EWR 16 (2017), Nr. 5 (September/Oktober)

Nobert Heimken
Migration, Bildung und Spracherwerb
Bildungssozialisation und Integration von Jugendlichen aus Einwandererfamilien
Wiesbaden: Springer VS 2017
(165 Seiten; ISBN 978-3-658-08758-6; 39,99 EUR)
Migration, Bildung und Spracherwerb Norbert Heimken veröffentlicht mit dem vorliegenden Band bereits in zweiter und deutlich überarbeiteter Auflage die Ergebnisse der Münsteraner Studie zum Zusammenhang von Migrationshintergrund und Sprachkompetenz. Im Unterschied zur ersten Auflage konnte die Datenbasis der Studie von ca. 400 auf 1042 Fälle ausgeweitet werden. Den Kern der Studie bildet dabei ein von Heimken und Kollegen entwickelter Sprachkompetenztest, der in den Jahrgangsstufen 9 bis 13 durchgeführt wurde.

Die Studie liefert einen umfangreichen Datenfundus zu zahlreichen Bedingungen und Faktoren des erfolgreichen Spracherwerbs, der eine empirische Differenzierung vereinfachter Erklärungsmodelle ermöglichen soll. An verschiedenen Stellen richtet sich der Autor vor allem gegen allzu vereinfachende Erklärungsmuster in der Öffentlichkeit. Vor allem die Widerlegung der für den Autor undemokratischen und extremistischen Argumentation „Thilo Sarrazin[s] und seiner Anhänger“ (120) wird an mehreren Stellen der Studie angesprochen, ohne dabei jedoch im Detail auf deren konkrete Thesen und Behauptungen einzugehen. Insgesamt nimmt die Studie immer wieder auf öffentliche und wissenschaftliche Diskurse Bezug (z.B. zum Thema Mehrsprachigkeit), die jedoch nicht systematisch dargestellt werden, wie sich an folgendem Beispiel illustrieren lässt: „Gerade in der Öffentlichkeit verschließt man gerne den Blick, wenn es darum geht zu erkennen, dass Vieles von dem, was nicht rund läuft, Probleme dieser Gesellschaft sind, die mit dem Herkunftsland immer weniger zu tun haben und die sich deshalb auch wohl nur durch diese Gesellschaft lösen lassen“ (115).

Der Schwerpunkt liegt weniger in einer systematischen Auseinandersetzung mit gängigen Erklärungs- und Theorieansätzen, als vielmehr in der Präsentation empirischer Analyseergebnisse. Drei Ergebnisse scheinen dabei zentral zu sein: Zum einen macht der Autor deutlich, dass die Bildungsaspiration bei Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund (zumindest im Datensample) nicht wesentlich von Schülerinnen und Schülern ohne Migrationshintergrund abweicht: „Bildung ist allen Gruppen wichtig“ (51). Der individuelle Stellenwert von Bildungserfolg ist in den Migrantengruppen sogar teilweise höher. Gleichzeitig schneiden Kinder mit Migrationshintergrund im Sprachtest deutlich schlechter ab, als Kinder ohne Migrationshintergrund. Dies ist auch dann der Fall, wenn diese Kinder bereits in Deutschland geboren wurden. Weit wichtiger als die individuelle Bildungsmotivation, so ein zweiter wichtiger Befund, ist das Bildungsmilieu der Kinder, welchem unabhängig vom Migrationshintergrund ein erheblicher Einfluss auf den Erwerb der Sprachkompetenz zukomme. Bei Kindern mit Migrationshintergrund käme es zudem oftmals zu einer „Entwertung familialer Kompetenz“ (47), sodass hier zusätzlich der Effekt zu beobachten sei, dass ein höheres Bildungsniveau der Eltern nicht in gleicher Weise lernförderlich wirkt, wie in Elternhäusern ohne Migrationshintergrund. Entsprechend sieht der Autor Schulen und Kindergärten in der Pflicht, diesen Effekt zu kompensieren. „Jedoch müssten diese Institutionen ihre Verantwortung auch annehmen“ (47). Drittens geht der Autor folgerichtig auf die ambivalente Rolle der Mehrsprachigkeit ein. Er kann zeigen, dass ein hoher Konsum nicht-deutscher Medien sowie eine innerfamiliäre Kommunikation, die hauptsächlich in der Herkunftssprache stattfindet, deutlich negative Effekte für den deutschen Spracherwerb haben. „Eine bessere Sprachkompetenz zeigen Jugendliche eindeutig dann, wenn Deutsch als die wichtigste Familiensprache gewählt wurde“ (110). Für den pädagogischen Diskurs hat dies wichtige Konsequenzen, wenngleich nicht von der Hand zu weisen ist, dass der Zusammenhang möglicherweise genau umgekehrt besteht: In Familien wird umso häufiger dann Deutsch gesprochen, je besser die Kinder (und wahrscheinlich die Eltern) diese Sprache beherrschen. Wie das Verhältnis zwischen Herkunftssprache und Deutschunterricht in der Schule optimal austariert werden kann, bleibt daher eine kontroverse bildungspolitische Debatte.

