EWR 6 (2007), Nr. 3 (Mai/Juni 2007)

Ivo Züchner
Aufstieg im Schatten des Wohlfahrtsstaates
Expansion und aktuelle Lage der Sozialen Arbeit im internationalen Vergleich
Weinheim/München: Juventa 2007
(304 S.; ISBN 978-3-7799-1689-5; 25,00 EUR)
Aufstieg im Schatten des Wohlfahrtsstaates Ivo Züchner zeichnet in seiner Monografie das Wachstum der Sozialen Arbeit im internationalen Vergleich nach, indem er „die Einflussfaktoren auf die Expansion und Etablierung der nationalen Systeme der Sozialen Arbeit in verschiedenen Ländern“ (13) untersucht. In einem ersten Arbeitsschritt wird die Expansion der Sozialen Arbeit bzw. der Sozialen Dienste in den zurückliegenden 30 Jahren geprüft und in einem zweiten Schritt nach den Gründen für diese Entwicklung, die sich trotz vielfältiger wohlfahrtsstaatlicher Krisensemantik nicht nur in Deutschland, sondern international vollzogen hat, gefragt. Dabei geht es Züchner nicht nur um eine vergleichende Quantifizierung, vor allem kontinental-europäischer Länder, sondern auch um die Erfassung der Gründe für Entwicklungen.

Seine anspruchsvollen Zielsetzungen beinhalten Reflexionen zum Vergleichen als Methode ganz allgemein, aber auch eine Auseinandersetzung mit Problemen indikatorengestützter Forschung. Zumeist werden Indikatoren national erhoben und dann international verglichen. Züchner geht den Problemen aus dem Wege, indem er u.a. Daten des European Labor Force Survey nutzt. Um bei historisch-vergleichendem Vorgehen dem Problem der Willkür der Selektion von Informationen auszuweichen, ist es wichtig, für den Vergleich grundlegende theoretische Kategorien zu bilden. Züchner unterscheidet die Dimensionen: Lebenslagen der Menschen und Adressaten; Entwicklung der Organisationen und rechtliche Grundlagen der Sozialen Arbeit; Geschichte des Berufs (Ausbildung); Herausbildung der Disziplin, Etablierung der wichtigen Handlungsfelder (21f.). Dieses Tableau, das Hering/Münchmeier [1] zugrunde legen, wird noch vom Autor ergänzt durch die Dimension der staatlichen Sozialpolitik.

Dem Verfasser ist bewusst, dass dem Vergleich die Gefahr des Ethnozentrismus innewohnt, da Verständnis und Interpretation mehr oder weniger stark durch nationales Vorwissen geprägt sind. Sein internationaler Vergleich der Entwicklung Sozialer Arbeit in USA/Spanien/Deutschland „stützt sich auf eine über die deutsche Geschichte gewonnene Strukturierung“ (22). Relativiert hat der Autor dies durch zwei Forschungsaufenthalte in den USA und Spanien. Auffallend ist jedoch, dass fast ausschließlich Literatur aus Deutschland herangezogen worden ist.

Im ersten Teil der Monografie weist Züchner – wie angedeutet – auf die Hürden, die sich bei einem internationalen Vergleich in den Weg stellen. Ein zentrales Hindernis ist die national geprägte Begrifflichkeit. Der Verfasser diskutiert deshalb zentrale Begriffe wie Soziale Dienste und Soziale Arbeit, auch ihr Verhältnis zueinander, da diese von grundlegender Bedeutung für den quantitativen internationalen Vergleich wie auch für den Dreiländervergleich USA, Spanien und Deutschland sind. Und er präzisiert die Verwendung der Begriffe Wohlfahrtsstaat und Sozialstaat, um so die vergleichende Forschung in der Sozialen Arbeit mit der vergleichenden Wohlfahrtsforschung verknüpfen zu können.

Ausgangspunkt ist dabei die Expansion der Sozialen Arbeit im letzten Drittel der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, auch im anglo-amerikanischen Raum. Diese Gegebenheit wird anhand von Erwerbsstatistiken, aber auch anhand freiwilliger Engagements, vor allem im Dritten Sektor überprüft und differenziert erklärt: Ausgehend von Ansätzen zur Erklärung der Entstehung und Expansion von Wohlfahrtsstaaten wird das Wachstum der Sozialen Arbeit sichtbar zum einen „als staatliche Reaktion auf Erfordernisse des Modernisierungsprozesses, zum zweiten als Reaktion auf gesellschaftlich durchgesetzte Bedarfe sowie zum dritten aus der Eigenlogik von einmal eingerichteten Diensten und Bürokratien“ (128). Überzeugend wird nachgewiesen, dass sich die Expansion Sozialer Arbeit durch eine Vielzahl von Erklärungen plausibilisiert, zu denen ausgewählte, empirische Vergewisserungen geliefert werden (157ff.), zum Beispiel die der sozialpolitischen Einbindung Sozialer Arbeit, des Zusammenhangs des Wohlfahrtsstaatstypus mit der Erwerbstätigkeit im Sozialwesen und der Ausweitung von Problemlagen mit einer sich gleichermaßen vollziehenden Ausweitung von Sozialer Arbeit (funktionaler Erklärungsansatz; vgl. 171). Die Ergebnisse der Hypothesenprüfung (175f.) fallen allerdings etwas ernüchternd aus: Es wird als Fazit des empirischen Exkurses „eine eher offene Situation“ genannt (ebd.) und auf den Bedarf weiterer Untersuchungen mit stärker differenzierter Operationalisierung von Bedarfslagen, auf die Soziale Arbeit reagiert, verwiesen. Schließlich stellt Züchner fest, „dass jeweils unterschiedliche nationale Eigensinne, nationale Bedarfslagen und nationale institutionelle Logiken wesentliche Einflussfaktoren für Ausbau und Größe der Sozialen Arbeit und der sozialen Dienste sind“ (176).

