EWR 15 (2016), Nr. 1 (Januar/Februar)

Susanne Berger
Vorberufliche Bildung in Deutschland, Frankreich und Großbritannien
Eine international vergleichende Fallstudie zur curricularen Ausformung in Theorie und Praxis
Bielefeld: W. Bertelsmann 2015
(598 S.; ISBN 978-3-7639-5536-7; 39,00 EUR)
Vorberufliche Bildung in Deutschland, Frankreich und Großbritannien Bei der vorliegenden Monographie „Vorberufliche Bildung in Deutschland, Frankreich und Großbritannien – Eine international vergleichende Fallstudie zur curricularen Ausformung in Theorie und Praxis“ handelt es sich um die Dissertationsschrift der Autorin Susanne Berger. Kern der Forschungsarbeit bildet eine international vergleichende, qualitative Studie zur theoretischen Ausgestaltung und unterrichtspraktischen Umsetzung der vorberuflichen Bildung in den drei genannten LĂ€ndern. Sie leistet damit sowohl zur international vergleichenden Schulforschung im Allgemeinen als auch zur Curriculumforschung im Speziellen einen wichtigen Beitrag. In der Studie wird ein besonderer Schwerpunkt auf die wirtschaftswissenschaftlichen UnterrichtsfĂ€cher bzw. die FĂ€cher mit ökonomischen Inhalten als TrĂ€ger der vorberuflichen Bildung der SchĂŒlerinnen und SchĂŒler am Übergang Schule-Beruf gelegt. BegrĂŒndet wird diese Auswahl damit, dass insbesondere diese FĂ€cher große Anteile an der Vorbereitung auf das Berufsleben und vor allem dessen ökonomische Aspekte haben. Oftmals sind in diesen FĂ€chern die SchĂŒlerbetriebspraktika und deren Vor- und Nachbereitung curricular verortet. DarĂŒber hinaus wird die Förderung der Selbst- und Sozialkompetenzen durch die jeweiligen Kurse, FĂ€cher bzw. FĂ€chergruppen betrachtet, die ebenfalls eine entscheidende Rolle fĂŒr den Übergang Schule-Beruf und eine begrĂŒndete Berufswahlentscheidung spielen.

In der Struktur einer wissenschaftlichen Qualifikationsarbeit beginnt die Autorin mit einer umfassenden Aufarbeitung des Standes der Forschung zu den tragenden Forschungsthemen der Studie. Es wird ein aktueller und detaillierter Überblick ĂŒber die international vergleichende Schulforschung mit Hauptaugenmerk auf die Gebiete der Curriculumforschung, der vorberuflichen Bildung und der Ausgestaltung des Überganges Schule-Beruf sowie dessen schulpĂ€dagogischer Vorbereitung gegeben. Im Zuge der Darstellung des Forschungsstandes leitet die Autorin die relevanten Begriffe und deren Definitionen her, mit denen im weiteren Verlauf der Untersuchung gearbeitet wird. Anschließend erfolgt die Darstellung der forschungstheoretischen Ausrichtung des Vorhabens. Dabei werden die relevanten Methoden erlĂ€utert und zugleich mit der Anwendung in der vorliegenden Studie verknĂŒpft. Es wird die Auswahl der zu untersuchenden LĂ€nder bzw. Landesteile und der zu untersuchenden UnterrichtsfĂ€cher bzw. BildungsgĂ€nge begrĂŒndet. Aus dem Forschungsstand und der forschungstheoretischen Ausrichtung leitet Berger anschließend im vierten Kapitel den Untersuchungsplan und die Untersuchungsverfahren her. Die Autorin durchdringt die zugrundeliegende Theorie in eine große Tiefe und stellt diese sehr strukturiert dar.
Die getroffene Auswahl der untersuchten LÀnder ist hervorzuheben. Mit Frankreich als Land mit einer traditionell zentralistischen Verwaltung und Schottland mit einem politischen System, welches durch eine liberale Marktwirtschaft geprÀgt ist, werden hier zwei politisch gegensÀtzliche Systeme verglichen. ErgÀnzt mit Deutschland, dessen System der sozialen Marktwirtschaft und der föderalen LÀnderstruktur eine Mischform aus zentralistischen und marktindividuellen darstellt, wurde hier eine durch diese HeterogenitÀt besonders interessante Auswahl getroffen.