Norbert Heimken legt damit eine interessante Studie mit einer umfangreichen Datenbasis vor. Dennoch gibt es m.E. auch einige schwerwiegende Schwachpunkte. So wirkt die Studie theoretisch wenig fundiert, da sich der Autor in recht beliebiger Weise verschiedener theoretischer Erklärungsansätze bedient, um die Daten zu plausibilisieren. Anders als es der Titel der Arbeit vermuten ließe, wird keine konsistente Sozialisationstheorie vorgetragen, die den Erfolg oder Misserfolg des Spracherwerbs erklären könnte. Dementsprechend bleiben auch die Ergebnisse eher bruchstückhaft. Zwar stellt Heimken dar, dass der Untersuchung keine statistisch repräsentative Stichprobenziehung zugrunde liegt, begründet andererseits die Auswahl der erhobenen Daten gleichwohl nur rudimentär. Warum wurden gerade diese Schulen ausgewählt? Die Frage stellt sich umso mehr, insofern der Autor angibt, dass an einigen Schulen im Grenzgebiet besonders viele niederländische Kinder befragt wurden. Gerade für die Frage des Spracherwerbs scheint diese Gruppe allerdings eine Sonderstellung einzunehmen. In der Darstellung der Studie ist nicht immer ersichtlich, inwieweit dies bei der Datenauswertung berücksichtigt wurde.

Insgesamt verbleibt die Studie auf dem Niveau bivariater deskriptiver Datenanalysen, wobei nur selten statistische Kennzahlen oder Zusammenhangsmaße angeführt werden. Warum der Autor nicht auf multivariate Analyseverfahren zurückgegriffen hat, bleibt offen. Dies ist umso verwunderlicher, da an mehreren Stellen betont wird, dass monokausale Erklärungsmuster zu kurz griffen. Vor dem Hintergrund, dass z.T. mehrere Schulklassen aus einzelnen Schulen in die Stichprobe einflossen, wäre zumindest eine Mehrebenanalyse notwendig gewesen. Hin und wieder lässt sich der Autor zu zwar durchaus plausiblen, empirisch jedoch in keiner Weise abgesicherten Thesen hinreißen. So postuliert er beispielsweise: „[N]icht Migration mit einem angemessenen und von Wirkung auf Prozesse der Sprachreflexion in der Regel eher förderlichen Anteil fremdsprachiger Kinder in einer Gruppe[,] sondern räumliche Segregation, mit den entsprechenden Verdichtungen einzelner Einwanderergruppen verschlechtert die Bedingungen von Kindergärten, Sprachförderung zu betreiben“ (68). Räumliche Segregation wurde im Rahmen der Studie jedoch gar nicht gemessen und auch andere Quellen, die diese Behauptung stützten könnten, werden nicht angegeben.

Norbert Heimken schneidet mit seiner Studie wichtige Diskursfelder an und kann anhand seiner Daten einige plausible Überlegungen und Thesen vortragen. Aufgrund der referierten Mängel sollte jedoch auch Vorsicht bei der Rezeption der Studie angeraten werden. Die vorgetragenen Daten liefern Hinweise, letztlich jedoch keine systematischen Belege für die Richtigkeit seiner Thesen, die in komplexe Gesamtzusammenhänge eingebunden sind, die durch die methodisch beschränkte Datenanalyse jedoch nicht eingeholt werden können.
Frank Beier (Dresden)
Zur Zitierweise der Rezension:
Frank Beier: Rezension von: Heimken, Nobert: Migration, Bildung und Spracherwerb, Bildungssozialisation und Integration von Jugendlichen aus Einwandererfamilien. Wiesbaden: Springer VS 2017. In: EWR 16 (2017), Nr. 5 (Veröffentlicht am 26.09.2017), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978365808758.html