EWR 11 (2012), Nr. 6 (November/Dezember)

Jens Oliver Krüger
Pädagogische Ironie – Ironische Pädagogik
Diskursanalytische Untersuchungen
Paderborn: Schöningh 2011
(227 S.; ISBN 978-3-506-77062-2; 27,90 EUR)
Pädagogische Ironie – Ironische Pädagogik Jens Oliver Krüger hat mit seiner Studie, die als Dissertation an der Martin-Luther-Universität Halle entstanden ist, eine erziehungswissenschaftlich in mehrfacher Hinsicht diskussionswürde Arbeit vorgelegt. Nach eigener Aussage verfolgt sie den Anspruch „einer Neubewertung des Stellenwerts von Ironie für ein pädagogisches Nachdenken“ (8). Sie leistet jedoch weit mehr: Im Durchgang durch die vielfältigen Bestimmungsmöglichkeiten des Ironiebegriffs samt seiner pädagogischen und nicht-pädagogischen Spielarten gelingt ihr ein präzisier Blick auf die „Eigennormativität“ (Teubner) des Pädagogischen. Der erziehungswissenschaftliche Versuch, das Verhältnis von Ironie und Pädagogik aufzuklären, wird zur Aufklärung der pädagogischen Denkform selbst. Unterscheidungen wie Gewissheit/Ungewissheit, Sagen/Meinen, Ernst/Unernst, moralisch/nicht-moralisch oder aufrichtig/unaufrichtig, durch die der vielstimmige Bedeutungshorizont des Phänomens „Ironie“ absteckt wird, weisen eine hohe Affinität zur strukturellen Ambivalenz des modernen pädagogischen Denkens auf. Krügers Analysen zeigen, dass die Unterscheidungen vor allem dort zu finden sind, wo der pädagogische Optimismus und die pädagogische Moral an ihre Grenzen geführt werden: an die Grenzen der Wirksamkeit pädagogischer Absichten und an die Grenzen ihres ethischen Selbstverständnisses. In diesen pädagogischen Grenzraum, der spätestens seit Siegfried Bernfeld immer wieder neu und zumeist durch soziologische Fremdbeschreibungen ausgemessen wird, tritt Ironie als Form des Umgangs mit der Erfahrung der Unvollständigkeit, die das pädagogische Projekt mit sich bringt.

Die Studie ist überaus kreativ angelegt: Sie ordnet und interpretiert einschlägige Positionen zur Ironie in bewährter texthermeutischer Tradition neu und öffnet dem erziehungswissenschaftlichen Leser einen facettenreichen Einblick in die fragile Struktur des pädagogischen Selbstbewusstseins. Gegliedert ist sie in drei große Kapitel und eine Schlussbetrachtung.

Das erste Kapitel nähert sich dem Ironiebegriff allgemein. In sicherer Kenntnis der philosophischen und linguistischen Ironiediskussion wird Ironie als heterogenes, schwer fassbares Phänomen ausgemessen: Zunächst begriffsgeschichtlich, sodann als Phänomen der Sprache und schließlich als Haltung. Als sprachliches Phänomen lebt Ironie von Unschärfen und Andeutungen, vom spielerischen Umgang mit Gegensätzlichkeiten, die als ‚Störung‘ sprachlicher Routinen auftreten und daher in besonderer Weise auf Interpretationsleistungen angewiesen sind. Es ist die Form, die Ironie bestimmbar macht, nicht ihr Inhalt. Was Ironie ist, bleibt hintergründig und deutungsabhängig. Wie sie funktioniert, scheint dagegen klar: sie konstituiert sich durch die Differenzerfahrung von Sagen und Meinen. Ähnliches gilt auch für Ironie als Haltung. Gespielt wird hier mit der Differenz von Ernst/Unernst, hinter der sich ein bestimmter Umgang mit der Unvollständigkeit der Welt verbirgt. Leiden, Kritik und Resignation, Zuversicht, Entwertung oder Solidarität können sich hinter diesem Spiel verbergen. Ihre jeweilige Ausdrucksgestalt in der Form anspielungsreicher Gesten oder Wortespiele ist auslegungsbedürftig. Auslegungen können den unverstellten Blick auf die ‚eigentliche‘ Haltung aber nicht garantieren. Jede Auslegung bleibt prekär. Sie kann vom Sprecher negiert werden, der letztlich die Deutungshoheit – also Macht – über das Gemeinte behält.

Die Mehrdeutigkeit des Ironiebegriffs liefert dem zweiten Kapitel den Anknüpfungspunkt, um das Vorgehen der Studie zu profilieren. Zu streiten sein dürfte darüber, ob es sich – wie im Titel ankündigt – bei der Studie um eine Diskursanalyse handelt. Krügers methodologische Überlegungen sind knapp, stehen nicht am Anfang, sondern mittendrin und sie vermitteln aufgrund ihres reflexiven Verhältnisses zur „Methodenfrage“ den Eindruck, sie selbst seien ironisch gemeint. Dafür spricht, dass Krüger sein eigenes Tun im Anschluss an einen Foucaultschen Gedanken als Parodie ausweist. Weil der Gegenstand „Ironie“ im ersten Teil mit Attributen wie „mehrdeutig“, „uneindeutig“, „ungewiss“ oder „unbestimmbar“ ausgewiesen wird, steht die Parodie als Methode für den Versuch, eindeutige Aussagen darüber zu vermeiden, was Ironie bzw. pädagogische Ironie sei. Es mag daher zur Ironie der Studie gehören, dass sie weit Eindeutigeres über Ironie und Pädagogik zu Tage fördert als ihr das – gemessen am eigenen reflexiven Anspruch – lieb sein dürfte.

