EWR 12 (2013), Nr. 4 (Juli/August)

Sabine Hastedt / Silvia Lange (Hrsg.)
MĂ€nner und Grundschullehramt
Diskurse, Erkenntnisse, Perspektiven
Wiesbaden: VS-Verlag fĂŒr Sozialwissenschaften 2012
(171 S.; ISBN 978-3-531-18767-9; 34,95 EUR)
MĂ€nner und Grundschullehramt Im Wesentlichen enthĂ€lt das vorliegende Buch die BeitrĂ€ge einer Tagung zum Thema „Mehr MĂ€nner in die Grundschule? Chancen, Risiken und Perspektiven“ im Oktober 2011 an der UniversitĂ€t Hildesheim. Der Band enthĂ€lt außer dem Vorwort neun BeitrĂ€ge, von denen ich sieben kurz skizziere.

Die Herausgeberinnen, Sabine Hasted und Silvia Lange, beschreiben im Vorwort das Ziel der Tagung, das auch als Ziel des Bandes angesehen werden kann: „Ziel der Tagung war, das Thema in seiner KomplexitĂ€t aufzugreifen. Im Zentrum standen die Fragen, in welchen Kontexten die (politische) Forderung nach mehr MĂ€nnern im Grundschullehramt betrachtet werden muss und welche Auswirkungen geschlechtsstereotype Annahmen auf das professionelle Handeln von GrundschullehrkrĂ€ften haben“ (10). Tatsache sei der geringe Anteil von mĂ€nnlichen GrundschullehrkrĂ€ften und eine Reihe von Hinweisen darauf, dass das Berufsfeld weiblich konnotiert und dies nur schwer mit hegemonialen MĂ€nnlichkeitskonzepten vereinbar sei (ebd.).

Das Problem, dem sich die Autorinnen und Autoren des Bandes stellen, besteht darin, dass die Forderung nach mehr MĂ€nnern in der Grundschule, die von der Politik erhoben wird, sich in Alltagstheorien von LehrkrĂ€ften und Eltern, aber auch in der wissenschaftlichen Literatur findet, allein durch die Forderung die vorhandenen Geschlechtsstereotypen festschreibt: „Die Dramatisierung des Geschlechts der LehrkrĂ€fte, die Forderung nach MĂ€nnern, die MĂ€nnlichkeit verkörpern sollen, kommt aus der Falle der dichotomen Konstruktion von Geschlecht nicht heraus“ (28).

Wenn behauptet wird, dass alle Kinder, vor allem die alleinerziehender MĂŒtter, MĂ€nner brĂ€uchten, oder dass gerade Jungen mĂ€nnliche Verhaltensmuster benötigten oder dass die Jungen bei mĂ€nnlichen Lehrern mehr leisten wĂŒrden als bei Frauen etc., dann schreibt man MĂ€nnern bzw. Frauen als Lehrern und Lehrerinnen bestimmte Eigenschaften allein aufgrund ihres Geschlechtes zu. Dem widersetzen sich (fast) alle Autoren des Buches. Stellvertretend kann Hannelore Faulstich-Wieland zitiert werden: „Man kann die Antwort auf die im Titel gestellte Frage, ob Grundschullehrer vor allem Vorbild fĂŒr Jungen sein sollen, vorwegnehmen und sagen: „Nein. Sie sollen gute LehrkrĂ€fte sein und das heißt, zustĂ€ndig fĂŒr alle Kinder zu sein und professionell zu arbeiten“ (13).

Konsequent lassen sich in den BeitrĂ€gen zwei Absichten identifizieren. Zum einen wird die Forderung nach mehr MĂ€nnern diskutiert und im Kern zurĂŒckgewiesen und zum zweiten wird versucht, genauer zu bestimmen, was ProfessionalitĂ€t von Lehrern meinen kann. So wird zurĂŒckgewiesen, dass Jungen bei mĂ€nnlichen LehrkrĂ€ften bessere Leistungen zeigen (20ff), dass Lehrerinnen nicht angemessen auf das Verhalten von Jungen reagieren könnten (21ff) sowie, dass Kinder mĂ€nnliche Rollenvorbilder brĂ€uchten, vor allem als Vaterfigur oder als ZustĂ€ndige fĂŒr Jungensport.