Die systematische und gut strukturierte Arbeitsweise des Theorieteils setzt sich im daran anschließenden forschungspraktischen Teil der Arbeit fort. Dies fĂŒhrt zu einer sehr guten Nachvollziehbarkeit der Studie. ZunĂ€chst folgen drei eigenstĂ€ndige Kapitel, die eine komplexe einzelfallspezifische Analyse der drei untersuchten LĂ€nder beinhalten. Es wird ein umfassender Überblick ĂŒber das Bildungswesen im jeweiligen Land, dessen Struktur und Verwaltung sowie die Qualifizierung des Lehrpersonals gegeben. FĂŒr jedes der drei LĂ€nder erfolgt in einem ersten Schritt die qualitative Inhaltsanalyse der relevanten Curricula hinsichtlich der in der Untersuchung gesetzten Schwerpunkte. So entsteht ein Bild ĂŒber die Theorie, welche hinter der Ausformung der vorberuflichen Bildung im jeweiligen Land steht.

In einem zweiten Schritt werden die durchgefĂŒhrten Experteninterviews ausgewertet, um die Unterrichtspraxis der relevanten Kurse, FĂ€cher und FĂ€chergruppen zu eruieren. Daraus resultierend erfolgt eine Analyse des Theorie-Praxis-VerhĂ€ltnisses bezĂŒglich der curricularen Ausformung der vorberuflichen Bildung in Deutschland, Frankreich und Schottland. Dies erlaubt die ganzheitliche Betrachtung der zu untersuchenden LehrplĂ€ne und deren unterrichtspraktischer Umsetzung vor den gesellschaftspolitischen EntwicklungshintergrĂŒnden des Landes.

Im nĂ€chsten Schritt erfolgt der internationale Vergleich der Forschungsbefunde aus den drei LĂ€ndern. Die Autorin folgt dabei den Leitfragen nach Besonderheiten, Unterschieden und Gemeinsamkeiten auf der (theoretischen) Makroebene der offiziellen Curricula sowie deren Interpretation durch die LehrkrĂ€fte auf Meso- und Mikroebene. Zudem wird durch das Verfahren der Komparation unter RĂŒckbezug auf die darĂŒber liegenden konstituierenden Metaebenen ((gesamt-)gesellschaftliche Ebene) und Makroebenen (bildungspolitische Ebene, Bildungssystem) interpretativ eine BegrĂŒndung fĂŒr die Ausformung vorberuflicher Bildung in den gemachten Befunden geliefert. Da die untersuchten Themengebiete durch hohe Verflechtungen und Überschneidungen gekennzeichnet sind, strukturiert Berger die lĂ€ndervergleichende Analyse nach den Vergleichsaspekten der Studie. So wird deutlich, durch welche Instrumentarien bei der Setzung der Curricula Voraussetzungen fĂŒr ein gutes Gelingen vorberuflicher Bildung entstehen und wodurch Probleme generiert werden. Besonders interessante Befunde sind dabei die Steuerungsmöglichkeiten der Schul- und LehrkrĂ€fteautonomie durch offene oder eng gefasste LehrplĂ€ne und welche Wege (oder auch Umwege) LehrkrĂ€fte gehen, um unabhĂ€ngig von diesen Strukturen in der unterrichtspraktischen Umsetzung ein Optimum fĂŒr ihre SchĂŒlerinnen und SchĂŒler zu erreichen. Die Autorin zeigt dabei am Beispiel der vorberuflichen Bildung immer auf, wie die Strukturen des jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Systems der LĂ€nder zu bestimmten Strukturen im dortigen Bildungswesen und dessen Steuerung fĂŒhren und wie dadurch unterschiedliche Zielsetzungen in der vorberuflichen Bildung entstehen oder welche dadurch unterschiedlichen Wegen zu augenscheinlich gleichen Zielen gegangen werden mĂŒssen. Hinsichtlich vieler Vergleichsaspekte fĂ€llt auf, dass Deutschland mit seinem „föderalen Mischsystem“ mal dem zentralistisch verwalteten Frankreich und mal dem liberal-marktwirtschaftlichen Schottland Ă€hnlich ist. Interessant ist aber vor allem, dass bezĂŒglich bestimmter Vergleichsaspekte auch die beiden zunĂ€chst sehr gegensĂ€tzlich wirkenden LĂ€nder Schottland und Frankreich mehr gemeinsam haben und so im Vergleich zu Deutschland abgegrenzt werden können oder Gemeinsamkeiten bei allen drei LĂ€ndern vorherrschen.