Methodisch setzt sich im dritten Kapitel fort, was im ersten Kapitel begonnen wurde: Es werden Texte interpretiert. Erziehungswissenschaftliche und pädagogische Beiträge zur Ironie werden klug und im Lichte der zuvor freigelegten allgemeinen Merkmale von Ironie neu beleuchtet. Ironie wird als Mittel und Ziel diskutiert, es folgt ein informativer Exkurs über Zynismus und Pädagogik, bevor das Kapitel mit einer Zusammenstellung der Positionen zu der wohl prominentesten pädagogischen Ironiefigur endet: der sokratischen Ironie.

Besonders ergiebig sind die Analysen zur Ironie als pädagogischem Mittel und Ziel. Als Mittel hat Ironie einen schweren Stand. Ihr Unverständlichkeitscharakter, ihr Unernst und ihre Verstellungskunst sind offensichtlich unvereinbar mit pädagogischen Grundüberzeugungen. Ironie werde, so Krüger, eine „beinah magisch negative Kraft der Umkehr zugeschrieben. Pädagogisch erwünschte Eigenschaften verwandeln sich in der Berührung mit dem Erziehungsmittel „Ironie“ ins unerwünschte Gegenteil: Vertrauen schlägt um in Misstrauen, Sicherheit in Verunsicherung, Glück in Trauer, Friedfertigkeit in Aggression...“ (141). Umso erstaunlicher ist es, dass Ironie nicht gänzlich in den pädagogischen Giftschrank verbannt wird, sondern im Gegenteil als Mittel auch seine Befürworter findet. Ironie scheint legitim, wenn sie die Grenzen und Untiefen der pädagogischen (Selbst-)Wirksamkeit thematisiert, ohne sie dabei zu negieren. Einer allzu ernsten Pädagogik darf der Stachel gezogen werden, um moralisch geladene Beziehungen wieder zu entspannen (150), und als gleichsam paradoxe Intervention soll Ironie Lernblockaden lösen. Mit Ironie verhält es sich offensichtlich nicht anders als mit anderen pädagogischen Mitteln: Sie wird legitim, wenn glaubhaft gemacht werden kann, dass sie im Dienst der Bildung des Zöglings geschieht. Insofern kann Ironie auch zu einem Bildungs- und Erziehungsziel werden. Als intellektuelle Metakompetenz steht sie für eine Art postmoderner Urteilsfähigkeit. Sie soll den Zögling dazu befähigen, der Widersprüchlichkeit und Ungewissheit des modernen Lebens souverän und gelassen zu begegnen, ohne dabei unernst oder gar zynisch zu werden.

Ironie, das zeigt Krügers Studie deutlich, kann das pädagogische Selbstbewusstsein stabilisieren, bleibt zugleich aber brüchig und angreifbar. Weil Ironie nah an Resignation und Zynismus gebaut ist, läuft sie immer Gefahr, sich an der Einheit der pädagogischen Idee schuldig zu machen. Wer den Glauben an das Gelingen der pädagogischen Aufgabe, wenn nicht verloren hat, so doch realistisch in Zweifel zieht, muss in der Pädagogik mit Verachtung rechnen. Mit der Pädagogik verhält es sich ähnlich wie mit der Liebe, der Religion oder anderen Formen illusionierender Sinnstiftung: man kann sich ihr nicht hingeben und sie zugleich auf Distanz halten.

In der Summe lässt sich Krügers Studie als Fortführung der von ihm und Alex Assmann [1] angestoßenen allgemein-erziehungswissenschaftlichen Debatte über Pädagogik und Ironie lesen. Unter dem Eindruck einer inzwischen beinah um jeden Preis auf empirische Sozialforschung setzenden Disziplin macht sie auf die Leistungsfähigkeit der Allgemeinen Erziehungswissenschaft als theoriebasierte Reflexionsinstanz pädagogischen Denkens aufmerksam. Ihr ist zu wünschen, dass sie disziplinübergreifend gelesen wird – nicht zuletzt deshalb, weil gerade sie der empirischen Bildungs- und Erziehungsforschung wertvolle Anregungen für die Bestimmung ihres Gegenstandes als pädagogischen liefern kann.

[1] Assmann, Alex/Krüger, Jens Oliver (2011) (Hrsg.): Ironie in der Pädagogik. Theoretische und empirische Studien zur pädagogischen Bedeutsamkeit der Ironie. Weinheim: Juventa; Assmann, Alex (2008): Pädagogik und Ironie. Wiesbaden: VS Verlag.
Wolfgang Meseth (Frankfurt am Main)
Zur Zitierweise der Rezension:
Wolfgang Meseth: Rezension von: Krüger, Jens Oliver: Pädagogische Ironie – Ironische Pädagogik, Diskursanalytische Untersuchungen. Paderborn: Schöningh 2011. In: EWR 11 (2012), Nr. 6 (Veröffentlicht am 28.11.2012), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978350677062.html