiterbildungssystems“ (Kapitel 8) sind in Abhängigkeit von diesem gesellschaftlichen und organisatorischen Bedingungsgefüge der Erwachsenenbildung zu sehen. Diese sind neben der Nachfrage von „Politik, Ökonomie und Recht“ (Kapitel 8.1) und „Ressourcen“ (Kapitel 8.2) gesteuert. Hier dokumentiert die Zusammenschau der Autor/innen eine hohe Abhängigkeit der Forschung, die mit Berichtssystemen und Gutachten – zu explizieren wäre hier zusätzlich die Evaluationsforschung – zu einem eigenen Genre von Studien führt. In der Breite werden die beeindruckenden Aufbauleistungen dokumentiert, welche die Gutachten in vergangenen Jahrzehnten empfahlen. Den gegenwärtigen Leistungsabbau der öffentlichen Hand belegen dagegen eher die unabhängigen Studien, die hier zusammengetragen werden. Der Abschnitt zu „Internationalen Entwicklungen“ (Kapitel 8.3) könnte mit der notwendigen Beleuchtung der Abhängigkeit der Erwachsenenbildung auch von internationaler Bildungspolitik (Strategien und Instrumente Lebenslangen Lernens) anschließen, schlägt aber eher die Brücke zu komparatistischen Forschungsansätzen, die in diesem Bereich – zumeist in Gestalt von Länderstudien und noch wenig ausdifferenziert – vorzuweisen sind.

Nach dieser Perspektivöffnung zur internationalen Erwachsenenbildungsforschung schließt die kapitelweise Darstellung der Forschungsresultate mit einer methodisch und theoretisch reflektierten und auf die Themenbereiche der Forschung Bezug nehmenden Revision der historischen Erwachsenenbildungsforschung an (Kapitel 9). Besonders interessant ist hier die Offenlegung der ideengeschichtlichen Schichten des bisherigen historisch generierten Forschungswissens von der Weimarer Republik bis heute. Knapp geraten ist allerdings der Abschnitt zur „DDR-Forschung“ (Kapitel 9.7). Noch grundsätzlicher wäre u.E. zu überlegen, die zum Teil sehr elaborierten Studien über Programmbereiche, besonders der freien Erwachsenenbildung (konfessionelle, VHS), als eigenständig historischen Themenbereich aufgrund der Kontinuität der Programm(planungs)forschung (Kapitel 3.3, 6.1.2) aufzunehmen.

Das Buch schließt mit einem Resümee über den eigenen Stand, die Desiderate und den eigenen Anspruch an Forschung, das als Teil einer noch ausstehenden, wissenschaftstheoretischen Aufarbeitung und Würdigung der Vielfalt an Forschungsresultaten zu verstehen ist (Kapitel 10).

Dieses in seinem Umfang und seiner Reflexivität bislang einzigartige Überblickswerk zur Erwachsenenbildungsforschung liefert disziplinäre Perspektiven, Systematisierungen und Interpretationen für die Weiterentwicklung der disziplinären Forschung. Für die voranschreitende forschungsmethodologische Ausdifferenzierung ist die Bandbreite an Methoden aus der qualitativen und quantitativen Sozialforschung sowie an spezifischen disziplinären Methoden (wie der Programmanalyse) dokumentiert. Für die universitäre Lehre und das Studium der Erwachsenenbildung stellt das Buch eine forschungsorientierte, bereichernde Ergänzung zu den einschlägigen Einführungen dar. Für die Erwachsenenbildungspraxis – insbesondere die Leitung von Einrichtungen und Verbänden sowie für die Programm- und Kursplanung – liefert das Buch professionstheoretisch relevante Verstehens- und Begründungszusammenhänge dieses besonderen Bildungsbereichs.

[1] Vgl. Schrader, J./Berzbach, F.: Lernen Erwachsener – (k)ein Thema für die empirische Weiterbildungsforschung? In: Nuissl, E (Hrsg.): Vom Lernen zum Lehren. Bielefeld: Bertelsmann 2006, 9-27.
Sabine Schmidt-Lauff / Marion Fleige / Maria Worf (Chemnitz)
Zur Zitierweise der Rezension:
Sabine Schmidt-Lauff / Marion Fleige / Maria Worf: Rezension von: Zeuner, Christine / Faulstich, Peter: Erwachsenenbildung – Resultate der Forschung, Entwicklung, Situation und Perspektiven. Weinheim und Basel: Beltz 2009. In: EWR 9 (2010), Nr. 2 (Veröffentlicht am 13.04.2010), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978340732111.html