EWR 9 (2010), Nr. 1 (Januar/Februar)

Monika Jäckle
Schule M(m)acht Geschlechter
Eine Auseinandersetzung mit Schule und Geschlecht unter diskurstheoretischer Perspektive
Wiesbaden: VS Verlag fĂĽr Sozialwissenschaften 2009
(428 S.; ISBN 978-3-531-16122-8; 39,90 EUR)
Schule M(m)acht Geschlechter „Schule“, „Macht“ und „Geschlecht“ sind drei fachwissenschaftlich bedeutende, umfassende Schlagwörter, die sich in vielfältigen erziehungs- wie auch gesellschafts- und politikwissenschaftlichen Diskussionen sowie unterschiedlichen Forschungskontexten wieder finden lassen.

Monika Jäckle greift in ihrem Buch „Schule M(m)acht Geschlechter. Eine Auseinandersetzung mit Schule und Geschlecht unter diskurstheoretischer Perspektive“ eben diese auf und verleiht ihnen durch diese Kombination eine besondere Aktualität und themenbezogene Brisanz. Auf einer fundierten argumentativen Theoriegrundlage betrachtet die Autorin interdisziplinär und differenziert durch die Institution Schule vermittelte Handlungs-, Deutungs- und Denkmuster von Geschlecht, die geprägt werden von den der Institution angehörenden Lehrkräften und die entsprechend die Lebensorientierung von SchülerInnen unterschiedlich beeinflussen können.

Mit dieser Ausrichtung finden insbesondere Leserinnen und Leser aus der Erziehungswissenschaft und schulpädagogischen Praxis Handlungs- und Denkimpulse, die sich aus einer geschlechterdiskursiven Perspektive mit dem weiten Feld von Schule als Ort handelnder und sich gegenseitig beeinflussender Akteure auseinandersetzen und dieses Feld begleiten und erforschen möchten.

Die Veröffentlichung ist 2009 in der von Reiner Kelle herausgegebenen Reihe „Theorie und Praxis der Diskursforschung“ im VS Verlag für Sozialwissenschaften erschienen. Die Arbeit wurde unter dem Titel „Von der Schule, der Macht und was es heißt, ein Mädchen oder Junge zu werden“ als Dissertation von der philosophisch-sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Augsburg angenommen.

In fünf Kapiteln befasst sich die Autorin mit der „Diskursivierung von Geschlecht“ im institutionellen Kontext von Schule und den daran beteiligten AkteurInnen. Hiermit meint sie:
– eine theorieorientierte, rekonstruktive Diskussion der Begriffe Macht, Wissen und Subjektivität als verbundene Kategorien der Diskurstheorie sowie deren Bedeutungszusammenhang für die Pädagogik (Kapitel zwei);
– eine diskursive Betrachtung von Schule und Geschlecht (Kapitel drei);
– eine Sachanalyse der in und durch die Erziehungswissenschaft angebotenen Geschlechterkonzepte und deren pädagogischen Implikationen für konkrete Handlungsmöglichkeiten (Kapitel vier);
– Ansätze einer kontingenten Geschlechterpädagogik (Kapitel fünf);
– mögliche Perspektiven einer diskursanalytischen Realisierung (Kapitel sechs).

Jäckle beschreibt in ihren Ausführungen die Frage der Macht als konstitutiv für pädagogische Beziehungen. Als soziale Praktiken konstruieren Denk- und Handlungsstrukturen gesellschaftliche Realität. Schule biete in ihrem institutionellen Kontext von Unterricht, Erziehung und Bildung unterschiedliche Konstruktionen von Geschlecht, habe einen wesentlichen Anteil an der Herstellung von Geschlecht als diskursiv vermittelnden machtvolles, geschlechterorientiertes Wissensverhältnis und sei somit diskurstheoretisch konzeptioniert.

Diese machtkritische Betrachtung der Institution Schule erfasst diese als zweigeschlechtlich strukturierte (hegemoniale) Welt, innerhalb derer geschlechtliche Subjekivierungsprozesse stattfinden. Diese seien geprägt von Bedeutungszuweisungen, welche sich u.a. in subjektiven Einstellungen von Lehrkräften wieder finden ließen, die sich auf das Interaktionsgeschehen mit der Schülerschaft auswirken würden. Aus pädagogischer Perspektive erfordere dies entsprechend eine rationale sowie diskursive Betrachtung heterogener Geschlechterkonzepte und somit eine Beschäftigung mit Möglichkeiten und Grenzen geschlechtlicher Subjektivierung.

Den theoretischen Hintergrund dieser Betrachtung bildet ein Konzept, das Schule als ein spezifisches Macht-Wissen-Gefüge betrachtet, in dem alle AkteurInnen Identitäten von Geschlecht subjektiv erzeugen, reproduzieren, aktualisieren und modifizieren. Hier wird Schule als Effekt von Diskursen, als eine institutionelle Objektivation der gesellschaftlichen Wissensordnung betrachtet, in der sich über Normalisierungsprozesse die Selbst- und Fremdwahrnehmung von Weiblich- und Männlichkeit dynamisch konstituiert.

Nach Jäckle ist Schule ein Ort der Inszenierung von Geschlecht und somit als diskursive und symbolische Praxis diskurspositionierend (Wahrnehmungsweisen und Handlungsmodelle anbietend), diskursreproduzierend und diskursstabilisierend (im Hinblick auf die gesellschaftliche Organisationsstruktur) sowie diskurssubvertierend (Potential zur Entwicklung und Veränderung) zu verstehen. Die SchülerInnen würden vor dem Hintergrund von gesellschaftlich geltenden Geschlechternormen als Subjekte, als Mädchen und Jungen, wahrgenommen.

