EWR 6 (2007), Nr. 6 (November/Dezember 2007)

Gerhard Minnameier / Eveline Wuttke (Hrsg.)
Berufs- und wirtschaftspädagogische Grundlagenforschung
Lehr-Lern-Prozesse und Kompetenzdiagnostik
(Festschrift fĂĽr Klaus Beck)
Frankfurt a.M. u.a.: Lang 2006
(524 S.; ISBN 978-3-631-55395-4; 49,80 EUR)
Berufs- und wirtschaftspädagogische Grundlagenforschung Kompetenzdiagnostik in Lehr- und Lern-Prozessen gilt als wichtiges Thema in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik, aber auch in der gesamten pädagogischen Forschungslandschaft. So beschäftigen sich die Beiträge der Festschrift für Kurt Beck im Kern mit der pädagogischen Vermittlung und mit der diagnostischen Erfassung berufsrelevanter Kompetenzen.

Von insgesamt fünf Teilen im Buch gehen die Autoren im ersten Kapitel vor allem auf die Rahmenbedingungen von Lehr-Lern-Prozessen ein. Die Themenauswahl ist allerdings sehr weit gesteckt, umfasst sie doch so unterschiedliche Aspekte wie den Paradigmenwechsel in der deutschen Bildungspolitik im Sinne einer einseitigen Outcome-Orientierung (Czycholl) oder die Frage nach der praktischen Anwendbarkeit erziehungswissenschaftlicher Forschungsergebnisse (Heid). Für ein praktisches Umfeld interessant sind vor allem die Resultate einer Erhebung zu den subjektiven Theorien von Handelslehrern über Lehren und Lernen sowie über spezifische Lerninhalte, die Seifried vorstellt. Er kann dabei einen engen Zusammenhang zwischen der geäusserten Sichtweise der Lehrer und deren Unterrichtspraxis nachweisen.

Beiträge zur Lehr-Lern-Theorie und zur Lehr-Lern-Forschung stehen im Zentrum des folgenden Kapitels. Während Zabeck mit Blick auf die Urgestalt beruflichen Lehrens und Lernens eine pragmatische Wende in der betrieblichen und in der schulischen Ausbildung fordert, macht Dubs deutlich, dass das Konzept der Bildungsstandards nur erfolgreich sein kann, wenn es mit dem Konzept des kompetenzorientierten Unterrichts verknüpft wird. Dem Thema „handlungsorientierter Unterricht“ sind drei Beiträge gewidmet. Dieser Bereich spielt insgesamt in der berufspädagogischen Unterrichtsforschung eine steigende Rolle und dem tragen die Autoren Rechnung. Eine weitere Theorieperspektive entwirft Sembill, der das soziale Lern-Raum-Zeit-System mit frei verfügbarer Taktung als Grundlage des selbstorganisierten Lernens vorstellt.

In Kapitel 3 findet sich neben einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Kompetenzbegriff (Reinisch) eine ganze Reihe von Theorien und Forschungen zur Beschreibung und zur schulischen Umsetzung verschiedener Kompetenzkonzepte (Tramm & Seeber; Beutner, Schaumann & Twardy; Weber; Kornmilch-Brienengräber).

Thematisch schliesst sich Kapitel 4 an und spannt den Bogen vom begrifflichen Zugang zur Kompetenzdiagnostik. Dabei geht es beispielsweise um formative Prüfungen als unabdingbare Bestandteile vollständiger Lernprozesse (Metzger) oder um das integrierte Fördern und Messen von Sach- und Sozialkompetenzen (Achtenhagen & Winther). Aber auch die Erfassung von Leistungskompetenzen bestimmter Lernformen, hier am Beispiel des Simulationslernens (Breuer &. Molkenthin) und die Entwicklung diagnostischer Werkzeuge für systemdynamische Lernumgebungen (Hillen) werden thematisiert. Die Werkzeuge der Kompetenzdiagnostik bezieht Witt auf die Taxonomie der deutschen Version des International Test of Economic Literacy, In einem weiteren Artikel zeigt Minnameier, dass die inferentielle Theorie des Wissenserwerbs ein adäquates Analyseinstrument zur Untersuchung kognitiver Kompetenzen und besonders zur Feststellung von spezifischen Kompetenzlücken ist. Der Beitrag von Wuttke fällt leicht aus dem Rahmen des Kapitels: Sie stellt ein Modell der Unterrichtskommunikation vor, mit dessen Hilfe u.a. über Operationalisierungen von Kommunikationsformen förderliche Ausprägungen von Unterrichtkommunikation entwickelt werden können.

Die vier Beiträge des letzten Kapitels kreisen um die moralische Urteilskompetenz. Dabei werden zwei Referenzen deutlich: Im deutschen Diskurs um Moralerziehung in der beruflichen Bildung ist Beck ein bedeutender Bezugspunkt (Horlebein; Lempert). Weiterhin bildet Kohlbergs kognitivistischer Ansatz nach wie vor den dominanten Ausgangspunkt der aktuellen Theoriediskussionen und Forschungsarbeiten (Heinrichs; Adam).

Es liegt im Wesen einer Festschrift, dass alle Beiträge um Forschungsthemen kreisen, mit denen sich der Geehrte auseinandergesetzt hat oder immer noch auseinandersetzt. Zudem kommen Personen zu Wort, die in der Regel mit ihm zusammengearbeitet haben. Dies bedeutet jedoch, dass keine innere Konsistenz hergestellt werden kann; denn es besteht kaum ein direkter Bezug zwischen den einzelnen Beiträgen – zu unterschiedlich sind in der Regel die Forschungsansätze und die Forschungsfragen, selbst wenn sich die Autoren mit demselben Thema beschäftigen. Somit illustriert die vorliegende lockere Sammlung von Theorien und Forschungsergebnissen auch den Stand der Berufs- und Wirtschaftspädagogik, der meines Erachtens stark geprägt ist von Kontingenz, individuellen Präferenzen und Modeströmungen. Dennoch, Forscher im deutschsprachigen Raum lesen dieses Werk mit Gewinn; denn es steckt den aktuellen Forschungsraum im Bereich der Kompetenzdiagnostik gut ab, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Wertvoll ist des Weiteren, dass es gleichermaßen einen guten Nährboden für neue Forschungsfragen bildet. Lehrern und Ausbildnern in den Betrieben ist dieses Buch hingegen kaum zu empfehlen: Viele Untersuchungen fokussieren sehr partielle Bereiche und die Integration in die Gesamtheit der Lehr-Lern-Praxis ist schlicht unmöglich, da der Konkretisierungsgrad äußerst gering ist.
Claudio Caduff (ZĂĽrich)
Zur Zitierweise der Rezension:
Claudio Caduff: Rezension von: Minnameier, Gerhard / Wuttke, Eveline (Hg.): Berufs- und wirtschaftspädagogische Grundlagenforschung, Lehr-Lern-Prozesse und Kompetenzdiagnostik (Festschrift fĂĽr Klaus Beck). Frankfurt a.M. u.a.: Lang 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 6 (Veröffentlicht am 05.12.2007), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978363155395.html