FĂŒr die erste und zweite Frage liegen Ergebnisse empirischer Studien vor, auf die sich Faulstich-Wieland in ihrem Beitrag beruft. Man kann dagegen einwenden, dass die Zahl der entsprechenden Studien noch gering ist. Die Frage nach dem mĂ€nnlichen Lehrer als Rollenvorbild ist nicht und kann wohl auch kaum empirisch untersucht werden. Faulstich-Wieland argumentiert hier, im Kern wie die ĂŒbrigen Autoren, deshalb auch mit der WidersprĂŒchlichkeit dieser Forderung. Sie fragt, ob „mĂ€nnliches Verhalten“ im Sinne hegemonialer MĂ€nnlichkeit wirklich erwĂŒnscht ist, sie verweist auf die WidersprĂŒche zwischen dem Bild des Lehrers als „Vaterfigur“ und dem Bild als „OberbandenfĂŒhrer“ (22). Wenn hier von MĂ€nnlichkeit gesprochen wird, kritisiert Faulstich-Wieland, dann ist jene hegemoniale MĂ€nnlichkeit gemeint, die sich in AggressivitĂ€t und Konkurrenzdenken ausdrĂŒcken soll und nicht jene, marginalisiere, deren Reflexion eine Chance bieten wĂŒrde. „Es werden“, so schreibt sie, „Eigenschaften und Verhaltensweisen als mĂ€nnlich reklamiert, die zugleich den MĂ€dchen und Frauen abgesprochen werden. Das heißt im Klartext eine Wiederbelebung hierarchischer GeschlechterverhĂ€ltnisse [...]“(27).

FĂŒr die Professionalisierungsdebatte lassen sich in dem Buch die folgenden Aspekte herausstellen. Die Geschlechterdebatte kann nicht einseitig an den MĂ€nnern orientiert sein, sie betrifft MĂ€nner und Frauen und damit auch Studenten sowie Studentinnen. Den Stereotypen ĂŒber den Beruf des Grundschullehrers wird der Versuch entgegengesetzt, ein realistisches Bild dieses Berufes zu erarbeiten und zu vermitteln, das dessen fachliche und pĂ€dagogische Anforderungen in den Mittelpunkt stellt. Der Wiederholung von Stereotypen wird schon bei der Studienwahl und beim Studienbeginn die Reflexion des Zusammenhanges von Berufsbild und Geschlechterbild entgegengesetzt. So wird in dem Beitrag von Barbara Scholand ein Studienkompass beschrieben, der Jungen wie MĂ€dchen, die an einem Lehramtsstudium interessiert sind, einen Einblick in Studium und Beruf geben soll, mit dem Ziel geeignete mĂ€nnliche Studierende zu gewinnen und zugleich dem weiblich konnotierten Image des Berufes entgegenzuwirken (157).

Zwei weitere BeitrĂ€ge befassen sich mit „MĂ€nnern in der Grundschule“ und dies auf der Basis qualitativer Studien. So stellt Robert Baar in seinem Beitrag anhand eines Beispiels die wesentlichen Ergebnisse seiner Dissertation dar. Es geht um die Frage, welches ProfessionsverstĂ€ndnis mĂ€nnliche Grundschullehrer in einem gegengeschlechtlichen, darĂŒber hinaus weiblich konnotierten Berufsfeld entwickeln, und wie sich dieses in der beruflichen Handlungspraxis niederschlĂ€gt.

Baar arbeitet mit einem „geschlechterbezogenen“ Ansatz, der zwar Geschlecht als elementare Ordnungskategorie begreift, aber nach geschlechtsinternen Differenzierungen fragt. Befragt wurden nur mĂ€nnliche Grundschullehrer, die aktiv im Schuldienst tĂ€tig sind. Interviewt wurden insgesamt zwölf Personen, die ĂŒber Kontakte (gatekeeper) rekrutiert wurden. Als Auswertungsverfahren wĂ€hlt Baar die dokumentarische Methode, die am Ende einer Reihe von Schritten zu einer Typologie fĂŒhrt. Dessen Kern ist die Unterscheidung zwischen reflexivem und nicht reflexivem Habitus, wobei der nicht-reflexive Habitus in drei Kategorien differenziert wird: FĂŒhrungsanspruch, innere Emigration und Sexierung. Der FĂŒhrung werden zugeordnet: Kampf und FĂŒrsorge; der inneren Emigration Scham und Stoik und der Sexierung der Flirt. Baar attestiert nur einem seiner GesprĂ€chspartner ReflexivitĂ€t.

