EWR 16 (2017), Nr. 1 (Januar/Februar)

Jessica Dzengel
Schule spielen
Zur Bearbeitung der Theorie-Praxis-Problematik im Studienseminar
Reihe: Rekonstruktive Bildungsforschung, Band 7
Wiesbaden: Springer VS 2016
(308 S.; ISBN 978-3-658-13178-4; 39,99 EUR)
Schule spielen Wenngleich die Zuschreibung hinsichtlich des Referendariats als vergessener Teil der Lehrerbildung lange Zeit Gültigkeit aufwies, ist insbesondere in der vergangenen Dekade ein bedeutender Anstieg der Aufmerksamkeit hinsichtlich der „Zweiten Phase“ der Lehrerausbildung zu konstatieren, sowohl im wissenschaftlichen Diskurs als auch in gesellschaftspolitischen Diskussionen [1]. Dabei ist in dieser Phase das Verhältnis von Theorie und Praxis für den Professionalisierungsprozess der angehenden Lehrkräfte von zentraler Bedeutung [2]. Hieran anschließend erscheint die Studie von Jessica Dzengel mit dem Titel „Schule spielen – Zur Bearbeitung der Theorie-Praxis-Problematik im Studienseminar“ relevant und stellt eine weitere Ergänzung im Forschungsfeld der Zweiten Phase der Lehrerausbildung dar.

Im Zentrum des Bandes steht dabei „die Frage nach der Bearbeitung der Theorie-Praxis-Differenz innerhalb der Ausbildungsinteraktion im Studienseminar“ (10), deren theoretische Einordnung einer „strukturtheoretisch-handlungslogische[n] Perspektive auf den Lehrerberuf zugrunde [liegt]“ (11) und auf die Methode der objektiven Hermeneutik zurückgreift. Die Ausführungen im Band gliedern sich in acht Kapitel, wobei die Kapitel zwei bis vier im Anschluss an das Einleitungskapitel im Dienste der Fallbestimmung stehen, das fünfte Kapitel die seminaristische Praxis in den Blick nimmt und das sich anschließende sechste Kapitel eine zusammenfassende „typologische Bestimmung der kommunikativen Bearbeitung der Theorie-Praxis-Differenz“ (14) darstellt. Zum Abschluss werden die Befunde in Kapitel sieben eingeordnet und in Kapitel acht wird ein Ausblick auf zukünftige Forschungsfragen gegeben.

Die Fallbestimmung erstreckt sich über drei Kapitel, beginnend mit Kapitel zwei, das zunächst eine Ausführung zu den zentralen Kritikpunkten und Problemfeldern der Lehrerausbildung unter besonderer Berücksichtigung der Zweiten Phase umfasst. Dabei wird zwischen Befunden aus qualitativen, insbesondere aus dem kompetenztheoretischen Paradigma stammenden Studien und Erkenntnissen aus offenen Forschungszugängen differenziert. Weitergehend wird auf die Komplexität des Forschungsgegenstandes sowie der Zugänge hingewiesen.

Hieran schließt sich im dritten Kapitel eine historische Abhandlung zur Institutionalisierung der Lehrerausbildung und Entwicklung des Vorbereitungsdienstes im Anschluss an die universitäre Lehrerbildung an, wobei ausschließlich das gymnasiale Lehramt im Fokus steht. Das Kapitel gibt dabei Auskunft über die strukturellen Entwicklungsprozesse des höheren Lehramts (3.1), thematisiert die inhaltliche Ausgestaltung der Zweiten Phase (3.2), skizziert die Veränderungen des beruflichen Rollenverständnisses (3.3) und verdeutlicht für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg eine Pluralisierung der Werte bei gleichzeitiger Verfestigung der Strukturen (3.4). Im abschließenden Teilkapitel 3.5 stellt die Autorin mit Blick auf die zuvor skizzierten Entwicklungen plausibel heraus, „dass die Ausbildung in der zweiten Phase [...] traditionell auf eine Einsozialisation in das bestehende Schulsystem ausgerichtet ist“ und schließt mit der kritischen Anfrage, ob „heute tatsächlich von einer „institutionalisierten Reflexion“ innerhalb der Ausbildung in den Studienseminaren ausgegangenen werden kann, die das althergebrachte Meister-Novizen-Modell hinter sich lässt“ (63).

