Der in der von Backes und Clemens herausgegebenen Reihe Alter(n) und Gesellschaft erschienene Band fasst Ergebnisse eines umfangreichen qualitativen Forschungsprojekts zusammen. In fünf Hauptkapiteln wird eine umfassende empirische Studie zu Altersbildern vorgestellt. Sie besteht bei genauerer Betrachtung aus mehreren Teilstudien, deren Erkenntnisinteressen und Befunde sich zwar aufeinander beziehen lassen, gleichwohl – methodisch wie inhaltlich – aber weitgehend unabhängig voneinander zu sehen sind. Mit unterschiedlichen empirischen Zugriffen werden Altersbilder in Lehrplänen und Schulbüchern identifiziert sowie die subjektiven Vorstellungen zum Alter und Altern von Lehrerenden und Schülern erhoben. Der Aufbau des Buches bietet mit dem ersten und dem letzten Kapitel eine theoretisch-methodische Klammer um das Gesamtprojekt, während die deutlich umfangreicheren Kapitel zwei bis vier Ergebnisse aus den einzelnen empirischen Teilstudien präsentieren.
Im ersten Kapitel wird zunächst ein sehr komprimierter und präziser Überblick über den internationalen Forschungsstand gegeben. Dabei verzichten die Autorinnen und Autoren auf eine umfassende Aufarbeitung der Altersbildforschung und konzentrieren sich auf die wesentlich überschaubareren Arbeiten zu Altersbildern von Kindern und Jugendlichen. Zu Recht wird hier auf große Forschungslücken verweisen und gleichzeitig die gesellschaftliche Relevanz des Themas unterstrichen. Theoretisch knüpfen die Ausführungen an Vorarbeiten aus der Arbeitsgruppe um Gertrud Backes an, wobei diese theoretischen Perspektiven nur knapp angerissen werden. Detaillierter werden die methodischen Zugriffe erläutert, die verschiedene qualitative Erhebungsverfahren umfassen. Das über Dokumentenanalysen, Schüleraufsätze, problemzentrierte Interviews und Gruppendiskussionen erhobene Datenmaterial wurde zwar unabhängig voneinander, aber methodisch analog mit der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet.
Im Mittelpunkt des zweiten Kapitels steht die Analyse von Lehrplänen der zweiten und neunten Klasse an unterschiedlichen Schulformen in den vier Bundesländern Bayern, Hessen, Niedersachsen und Sachsen. Zentral sind hier die Thematisierungskontexte und thematischen Fokussierungen von Alter und Altern im Unterricht, wobei neben dem Deutschunterricht auch die Fächer Sozialkunde, Politik und Religion in die Analysen einbezogen werden. Die Analysen sind durch eine große Dichte an Belegen und Auszügen aus dem Material sehr gut nachvollziehbar und verweisen auf positive wie negative Generalisierungen von Alter sowie das weitgehende Fehlen der Thematisierung eines aktiven Alterns, das allenfalls in einigen literarischen Werken im Deutschunterricht der Sekundarstufe zu finden ist. Während die Autorinnen und Autoren sich mit wertenden Aussagen zu den Ergebnissen insgesamt sehr zurückhalten und sich auf deren Deskription konzentrieren, wird gerade mit Blick auf die komparative Analyse der Lehrpläne verschiedener Bundesländer doch deutlich, wie hier Stereotype (re-)produziert und einseitige Bilder des Alters transportiert werden.
Eine inhaltsanalytische Auswertung von 82 Schulbüchern für die zweite und neunte Klasse wird im dritten Kapitel vorgestellt und bietet einen weiteren Zugang zu den Themen Alter und Altern als Unterrichtsgegenstand. Dabei werden diese Themen breit gefasst und es wird auf die Darstellung von Lebenslagen, Gesundheit, Beziehungen im Alter, aber auch von Sterben und Tod und von Generationenverhältnissen geachtet. Die Auswertung von Lesebüchern verweist auf eine sehr facettenreiche Bearbeitung der genannten Themen in den Schulbüchern und erbringt kaum Hinweise auf ein stereotypes Altersbild. Dennoch scheinen sich gerade Lesebücher auf einem schmalen Grad zwischen der Darstellung gesellschaftlich dominanter Realitäten und der Bedienung von Altersstereotypen zu bewegen. Demgegenüber werden die genannten Themen außerhalb des Deutschunterrichts – also in Schulbüchern für die Fächer Sozialkunde, Politik und Wirtschaft – fast durchgehend negativ thematisiert. Insgesamt wird in diesem Kapitel erneut der sich auf Deskription beschränkende und auf Wertungen praktisch vollständig verzichtende Stil des Autorenteams deutlich. An einigen Stellen würden viele Lesende sicherlich schon hier eine normative Positionierung erwarten, wie sie im Schlusskapitel erfolgt.