Ingo Niehaus fragt in Kenntnis der Dissertation von Robert Baar ebenfalls nach der pĂ€dagogischen Selbstverortung und Berufspraxis mĂ€nnlicher GrundschullehrkrĂ€fte. Er hat acht Grundschullehrer interviewt und im Unterricht beobachtet. Im Unterschied zu Baar fragt er aber auch nach den Anforderungen an mĂ€nnliche Grundschullehrer, die von außen kommen. Es zeigen sich die schon zuvor erwĂ€hnten Erwartungen, etwa Sportunterricht zu erteilen, fĂŒr Disziplinierung zustĂ€ndig zu sein und insgesamt „MĂ€nnlichkeit“ zu bedienen (59). Aus diesem Blickwinkel wird deutlich, dass der Anspruch an die MĂ€nner „ideale MĂ€nnlichkeit zu verkörpern“ im Konflikt steht mit einem professionellen VerstĂ€ndnis von Grundschulpraxis, zum Teil wohl auch mit den WĂŒnschen und Vorstellungen mancher Lehrer und vor allem damit, dass die Bezugnahme auf MĂ€nnlichkeit WidersprĂŒche produziert, die so nicht lösbar sind (ebd.). Der Blick auf die Erwartungen an die Lehrer macht sichtbar, dass es sich um ein alle betreffendes Problem handelt und nicht nur um eines der mĂ€nnlichen Lehrer.

Bernd Thomas‘ Beitrag „Der lange Weg der Frauen in den Lehrberuf – von der Exotik zur Dominanz“ enthĂ€lt nicht nur eine knappe, aber aufschlussreiche Geschichte der Professionalisierung, sondern vor allem eine interessante Perspektive. Thomas liest diese Geschichte als Emanzipationsgeschichte der Frauen und fordert von daher zu Recht, nicht mehr MĂ€nner in der Grundschule, sondern eine tatsĂ€chliche Gleichstellung der Frauen mit den MĂ€nnern. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Hinweis, dass (noch) das Bundesbeamtengesetz des Jahres 1953 Beamtinnen nahe legte, bei Verheiratung auf eigenen Antrag aus dem Dienst zu scheiden (36).

Angelika Paseka blickt aus professionstheoretischer Sicht auf die Debatte. Vor allem mit Bezug auf Oevermann und Helsper wird zunĂ€chst der antinomische Charakter des Lehrerberufes herausgearbeitet, sowie die Tatsache, dass Lehrer/-innen nicht mit Erwachsenen, sondern mit Kindern arbeiten. Paseka argumentiert, dass Kinder ihre Lehrperson nicht als RollentrĂ€ger, sondern „diffus“ als Person wahrnehmen und hier die Kategorie „Geschlecht“ ein wesentliches Kriterium ist (84). Im zweiten Kapitel geht Paseka dann der Kategorie Geschlecht im historischen Diskurs nach. Mit Verweis auf Dagmar HĂ€nsel heißt es: „Damit werden zwei ‚Kunstfiguren‘ geschaffen: die Figur der ‚mĂŒtterlichen Grundschullehrerin‘ und die Figur des ‚an der Sache arbeitenden Fachmannes‘“ (87). Dem Diskurs bescheinigt die Autorin „Naturalisierung und Essentialisierung“ (ebd.) und diese Charakteristika identifiziert sie dann auch in den Argumenten ĂŒber „Mehr-MĂ€nner-in-die-Grundschule“ und zwar als Gegensatz von „Helfen“ und „Durchsetzen“ (88). In den folgenden Teilen ihres Beitrags wird diese herausgearbeitete Grundstruktur anhand einer empirischen Studie belegt und weiter differenziert. Der theoretisch hoch interessante Beitrag endet mit der nun schon mehrfach belegten These, dass eine ausschließliche Geschlechterperspektive eine arge VerkĂŒrzung darstelle und mit dem (berechtigten) Vorwurf an die professionstheoretische Debatte „blind gegenĂŒber geschlechtertheoretischen Überlegungen zu sein“ (89).