Die Fallbestimmung wird im vierten Kapitel mit theoretischen Überlegungen zur Bedeutsamkeit der Theorie-Praxis-Differenz mit Blick auf die (seminaristische) Lehrerausbildung abgeschlossen, die sich einerseits auf die Perspektive der strukturtheoretisch-handlungslogischen Professionalisierungstheorie stützt (4.1) und andererseits auf Befunden der Wissensverwendungsforschung basiert (4.2). Eine grundlegende wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung zum Theorie-Praxis-Verhältnis wird nicht geführt, sondern von den skizzierten theoretischen Vorannahmen ausgehend direkt die Situation des Studienseminars zwischen Universität und (Schul-)Praxis herausgearbeitet. Dabei wird der Universität der Modus des Diskurses, der (Ausbildungs-)Schule der Modus der (pädagogischen) Instruktion und dazwischen vermittelnd bzw. liegend dem Seminar der Modus der pädagogischen Reflexion „im Verhältnis zur pädagogischen Instruktion und zum Diskurs“ (85) zugeschrieben.

Das fünfte Kapitel nimmt die seminaristische Praxis anhand von drei ausgewählten Fällen in den Blick, die durch die Methode der objektiven Hermeneutik sequentiell analysiert werden. Dabei werden anhand der Analyse des ersten Falls die Etablierung der traditionellen Ordnung schulischen Unterrichts in der seminaristischen Praxis nachgezeichnet, die Einweisung in die schulische Unterrichtspraxis anhand des zweiten Falls aufgedeckt und das Phänomen „Schule spielen im Modus der Abhandlung legitimationsbedürftiger Handlungsprobleme im Lehrerberuf“ (209) an einem dritten Fall an ausgewählten Protokollsequenzen herausgearbeitet. Insgesamt weisen die jeweils sehr detaillierten und umfassenden Analysen der Fälle auf eine heterogene Ausgestaltung der Ausbildungspraxis in den untersuchten Seminarsequenzen hin, aber zugleich ist grundlegend zu konstatieren, dass der jeweilige Praxisanspruch in den Beispielen „über eine Anlehnung der seminaristischen Praxis an den schulischen Unterricht eingelöst [wird]“ (273).

Im sechsten Kapitel werden die Ergebnisse aus dem vorherigen Kapitel durch eine kontrastierende Gegenüberstellung der drei analysierten Fälle kondensiert, um somit „den Interaktionsmodus des Schulespielens als spezifischen Typus der Bearbeitung des Praxisdrucks in der Lehramtsausbildung im Studienseminar zusammenfassend auszuweisen“ (275). So kommt die Autorin zu dem Schluss, dass der dominante Kommunikationsstil in den drei Seminarsequenzen dem Modus der Instruktion entspricht und doktrinal angelegt sowie direktiv gesteuert ist. Demnach, so kann es als Quintessenz der Studie verstanden werden, konterkariert der seminaristische Interaktionsmodus „Schule spielen“ „den Anspruch der Ausbildungsinstitution „Studienseminar“, Stätte der Praxisreflexion zu sein“ (292).

In dem sich im siebten Kapitel anschließenden Fazit wird noch einmal hervorgehoben, dass die seminaristische Ausbildung weniger den Modus der pädagogischen Reflexion verfolgt, sondern vielmehr unter Vernachlässigung einer angemessenen Berücksichtigung des diskursiven Modus den Modus der (pädagogischen) Instruktion betont und hierdurch eine Einsozialisation der angehenden Lehrkräfte in das System Schule erfolgt und eben nicht durch einen Modus der pädagogischen Reflexion. Dzengel betont weitergehend, dass der Interaktionsmodus „Schule spielen“ nicht aus der strukturellen Zwischenlage des Seminars zwischen Universität und Schule zu begründen, sondern vielmehr „als Ausdruck einer diffusen Verteidigung einer etablierten Lehrerbildungskultur gegenüber den ‚modernen‘ Innovationsanforderungen an die Lehrerbildung zu lesen [sei]“ (299).

