EWR 7 (2008), Nr. 1 (Januar/Februar)

Uta Strewe
"Bücher von heute sind morgen Taten"
Geschichtsdarstellung im Kinder- und Jugendbuch der DDR
Frankfurt a.M.: Lang 2007
(272 S.; ISBN 978-3-631-55908-6; 45,50 EUR)
"Bücher von heute sind morgen Taten" Die Historikerin und Germanistin Uta Strewe hat mit ihrer Monographie einen sorgfältig aufbereiteten, gleichermaßen materialreichen wie gut lesbaren Beitrag zur Kinder- und Jugendliteratur der DDR vorgelegt. Strewe hat nicht nur sämtliche „relevante und zugängliche“ (26) Sekundärliteratur zum Thema ausgewertet, was ihr Literaturverzeichnis zu einer Fundgrube für weitere Untersuchungen macht, sondern neben den direkt herangezogenen Primärquellen findet sich als Anhang auch eine komplette Bibliographie der historischen Kinder- und Jugendliteratur der DDR.

Die intensive Auseinandersetzung mit der Literatur und den Quellen spiegelt sich in zahlreichen Zitaten. Teils im Text, teils auch – gelegentlich unvermittelt – in langen Fußnoten wird ausgiebig am konkreten Beispiel argumentiert. Einige Bücher, insbesondere zu „Alternativen Heldenmodellen“ in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, werden ausführlich vorgestellt. Hier ist eine persönliche Grundhaltung der Autorin nur zu erahnen: die Hoffnung, auf eigenständige, von staatlicher Lenkung unbeeinflusste Werke zu stoßen. Denn sie arbeitet sich insgesamt höchst nüchtern und ohne von der Gegenwart geprägte Scheuklappen an der Realität der „Kinder- und Jugendliteratur als Subsystem der DDR“ (35) ab.

Da sind die „Eckpunkte“ der „neuen Kulturpolitik“ (35) ab 1945: „Zum einen sollte aus den Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit gelernt und zum anderen das kulturelle Erbe des Deutschlands vor dem Nationalsozialismus angetreten werden“ (35). Strewe fragt, wie dieser Wandel in der DDR aussah, und: „Welche Funktion wurde der historischen Kinder- und Jugendliteratur nun zugedacht, und welche Rolle übernahm sie tatsächlich?“ (13) Das wird in der ausführlichen Darstellung von Verlagen, Autoren, den Mechanismen der Zensur und der Literaturkritik sowie den Vermittlungsinstanzen, wie der Schule, entwickelt.

Aus diesen Facetten wird sehr anschaulich: „Der verbleibende Freiraum bot Auslegungen und Definitionen Platz, die zunächst noch pluralistisch, schon bald aber dogmatisch ausfielen“ (35). Aber Strewe differenziert weiter: Die als so notwendig bestimmte Abgrenzung zur BRD schlägt auf die Themengestaltung durch: Lange Zeit darf kein literarischer Held bürgerlicher Abkunft sein, und noch in den ideologischen Aufweichungen der Honecker-Ära finden sich bemerkenswerte Leerstellen der Literaturproduktion, etwa die völlig unzulängliche Thematisierung der Judenverfolgung. An anderer Stelle arbeitet die DDR quasi „hinterher“, wenn beispielsweise lange für die Zeit der Reformation und der Bauernaufstände nur Thomas Müntzer ein positiver Held sein kann, bis sich auch vielschichtigere Auseinandersetzungen mit Martin Luther finden.