Die am Lehr-Lerngeschehen Beteiligten selbst kommen im vierten Kapitel zu Wort. Um Altersbilder und deren Thematisierung im Unterricht aus Schülersicht zu erfassen, wurden einerseits sieben strukturierte Gruppendiskussionen mit Schülerinnen und Schülern aus dem Primarbereich geführt und andererseits thematisch entsprechend vorgegebene Aufsätze von 20 Schülerinnen und Schülern aus der Sekundarstufe ausgewertet. In den in den Text integrierten Auszügen aus dem Original-Material lassen sich zum einen die zusammenfassenden Auswertungen gut nachvollziehen, zum anderen werden aber auch Potenziale des Materials für weitere, tiefergehende Analysen sichtbar. Es wird deutlich, dass die Aussagen einiger Schülerinnen und Schüler vielfach die eigenen aktuellen Lebensentwürfe oder Erfahrungen aus dem unmittelbaren sozialen Umfeld widerspiegeln, während andere auf eher generalisierte Fremdbilder rekurrieren. Zwar bleiben einige eigentlich besonders aufschlussreiche immanente Sinnstrukturen im erhobenen Material der angewandten Analysemethode verschlossen, die eher explorativ angelegte Auswertung des Materials bietet aber wesentliche Impulse für weitere Forschungsarbeiten. Die das Forschungsprogramm abrundenden 17 Interviews mit Lehrerinnen und Lehrern aus den untersuchten Schulstufen spiegeln die Breite der Altersbilder eines offensichtlich aufgeklärten Bildungsbürgertums wider, bieten aber nur im Hinblick auf die Thematisierung von Alter und Altern im Unterricht interessante Perspektiven, ohne Rückschlüsse auf die impliziten Altersbilder der Lehrenden zuzulassen.
In der abschließenden Zusammenfassung liefern die Autorinnen und Autoren eine sehr pointierte Verdichtung der zentralen Ergebnisse und stellen die Diskrepanz zwischen facettenreichen und vielfältigen Altersbildern bei Schülerinnen, Schülern und Lehrenden einerseits und der oft einseitigen Thematisierung von Alter in Lehrplänen und Schulbüchern andererseits heraus. Aus der Zusammenschau über dieses und weitere Ergebnisse werden konkrete Handlungsempfehlungen für Bildungsadministration, Lehrende und Schulbuchverlage entwickelt, die sich sehr klar auf die Befunde der Untersuchung zurückführen lassen und dadurch auch ein hohes Maß an Nachvollziehbarkeit und Glaubwürdigkeit erreichen.
Insgesamt sind insbesondere die vorgenommenen Analysen von Lehrplänen und Schulbüchern aufschlussreich hinsichtlich des Umgangs mit den Themen Alter und Altern im Schulunterricht in verschiedenen Bundesländern. Diese den Unterricht strukturierenden Vorgaben und Materialien verweisen nicht nur auf bundeslandspezifische Differenzen, sondern auch auf erhebliche Unterschiede zwischen Schulfächern, was die Einseitigkeit der Darstellung von Alter und älteren Menschen anbelangt. Zwar gelingt es der Studie mit dem angewandten inhaltsanalytischen Verfahren nicht, einen tiefergehenden Einblick in die unmittelbare Unterrichtsinteraktion oder die Einstellungsmuster der an den Lehr-Lern-Prozessen Beteiligten selbst zu erzielen; die v. a. aus den Dokumentenanalysen gewonnenen Erkenntnisse der Studie sind gleichwohl mehr als aufschlussreich und ein wesentlicher Beitrag zur Erschließung eines bislang vernachlässigten Forschungsgegenstands. Insofern ist das Buch nicht nur Pflichtlektüre für alle im Bereich der Alters-, Unterrichts- oder Schulbuchforschung Tätigen, sondern ist auch für angehende Lehrerinnen und Lehrer sehr zu empfehlen, nicht zuletzt, weil es zur Reflexion des eigenen Umgangs mit den Themen Alter und Altern anregt.
EWR 13 (2014), Nr. 6 (November/Dezember)
Alter(n)sbilder in der Schule
Wiesbaden: Springer VS 2014
(253 S.; ISBN 978-3-6580-4462-6; 39,99 EUR)
Bernhard Schmidt-Hertha (Tübingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Bernhard Schmidt-Hertha: Rezension von: Amrhein, Ludwig / Backes, Gertrud M. / Harjes, Anne / Najork, Christopher: Alter(n)sbilder in der Schule. Wiesbaden: Springer VS 2014. In: EWR 13 (2014), Nr. 6 (Veröffentlicht am 04.12.2014), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978365804462.html
Bernhard Schmidt-Hertha: Rezension von: Amrhein, Ludwig / Backes, Gertrud M. / Harjes, Anne / Najork, Christopher: Alter(n)sbilder in der Schule. Wiesbaden: Springer VS 2014. In: EWR 13 (2014), Nr. 6 (Veröffentlicht am 04.12.2014), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978365804462.html