Der Band schließt mit einem recht kurzen, zweiseitigen Ausblick und der Forderung nach weiterer Aufklärung bezüglich der Frage nach der Praxisrelevanz in der Lehrerbildung. Dabei verbleibt der Ausblick allerdings auf Ebene des eigenen Forschungszugangs, also auf fokussierten, qualitativ-rekonstruktiven Arbeiten. Der Ausblick schließt mit dem Plädoyer, für „eine differenzierte Auf- und Ausarbeitung der jeweiligen ausbildungslogischen Zuständigkeiten und ein Ausweisen dessen, was in der jeweiligen Phase wie geleistet werden kann [...], [sodass] die (wissenschafts)theoretischen und praktischen Ausbildungsanteile als jeweils eigenlogische in ihrer Bedeutsamkeit und ihren (un)ausgeschöpften Potenzialen für die Lehrerausbildung ins Zentrum der Diskussion zu rücken“ (303) seien.

Abschließend ist zu konstatieren, dass mit dem Band ein zentraler Gegenstand der Forschung zum Lehrerberuf und zur Lehrerbildung, das Theorie-Praxis-Verhältnis, in der bislang wenig erforschten Zweiten Phase bearbeitet wurde. Kritisch anzumerken ist jedoch einerseits das Fehlen eines Kapitels zum Studiendesign und der angewandten Methode, das nicht nur für die im Feld der objektiven Hermeneutik nicht beheimatete Leserschaft, sondern auch im Sinne redlicher Forschung einen Nachvollzug des Vorgehens der Datengewinnung ermöglicht hätte: Ein Fußnotenverweis reicht hier kaum aus. Andererseits stellt sich die Frage, ob neben dem durch die Autorin entworfenen und durch die Analyse der drei Fälle begründeten Phänomen „Schule spielen“ als typologische Beschreibung der Ausbildungspraxis im Studienseminar nicht auch andere Phänomene am Material und der zwar weiteren 21 vorliegenden, aber für die Analyse nicht berücksichtigten Fälle denkbar wären oder diese gar dem skizzierten Interaktionsmodus „Schule spielen“ widersprechen. In anderen Worten wäre eine kritische Auseinandersetzung mit der gewählten Methode und mit den Befunden wünschenswert. Ohne die Diskussion der mit der Selektion verbundenen Limitationen drängt sich der Eindruck auf, die ausgewählten Fälle seien nur mit Blick auf einen schon im Vorfeld postulierten Interaktionsmodus, dem des „Schule spielens“, herangezogen und zu dessen Begründung analysiert worden. Dennoch sind die Befunde aus der Studie für die Forschung zum Lehrerberuf und zur Lehrerbildung von Bedeutung, da sie neben dem Erkenntnisgewinn auch eine Bereicherung des methodischen Zugangs über die objektive Hermeneutik zu einem im Vergleich zur universitären Lehrerbildung nach wie vor kaum beachteten Bereich der Lehrerausbildung, der Zweiten Phase, darstellen.

[1] Walke, J.: Die Zweite Phase der Lehrerbildung. Ein Überblick über Stand, Problemlagen und Reformtendenzen. Essen: Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft 2007.

[2] Schubarth, W. / Pohlenz, P.: Qualitätsentwicklung und Evaluation in der Lehrerbildung. Die zweite Phase: Das Referendariat. Potsdamer Beiträge zur Lehrevaluation. Potsdam: Universität Potsdam 2006.
Martin Drahmann (Tübingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Martin Drahmann: Rezension von: Dzengel, Jessica: Schule spielen, Zur Bearbeitung der Theorie-Praxis-Problematik im Studienseminar Reihe: Rekonstruktive Bildungsforschung, Band 7. Wiesbaden: Springer VS 2016. In: EWR 16 (2017), Nr. 1 (Veröffentlicht am 02.02.2017), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978365813178.html