Im Fokus des Interesses stehen für die Autorin hier u.a. Fragen danach, welche Subjektorientierungen den SchülerInnen angeboten werden und welchen (sozialen) Rang diese für SchülerInnen einnehmen können. Sie fokussiert dabei Lehrkräfte: wie konzeptualisieren diese Geschlecht subjektiv und auf welche Konzeptionen der erziehungswissenschaftlichen Geschlechterforschung und der Alltagstheorie beziehen sie sich ihrer Schülerschaft gegenüber. Darüber hinaus ist von Interesse, welche allgemein-schulpädagogischen Konsequenzen für die pädagogische Praxis hieraus folgen.

Mit dieser diskurstheoretischen Analyse von Schule stellt die Autorin ein Begriffsinstrumentarium vor, das geeignet sein soll, um diskursive Geschlechterformationen, schulische Machtstrategien, Modalitäten von Macht und Praktiken geschlechtlicher Subjektivierung in der Schule sowie nicht-diskursive Praktiken, die ein Geschlechterwissen transportieren, zu untersuchen.

So wird der Anspruch erhoben, mit dem Konzept des „Geschlechterdispositivs der Schule“ zur Betrachtung und Erklärung der Vergeschlechtlichungsprozesse und Generierung neuer Perspektiven der Schulpädagogik beizutragen. Eine komplexe Verbindung von Subjektbildung, geschlechterkonzeptionellen Wissenszuschreibungen und Machtverhältnissen werde ermöglicht, so dass sich analytisch betrachtet, ein Zusammenwirken von wissenschaftlichen und praxispädagogischen Diskursen, schulischen Machtstrukturen sowie Denk-, Gefühls-, Handlungs-, Wahrnehmungs- und Deutungsmodellen der SchülerInnen darstellen lasse.

Abschließend greift die Autorin das Szenario einer kritisch-kontingenten Geschlechterpädagogik wieder auf und fasst mit Blick auf ein die institutionelle Ebene einbeziehendes „verändertes ,Bildungsbewusstsein’“ zusammen: „Es geht nicht darum einen ‚verwertbaren Nutzen’ im Sinne unmittelbarer Handlungsimperative aus dem poststrukturalistischen Denken abzuleiten, sondern vielmehr reflexive Denkanstöße zu liefern und ein Bewusstsein zu schaffen über die Unabgeschlossenheit pädagogischen Denkens und Handelns und damit auch über die Handlungsmöglichkeiten in der Unterwerfung. Die Heterogenität geschlechtlicher Existenzweisen verlangt nach kontingenten Reflexions- und Handlungsprozessen. Diese schließen vereindeutigende und abschließbare Deutungsprozesse in Gestalt klarer Ergebnisse, in diesem Fall Identitäten aus, da sonst die Widersprüchlichkeit, Heterogenität und Veränderbarkeit der Deutungen von Geschlecht verdeckt würden.“ (405)

Entsprechend sei die Institution Schule gefordert, verschiedene Entwürfe von Geschlecht anzubieten und zugleich in gegenseitigen Interaktionen die Kontingenz und Kulturalität aufzugreifen.

Mit dieser Herausforderung für die Schulpädagogik schließt die Autorin ihre umfassenden Ausführungen meiner Meinung nach stringent jedoch schlicht, indem sie nochmals [1] an die Notwendigkeit selbstreflexiven pädagogischen Denkens und Handelns im Kontext von Schule appelliert, um SchülerInnen ein möglichst breites, geschlechtersensibles Portfolio an Orientierungen und Vorbildern zu bieten, welche auch das Bewusstsein für das Eingebundensein in diskursive Prozesse und damit in ein komplexes Geflecht von Subjektpositionen sowie die Möglichkeit der Wahl beinhalten.

Zusammenfassend betrachtet wird die Leserschaft – auch jene, die nicht direkt der Institution Schule angehört – angeregt, die eigene Aktion und Interaktion hinsichtlich der thesenhaften Formel „Schule M(m)acht Geschlechter“ zu reflektieren. Das von Jäckle formulierte Interesse, „eine begriffliche ‚Werkzeugkiste der Diskursforschung’ für schulpädagogische Fragestellungen exemplarisch anzubieten“ gelingt.

Als entsprechend lesenswert und inspirierend lässt sich dieses Buch durchaus empfehlen, fordert es doch letztlich auf zu einer kritisch-reflexiven Perspektive auf Theorie und Praxis der Schulpädagogik in weiterführenden interdisziplinär ausgerichteten erziehungswissenschaftlichen Forschungen im Kontext der „Diskursivierung von Geschlecht“.

[1] Vgl. die thematisch einschlägigen Arbeiten von Hannelore Faulstich-Wieland, Marianne Horstkemper oder Margret Kraul inklusive der programmatischen Wendung zur reflexiven Koedukation, die schon Ende der 1990er Jahre prominent wurde.
Ann-Kathrin Jüttner (Göttingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Ann-Kathrin JĂĽttner: Rezension von: Jäckle, Monika: Schule M(m)acht Geschlechter, Eine Auseinandersetzung mit Schule und Geschlecht unter diskurstheoretischer Perspektive. Wiesbaden: VS Verlag fĂĽr Sozialwissenschaften 2009. In: EWR 9 (2010), Nr. 1 (Veröffentlicht am 05.02.2010), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978353116122.html