
Im Mittelpunkt des Buches stehen Kompetenzen für den Umgang mit einer heterogenen Schülerschaft. Die Autoren adressieren dabei die Lehrerbildung und die Berufspraxis (1). Beiden Ansprüchen zu genügen ist ein hoher Anspruch, dem das Buch – soviel sei vorweggenommen – nur teilweise gerecht wird.
Im Mittelpunkt stehen sechs Kompetenzfelder, die das Buch in Form von Kapiteln strukturieren. (I Förderorientiert diagnostizieren, II Unterricht binnendifferenziert gestalten, III Lernprozesse steuern, IV Ressourcen vernetzen, V Sozialverhalten verstehen und steuern, VII Wirkungszusammenhänge in Schule und Unterricht wahrnehmen und beeinflussen.)
Der Aufbau der einzelnen Kapitel ist identisch: Nach der Beschreibung des jeweiligen Kompetenzfeldes wird das zugehörige Kompetenzraster vorgestellt. Dieses Raster enthält Unterkompetenzen mit jeweils vier Niveaustufen. Anschließend folgt eine Konkretisierung anhand ausgewählter Konzepte oder Instrumente zum Feld (3).
An einzelnen Stellen wird anhand einer fiktiven Schulklasse die Vielfältigkeit der Anforderungen an Lehrer/innen aufgrund der Heterogenität der Schülerschaft illustriert. Abbildungen, Grafiken und Tabellen gewährleisten einen schnellen Überblick zu den einzelnen Kompetenzfeldern und Unterthemen.
Nach einem kurzen Vorwort zur Entstehung und zum Inhalt des Buches ist ein allgemeines Einleitungskapitel zum „Umgang mit heterogenen Lerngruppen und Kompetenzentwicklung“ (5ff) vorangestellt. Hier werden unter Rekurs auf Forschungen von Annedore Prengel und Andreas Hinz insbesondere die „Pädagogik der Vielfalt“ (6f) sowie die Inklusion (7f) thematisiert und der Kompetenzbegriff geklärt. Unter Kompetenz verstehen Buholzer et al. „die Fähigkeit, eine Leistung in immer wieder neuen Situationen zielbezogen, effektiv und unter Beachtung ethischer Regeln zu erbringen“ (8). Dabei wird auf die Relevanz von Rahmenbedingungen hingewiesen.
Im nachfolgenden ersten Kapitel werden der aktuelle Forschungsstand zum Thema Diagnostik im Sinne einer Förderdiagnostik dargestellt sowie selektive Maßnahmen von Diagnostik kritisiert. Der Gewinn durch Beobachtung im Unterricht wird veranschaulicht und die Notwendigkeit von Kriterien bei der Diagnostik angesprochen. Des Weiteren weisen die Autor/innen darauf hin, dass eine Diagnostik stets dialogisch zwischen Lehrer/in und Schüler/in entworfen werden sollte. An dieser Stelle werden Erziehungsberechtigte und andere am Bildungsprozess eines Kindes beteiligte Personen ausgeklammert.
Kapitel 2 stellt die Binnendifferenzierung in den Mittelpunkt. Unterricht soll einerseits den individuellen Bedürfnissen der Schüler/innen entsprechen, andererseits aber auch das gemeinschaftliche Lernen fördern. Besonders hilfreich zum näheren Verständnis ist die Abbildung und Besprechung der Spannungsfelder im Unterricht (29). Ein Unterkapitel wird dem offenen Unterricht gewidmet. Auch hier wird auf zahlreiche Theorien und empirische Forschungsbefunde pointiert in verständlicher Art und Weise eingegangen. Die Unterstützung von Lernprozessen in Kapitel 3 wird anhand von Ausführungen zum selbstgesteuerten Lernen, zur Metakognition sowie zum kooperativen Lernen verdeutlicht.
Mit Kapitel 2 und 3 wird die veränderte Rolle von Lehrer/innen veranschaulicht, die mit dem Ernstnehmen der unterschiedlichen Bedürfnisse einer heterogenen Schüler/innenschaft einhergeht. Ihre primäre Aufgabe besteht in der Gestaltung von Lernumgebungen (25ff) sowie in der Unterstützung von Lernprozessen der Schüler/innen (33ff). Damit entsprechen Buholzer et al. dem aktuellen Trend der Forschung und geben Praktiker/innen hilfreiche Anregungen für die schulische Umsetzung und betonen, dass die vielfältigen Anforderungen eine stärkere Vernetzung innerhalb eines Kollegiums notwendig machen.
