EWR 13 (2014), Nr. 5 (September/Oktober)

Jörg Zirfas / Leopold Klepacki / Diana Lohwasser (Hrsg.)
Geschichte der Àsthetischen Bildung
Band 3.1: AufklÀrung
Paderborn: Ferdinand Schöningh 2014
(217 S.; ISBN 978-3-506-76615-1; 36,90 EUR)
Geschichte der Ă€sthetischen Bildung Die AufklĂ€rung ist die „Initialepoche der Ästhetischen Bildung“ (7) – mit ihr befassen sich Jörg Zirfas, Leopold Klepacki und Diana Lohwasser im dritten Band ihrer „ideengeschichtlich ausgerichteten Geschichte der Ästhetischen Bildung“ (17). Nachdem in den ersten beiden BĂ€nden Ideen Ă€sthetischer Bildung avant la lettre in der Antike, im Mittelalter [1] und in der frĂŒhen Neuzeit vorgestellt wurden, widmet sich der erste Teilband des dritten Bandes dem Zeitraum zwischen der Glorious Revolution von 1688 / 89 und der Französischen Revolution im Jahr 1789.

Zirfas und Klepacki geben zu Beginn des Bandes eine EinfĂŒhrung in die Spielarten der europĂ€ischen AufklĂ€rung und eine umfassende Übersicht der verschiedenen Struktur- und Diskursmerkmale dieser Epoche. Diese Darstellung der Autonomisierung der Ästhetik, der Institutionalisierung des pĂ€dagogischen Denkens und Handelns sowie des Strukturwandels der Öffentlichkeit ĂŒberzeugt durch ihre PrĂ€gnanz (7-29). Zirfas und Klepacki deuten hier auch die historiographischen Hindernisse an, die zum einen mit der Deckungsungleichheit von politischen- und pĂ€dagogischen ReformanstĂ¶ĂŸen und realgeschichtlichen Entwicklungen verbunden sind (19), zum anderen sich aus der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung und der Pluralisierung philosophischer Strömungen und wissenschaftlicher Disziplinen im 18. Jahrhundert ergeben (13).

In zwei Überblicksartikeln stellt Zirfas die französischen Sensualisten (La Mettrie, Condillac, HelvĂ©tius und d’Holbach) sowie die Vertreter der britischen AufklĂ€rung (Shaftesbury, Hutcheson, Burke) vor. Locke, Diderot und Rousseau werden wie Baumgarten, Winckelmann, Lessing, Kant und Schiller jeweils in einzelnen BeitrĂ€gen behandelt. Da eine BegrĂŒndung fĂŒr diese Zusammenstellung ausbleibt, drĂ€ngt sich die Frage auf, warum Autoren wie Gottsched, Schlegel, Sulzer, Batteaux, Hume, Addison oder Hogarth nicht in den Band aufgenommen wurden.

Wie schon in den beiden BĂ€nden zuvor sind die einzelnen BeitrĂ€ge jeweils in vier Abschnitte unterteilt: Nach einer Einleitung folgt eine Kurzbiographie des Autors, eine Darstellung seiner Werke und zentralen Begriffe, dann ein Abschnitt, in dem seine impliziten BeitrĂ€ge zu einer Theorie der Ă€sthetischen Bildung zusammengetragen werden und abschließend ein Abschnitt, der weitere Perspektiven, Möglichkeiten und Grenzen aufzeigt.

Gerade angesichts der wichtigen Pionierarbeit, die Zirfas, Klepacki und Lohwasser hier ganz grundsĂ€tzlich fĂŒr die Historiographie der Ă€sthetischen Bildung leisten – denn neben einigen dicht geschriebenen Handbuchartikeln und Hans-GĂŒnther Richters „Geschichte der Ă€sthetischen Erziehung“ [2], liegt bisher keine umfassende Darstellung der Ideengeschichte der Ă€sthetischen Bildung vor –, ist es umso bedauerlicher, dass mit der Aufbereitung des Themas erhebliche Probleme verbunden sind. Denn der geistesgeschichtliche Ansatz des Bandes, Ideen Ă€sthetischer Bildung werkimmanent und autorenzentriert vorzustellen, erschwert es, systematische oder historische ZusammenhĂ€nge zwischen den einzelnen BeitrĂ€gen und Autoren erkennen zu können. So reicht der einfĂŒhrende Überblick zu zentralen sozial-, ideen-, und kulturgeschichtlichen Entwicklungen, den Zirfas und Klepacki zu Beginn geben, nicht aus, um einen systematischen oder historischen Zusammenhang zwischen den einzelnen Autoren zu stiften. Die einleitende Skizze dient lediglich als Kulisse, vor der Zirfas, Klepacki und Lohwasser die ausgewĂ€hlten Denker in Erscheinung treten lassen.

