EWR 13 (2014), Nr. 1 (Januar/Februar)

Anita Giener / Anke Karber / Cornelia Wustmann (Hrsg.)
Kindheit aus sozialwissenschaftlicher Perspektive
Allgemeine wissenschaftliche Reihe Bd. 20
Graz: Leykam-Verlag 2013
(214 S.; ISBN 978-3-7011-0214-3; 19,90 EUR)
Kindheit aus sozialwissenschaftlicher Perspektive Mit diesem Sammelband wird eine kritische Bestandsaufnahme sozialwissenschaftlicher Perspektiven, Konzepte und Arbeitsschwerpunkte im Themenfeld der elementaren Bildung, Erziehung und Betreuung vorgenommen. Ziel ist es, neben nationalen Forschungsergebnissen auch internationale Debatten in das Themenfeld der Elementarpädagogik einzubringen, zu diskutieren und weiter zu entwickeln. Dies betrifft beispielsweise die Sprachaneignung, das kindliche Spiel und die Veränderung von kindlichen Lebenslagen und Lebensweisen – unter Berücksichtigung geschlechtsspezifischer wie auch familialer Bedingungen und Möglichkeiten – mitsamt den professionell gestalteten Bildungs- und Erziehungsprozessen im institutionellen Kontext. Weiterhin soll den heute noch vorherrschenden „Mythen“ in der Elementarpädagogik entgegengetreten werden, um zu verhindern, dass die Aufgaben von Pädagoginnen und Pädagogen „verkürzt wahrgenommen und diskutiert werden“, z.B. im Kontext einer „einseitig gedachte(n) Sprachförderung“ (8).

Um den Komplexitäten der Forschungsgebiete Elementarpädagogik und Kindheitsforschung Rechnung zu tragen und zentrale Verbindungslinien herauszuarbeiten, werden in den ersten Beiträgen grundlegende Gegenstandsfokussierungen vorgenommen: Bernhard Koch gibt einen Überblick über wesentliche Entwicklungen der elementarpädagogischen Forschung in Österreich und diskutiert die Ergebnisse und Empfehlungen des OECD-Berichts im Hinblick auf länderspezifische Veränderungen. Daran schließt sich ein Beitrag von Karin Bock an. Sie analysiert zum einen zentrale gesellschaftstheoretische Zugänge zum Forschungsfeld Kindheit in ihren jeweils relevanten Facetten und zum anderen fragt sie, sowohl im Kontext biographischer als auch sozialpädagogischer Forschungsperspektiven danach, „welche Auswirkungen diese Erziehungsarrangements auf die Biographien derjenigen haben, die die Adressat_innen der Erziehung sind“ und inwiefern sich daraus Möglichkeiten ergeben können, „neue Sichtweisen auf Kinder und ihre (organisierte) Kindheit“ zu eröffnen (32).

Der Hauptteil des Sammelbandes beginnt mit einem Beitrag von Karl Lenz, der historische und aktuelle Bestimmungsmerkmale von Familien diskutiert und einen wissenschaftlichen Familienbegriff vorschlägt, „der nicht nur eine historisch gebundene Familienform generalisiert, sondern der kulturellen Vielfalt von Familienformen gerecht wird“ (50). Anschließend identifiziert Anke König zentrale sozio-kulturelle theoretische Zugänge und Konzepte, um diese auf ihre Bedeutung für die Unterstützung und Begleitung von Bildungs- und Lernprozessen in früher Kindheit in unterschiedlichen Lernumwelten zu überprüfen. In einem weiteren Beitrag arbeitet Petra Focks heraus, inwiefern gesellschaftlich gegebene Geschlechterverhältnisse und Diversitäten – im Kontext einer Pädagogik der Vielfalt – die Lebenswelten und kulturellen Muster von Kindheit beeinflussen. Gleichzeitig werden Perspektiven für eine geschlechterbewusste Pädagogik aufgezeigt und diskutiert. Holger Brandes skizziert in seinem Beitrag den Forschungsstand und ausgewählte theoretische Überlegungen zur Bedeutung von Kindergruppen in der frühen Kindheit und zeigt, in welcher Weise in Kindergruppen spezifische Selbstbildungspotentiale herausgebildet werden und wie diese von pädagogischen Fachkräften in den Einrichtungen der frühen Kindheit genutzt werden können. Wolfgang Griebel untersucht die Übergänge zwischen Familien und Bildungseinrichtungen. Theoretisch gerahmt werden seine Ausführungen durch die Ergebnisse der Transitionsforschung, die es ihm ermöglichen, „individuelles Handlungs- und Bewältigungsvermögen“ herauszuarbeiten und „gesellschaftliche Handlungsvorgaben und -anforderungen“ bestimmen zu können (101). Josef Christian Aigner fragt nach der Rolle von Männern in der pädagogischen Arbeit mit Kindern. Er erwartet „für den Fall eines verstärkten Einbezugs von Männern in den Kindergarten ein hohes Innovationspotential für die Elementarpädagogik“ und entwickelt vor diesem Hintergrund Strategien zur Erhöhung des Männeranteils (128). Anita Giener-Grün und Anke Karber arbeiten Übereinstimmungen und Schnittmengen zwischen den Disziplinen der Elementarpädagogik und der Sozialpädagogik heraus. Dabei stellen sie sich in ihrem Beitrag die Frage, inwiefern der lebensweltorientierte Ansatz der Sozialen Arbeit zur Reflexion und Weiterentwicklung elementarpädagogischer Fragestellungen genutzt werden kann.