Hier deutet sich der thematische Fokus Strewes an: Nationalsozialismus und Bauernkriege. Sie entwickelt ihn einerseits aus den quantitativen Fakten der Produktion: In diesen Phasen der Geschichte war der weitaus größte Teil der historischen Kinder- und Jugendbücher der DDR angesiedelt. Für weitere historische Themen genügen am Ende vier Seiten. Ganze Geschichtsepochen fanden gar keinen Niederschlag in literarischer Aufarbeitung. Andererseits erfolgt die Begründung des Fokus aus dem Legitimationsbedürfnis der DDR für die Zweistaatlichkeit. Der „antifaschistische Staat“ bedurfte genau jener jüngst vergangenen Zeit des Faschismus zur Abgrenzung, während in der BRD nicht nur die entsprechende kinder- und jugendliterarische Aufarbeitung wesentlich zögerlicher vonstatten ging. Die Bauernkriege lieferten in Ergänzung dazu die weiter zurückliegende Grundlegung des ‚Volksstaates‘: Selbst den gescheiterten Bauernhelden werden in einigen Werken Sätze der Hoffnung auf das zukünftige Gelingen in den Mund gelegt, die sich dann auch noch mit der Bekräftigung des autoritativen Erzählers kombiniert finden, dass sich nun endlich jenes alte Sehnen ja erfüllt habe.

Strewe erarbeitet die konkrete Geschichtsdarstellung an der Konstruktion von Heldenfiguren (samt Gegenspielern und weiterem Umfeld), unterscheidet nachvollziehbar zwischen authentischen und fiktiven Helden und konfrontiert ihre Werke ausgiebig mit der systeminternen Literaturkritik, bei der es nicht zuletzt um das in seiner immensen Bedeutung deutlich werdende „Druckgenehmigungsverfahren“ ging. Es erweist sich, dass die Kritik ästhetischen Kriterien folgen konnte, im Zweifelsfall jedoch den ideologischen Wert eines Buches, selbst wenn es „stinklangweilig“ (159) war, für wichtiger hielt. „Bücher von heute sind morgen Taten“ greift der Titel der Monographie ein offenbar in der DDR häufig verwendetes Zitat Heinrich Manns auf: Dahin sollten die Helden der Bücher ihre LeserInnen führen. (Historische) Kinder- und Jugendliteratur blieb in der DDR strikt funktional bestimmt.

Hier hätte vielleicht ein etwas ausgiebigerer Blick auf die parallele westliche Entwicklung gut getan: Wie ordnete sich der DDR-Fokus in die Gesamthistorie deutscher Kinder- und Jugendliteraturgeschichte bis in die Gegenwart ein? So skizziert Strewe zwar eingangs Herkunft und Entwicklung historischer Kinder- und Jugendliteratur, bleibt nach einem Schlussabsatz zum Westen nach 1945 dann aber gewissermaßen der Abgrenzungs-Eigendynamik ihres Gegenstandes verhaftet. Auch (kontrastierende) Positionen der zeitgenössischen Rezeption von DDR-Werken aus westlicher Perspektive finden sich nur unsystematisch, sind eher beiläufig angefügt.

Diese Punkte sollen jedoch nicht überbewertet werden, vielleicht abgesehen vom weiteren Desiderat der Diskussion fehlender weiblicher Heldinnen im gesellschaftlichen Kontext eines Staates, der doch die Gleichheit aller Menschen propagierte. Hier muss die LeserIn eigenaktiv werden. Es finden sich viele Gelegenheit zum konkreten Einhaken: Die Materialfülle erschlägt nicht, sondern macht immer wieder Lust, selbst in die angesprochenen Bücher hineinzuschauen und Darstellung und Kritik nachzuvollziehen. Strewe erweckt gleichzeitig nirgends den Eindruck, einen letztgültigen Beurteilungsstand produziert zu haben. Und wer sich nur rasch einen Überblick verschaffen will, ist mit den ausführlichen Kapiteleinleitungen bzw. Ergebnissen/Zusammenfassungen ebenfalls gut bedient. Kurzum: eine Arbeit, die durchaus als Standardwerk zum Thema auch für interessierte Laien gelten kann.
Martin Wambsganß (Tübingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Martin Wambsganß: Rezension von: Strewe, Uta: "Bücher von heute sind morgenTaten", Geschichtsdarstellung im Kinder- und Jugendbuch der DDR. Frankfurt a.M.: Lang 2007. In: EWR 7 (2008), Nr. 1 (Veröffentlicht am 06.02.2008), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978363155908.html