EWR 8 (2009), Nr. 1 (Januar/Februar)

Ulla Wischermann / Tanja Thomas (Hrsg.)
Medien – Diversität – Ungleichheit
Zur medialen Konstruktion sozialer Differenz
Wiesbaden: VS Verlag 2008
(284 S.; ISBN 978-3-531-15385-8; 29,90 EUR)
Medien – Diversität – Ungleichheit Der Sammelband dokumentiert neben Referaten einer im Jahr 2005 durchgeführten Konferenz mit dem Titel „Achsen der Differenz – Soziale Ungleichheit und Medien“ weitere thematisch einschlägige Aufsätze zur Frage, wie soziale Ungleichheiten heute medienkulturell generiert, verstärkt, akzentuiert oder aber auch abgeschwächt werden.

In ihrer Einleitung spannen die Herausgeberinnen, die Frankfurter Frauen- und Geschlechterforscherin Ulla Wischermann und die Lüneburger Medienwissenschaftlerin Tanja Thomas, den allgemeinen theoretischen Rahmen für die Einzelbeiträge auf und liefern eine instruktive Vororientierung auf den Gesamtband. Sie platzieren das Sammelwerk in das Feld der klassisch-soziologischen Frage nach der sozialen Ungleichheit (7) und verknüpfen dies mit den aktuellen Diskursen um Diversity, Intersektionalität und Anerkennung. Hieraus bestimmen sie die Haupterkenntnisabsicht des Bandes. Es geht um die Rekonstruktion dessen, wie Medien und Kulturindustrie an der Konstruktion von Diversität und Ungleichheit und damit auch von Prozessen der Inklusion und Exklusion mitwirken. Abgearbeitet wird dieses anspruchsvolle Programm in vier Teilen, die im Folgenden jeweils schwerpunktmäßig durch die ausgewählte inhaltliche Charakterisierung von ein bis zwei Beiträgen repräsentiert werden sollen.

Der erste Teil ist der „Diversität zwischen Anerkennung und Abwertung“ gewidmet. Ist also das „Verschiedene“ in den Augen bestimmter Beobachter begrüßens- oder verdammenswert? Neben einer generellen Abhandlung zum Grundwiderspruch im Verhältnis von Inklusion und Exklusion von Irmela Schneider für und durch die Konstituierung der Massenmedien in der bürgerlichen Gesellschaft sticht in dieser Rubrik besonders der Beitrag von Paula-Irena Villa hervor. Sie analysiert die „Schnippelshows“, also diejenigen Fernsehformate, die Eingriffe, vorwiegend an Frauenkörpern, live zeigen. Sie vertritt die These, dass die den Zuschauerinnen vermittelte Möglichkeit der Selbstermächtigung zu einer herrschaftsförmigen, normalisierenden und normalisierten Selbst-Beherrschung geworden ist (89). Es geht in den Shows wie „The Swan“ um die Normalisierung von Körpern in Richtung eines konstruierten, imaginierten Idealkörpers, und nicht primär um die in der feministischen Diskussion als Befreiung erlebte und propagierte Anerkennung einzigartiger, auch biographisch „eingeschriebener“ Körperlichkeit. Sehr subtil wird die Ambivalenz der medialen Spiegelung der Freiheit dargelegt, den eigenen Körper zu gestalten – die Autorin operiert also weit weg von einer Verschwörungstheorie der medialen Beeinflussung.

Teil II geht der Ethnisierung zwischen Inklusion und Exklusion nach. Hierzu liefert Caterina G. Fox ein theoretisch wichtiges Element für die Diversitydiskussionen, wenn sie die „Whiteness“ anhand der Krimi-Serie „der Alte“ einer eingehenden empirischen Betrachtung unterzieht. Sie knüpft mit ihrem Aufsatz an die Intentionen der kritischen Whiteness-Studies (CWS) an, die bestrebt sind, „Weissheit“ in ihrer verdeckten Position als unsichtbare Norm zu entlarven und sie als handlungswirksames System der Privilegierung und Dominanz sichtbar zu machen. Gestützt auf eine aufwändige und gleichermaßen qualitative wie quantitative methodische Herangehensweise schält sie zwei Muster für den kreativ-filmischen Umgang mit „Whiteness“ heraus. Muster 1, die „Farbenblindheit“ meint die Ausblendung, das Nicht-Sehen von Unterschieden im Personenkreis der Ermittler, das aus einer liberalen Grundhaltung heraus erfolge, so jedoch den institutionalisierten Rassismus übersehe und immer noch häufig vorhandene Diskriminierungserfahrungen ausblende. Die Privilegierung von „Whiteness“, also Muster 2, vollzieht sich beim zweiten Personenkreis der Verdächtigen, Täter etc., in dem die privilegierte Mittelschicht zum absoluten, d. h. „normalen“ Bezugsrahmen gemacht wird, was bis in die Sprachwahl hinein nachweisbar ist. Bemerkenswert sind diese Befunde vor dem Hintergrund, dass die Krimiproduzenten ursprünglich ausdrücklich egalitäre Ziele mit der Besetzung der Rolle eines Inspektors durch einen schwarzen Schauspieler verfolgten.