Carolin Rotter wendet die Geschlechterdebatte auf die Diskussion um LehrkrĂ€fte mit Migrationshintergrund an und fragt „inwiefern die Rekrutierung von LehrkrĂ€ften mit Migrationshintergrund einen geeigneten Beitrag zum Umgang mit migrationsbedingter HeterogenitĂ€t in Schulen darstellt“ (102). Unter RĂŒckgriff auf empirische Studien, vor allem aus dem anglo-amerikanischen Raum, kommt sie wie die ĂŒbrigen BeitrĂ€ge zu dem Ergebnis, dass es keine belastbaren Ergebnisse fĂŒr die Wirksamkeit der Erwartungen an LehrkrĂ€fte mit Migrationshintergrund gibt. Dies spreche nicht gegen die Einstellung von LehrkrĂ€ften mit Migrationshintergrund, aber in erster Linie seien auch diese LehrkrĂ€fte als Professionelle zu betrachten, „die sich im schulischen Alltag ebenso wie alle anderen LehrkrĂ€fte auch mit vielfĂ€ltigen Anforderungen auseinandersetzen und diese reflexiv bearbeiten mĂŒssen“ (115).

Abschließend bleibt zusammenfassend zu sagen, dass mich die große EinmĂŒtigkeit der BeitrĂ€ge in der Kernfrage der Ablehnung einer „MĂ€nnerquote“ ĂŒberrascht hat. Die einzige Ausnahme stellt der Beitrag von Fantini dar, der dringend fĂŒr mehr mĂ€nnliche Bezugspersonen fĂŒr Jungen plĂ€diert. Wobei mich die Argumente ĂŒberzeugt haben. Dennoch wĂ€re es interessant gewesen, einen Zusammenhang zu der Diskussion um Quoten fĂŒr Frauen herzustellen.

Methodisch besteht ein leichter Einwand aus meiner Sicht darin, dass es nicht nur um Wahrnehmungen eines Berufesbildes geht, sondern auch immer um die Legitimation der eigenen Berufswahl. Eine Gesellschaft, die Entscheidungen ermöglicht, erzwingt eine BegrĂŒndung fĂŒr diese Entscheidung. Das immer wieder genannte Motiv fĂŒr die Wahl eines Studiums fĂŒr ein Grundschullehramt „Weil ich Kinder mag.“ (15) kann auch als Abgrenzung gegenĂŒber anderen Studentinnen und Studenten gelesen werden, denen nun gewissermaßen attestiert wird, Kinder nicht oder weniger zu mögen. Auch die anderen Motive wie „Kinder richtig zu leiten und zu lenken.“ enthalten den Gedanken, dass die so hervorgehobenen GrundschullehrkrĂ€fte sich als BeschĂŒtzer von Kindern vor einer die Kinder bedrohenden Gesellschaft sehen. Ich will damit sagen, dass viele dieser Aussagen in Relation zu den anderen Erwachsenen gelesen werden sollten und nicht allein als Bild ĂŒber den Beruf des Grundschullehrers, der Grundschullehrerin. Man kann die Berufswahl des Studiums fĂŒr ein Grundschullehramt eben auch als Strategie der Risikovermeidung lesen. Grundschulkinder gelten, im Unterschied zu HauptschĂŒlern und SchĂŒlern aus Förderklassen, zu Unrecht als leicht lenkbar und der den Kindern zu vermittelnde Stoff, ebenfalls zu Unrecht, als einfach.

Das Buch wendet sich vor allem an Lehrende in der Lehramtsausbildung und versucht dort die beschriebene Orientierung an der ProfessionalitĂ€t und nicht am Geschlecht zu propagieren. DarĂŒber hinaus wĂ€re es eigentlich wĂŒnschenswert, wenn es auch von Eltern und Politikern gelesen wĂŒrde. DafĂŒr ist ein Tagungsband allerdings ziemlich ungeeignet. Ein von den Herausgeberinnen mit den wesentlichen Autorinnen gemeinsam geschriebener Aufsatz könnte einen mehr als interessanten Einwurf gegen die allgemeine Debatte leisten.
Gerold Scholz (Wald-Michelbach)
Zur Zitierweise der Rezension:
Gerold Scholz: Rezension von: Hastedt, Sabine / Lange, Silvia (Hg.): MĂ€nner und Grundschullehramt. Diskurse, Erkenntnisse, Perspektiven. Wiesbaden: VS-Verlag fĂŒr Sozialwissenschaften 2012. In: EWR 12 (2013), Nr. 4 (Veröffentlicht am 24.07.2013), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978353118767.html