Dieses Resümee bietet den Ausgangspunkt für eine vergleichende Betrachtung nationaler Entwicklungen anhand dreier Fallstudien: USA, Spanien, Deutschland. Sie bilden das Herzstück des zweiten Hauptteils. Steht die USA für ein liberales Wohlfahrtsmodell, Spanien als Typus eines eigenen postautoritären Wohlfahrtsstaates, so Deutschland für ein konservatives Modell. Der Leser vermisst das sozialdemokratische Modell, das mit den Ländern Skandinaviens verknüpft wird. Nach den jeweiligen nationalen Länderskizzen und der jeweiligen aktuellen Entwicklung der Berufe in der Sozialen Arbeit folgt eine historische Skizze der Entwicklung Sozialer Arbeit, wobei letztere in Bezug auf die drei Länder sehr ausführlich ausfällt. Auf diesem Wege erhält der eilige Leser einen vorzüglichen Überblick.

Nach der Darstellung der Entwicklung Sozialer Arbeit im Vergleich der drei Länder erfolgt in einem Gesamtüberblick (271ff.) die Betrachtung der Expansion Sozialer Arbeit in internationaler Perspektive. Unter Berücksichtigung aller Unterschiede in der Entwicklung ist registrierbar, dass die Wachstumsschübe Sozialer Arbeit in enger Verbindung mit staatlichen sozialpolitischen Maßnahmen stehen und bei gesamtgesellschaftlichen Anstrengungen zur Bewältigung von Problemlagen expandierten. Die quantitativen Daten zeigen überdies einen Zusammenhang zwischen dem materiellen Entwicklungsstand eines Landes und dem Ausbau Sozialer Arbeit: Je höher das Bruttoinlandsprodukt, umso ausgeprägter die Erwerbstätigkeit im Sozialwesen. Zum Schluss konstatiert Züchner, dass die Soziale Arbeit „selbstverständlicher Bestandteil moderner Gesellschaften“ (276) sei: wegen ihrer quantitativen Verbreitung, der staatlichen Anerkennungen, der fachlichen Etablierung an Hochschulen und der Vielzahl der Arbeitsfelder zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Ob der Status Sozialer Arbeit noch einmal prekär werden könnte, nicht zuletzt in Bezug auf die beiden letztgenannten Eckpunkte, bleibt abzuwarten.

Festzuhalten ist: Die Studie nimmt erstmals einen internationalen Vergleich zur Expansion Sozialer Arbeit in mehr als zwanzig Staaten vor und stellt zu den Ergebnissen theoretisch plausible Analysen an. Einen spezifischen Einblick erlauben die Fallstudien zu den USA, Spanien und Deutschland. Trotz unterschiedlicher sozialpolitischer Rahmungen in diesen Ländern sind gleichwohl gemeinsame Entwicklungen registrierbar.

Die ursprünglich als Dissertation angefertigte Studie von Ivo Züchner stellt sich einem zentralen unausweichlichen Thema Sozialer Arbeit: ihrer Internationalisierung. Der Autor thematisiert das noch zu lösende Problem des internationalen Vergleichs als Methode und liefert Beispiele für begriffliche Vielfalt und die Schwierigkeit einer länderübergreifenden identitären Benennung thematischer Referenzpunkte. In seinem quantitativen wie qualitativen Zugang, die Expansion und aktuelle Lage Sozialer Arbeit zu erfassen, legt Züchner beispielgebende Entwürfe vor. Seine Arbeit schafft Anregungen für weitergehende Forschungsüberlegungen, auf die der Autor auch im Schlusskapitel hinweist. Nicht zuletzt fordert die vorliegende Monografie dazu heraus, Vergleichen als Methode weiterzuentwickeln.

Eine zentrale, nicht angesprochene Forschungsfrage hätte die Wendung des Blicks von den Professionellen wie auch Ehrenamtlichen Sozialer Arbeit zu den Akteuren sein können, die in Deutschland oftmals AdressatInnen, NutzerInnen und KlientInnen genannt werden. Wie wird ihre Handlungsmächtigkeit eigentlich eingeschätzt im internationalen Blick Sozialer Arbeit?

[1] Hering, S./Münchmeier, R.: Geschichte der Sozialen Arbeit. Eine Einführung. Weinheim/München 2000.
Hans Günther Homfeldt (Trier)
Zur Zitierweise der Rezension:
Hans Günther Homfeldt: Rezension von: Züchner, Ivo: Aufstieg im Schatten des Wohlfahrtsstaates, Expansion und aktuelle Lage der Sozialen Arbeit im internationalen Vergleich. Weinheim/München: Juventa 2007. In: EWR 6 (2007), Nr. 3 (Veröffentlicht am 12.06.2007), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978377991689.html