Von einer Geschichte der Ă€sthetischen Bildung lĂ€sst sich aber erwarten, dass sie die historische Konstellation von pĂ€dagogischem und Ă€sthetischem Denken aufklĂ€rt oder zumindest erhellt. Denn es scheint kein Zufall zu sein, dass sich die Disziplinen der Ästhetik, PĂ€dagogik und Anthropologie in der zweiten HĂ€lfte des 18. Jahrhunderts parallel zu einander entwickelt haben. Ernst Cassirer gelang es, diese historisch-systematischen ZusammenhĂ€nge fĂŒr die Philosophie der AufklĂ€rung herauszuarbeiten [3]. Nur vereinzelt werden solche GesprĂ€chs- oder DiskurszusammenhĂ€nge bei Zirfas, Klepacki und Lohwasser hergestellt. Die eigentlichen Reflexions- und Konstitutionsprobleme, die mit einer Theorie der Ă€sthetischen Bildung verbunden sind und deren Bearbeitung im 18. Jahrhundert eine historische EigentĂŒmlichkeit entfaltet, werden nicht herausgearbeitet.

Permanent muss darauf hingewiesen werden, dass die behandelten Autoren eigentlich gar nicht von Ă€sthetischer Bildung sprechen, ihre Überlegungen auf den ersten Blick „fĂŒr die Belange Ästhetischer Bildung keine bzw. kaum eine Rolle [...] spielen“ (78). Stattdessen wird eine unscharfe Idee von Ă€sthetischer Bildung in ihre Werke hineingelesen. Sie wird hineingelesen, weil der Begriff der Ă€sthetischen Bildung sich erst im 19. Jahrhundert etabliert [4] – Schiller schrieb bekanntlich zwischen 1793 und 1795 „Briefe ĂŒber die Ă€sthetische Erziehung des Menschen“. Warum die Autoren sich auf den Begriff der Bildung kaprizieren, bleibt offen.

Problematisch ist weniger, dass implizite Konzepte oder Theoriefragmente Ă€sthetischer Bildung in den Texten ausfindig gemacht und systematisiert werden als dass diese Rekonstruktion weitgehend losgelöst von den relevanten sozial-, ideen- und kulturgeschichtlichen Kontexten geschieht. Es wĂ€re „lohnenswert nachzuverfolgen“, schreiben Zirfas und Klepacki, „inwiefern gerade in dieser Zeit einerseits die Sozialgeschichte als Ausgangspunkt und Ideengeber der Ideengeschichte der Ästhetischen Bildung fungiert und wie sie andererseits auch hinter dieser Ideengeschichte hinterherhinkt“ (10). Ganz davon abgesehen, dass eine strikte Opposition von Sozial- und Ideengeschichte immer unplausibler erscheint [5], hĂ€tte der Anspruch des Bandes genau hierin liegen mĂŒssen – in einer Sozialgeschichte der Ideen Ă€sthetischer Bildung.

Trotz dieser Monita bleibt jedoch festzuhalten, dass der Band eine hilfreiche Zusammenstellung von Klassikern der Ästhetik und PĂ€dagogik darstellt. Die LektĂŒre bietet eine FĂŒlle von Einzelbeobachtungen und die BeitrĂ€ge eignen sich somit durchaus als Einstieg in das Werk der behandelten Autoren.

[1] Weiß, G.: Rezension von: Zirfas, J. / Klepacki, L. / Bilstein, J. / Liebau, E.: Geschichte der Ästhetischen Bildung, Band 1: Antike und Mittelalter. Paderborn: Schöningh 2009. In: EWR 9 (2010), Nr. 3 (Veröffentlicht am 02.06.2010), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978350676492.html
[2] Richter, H.-G.: Eine Geschichte der Ă€sthetischen Erziehung. NiebĂŒll: videel 2003.
[3] Cassirer, E.: Philosophie der AufklÀrung. Hamburg: Meiner 2007.
[4] Franke, U.: Bildung / Erziehung, Ă€sthetische. In: Barck, K. / Fontius, M. / Schlenstedt, D. et al. (Hrsg.): Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben BĂ€nden, Bd. 1: Absenz – Darstellung. Stuttgart: Metzler 2000, 696–727.
[5] Oelkers, J.: Ein Essay ĂŒber den schwindenden Sinn des Gegensatzes von ‚Ideengeschichte‘ und ‚Sozialgeschichte‘ in der pĂ€dagogischen Geschichtsschreibung. In: Zeitschrift fĂŒr pĂ€dagogische Historiographie 7 (2001) 1, 21–34.
Tim Zumhof (MĂŒnster)
Zur Zitierweise der Rezension:
Tim Zumhof: Rezension von: Zirfas, Jörg / Klepacki, Leopold / Lohwasser, Diana (Hg.): Geschichte der Ă€sthetischen Bildung, Band 3.1: AufklĂ€rung. Paderborn: Ferdinand Schöningh 2014. In: EWR 13 (2014), Nr. 5 (Veröffentlicht am 10.10.2014), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978350676615.html