EWR 8 (2009), Nr. 6 (November/Dezember)

Franz B. Wember / Stephan Prändl (Hrsg.)
Standards der sonderpädagogischen Förderung
MĂĽnchen, Basel: Reinhardt 2009
(249 S.; ISBN 978-3-497-02062-1; 24,90 EUR)
Standards der sonderpädagogischen Förderung Nachdem im November 2007 die Standards der sonderpädagogischen Förderung durch den Verband Sonderpädagogik e.V. verabschiedet wurden liegt nun, im Jahre 2009, das Werk der Sonderpädagogen Franz Wember und Stephan Prändl mit gleichnamigem Titel – Standards der sonderpädagogischen Förderung – vor. Die Standards stellen die Antwort auf die Frage dar, wie Bildung für alle im Kontext zunehmender integrativer schulischer Erziehung von Kindern mit und ohne Behinderung bei gleichzeitiger Einsparung von Ressourcen mindestens eingehalten werden muss. So wie die Standards in ihrer aktuellen Fassung vorliegen sind sie das Produkt eines langjährigen Arbeitsprozesses welcher sich durch die Kooperation der Arbeitsgruppe des Bundesverbandes unter Beteiligung aller Fachreferate auf Landes- und Bundesebene sowie von Vertretern aus Schulpraxis und Wissenschaft auszeichnet. Dadurch sind die Standards sehr praxisnah.

Die Standards der sonderpädagogischen Förderung sind demnach nicht nur als Produkt- und Prozessmerkmale ausformuliert, sondern fordern auch entsprechende Ressourcen. In jedem Fall gelten sie als Minimalstandards welche unbedingt einzuhalten sind und deren Qualitäts- und Leistungsniveaus nicht unterschritten werden dürfen. Dadurch soll sowohl die Gefahr der Unterforderung von Kindern mit Behinderung unterbunden aber auch die Qualität der Förderung gewährleistet werden wodurch eine bessere sonderpädagogische Praxis gewährleistet sein soll. Somit dienen die Standards zur Analyse und Qualitätssicherung von pädagogischen Dienstleistungen wonach sonderpädagogisches Handeln auszurichten ist, keinesfalls jedoch sollen diese zu Standardisierungsversuchen der pädagogischen Praxis führen. Durch Beiträge namhafter Autoren des sonderpädagogischen Fachgebiets ist dieses Buch in drei Abschnitte gegliedert.

Dabei wird die bisherige Entwicklung der sonderpädagogischen Förderung von Franz Wember, Sonderpädagoge an der Fakultät für Rehabilitationswissenschaften der TU Dortmund dargestellt. Ihr aktueller Stand wird neben dem Kapitel der individuellen Förderung als zentrales Instrument der Qualitätssicherung von Wember durch ein weiteres Kapitel zur Qualität professionellen Handelns von Sonderpädagogen, welches gemeinsam von Gabriele Schuhmann, Manfred Burghardt und Thomas Stöppler ausgearbeitet wurde, ergänzt. Abschließend erörtert Heike Schnoor die elementare Frage inwiefern die Standards überhaupt hilfreich werden können.

Der letzte Abschnitt des Buches, der praktische Bezug, ist besonders intensiv und detailliert ausgearbeitet. Dies zeigt sich, indem er innerhalb einzelner Kapitel zu den Förderschwerpunkten emotionale und soziale Entwicklung (Clemens Hillenbrand), geistige Entwicklung (Reinhilde Stöppler, Susanne Wachsmuth und Erik Weber), Hören (Annette Leonhardt), körperliche und motorische Entwicklung (Christoph Leyendecker), Lernen (Elisabeth Moser Opitz), Sehen (Sven Degenhardt) und Sprache (Hans-Joachim Motsch) ausgearbeitet ist. Hier wird ansatzweise die im vorherigen Teil des Werkes thematisierte Problematik von Standards aufgegriffen, welche zur Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung verhelfen, jedoch zu keiner Standardisierung beitragen können (19). Denn es kann keine Standardisierung innerhalb eines Themenkomplexes wie der sonderpädagogischen Praxis gelingen, dessen Gegenstand zu komplex und individuell unterschiedlich ist, wodurch sich dichotome Kategorisierungen der pädagogischen Handlungen in grundsätzlich gut/schlecht verbieten. Dies wird vor allem dann deutlich, wenn der Adressat sonderpädagogischer Hilfen eine Person mit so genannter schwerer Behinderung ist. Als besonders problematisch wird hier die Forderung gesehen, Ressourcen output-orientiert zu verteilen, wobei bei Menschen mit schwerer Behinderung oft langwierige Arbeitsprozesse bestehen müssen, ehe individuelle Lern- und Entwicklungsziele formuliert werden können. Deshalb werden in der Resolution der Lehrenden der Geistigbehindertenpädagogik an wissenschaftlichen Hochschulen in deutschsprachigen Ländern die output-orientierten Mindeststandards komplett abgelehnt (17).