Insgesamt arbeitet die Autorin ĂŒber Gemeinsamkeiten und Unterschiede die Vor- und Nachteile im Hinblick auf die vorberufliche Bildung der drei LĂ€nder strukturiert und systematisch heraus. Dabei werden die Ist-StĂ€nde vergleichend dargestellt. Die Studie offenbart Ansatzpunkte, wo die LĂ€nder voneinander lernen können, und zeigt mögliche Schnittstellen fĂŒr kĂŒnftige Forschung auf. DarĂŒber hinaus werden aber auch Probleme des Unterrichtsalltages verdeutlicht. Vor allem fĂ€llt dabei die Thematik der FĂ€cherverbĂŒnde ins Auge. Diese wurden vor allem in Frankreich und Deutschland ausfindig gemacht. Kernproblem ist, dass in beiden LĂ€ndern das LehrkrĂ€ftestudium durch die Kombination von zwei FĂ€chern geprĂ€gt ist. Dadurch erfolgt bei der Kombination von drei SchulfĂ€chern zum sog. FĂ€cherverbund immer ein fachfremdes Lehren in mindestens einem oder sogar zwei der FĂ€cher. Infolgedessen setzen die LehrkrĂ€fte entsprechend ihrer eigenen Neigungen und fachwissenschaftlichen Kompetenzen im Unterricht eine Gewichtung innerhalb des zu unterrichtenden FĂ€cherverbundes. Dadurch können in dem bzw. den anderen Bereich(en) Defizite entstehen. Ein weiteres wichtiges Problem resultiert aus dem Einfluss der PrĂŒfungsrelevanz auf den Unterricht. LehrkrĂ€fte aus allen drei LĂ€ndern konstatierten, dass in prĂŒfungsrelevanten FĂ€chern sich der Unterricht immer mehr zu einem „Training to the test“ entwickelt, je nĂ€her die Termine der AbschlussprĂŒfungen rĂŒcken. Vor allem die Förderung der Selbst- und Sozialkompetenzen der SchĂŒlerinnen und SchĂŒler durch aktivierende Lernformen kommt dadurch zu kurz, da diese Lernformen oft zeitintensiver sind. VerstĂ€rkt wird dieses PhĂ€nomen zudem durch eine hohe StofffĂŒlle in den betreffenden FĂ€chern. Auch durch diese Befunde und die daraus resultierenden Schnittstellen zur bildungswissenschaftlichen und schulischen Forschung ĂŒber den Bereich der vorberuflichen Bildung hinaus gewinnt die Studie an zusĂ€tzlicher AttraktivitĂ€t und AktualitĂ€t.
Patrick Schaar (Erfurt)
Zur Zitierweise der Rezension:
Patrick Schaar: Rezension von: Berger, Susanne: Vorberufliche Bildung in Deutschland, Frankreich und Großbritannien, Eine international vergleichende Fallstudie zur curricularen Ausformung in Theorie und Praxis. Bielefeld: W. Bertelsmann . In: EWR 15 (2016), Nr. 1 (Veröffentlicht am 04.02.2016), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978376395536.html