Der letzte Teil des Sammelbandes widmet sich der Zusammenfassung, dem Vergleich und der Diskussion gegenwärtiger Professionalisierungsdebatten. Heidemarie Lex-Nalis gibt einen Überblick über die historischen und aktuellen Diskurse in Österreich. Daran schließt sich der Beitrag von Bernhard Koch an. Er nimmt eine Bestandsaufnahme aktueller Qualifizierungsdebatten in Österreich vor. Maria-Eleonora Karten fasst im abschließenden Beitrag in konzentrierter Weise die aktuellen Entwicklungsvorhaben im Bereich der Professionalisierung in der Elementarpädagogik in Deutschland und Österreich zusammen. In diesem Zusammenhang weist sie eindringlich auf zentrale Defizite und Entwicklungspotentiale hin und definiert unmittelbare Handlungsbedarfe. Anschließend arbeitet sie Perspektiven für die Weiterentwicklung professionalisierungsrelevanten Wissens heraus.

Der vorliegende Sammelband trägt den aktuellen bildungs- und gesellschaftspolitischen Diskursen Rechnung, in denen Debatten über frühkindliche Bildung, Erziehung und Betreuung großen Raum einnehmen. Dies ist nicht zuletzt den „massiven Wandlungstendenzen, denen Familien in der Gegenwart unterworfen sind“ geschuldet, die sich insbesondere in veränderten Erwerbs- und Familienbiographien widerspiegeln (40). Mit diesen Veränderungen ist ein gestiegener Bedarf an „guten“ Betreuungsplätzen verbunden, der dazu führt, dass frühe Bildung und frühes Lernen in den Mittelpunkt gesellschaftspolitischer und professionspolitischer Aufmerksamkeit gerückt sind. Der Bedarf und die Inanspruchnahme der Angebote frühkindlicher Bildung sind deutlich gestiegen und haben sich seit der Jahrtausendwende enorm verändert. Dieser hier konstatierte Strukturwandel in der Kinderbetreuung steht in unmittelbarem Zusammenhang mit ökonomischen und arbeitsmarktpolitischen Interessen von Seiten der überaus gut ausgebildeten jungen Generation – insbesondere der Frauen – und den damit verbundenen privaten wie öffentlichen Anforderungen (vgl. die arbeitsmarkt- und gleichstellungspolitischen Vorgaben der Europäischen Union oder auch der OECD) an die Erwerbstätigkeit beider Eltern. Ziel ist es, die Integration von Frauen in die Berufs- und Arbeitswelt dauerhaft zu sichern. Deshalb sind außerfamiliale Betreuungsplätze zwingend notwendig und ihr Ausbau folgt in diesem Zusammenhang gleichstellungspolitischen und ökonomischen Zielperspektiven. Gleichzeitig ist der Ausbau des Elementarbereiches als erste Bildungsstufe mit einer umfassenden Neubestimmung der pädagogischen Professionalität verbunden, wie in diesem Band sehr deutlich und differenziert dargestellt wird. Die hier entwickelten Maßnahmen und Konzepte bedürfen jedoch umfangreicher neuer Kontextualisierungen, wie auch weiterer „professionstheoretischer, professionspraktischer und professionspolitischer Analysen“ (205). Daher wird zukünftig der in den Beiträgen auch immer wieder angeregten Entwicklung von neuen Forschungsperspektiven und Transferprojekten zwischen den Disziplinen Elementarpädagogik, Sozialpädagogik und der neueren Kindheitsforschung Rechnung zu tragen sein.
Rita Braches-Chyrek (Bamberg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Rita Braches-Chyrek: Rezension von: Giener, Anita / Karber, Anke / Wustmann, Cornelia (Hg.): Kindheit aus sozialwissenschaftlicher Perspektive, Allgemeine wissenschaftliche Reihe Bd. 20. Graz: Leykam-Verlag 2013. In: EWR 13 (2014), Nr. 1 (Veröffentlicht am 05.02.2014), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978370110214.html