Darauf gehen die Autor/innen im 4. Kapitel explizit ein. Hier geht es um die Einschätzung persönlicher Stärken sowie darum, dieses Wissen und Können gezielt im Team einzubringen. Auch die Profilschärfung über Weiterbildungen wird thematisiert; auf die Vernetzung mit externen Expert/innen wird dagegen nur kurz eingegangen.
Ein in der Praxis häufig geschildertes Problem ist der Umgang mit ‚störendem‘ Sozialverhalten. Kapitel 5 enthält dazu verschiedene Anregungen und sensibilisiert für eine systemische Deutung von schwierigen Verhaltensweisen.
In Kapitel 6 wird abschließend auf Wirkmechanismen in Schule und Unterricht aufmerksam gemacht und vor allem die Relevanz von stetiger Unterrichts- und Schulentwicklung betont. Als praktische Hilfe werden z.B. der Index für Inklusion sowie die Bildung demokratischer Strukturen besprochen.
Gut gelungen ist den Autor/innen, wissenswerte Forschungsergebnisse aus verschiedenen Studien einfließen zu lassen. Die verwendeten Befunde sind treffsicher ausgewählt sowie eingesetzt und dienen der Fundierung der einzelnen Themen, wie z.B. Diagnostik oder Differenzierung. Jedes Kapitel enthält verschiedene Umsetzungskonzepte. Die Auswahl der Beispiele ist allerdings nicht immer ganz nachvollziehbar bzw. erscheint etwas willkürlich. Ein verschenktes Potenzial liegt in der begrenzten Verwendung des Heterogenitätsbegriffes. Die mangelnde Verknüpfung des Heterogenitätsdiskurses mit der Integrativen/Inklusiven Didaktik und weiteren Diskursen, wie z.B. zum Jahrgangsübergreifenden Lernen, ist kein neues Phänomen [1].
Das Buch von Buholzer et al. macht einen Anfang dies zu überwinden, durch die Berücksichtigung der Pädagogik der Vielfalt und der Erwähnung der Inklusion. Leider hört die Einbeziehung in den konkreten Umsetzungskapiteln auf. Vielleicht kann über die geplante Buchreihe des LIT Verlages eine solche Zusammenführung realisiert werden.
Fazit:
Die Abbildung der Kompetenzfelder in einem Raster-Modell hat zwei Seiten. Auf der einen Seite bietet dieses Vorgehen eine übersichtliche Struktur mit vielfacher Ausdifferenzierung. Dies kann durchaus von praktischem Nutzen sein für die persönliche Profil-Analyse von Lehrpersonen oder Teams. Auf der anderen Seite setzt jegliche Art von Kompetenzraster-Bildung dem Feld Grenzen. Bedauerlich ist an dieser Stelle die geringe Nachvollziehbarkeit der Entwicklung der Kompetenzfelder, auf die bereits hingewiesen wurde. Somit ist das Innovationspotenzial des Buches zweischneidig.
Als Praxisbuch für interessierte Lehrkräfte, die ein Manual zur Hand nehmen wollen, um das eigene Kompetenzprofil bezüglich ihrer Stärken, Schwächen und Weiterbildungsbedarfe im Umgang mit heterogenen Lerngruppen einschätzen zu können, ist das Buch zu empfehlen – und zwar für den gesamten deutschen Sprachraum, auch wenn die Schweizer Perspektive der Autor/innen zu erkennen ist. Als Handreichung für Schulleitungen zur Analyse der Kompetenzen des Lehrerteams kann es hilfreich sein, um Bedarfe für Weiterentwicklungen zu eruieren.
Der Gewinn für die Lehrerausbildung lässt sich aber allenfalls in Ansätzen ableiten. Das Buch kann Anregungen geben für Seminarinhalte oder, wie die Autor/innen vorschlagen, für die Entwicklung eigener Normen und Kriterien bei Hospitationsgruppen. Hier ist jedoch Vorsicht geboten.
Da es sich hier um keine evidenzbasierte Studie handelt, scheint der Gebrauch als ‚Kriterien geleiteter Katalog‘ oder ‚Messinstrument für Qualitätsentwicklung‘ nicht vorgesehen. Diesen Anspruch erheben die Autoren auch nicht, aber aufgrund der im Mittelpunkt stehenden Kompetenzfelder und -raster könnte das Buch diese Wirkung erzielen. Buholzer et al. geht es aber vielmehr darum, Anregungen für verschiedene Bereiche zu geben. Das gelingt ihnen vordergründig für die Praxis.
[1] Feuser, G.: Behinderte Kinder und Jugendliche – zwischen Integration und
Aussonderung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1995.