Teil III beleuchtet Identitätspolitiken dies- und jenseits etablierter Kategorisierungen. Florian Hemming untersucht die Rolle ethnisch-orientierter Internetforen in den Niederlanden für die Sozialintegration von Jugendlichen. Damit erweitert er den Blick auf Selbstkonstruktionen von Integration und Diversity. Der Autor folgt damit dem neuen Stand der Medienmigrationsforschung, die differenziert nachzeichnet, wie sich Identitäten zwischen Heimatland und Aufnahmeland herausbilden. Aufgezeigt wird so sehr plastisch und auf der Basis eines multimethodischen Zugangs die potenzielle Rolle dieser Internetcommunities für eine adäquate Identitätsaushandlung. Dabei werden auch unterschiedliche Nutzungsmuster der Internetforen nach Geschlecht deutlich: Das Forum ist insbesondere für junge türkische Frauen in Bezug auf Aspekte von Körperlichkeit und Sexualität bedeutsam.

Teil IV rekurriert auf die Formel von der „diskursiven Rückkehr des Sozialen“. Angesprochen ist damit die neue Virulenz von Spannungen, die sich aus den Konsequenzen des ökonomischen Wandels unter den heftig umkämpften Stichwörtern „Prekariat“ und „neue Armut“ ergeben. Tanja Thomas spürt auf dieser Linie der Frage nach, wie das Lifestyle-Fernsehen, speziell die Sendung „Das Model und der Freak“, als Indiz einer zunehmenden individuellen Adressierung aller Menschen als Akteure ihrer selbst, also auch als Unternehmer ihrer selbst in der aktuellen gesellschaftlichen Konstellation gelesen werden können. Auf diese Weise wird die Ebene der Lebensführung direkt in den analytischen Fokus geschoben, die nach den Thesen von Tanja Thomas in der Tat zusehends instrumentell in den Dienst genommen wird, um gesellschaftliche Anerkennung zu erhalten. Durch verschiedenste Formen des Lifestyle-Fernsehens wird suggeriert, dass unter Absehung ökonomischer und kultureller Kapitalien gesellschaftlicher Erfolg möglich ist. Im vorliegenden Fall durch eine von „Trainerinnen“ unterstützte beständige Demonstration eines starken Willens zur Perfektionierung des Selbst und durch eine Entwicklung von Kompetenz, in diesem Fall derjenigen der Partnersuche. Der wichtigste Hinweis dieses Aufsatzes allerdings liegt in der Frage, warum diese Formate so populär sind, wo also die Anschlussstellen von medialer Formatierung und tatsächlicher Lebensführung sind.

Wenn es um die Analyse der Deutungshoheit in Sachen gesellschaftlicher Situation heute geht, darf die Auseinandersetzung mit der Bildzeitung nicht fehlen: Fabian Virchow macht in seiner exemplarischen Inhaltsanalyse von Bild-Artikeln nachvollziehbar, wie das Boulevardblatt als „flexible Deutungsagentur“ ebenfalls einer Semantik zuarbeitet, die auf der einen Seite sehr geschickt ein Bündnis mit den Lesern im Sinne eines Distinktionsgewinnes eingeht. Stigmatisiert werden „die Anderen“, sprich diejenigen, die „nichts leisten wollen“ und die „unberechtigt Sozialleistungen“ beziehen. Auf der anderen Seite konstruiert die Bild-Zeitung das Primat der funktionierenden Volkswirtschaft als unhinterfragte Letztbegründungsinstanz, die der Einzelne um seines Wohles willen unbedingt zu unterstützen hat.

Wenn man die derzeit regelrecht grassierende Kritik an Sammelbänden und ihre partielle Nichtberücksichtigung in akademischen Rankings und Berufungsverfahren vor Augen hat, dann ist dieser Sammelband ein Argument dafür, diese Pauschalkritik zu revidieren. Das Sammelwerk überzeugt erstens, ganz anders als das berühmte Zusammenbasteln von „mixed pieces“, durch eine konzeptionell durchgehaltene Gliederung und Zuordnung der Beiträge sowie eine integrierende Rahmung in der Einleitung. Aber vor allem die Einzelbeiträge als solche tragen zu diesem Gesamtbild bei. Allesamt sind sie sehr klar und nachvollziehbar geschrieben, was bei einem solch ambitionierten Themenkomplex nicht selbstverständlich ist. Das gilt in besonderem Maße auch für die jeweiligen ausführlichen „Materialbeschreibungen“, also die inhaltlichen Skizzen der Analyseformate und -inhalte; das Gleiche gilt auch für die methodischen Zugangsweisen. Thematisch und konzeptionell verweist der Band insgesamt auf die Notwendigkeit, verstärkt Rezeptionsanalysen zu betreiben, um die „Effekte“ der neuen Angebote auf die Lebensführung auf einer mikro-, meso- und makrosozialen Ebene abklären zu können. Diese Rezeptionsanalysen müssten allerdings in Richtung Rekonstruktion von Praktiken der medial modulierten Erzeugung bzw. Nivellierung von Differenz und Ungleichheit angelegt werden – haben die Beiträge doch ebenfalls gezeigt, dass direkte Kausalschlüsse vom Medium auf die erzeugte Differenz nicht zu erwarten sind. Für die allgemeine sozialwissenschaftliche Thematisierung von sozialer Ungleichheit wird durch den Band das Spannungsverhältnis „Kultur“ versus „Struktur“ einer neuen Stufe der Bearbeitung zugeführt.
Andreas Lange (München)
Zur Zitierweise der Rezension:
Andreas Lange: Rezension von: Wischermann, Ulla / Thomas, Tanja (Hg.): Medien - Diversität - Ungleichheit, Zur medialen Konstruktion sozialer Differenz. Wiesbaden: VS Verlag 2008. In: EWR 8 (2009), Nr. 1 (Veröffentlicht am 04.02.2009), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978353115385.html