Insofern unterliegt die Debatte um die Standards sonderpädagogischer Förderung dem Legitimationsdruck der Vergabe von Ressourcen einem ökonomischen Kalkül dem es sich immer wieder zu entziehen gilt da, so die Befürchtung, Bildungsstandards zur Unterscheidung von bildungsfähigen und bildungsunfähigen Menschen führen könnte (17). Diesbezüglich sind auch die vorherigen Abschnitte zur bisherigen und aktuellen Entwicklung von Standards und damit auch deren Definition und Bedeutung im sonderpädagogischen Alltag unbedingt notwendig.

Die umfangreiche Thematik der Einführung von Standards innerhalb individuell unterschiedlicher Lernkomplexe, als ein durchaus umstrittener Punkt innerhalb der wissenschaftlichen Fachdiskussion, wird an dieser Stelle sehr anschaulich und kompakt dargestellt. Im Rahmen des Werkes wird hier das notwendige Wissen zu Standards erläutert wobei auf die weiterführende Diskussion und die Implementierung der Standards im internationalen Vergleich verzichtet wird. Die Gliederung des Werkes ist damit logisch und nachvollziehbar. Die einzelnen Kapitel sind überschaubar gegliedert. Desweitern ist das Buch verständlich und gut lesbar, was nicht nur durch die einfache aber dennoch wissenschaftlich korrekte Formulierung, sondern auch durch die Veranschaulichung komplexer Sachverhalte durch Grafiken erreicht wird. Ebenfalls als sehr gut ist zu bewerten, dass der Diskussionsgegenstand, also die Standards zur sonderpädagogischen Förderung verabschiedet durch den Verband Sonderpädagogik e.V. sehr ausführlich und übersichtlich sowie farblich hinterlegt dargestellt ist.

Allgemein ist zu sagen, dass die Zielsetzung der Herausgeber die kritische Diskussion aufzugreifen, mit dem Wissen, dass einige Bundesländer sich bereits mit Bildungsstandards auseinandersetzen, durchaus gelungen ist. Dabei muss jedoch hinzugefügt werden, dass der Fokus hier auf den gängigen Förderschwerpunkten innerhalb Deutschlands liegt. Im Zuge der 2009 in Kraft tretenden UN-Behindertenrechtskonvention stellt sich natürlich die Frage, inwiefern die Standards innerhalb eines geforderten inklusiven Schulsystems umsetzbar sind und welche Formen von Standards sowie deren Umsetzung im internationalen Raum überhaupt bestehen.

Insofern ist das Buch in sich thematisch abgerundet und durchaus sowohl für Lehrpersonal als auch für im sonderpädagogischen Bereich Tätige, aber auch durch seine gute Lesbarkeit für interessiertes außerfachliches Publikum empfehlenswert. Der Fokus ist innerhalb der Möglichkeiten von Standards in der momentanen schulischen Praxis verankert, eine weiterführende Diskussion zur Bedeutung der Standards im Sinne einer umfassenderen Schulreform kann hier nur am Rande angedeutet werden.
Silke Jakob (GieĂźen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Silke Jakob: Rezension von: Wember, Franz B. / Prändl, Stephan (Hg.): Standards der sonderpädagogischen Förderung. MĂĽnchen, Basel: Reinhardt 2009. In: EWR 8 (2009), Nr. 6 (Veröffentlicht am 01.12.2009), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978349702062.html